Was der Name Bickelhaupt bedeutet und wie er in den Odenwald kam: mit Werner Bickelhaupt, Ulrich Kirschnick und Manfred Scharschmidt hatte ich mich im Herbst 2021 getroffen, um über die Brandauer Ortsfamilienbücher zu sprechen. Werner Bickelhaupt stellte mir eine Zusammenstellung zum Namen Bickelhaupt zur Verfügung:

Demnach rührt der Name von der Beckenhaube. Dies ist ein Helm aus dem frühen 14. Jahrhundert. Der Ritter zu Pferd trug diesen Helm im Kampf, vergleichbar in etwa dem modernen "Schädelspalter", einem seit langem verbotenen Schutzhelm für Motorradfahrer des 20. Jahrhunderts. Was am Schädelspalter der Lederschutz für Ohren und Genick war, ist an der Beckenhaube der Ringelpanzer, eine Art Kettenhemd für Gesicht und Nacken. Ursprünglich trugen Ritter die Beckenhaube unter dem Kübelhelm, einer Art Topf mit Sehschlitz. Offenbar war der Beruf des Häschers und Stadtknechts in den Jahrhunderten bis um 1800 ein recht gefährlicher, denn sie trugen ebenfalls Beckenhauben.

Als sich die Familiennamen bildeten (meist aus dem Beruf oder dem Herkunftsort), gehört auch der Name Bickelhaupt dazu, er ist erstmals aufgetaucht im Jahre 1261 in einer Urkunde aus Mainz Hechtsheim, in der Siegfried, Frau Christina und Sohn Nikolaus mit dem Familiennamen Beckenhube erwähnt sind.

In einem anderen Dokument zum Erwerb der Dieburger Region durch Kurmainz wird Rudolf Beckenhube als kurmainzischer Offiziat und Vogt eingesetzt.

In Alsbach gibt es 1385 zwei Schultheißen namens Bickinhube, und in Beerfelden wurde durch die Grafschaft Erbach ab 1420 eine Familie Beckenhube angesiedelt, 1517 wird ein Hubenbesitzer Linhart Beckenhub in Gammelsbach erwähnt, und seit Anfang des 17. Jahrhunderts tauchen Bickelhaub in Erzbach, Rohrbach und Laudenau auf. Am Ende des 30jährigen Krieges wird in Laudenau ein Hans Bickelhaub erwähnt, der 1660 in Fränkisch-Crumbach und auch in Neunkirchen auftaucht.

Der Name Beckenhaub hat sich in Gammelsbach und Hetzbach erhalten, die Kirchenbücher von Neunkirchen nennen ab 1637 Beckelhaub, diejenigen von Reichelsheim Bickelhaub.

Seit Mitte des 18. Jahrhunderts gibt es die Namensform Bickelhaupt. 1767 wird in Lautern die Geburt von Johannes Bickelhaupt verzeichnet, dessen Sohn zu Brandau zur Welt kommt. Alle Bickelhaupts sind verzeichnet im Buch "Familien in Brandau 1635-1910" von Ulrich Kirschnick - es sind viele: 20 Einträge. Jüngere Bickelhaupts werden aus Datenschutzgründen nicht verzeichnet, im Gegensatz zum Telefonbuch: dieses  unter Datenschutzaspekt völlig aus der Zeit gefallene Instrument nennt für Lautertal 17 und für Modautal 2 Bickelhaupt.

Wer nun bislang der Meinung war, daß der Name Bickelhaupt von der wilhelminischen Pickelhaube herrührt, der irrt. Vielmehr ist die Pickelhaube eine Weiterentwicklung der mittelalterlichen Beckenhaube. Bei dieser war der Oberkopf spitz ausgetrieben, um Schläge von oben abwehren zu können. Diese Spitze wurde in der preußischen Kopfbedeckung für Soldaten und Polizisten besonders dekorativ ausgeprägt. Die Wortschöpfung Pickelhaube hat rein sprachhistorisch jedoch nichts mit der Beckenhaube zu tun, die einst den Familiennamen Bickelhaupt prägte.

