August 2018: Während die Gemeinden Lautertal und Modautal sich wie viele andere Kommunen bereits gegen den Einsatz von Pestiziden auf ihren Grundstücken einsetzen, ist die Verwendung von Glyphosat oder Roundup weiterhin möglich. Dieses Herbizid läßt sich inzwischen im menschlichen Urin nachweisen: 2015 wurden 2000 Menschen getestet, alle hatten Glyphosat eingelagert und werden es nun nie wieder los. Giftig ist das Mittel nicht nur für Pflanzen (Kraut und Unkraut), sondern auch für die Böden: durch Bodenschädigung ist die Krankheitsabwehr der Pflanzen geschwächt, der Ertrag geht zurück.

Insekten, Fische und Amphibien sterben in Landwirtschaft und Hausgärten. Aber es ist praktisch: man gießt es auf verunkrautete Flächen, und schon ist alles sauber. So bekommt auch das Grundwasser seine Dosis ab.

Die Idee der pestizidfreien Kommune braucht Multiplikatoren, Menschen die diese Idee weitertragen. Es gibt Methoden, Grünflächen ohne Gift schön zu erhalten. Unterstützt wird Dorf im Wandel dabei von Fachleuten.

Bisher haben sich rund 180 Städte und Gemeinden entschieden, ihre Grünflächen ohne Pestizide oder mindestens ohne Glyphosat zu bewirtschaften. Der BUND unterstützt diese Aktivitäten und hat deshalb einen Ratgeber „Die pestizidfreie Kommune“ erarbeitet, der thermische und mechanische Methoden zur Wildkrautbekämpfung vorstellt und Beispiele bienenfreundlicher Projekte, Anregungen, Tipps, Pflanzenlisten und Bezug von Saatgut und viele weitere Infos enthält. Denn Pestizide werden nicht nur in der Landwirtschaft eingesetzt, sondern auch in Hobbygärten und Blumenrabatten.

Seit dem Hessentag 2014 hat die Stadt Bensheim ihre Grünstreifen und Verkehrsinseln mit einer bunten Mischung „Bensheimer Bienenweide“ bepflanzt, und auch wer nicht gerne nach Bensheim kommt, der freut sich doch wenigstens an den fröhlichen Blumen und ihren sechsbeinigen Besuchern.

Denn der zweite Schritt nach dem vollständigen Verzicht auf Pestizide muß sein, für Insekten attraktive Bepflanzungen zu schaffen. Ohne Insekten gibt es keine Vögel, keine Frösche, keine Ringelnattern, keine Fledermäuse, keine Igel...

Der NABU hat während der bundesweiten Gartenvogelzählaktion 2018 festgestellt, daß Kohl- und Blaumeisen, Buchfinken und  Amseln deutlich zurückgegangen sind.

Dorf im Wandel wird nach den Gesprächen im September zu einer öffentlichen Veranstaltung einladen und über das Projekt „pestizidfreie Gemeinde“ berichten.

Artenvielfalt in der Landwirtschaft

Der Odenwald mit seiner kleinräumigen Landschaftsform eignet sich nicht besonders gut für industrielle Landwirtschaft. Viel sinnvoller wäre es, anstelle von riesigen Flächen mit Monokulturen verschiedene Nischenprodukte anzubauen.  Überdüngung und die Anreicherung von Ackergiften haben den Böden über lange Jahre geschadet, nun könnten sie sich erholen. Dabei können neue Kooperationen helfen, denn die Landwirtschaft in unserer Region ist notleidend nicht nur was die Bodenqualität betrifft. Kaum ein Landwirt hat sein Auskommen, viele alteingesessene Bauernhöfe wurden noch eine Zeitlang im Nebenerwerb betrieben und schließlich in Ferienwohnungen oder andere Projekte umgewandelt.

Durch die Umstellung auf Rindermast konnten sich wenige Betriebe halten. Doch deren Problem ist jetzt die Beschaffung von Futter, das zum Teil von weither geholt werden muß. Die Gülle aus dem Stall wird jedoch nicht dorthin gefahren, wo das Futter herstammt. Die wird auf angepachteten Flächen vor Ort ausgebracht, so daß man sich nicht über Nitratbelastung in Quellen wundern muß.

