..vom Werden und Vergehen einer uralten Kulturpflanze

Jedes Jahr wird eine einheimische Baumart zum Baum des Jahres (siehe baum-des-jahres.de) gewählt. 2013 ist dies der europäische Wildapfel malus silvestris. Den Apfelbaum kennt jeder, aber nur die wenigsten haben schon einen Wildapfelbaum gesehen. Er ist eine der seltenste Baumarten, stark gefährdet und meist unauffällig am Waldrand zu finden. Unser Kulturapfel stammt jedoch nicht von diesem Wildapfel, auch Holzapfel genannt, ab. Vielmehr wird er nach neueren Genabgleichen von kaukasischen, zentralasiatischen und ukrainischen Wildapfelsorten abgeleitet. Ursprünglich - man weiß nicht wann und bei welcher Gelegenheit - könnte der Kulturapfel aus Asien kommen, vielleicht als Handelsgut als lebensverlängerndes Heilmittel.

Das Erbgut des europäischen Wildapfels malus silvestris findet sich nur in sauren kleinen Mostäpfeln wieder, aber die Menschen müssen sie bereits in vorgeschichtlicher Zeit gegessen haben: in Pfahlbauten und bei den Griechen und Römern sind Funde verzeichnet. Die Römer hatten schon etwa 30 Sorten Kulturäpfel gezüchtet, die sie mit nach Germanien brachten und sie dort auch heimisch machten. Denn die Germanen kauten damals noch immer lustlos auf sauren Miniäpfeln herum. Es kamen Zeiten, vor allem nach der Völkerwanderung und zu Zeiten Karls des Großen, da gab es unzählige Apfelsorten. Heute finden sich in Deutschland 4000 Apfelsorten. Doch die Hochzeit des Kulturapfels haben wir schon längst hinter uns gelassen: 70% des deutschen Apfelmarktes werden von Golden Delicious, Jonagold und Red Delicious versorgt. All die anderen Sorten sind entweder nicht robust genug, zu pflegeintensiv oder nicht makellos genug.

Das Konzept der Streuobstwiese, über viele Jahrhunderte im Odenwald gepflegt, verliert an Substanz. In den 1960er Jahren brachten Rodungsprämien vielen Wiesen das Ende. Die einstige Sortenvielfalt aber bot nicht nur viele gute Eigenschaften wie Pilzresistenz oder antiallergene Wirkung, die den drei bis fünf heute gängigen Tafeläpfeln fehlen, sie hatte auch dafür gesorgt, daß das ganze Jahr Äpfel verfügbar waren. Äpfel aus einheimischem Anbau versteht sich, nicht aus Neuseeland importiert. Es gab Sorten, die schon im Juli reif waren wie der Klarapfel. Und es gab Sorten, die man im November ernten konnte wie den Ontario. Waren diese aufgegessen, dann holte man die Lagersorten auf den Tisch: den Zigeunerapfel oder Roter Eiser, der in Erdmieten bis zum übernächsten Sommer halten konnte! Der rote Herbstkalvill dagegen konnte nur bis in den Dezember gelagert werden, dann verdarb er schnell. Deshalb bekamen die Kinder früher zu Nikolaus und zu Weihnachten glänzende rote süße Äpfel geschenkt. Andere Lageräpfel konnten bis in den Mai hinein aufbewahrt werden. Notwendig dazu war jedoch ein kühler Erdkeller, in dem das Apfelbett aufgestellt war: Horden aus Holz, mit Farnwedeln ausgelegt, auf die die Äpfel vorsichtig und berührungsfrei gelegt wurden. Bevor sie verdarben, wurden sie zu Apfelmus oder Kompott gekocht, zu Most gepreßt oder als Apfelringe getrocknet. Heute gehen wir in den Supermarkt, kaufen Äpfel vom anderen Ende der Welt und - kauen lustlos auf makellos aussehenden, aber langweilig schmeckenden Früchten herum. Wie hatten es die Germanen doch gut: ihre Äpfelchen schmeckten wenigstens krachsauer... (mh)