Nur mal angenommen... Sie sind eine Frau, leben in Deutschland im Jahr 2018 und es ist Mai: der Monat der Liebe, der aufblühenden Natur, der trällernden Vöglein! Und Sie wollen heiraten, eine Familie gründen, glücklich sein bis daß der Tod Sie scheide.

Klingt soweit gut. Können Sie sich aber vorstellen, daß Sie in vielen Ländern heute noch zwangsverheiratet würden? An einen Mann, den Sie nicht kennen geschweige  denn mögen, der viel älter ist als Sie, der Sie ausnutzt und schlägt?

Können Sie sich vorstellen, daß Sie vor nur 60 Jahren in Deutschland nur hätten arbeiten dürfen, wenn Ihr Ehemann einverstanden gewesen wäre? Daß Sie nur mit seinem Einverständnis ein eigenes Bankkonto eröffnen durften? Führerschein machen? Reisen? Fernseher kaufen?
Heute dürfen Sie das, und noch viel mehr: es gibt die Ehe für alle. Bis zum 11. Juni 1994 war es strafbar homosexuell zu sein, es gab den Paragraphen 175 - das ist nicht lange her! Doch auch für Homosexuelle beiderlei Geschlechts gab es die Ehe als Schutzinstitution: Mann und Frau mit gleichen Interessen führten eine Scheinehe. Denn riskant war es, unverheiratet zu bleiben: als Blaustrumpf und Hagestolz gebrandmarkt, dem Spott und der Verfolgung preisgegeben.

Menschen mit Behinderung durften nicht heiraten: so wurde zwei jungen Behinderten in einer katholischen Kirche in München die Eheschließung verweigert, das war 1982 - also auch noch nicht lange her! Der Kirche fehlte die Zeugungsfähigkeit: er hatte Muskelschwund und sie war blind. Man könnte jede Menge geschmacklose Witze daraus machen, wenn es nicht so bitter wäre. Schließlich wurden beide aber glücklich getraut: in einer evangelischen Kirche (aus: Darmstädter Echo, 3.12.1982)

Beim Kinderkriegen hörte der Spaß komplett auf: vor knapp 40 Jahren sperrte die Stadt Bremen einer jungen Frau das Arbeitslosengeld. Sie hatte bei einem Vorstellungsgespräch erwähnt, daß sie durchaus irgendwann einmal ein Kind haben möchte.

Wir haben es heute besser, können uns frei entscheiden und auch frei ausleben. Unsere Gesellschaft ermöglicht uns dies. Doch auch wenn heutzutage alle heiraten oder es lassen können: wenn Kinder kommen, gibt es für unsere moderne Gesellschaft eine Grenze, die nicht entschieden genug eingehalten werden kann: Gewalt in der Familie. Mal ist es nur das Rauchen der Eltern, während Kinder im Raum sind. Mal ist es aber auch Mord: wenn Eltern ausrasten und Säuglinge zu Tode schütteln oder Kinder immer wieder grün und blau schlagen. (Vortrag dazu am 3. Mai, siehe Seite 18)

Es war ein weiter Weg für die Frauen von der Herdhüterin zur Selbstbestimmung, doch vieles ist noch immer nicht erreicht.
Überlegen Sie also gut, was Sie wollen: einen guten Job mit Verantwortung, gleiche Chancen und Bezahlung, Respekt von Kollegen und Vorgesetzten? Dann arbeiten Sie daran! Oder werden Sie am heimischen Herd glücklich - bis daß der Tod Sie scheide...

Nochmal: Nur mal angenommen... Sie sind eine Frau,

und Sie ärgern sich weil es in Formularen noch immer keine weibliche Endung in Berufsbezeichnungen etc. gibt. Sie schreiben Petitionen, Anträge, Beschwerdebriefe. Bestehen darauf, als Kundin, Kontoinhaberin, Antragstellerin, Kaminfegerin, Beanstanderin oder Nörglerin bezeichnet zu werden. Wird es deshalb jetzt alle Formblätter in zwei Farben geben: rosa und hellblau - und was wird aus den Farbenblindinnen?

Am schlimmsten erscheint Ihnen (Ihninnen?) das Wörtchen „man“. Rein sprachlich hat es nicht das Geringste mit Mann zu tun: im englischen spricht man von man als Menschheit, das Lateinische kennt homo für Mensch, woraus sich human ableitet - schon wieder human statt hufrau! Und was sollen nur die armen Bewohnerinnen der Insel Man tun! Ich kann Sie trösten: die Mutterwurzelsilbe Man(N) steht ursprünglich nicht für das männliche Geschlecht sondern für die Mutter, englisch „woman“ bedeutet vermutlich Bauchmutter (aus womb und man), alles nachzulesen bei Naturwissenschaftlerin und Patriarchatskritikerin Kirsten Armbruster, (https://kirstenarmbruster.wordpress.com/2015/07/13/die-mutterwurzelsilbe-mann/)

Haben Sie eigentlich nichts Besseres zu tun?

Während Sie sich um Wortklaubereien streiten, sind weiterhin Frauen im Berufsleben benachteiligt, werden schlechter bezahlt, kommen seltener in Führungsetagen, müssen sich als Alleinerziehende bei den Tafeln versorgen. Hier geht es nicht um Quotenfrauen oder seltsame Doppelnamen-Doppelspitzen, sondern darum, daß Frauen unabhängig vom Geschlecht nach ihren Leistungen eingestellt und bezahlt werden.

Glauben Sie, daß die soziale Gleichstellung der Frau durch „frau“ statt „man“ erreicht werden kann? Dann sollten Sie sich schleunigst an Ihren heimischen Herd zurückziehen und darüber nachdenken WER die Kinder üblicherweise erzieht und erzogen hat. Die könnten die Generation sein, die endlich tatsächliche Gleichberechtigung schafft, aber dazu müssen sie SIE erstmal ERNST NEHMEN.

Oder auch nicht... Marieta Hiller, März 2018