In einem Beitrag im Quartalsheft "Der Odenwald" des Breuberg-Bundes erläuterte Helmut Bickelhaupt 1966 die Entstehung des Namens: "Bedeutung, Herkunft und Gesc hichte des Namens und der Familie Bickelhaupt"

In Südhessen läßt sich demnach der Name Bickelhaupt bzw. Beckenhaub bis Ende des 13. Jahrhunderts zurückverfolgen. In einem Brief des Pfalzgrafen Otto Heinrich an den Grafen Eberhard von Erbach vom 16. November 1557 schließlich ist von der Rüstung die Rede: "mit Trabharnisch, Beckelhauben und Feuerbüchsen in des pfälzischen Hofes Winterfarben". In diesem Aufsatz wird im Einzelnen die Geschichte der Christina Beckenhube und ihrem Sohn Nikolaus dargestellt, über Ulrich von Bickenbach zu Konrad Bikinhube und allen weiteren Namenserwähnungen.

Helmut Bickelhaupt selbst stammt in 12. Generation von Johann Bickelhaupt ab, Enkel des Johann Leonhard (*3.7.1706 in Eberbach, gest. 17.7.1771 in Lautern, verheiratet mit Anna Barbara Gütgen aus Lautern), jener wiederum ist der zweite Sohn des Johannes Bickelhaupt (1674-1742) aus Eberbach. Eines der sieben Kinder von Johann Leonhard brachte den Sohn Johann (*31.3.1767 in Lautern hervor, der nach Brandau heiratete: JOhannetta Rebekka Speyer aus Neunkirchen.
Ein zweiter Enkel des Johann Leonhard Bickelhaupt führte in Lautern die Landwirtschaft fort, die noch heute hier zu finden ist.
Der dritte Enkel war Johann Philipp Bickelhaupt (1773-1848, Bürgermeister in Elmshausen. Er hatte 19 Kinder, von denen jedoch 10 als Kind verstarben.

Der zweite Sohn von Johann Leonhard hieß ebenfalls Johann Leonhard (1738-1800) und lebte in Elmshausen und Reichenbach. Von ihm stammen die Papierfabrikanten in Elmshausen, Eberstadt und Laudenau ab, einer seiner Nachkommen wanderte nach USA aus, und andere gründeten in Ebingen (Württemberg) ebenfalls eine Papier- und Pappenfabrik.

Einer seiner Söhne heiratete 1806 Anna Barbara Böhm in Reichenbach und lebte in Gadernheim. Zu seinen Nachkommen gehört auch der bekannte Lehrer Philipp Bickelhaupt aus Lindenfels.

Abschließend merkt Helmut Bickelhaupt noch an, daß die Bickelhaupts mit wenigen Ausnahmen bis zur 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts Bauern waren. Erst mit dem Wandel in der Landwirtschaft (siehe Landwirtschaft vor 250 Jahren) nahmen sie Handwerksberufe auf. Da die Bickelhaupts eine sehr seßhafte Sippe waren, läßt sich ihr Name von der Familienforschung sehr gut nachzeichnen.

M. Hiller, Oktober 2021

Werner Bickelhaupt aus Brandau stellte eine Stammtafel der Familie Mink auf:

Der Ursprung der Minks in Reichenbach: drei russische Brüder?

Im Januarheft 2022 des Durchblick erschien mein Beitrag "Heinrich Mink II und VII: ein Puzzlespiel". Spannend war es, das Rätsel um die beiden Männer zu lösen. Ausgehend von der Geschichte von
Katharina Herzog aus Brandau (gebürtig aus Raidelbach, *1927), die mir von ihrem Urgroßvater erzählte, der als Aufseher in der Blaufarbenfabrik Lautern gearbeitet hat. Dieser Heinrich Mink ist verwandt mit den Reichenbacher Minks, die nach den Erinnerungen der alten Dame einst von drei Russen abstammten, die im 18. Jahrhundert nach dem Krieg in Reichenbach blieben und ihren Namen in Mink änderten.

Weiter ging die Suche anhand von Fotografien, die in der Ausstellung im Rathaus Reichenbach (2. Stock) zur Blaufarbenfabrik hängen. Sie sind auch in meinem Jahrbuch 2021 abgebildet im Beitrag über die Blaufarbenfabrik Lautern (Ultramarin) und zeigen die Urkunden der Vereinigten Ultramarinfabriken für Heinrich Mink II. Frau Herzog erzählte mir, daß einer der Söhne von Heinrich Mink II der Großvater von Ernst Mink aus Reichenbach sei, also sprach ich auch mit Familie Ingrid und Ernst Mink. Die beiden suchten extra alte Fotos heraus und halfen bei der Spurensuche mit, bis wir die beiden Herren genau identifiziert hatten.
Dank Ingrid und Ernst Minks eigenen Fotos konnte so zweifelsfrei festgestellt werden, daß Heinrich Mink II der Urgroßvater von Katharina Herzog und von Ernst Mink ist.

