Märchenhafte Orte: in einem gemütlichen Gasthof trug es sich zu...

... und sie speisten und tranken  und taten sich gütlich an so mancher Leckerei, vergaßen auch nicht ihren Pferden den Habersack vorzusetzen. So hört es sich in vielen Märchen an, wenn - meist nach vollbrachtem Abenteuer und bestandenen Prüfungen - alle glücklich vereint schmausen.

Ein Festschmaus bildet ja auch stets den Abschluß einer Asterix- und Obelix-Geschichte. Nachdem die beiden furchtlosen Gallier den Römern mal wieder gezeigt haben, was so eine echte keltische Harke ist, versammeln sie sich um eine urgewaltige Tafel, die sich vor Köstlichkeiten biegt. Das eine oder andere gebratene Wildschwein darf dabei nicht fehlen.

Ein Inbegriff der Gemütlichkeit ist dieses Märchen-Gasthaus, und wir alle sind doch immer auf der Suche nach diesem Hort des Wohlseins. Märchenhaft ist seine Existenz: denn mal finden wir es, mal finden wir es nicht, und es ist auch nicht immer das Gleiche. Viele Dinge spielen eine Rolle: unser Befinden, unsere Laune, die Zeit, die Freunde, die Launen der anderen, die Tagesform des Kochs - all dies trägt dazu bei, ob es ein märchenhafter Aufenthalt wird oder ob wir ihn schnell wieder vergessen. Auf der Suche danach bleiben wir jedenfalls unser Leben lang.

So manches Gasthaus trägt einen gewichtigen Namen: zur Krone, zum Hirsch, zur Traube. Solche Häuser sind schon sehr alt, sie bestehen schon seit der Zeit, als es noch keine Straßen gab. Die wurden erst im 19. Jahrhundert gebaut, vorher gab es unbefestigte Wege und Pfade. Man wanderte über die Höhen, vermied die sumpfigen Täler. Im Abstand von Tagesmärschen entstanden Gasthöfe, in denen man essen und schlafen konnte. Später kamen Pferdefuhrwerke in Mode, und man reiste etwas schneller.

Es entstanden weitere Gasthöfe auf halber Strecke. Zuerst waren Fuhrwerke ausschließlich der Post vorbehalten. Der Begriff Post kommt von Posten, und der geht auf die alten Römer zurück. Auch noch im Mittelalter hatte man Posten, Stationen für Pferdewechsel und Übernachtung. Allerdings transportierte der fliegende Reiter damals keine Liebesbriefe oder Rechnungen: nur die Depeschen von Königen, Kaisern und Landesfürsten durften befördert werden.

Erst mit dem Adelsgeschlecht der Thurn und Taxis (16. bis 18. Jahrhundert) bekam die Post ein volkstümlicheres Gesicht. Bis zur Auflösung des Heiligen Römischen Reiches im Jahre 1806 waren die Thurn & Taxis etwas ganz Vornehmes: Prinzipalkommissare, Vertreter des Kaisers also, beim Immerwährenden Reichstag zu Regensburg. Später betrieben sie dann ihr Postwesen privat weiter.  In Frankfurt am Main war ihre Zentrale. Als die Freie Stadt Frankfurt im Preußisch-Österreichischen Krieg besetzt wurde, wurde schließlich auch die Post preußisch.

Die alten Poststationen aber, die Gasthöfe, die sind uns geblieben, und ihre Namen. „Zum Lamm“, „Zum Ochsen“, „Zur Traube“, „Zum Stern“ - Namen, die uns das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen nach einem dampfenden Teller mit zartem Fleisch, mit Klößen und feinem Gemüse, nach einem Humpen frischen  Bieres, von dem noch die Tautropfen perlen... Noch heute versprechen die traditionellen Gasthofnamen viel. In früheren Zeiten durften sie diese Namen nur führen, wenn sie wirklich für beste Gastlichkeit standen. Tiernamen standen nur einem Haus zu, in dem der Reisende Essen und Trinken bekaam, auch ein Bett für die Nacht und eine Platz im Stall für sein Pferd: zum Ochsen, zum Bären, zum Lamm.

Wer nur Mahlzeiten anbot, konnte sich mit Pflanzennamen schmücken: zur Rose, zur Traube. Einen besonderen Hinweis auf die Schutzheiligen der Reisenden, die heiligen drei Könige, geben Gasthäuser wie Stern, Mohren, Krone. Und weil die Menschen nicht alle lesen konnten, entstanden kunstvolle Gasthausschilder.

Ein Gasthaus, das sein eigenes Bier braute, führte außerdem den sechseckigen Stern, zusätzlich oft auch die Insignien der Braukunst (Faß, Malzschaufel, Maischegabel und Bierschöpfer) im Schilde. Der Stern ist seit dem 15. Jahrhundert das Zeichen der Bierbrauer. Damals nämlich gab es eine sogenannte Brauereigerechtigkeit: das Braurecht machte in den mittelalterlichen Städten die Runde, ähnlich wie heute bei den Straußwirtschaften, damit jeder einmal an die Reihe kam. Wer gerade frisches Bier ausschenkte, durfte den Brauereistern vor seine Türe hängen.

Und nicht nur die alten Gasthöfe entlang der Handesstraßen erzählen uns Geschichten aus alter Zeit: auch die Städte, die an diesen Orten entstanden. So kann man heute noch den Reiseweg eines Lebkuchenbäckers von Nürnberg bis in den Odenwald hinein erkennen: denn überall, wo jener Bäckersgesell auf Wanderschaft einkehrte und sich zur Ruhe bettete, verriet er einer hübschen Maid sein ganz besonderes Lebkuchenrezept.

Und hast du nicht gesehen, kaum war der Geselle weitergezogen, huschte die hübsche Maid zu ihrem heimlichen Schatz und verriet ihm das Rezept. Jener Schatz wiederum sorgte dafür, daß es bald auch an seinem Ort die besten, saftigsten und würzigsten Lebkuchen gab. Der Wandergeselle aber soll noch bis nach Aachen gekommen sein, so berichtet uns das Märchen. Ums Wandern - wenn auch unfreiwillig - geht es auch in einer Schmunzelgeschichte aus dem „Irischen Tagebuch“ von Heinrich Böll (1957, „Wenn Seamus einen trinken will“): Da man im katholischen Irland sonntags nicht ins Pub gehen durfte, erfanden die durstigen Iren flugs einen Ausweg: Reisende durften nämlich. Und so traten die Einwohner des einen Dorfes den Marsch ins Nachbardorf an, begegneten auf der Hälfte des Wegs ihren Leidensgenossen aus jenem Dorf, kehrten als ordentliche Reisende dortselbst ein und löschten vergnüglich ihren Durst. Der Heimweg dürfte noch um einiges vergnüglicher gewesen sein. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann singen und lachen sie noch heute.

Marieta Hiller