Eine große Zahl an Flächen vor Ort wird zudem  bereits jetzt genutzt, um Heu für Kleintiere zu produzieren.

Alternativen, die bestehenden Landwirtschaftsbetrieben helfen könnten und die sich positiv für das Bodenleben und die Artenvielfalt auswirken, gibt es.

Kleinräumige Landschaft mit Brachfeldern: odenwaldtypisch und ökologisch sinnvoll

 

Der WWF (World wide fund for nature) und der Bioverband Biopark (in Brandenburg) haben 2011 ein Projekt gestartet, bei dem Biobetriebe, die sich zum Erhalt der Artenvielfalt in ihrer Landwirtschaft verpflichten, eine Abnahmegarantie zu vernünftigen Preisen bei einer großen Handelskette bekamen. Dies funktioniert nur mit viel Engagement und nochmehr mit entsprechendem Gewicht. Mit einer großen Tierschutzorganisation und einem Bioverband im Rücken ließe sich ein solches Projekt auch im Odenwald umsetzen. Diese „Landwirtschaft für die Artenvielfalt“ (LfA) wird im Lebensmittelladen zu normalen Biopreisen verkauft, der Landwirt erhält jedoch etwas mehr als für Bioprodukte. So kann der Lebensmittelhandel einen Imagegewinn für sich verbuchen und gibt einen Teil an den Produzenten weiter.

Für andere ist Regionalität und gute Arbeitsbedingungen wichtiger als Biostandard, diese engagieren sich z.B. bei „Pro Planet“, das von REWE gehandelt wird.

Die öffentliche Wahrnehmung ändert sich: nicht mehr der Preis, sondern die Qualität (vor allem die Qualität die im Erzeugungsprozeß steckt) werden wichtig.

Der Deutsche Bauernverband startete ebenfalls eine Nachhaltigkeitsinitiative: F.R.A.N.Z. (für Ressourcen, Agrarwirtschaft und Naturschutz mit Zukunft). In diesem Projekt wird auf 10 Höfen in 10 Jahren erprobt, ob man auch mit konventionellem Anbau die Artenvielfalt steigern kann.

Diese Projekte zeigen, daß es funktionieren kann. Jedoch brauchen die Landwirte neben einer starken Organisation im Rücken vor allem auch den Rückhalt in der Region, die Verbraucher müssen zeigen daß sie an einer Veränderung interessiert sind und ihr Kaufverhalten dieser Veränderung anpassen wollen.

Bunt und blühend: so sah die Hühnerweide um das Brandauer Hühnermobil im Frühsommer aus. Eier aus dem Hühnermobil sowie Obst und Gemüse gibt es in Hartmanns Lädsche in Brandau

 

Einsatz von Nützlingen anstelle von Pestiziden

Bei Drucklegung dieses Heftes (Frühsommer 2018) stand noch nicht fest, ob die ersten neuen Pestizidmischungen mit dem Wirkstoff Flupyradifuron auf den Markt kommen. Die Zulassungsverfahren werden üblicherweise geheim gehalten, jedoch wurde doch bekannt, daß auch für Sulfoxaflor und Cyantraniliprol Zulassungsanträge vorliegen.
Das franzöische Amt für Gesundheitsschutz in Ernährung, Umwelt und Arbeit (ANSES, Stand Mai 2018) ist hier schon weiter: es gebe für die meisten der 130 untersuchten erlaubten Anwendungen dieser Mittel Alternativen. Pheromone (Duftstoffe) und das Aufbringen einer Schutzschicht werden empfohlen, außerdem Diversifizierung im Anbau (= Vielfalt, Wechselanbau) und sogenannte Servicepflanzen (eine Pflanzenart schützt die andere, oft wechselseitig). Frankreich führte  zum 1. September ein generelles Verbot von Neonikotinoiden ein.