Nach der Stammtafel der Familie Mink/Minck jedoch ist die Geschichte der drei russischen Brüder, die nach Reichenbach kamen und hier ihren Namen in Mink änderten, wohl nicht wahr. Es gibt jedoch auffällig viele ähnliche Familiennamen nicht nur in USA und Deutschland, sondern auch in Afghanistan! Mink und Minck, Minke und Mincke, Minich, ferner Menke, Meinhard, Meinward, Meinrich, Meineke rühren wohl ursprünglich von Mönch, das sich u.a. zu Münch, Münk, Munk oder Monk veränderte. In Amerika gibt es eine Nerzart namens Mink. Der Minkwal wird auch Zwergwal genannt.

Geht man nun davon aus, daß es nicht ungewöhnlich ist, wenn - etwa nach dem 30jährigen Krieg - zahlreiche Neusiedler im Odenwald ihre zungenbrecherischen Familiennamen in etwas "Einheimisches" umwandelten, so könnte man auch denken daß die drei russischen Brüder - die vielleicht aus Afghanistan kamen? - sich hier Mink nannten. Schließlich gibt es auch einen Wilhelm Kaffenberger, der in den 1960er bis 1980er Jahren in der Farbenproduktion Lautern arbeitete. Er war türkischer Mitarbeiter und hieß eigentlich Mustafa mit schier unaussprechbarem Nachnamen. Bevor unsere Zeiten diesbezüglich komplett humorlos wurden, sah niemand ein Problem in hemdsärmeligem Umgang mit ausländischen Mitarbeitern, auch Mustafa nicht.

Afghanistan - der Name wurde 1801 erstmals im anglo-persischen Friedensvertrag zu den paschtunischen Siedlungsgebieten offiziell erwähnt - war wie unzählige Regionen der Welt im 18. Jahrhundert häufig Kriegsschauplatz, und es ist anzunehmen daß sich viele Flüchtlinge auf den Weg machten. Wer weiß: vielleicht kamen so auch afghanische Minks nach Reichenbach.

Die Geschichte interessierte auch einen Nachfahren der großen Mink-Sippe: dessen Familie mütterlicherseits Münk hieß. 1827 wurde in Eberstadt Johann Adam Mink geboren. Die Familie lebte lange in Eberstadt, und im Dritten Reich wurden vom dortigen Pfarrer offenbar schutzbringende Eintragungen in offiziellen Bescheinigungen vorgenommen, die auch eine Veränderung des Namens im Gegensatz zu alten Kirchenbücher-Einträgen mit sich brachten. In den Kirchenbüchern wurde durchgehend Mink oder Minck geschrieben, während der Ahnenpaß von 1938 die Schreibweise in Münk änderte.

Der erste Minck in Reichenbach

Der erste Minck schrieb sich mit ck und stammt aus Beedenkirchen. Dort ist der Name erstmals mit Agnes Minck (6.12.1710-21.04.1784) dokumentiert. Der in Bickelhaupts Aufstellung erstgenannte Minck war Johann Adam, hier sind seine Lebensdaten mit 1792-1841 angegeben. Im Ortsnamenregister für Beedenkirchen sind jedoch mehrere Namensgleiche aufgeführt: 

MINCK, Johann Adam ✶ 04.01.1688 in Beedenkirchen
MINCK, Johann Adam ✶ 18.04.1712 in Beedenkirchen, † 08.11.1793 in Beedenkirchen
MINCK, Johann Adam ✶ 29.07.1761 in Beedenkirchen, † 31.07.1761 in Beedenkirchen
MINCK, Johann Adam ✶ 20.07.1762 in Beedenkirchen, † 13.01.1833 in Beedenkirchen
MINCK, Johann Adam ✶ 30.01.1786 in Beedenkirchen
MINCK, Johann Adam ✶ 22.01.1812 in Beedenkirchen
MINCK, Johann Adam ✶ 24.06.1826 in Beedenkirchen

Der älteste Johann Adam Minck in Beedenkirchen (*1688) ist der Sohn von Johann Nickel Minck (1653-1739) und Anna Retgen, Sohn des Niclas Minck (vermutlich 1598-1686) und der Elisabetha ??. Dieser Niclas hatte laut Beedenkirchener Kirchenbuch 12 Kinder mit zwei Ehefrauen, Katharina (ca. 1591-1639) und Elisabetha (ca 1619-1641). Quellen weisen auf einen Bruder namens Velten hin, der ab 1622 in Brandau genannt wird. Angaben zu den Eltern von Niclas Minck sind leider nicht vorhanden.

Demnach geht die älteste Erwähnung des Namens Minck für Beedenkirchen auf das Jahr 1598 zurück. In Brandau ist ein Hans Minck * ca. 1531 genannt, in Lautern Jost Minck *ca. 1555.

Der erste Mink mir k war Johannes geb. 1759.

Die Stammtafel zeigt die Verwandschaft von Heinrich Mink (lesen Sie dazu auch: Lautern: Geschichte einer Fabrik ) zu Ernst Mink aus Reichenbach und Katharina Herzog aus Brandau (dazu bitte lesen: „Es hat sich noch niemand arm geschenkt“... )

 

Von unserem Leser August Homburg, der für den Verein Helfende Hände Odenwald Haushaltsauflösungen organisiert, habe ich einen Ordner mit historischen Fotografien des Fürstenhaus erhalten. Er hatte den Ordner bei einer Haushaltsauflösung in Lindenfels vor fünf Jahren entdeckt, im Privathaushalt eines 90jährigen Verstorbenen.

"Die großherzoglichen Herrschaften mit Ihren Hohen Anverwandten und Gefolge auf Jagdschloß Wolfsgarten - Herbst 1910"
Unterste Reihe v l n r: Großfürstthronfolger Alexej von Rußland; Erbgroßherzog Georg, Prinz Ludwig, Großfürstin Tatjana von Rußland
Zweitunteste Reihe: Prinzessin Heinrich von Preußen, Großfürstin Maria von Rußland, Großfürstin Olga von Rußland
Mittelreihe: Großherzogin Eleonore, Großfürstin Anastasia von Rußland, Prinz Heinrich von Preußen, Kaiser Nikolaus von Rußland, Kaiserin Alexandra von Rußland, Oberhofmeisterin Freiin von Grancy
Zweitoberste Reihe: Oberstallmeister Riedesel Frhr. zu Eisenbach, Hofdame Fräulein von Bützow, Großherzog Ernst Ludwig, Flügeladjutant Rittmeister Frhr von Massenbach, Hofdame Freiin von Rotsmann, Hofdame Fräulein Tutschew, Hofdame Fräulein von Oertzen
oberste Reihe: Leibarzt Dr. Botkine, Persönl. Adjutant Kapitänleutnant von dem Knesebeck, Flügeladjutant Kapitän Drenteln, Hofmarschall Frhr. von Ungern-Sternberg, Kammerherr Frhr. von Leonhardi
Die stehenden Herren sind nicht benannt.

 

Der Schuljugend Hessens zum 13. März 1917 - Ernst Ludwig, Großherzog von Hessen

 

Ernst Ludwig, seine 2. Frau Eleonore zu Solms-Hohensolms-Lich und die beiden Söhne Georg Donatus *1906 und Ludwig *1908 etwa um 1914.

1. August 1914 nach Bekanntmachung der Mobilisierung

2. August 1914: Abholung der Fahne der Leibdragoner

"Aus der Zeit des Ausbruchs des Weltkriegs: Die großherzogliche Familie kommt am 2. August 1914 von der Abholung der Standarte und der Verabschiedung des 23. Garde-Dragonerregiments zurück"

Aufgenommen im Residenzschloß zu Darmstadt von Hofphotograph Ed. Zinsel. Dieser war Großherzoglich Hessischer Hofphotograph in der Riedeselstaße 39 in Darmstadt.