Insektenfreundliche Gartenanlage

Vielerorts sieht man akkurat gestaltete Vorgärten mit verschiedenartigen Steinarten und Größen nach Art der japanischen Zen-Gärten. Das muß man mögen - ein naturnaher Garten sieht halt oft verwildert und ungepflegt aus. Abgewelkte Stauden werden dort nicht sofort entfernt, zwischen den Gartenblumen strecken sich „Unkräuter“ und die Beete sehen aus wie „Kraut und Rüben“. Aber hier brumselt und sumselt es, hier krabbelt und kriecht es, Schmetterlinge und Vögel fühlen sich hier wohl.
Ein naturnaher Garten kann auch auf dem Land einen Zufluchtsort für vielerlei Tiere und für die Artenvielfalt im Allgemeinen darstellen. Denn nicht nur auf landwirtschaftlichen Flächen, sondern auch auf einem Teil der insgesamt etwa 930.000 Hektar Gartenfläche in Deutschland werden Pestizide ausgebracht: 6000 Tonnen  jährlich nur in Gärten!
Durch Mischkulturen und heimische Pflanzen, die dem Standort angepaßt sind, durch sinnvolle Fruchtfolgen und Nützlinge kann sich der Garten selbst helfen. Jauche aus Brennessel oder anderen Kräutern können Kunstdünger ersetzen, und Blühpflanzen locken unzählige Insekten an: Schneeheide, Aster und Kornblume oder eine ganze Wildblumenwiese.
Planen Sie doch für das nächste Jahr Ihren Garten um: ein „Abfallhaufen“ in einer Ecke bietet Unterschlupf für Igel und andere Tiere und sorgt dafür, daß Ihre Rohstoffe in Ihrem Garten bleiben. Bei der Grünschnittabfuhr sind sie zu nichts mehr nutze. Wasserangebot und Nistgelegenheiten sowie reichhaltiges Früchtemenu aus Sträuchern und Stauden gleich einplanen.
Auf geo.de/bienen gibt Biologe Dr. Hannes Petrischak von der Heinz Sielmann Stiftung Tipps für bienenfreundliche Pflanzen für den Garten: möglichst über das ganze Jahr Blühpflanzen einplanen, einen Teil der Kräuter blühen lassen, Blühgehölze wie Schmetterlingsflieder pflanzen, wer Platz hat auch einen Obstbaum. Der Apfelbaum steht ja sowieso seit Martin Luther noch auf der Agenda eines jeden Rechtschaffenen. M. Hiller

Infokasten

Ein paar Zahlen:

  • in Deutschland  gibt es gut 16 Millionen Hektar Anbaufläche (= 45% der Gesamtfläche Deutschlands)
  • für Deutschland werden Agrarprodukte benötigt, die eine Anbaufläche von gut 22 Millionen Hektar brauchen
  • Importiert wird also von 6 Millionen Hektar aus dem Ausland
  • Für den Fleischverbrauch in Deutschland wird in Südamerika Soja auf einer Fläche von 2,2 Millionen Hektar angebaut
  • Auf einer Fläche so groß wie Hessen (14 Mio. ha) wird in Deutschland ausschließlich Futter für die Fleischproduktion angebaut, das sind 70%!
  • Pro Bundesbürger sind knapp 1600 Quadratmeter Ackerfläche erforderlich
  • 2050 werden ihm / ihr aufgrund der wachsenden Weltbevölkerung nur noch 1200 Quadratmeter zur Verfügung stehen
  • Das bedeutet: wir werden dann nur noch 350 Gramm Fleisch pro Woche essen können oder dürfen
  • Das empfehlen unsere Gesundheitsorganisationen bereits seit langem...
  • in der Steinzeit arbeitete jeder Mensch etwa 2 Stunden am Tag für Nahrung, Kleidung, Werkzeuge
  • in der Steinzeit sorgten 98% der Menschen für die Ernährung aller
  • heute ernähren 2% der Menschen in der „ersten“ Welt die anderen
  • 1850 gaben die Menschen 61% ihres Einkommens für Ernährung aus
  • 2013 gaben die Menschen 15,2% ihres Einkommens für Ernährung aus
  • heute wirft jeder Bundesbürger pro Jahr im Schnitt 82 kg Lebensmittel weg
  • das sind weltweit 2 Milliarden Tonnen
  • davon könnte man drei Milliarden Menschen ernähren
  • Aber „nur“ 805 Millionen Menschen haben nicht genug zu essen

M. Hiller