Ludwig Prinz v. Hessen und bei Rhein (1908-1968) / Porträt mit Familie / Gruppenaufnahme v.l.n.r.: Ehefrau Prinzessin Margaret geb. Geddes (1913-1997), Adoptivtochter Johanna (1936-1939) und Prinz...
Diese Information erhielt ich dankenswerterweise von Kristof Doffing mit diesem Link. Im Originalordner, der mir vorlag, war das Foto leider ohne Bildunterschrift.

 

 

Schönberg um 1810

 

Blick vom Garten auf Schloß Schönberg

Ausblick vom Park

Blick über Schönberg mit dem Schloß

 

eine hochwohlgeborene Hochzeitsgesellschaft! 1910 Hochzeit der Prinzessin Edda mit Prinz Wilhelm von Stollberg-Wernigerode:

Der unbekannte alte Herr aus Lindenfels hat auf Pauspapier die Umrisse der Personen auf dem Foto nachgetuscht, nummeriert und ihre Namen mit sauberer Handschrift daruntergesetzt:

das Brautpaar Prinzess Edda von Erbach-Schönberg (Nr. 6) und Bräutigam Prinz Wilhelm von Stollberg-Wernigerode (Nr. 5) stehen in der Mitte, vor ihnen drei Kinder: Prinzess Imma, Prinz Wilhelm Ernst, Erbprinz Georg Ludwig (7, 8, 9). Die große Frau rechts auf gleicher Höhe wie das Brautpaar ist leider unbekannt, ebenso der 2. Mann von links. Neben ihm die Brautmutter Fürstin Marie von Erbach-Schönberg (3), rechts dahinter Großherzogin Eleonore von Hessen, Gattin des Großherzogs Ernst Ludwig (15); auch die Häuser Erbach-Erbach (Graf Alexander, 18) und Erbach-Fürstenau (Gräfin Hugo, 19) sind vertreten sowie die Geschwister des Bräutigams und die Fürstin Elisabeth, geb. Waldeck-Pyrmont (11) und der englische Admiral Prinz Ludwig von Battenberg (12) mit seiner Tochter Prinzess Louise (13).

 

Georg August, Stifter der Linie Erbach-Schönberg, 1691-1758

und seine Gemahlin Ferdinande Henriette von Stollberg-Gedern, 1699-1750

 

Georg Ludwig, ältester Sohn Georg Augusts, 1723-1777

und seine Gemahlin Prinzess Friderike Sophie charlotte von Holstein-Oldenburg, 1736-1769

 

Gedenkurne im Schloßpark: "den besten Eltern 1794"

 

Gräfin Mathilde, einziges Kind Graf Maximilians, 1816-1872

Gustav-Ernst, Fürst und Graf zu Erbach-Schönberg 1840-1908; er heiratete Marie Karoline von Battenberg 1870.
Ihr Sohn Alexander Fürst und Graf zu Erbach-Schönberg (1872-1944) heiratete Elisabeth Prinzessin von Waldeck und Pyrmont.
Deren Sohn war Georg Ludwig Erbprinz zu Erbach-Schönberg 1903-1971

 

Gustav und seine Schwester Marie als Kinder

Gustav Ernst, Zeichnung

Marie, Zeichnung von Fa. A. v. Kaulbach, Nov. 1903

Gustav-Ernst, Fürst und Graf zu Erbach-Schönberg und Marie Karoline von Battenberg als Verlobte

Auf der Rückseite des Blattes "Graf Gustav und Przss. Marie v. Battenberg als Verlobte" ist handschriftlich vermerkt: Bild Gat Archiv Mz 7511/28, Marie Prinzeß von Battenberg u. Gustav Graf zu Erbach Schönberg 1870; Aufdruck: Photograph. artistische Anstalt von Beckofen Darmstadt

 

 

Marie und Ludwig v. Battenberg (Porträt von J. Hartmann, auf Schloß Schönberg, 1857 (auf der Rückseite steht als Datum 1847). Beide Daten sind seltsam, denn auf dem Verlobungsfoto von 1870 ist Marie von Battenberg eine junge Frau, die sicher jünger ist als das Mädchen von 1847...

Alexander Fürst und Graf zu Erbach-Schönberg (1872-1944), Sohn von Gustav-Ernst und Marie Karoline, heiratete Elisabeth Prinzessin von Waldeck und Pyrmont.

Elisabeth Fürstin zu Erbach-Schönberg, geb. Prinzess von Waldeck-Pyrmont, 1873-1962

Deren Sohn war Georg Ludwig Erbprinz zu Erbach-Schönberg 1903-1971.

Exkurs: ein Beitrag der Geschichtswerkstatt der Geschwister Scholl Schule in Bensheim 2015 zur Beteiligung an den Novemberpogromen 1938 von Georg Ludwig

Zu ihm gibt es eine Schrift der Geschichtswerkstatt der Geschwister Scholl Schule in Bensheim (Beiträge zur Geschichte des Erbach-Schönberger Fürstenhauses im 20. Jahrhundert, Bensheim 2015), die die Rolle des Erbprinzen Georg Ludwig während der NS-Zeit untersucht. Die Oberstufenschüler*innen arbeiteten mit ihren Lehrern Franz Josef Schäfer und Peter Lotz die Tatbeteiligung und Schuldfähigkeit Georg Ludwigs an den Novemberpogromen 1938 im Raum Reichelsheim heraus. 1951 wurde Georg Ludwig wegen schweren Landfriedensbruchs zu 10 Monaten Gefängnis verurteilt.

Der Beitrag ist sehr ausführlich und behandelt auch die Geschichte des Schlosses und des Hauses Erbach bis in die Neuzeit, hat insgesamt 188 Seiten und ist hier zu finden.

 

"Fürstin Mutter zu Erb Schönberg"
Notiz handschriftlich: "auf der Rückseite des umseitigen Bildes: 'Aufgenommen von dem dazugehörigen 'Opa' im Juli 1936 auf der erbprinzlichen Lagerstatt in Hohenstein i./O.

Unklar bleibt, wer hier Oma und Opa sind und wer das Baby 1936: Gustav-Ernst und Marie Karoline als Großeltern können es nicht sein, sie hatten 1870 geheiratet und wären 1936 in den 90ern.
Sind es Alexander und Elisabeth Prinzessin von Waldeck und Pyrmont (1873-1961)? Dann wäre das Baby das Kind von Erbprinz Georg Ludwig, der 1925 Marie Margarethe Deringer (1903-1967) heiratete, und das Kind ist Ludewig Prinz zu Erbach-Schönberg (1926-1998), seit 1971 adelsrechtlich 4. Fürst und Graf. Aber dann stimmt das Geburtsdatum nicht: 1926 / 1936.

Der Ordner, den August Homburg 2016 vor der Vernichtung bewahrte, enthält neben diesen Fotografien noch Zeitungsausschnitte von 1990, die sich um den Wallufer Ortsmaler Karl-Heinz Roth drehen. Der unbekannte Sammler hatte auf einer Zeichnung von Nieder-Walluf handschriftlich auf der Rückseite vermerkt: "Nieder-Walluf a. Rh. Blick vom Schlieffs Park (hier haben wir gewohnt von 1953-1957) und Khz. u. Anne Roth kennengelernt."

Die gestochene Handschrift auf den Fotografien ist also nicht die von Karl-Heinz Roth, sondern von diesem Unbekannten. Möglicherweise war es ein Herr Arzberger (Bensheim). Im Ordner ist eine Stammtafel der Familie Arzberger in Bensheim, angelegt im Januar 1972. Sebastian Arzberger heiratete 1886 Christina Götz, sie haben sieben Kinder: Lisbeth, Dora, Luise, Maria, Mina, Melitta, Otto, alle geboren zwischen 1886 und 1905. Wenn der Besitzer des Ordners 2016 um die 90 Jahre alt war, ist er der Sohn eines dieser Kinder. Lisbeth *1886 wäre um 1926 schon 40 Jahre gewesen, Dora *1888 wäre 38 Jahre, Luise *1891 35 Jahre, Maria *1993 wäre 33 Jahre, Mina *1894 32 J., Melitta *1897 wäre 29 Jahre alt. Wahrscheinlich wären also Otto und die jüngeren Mädchen.

In Brandau lebt Katharina Herzog, geboren 1927. Lesen Sie dazu: „Es hat sich noch niemand arm geschenkt“...

Frau Herzog kannte den Erbprinz Georg und seine Mutter. Er hatte ein Café auf dem Schönberger Schloß und war befreundet mit Katharinas erstem Mann Götzinger aus Raidelbach. Dieser hatte Flächen vom Hohenstein gepachtet, die dem Erbprinz gehörten. Sie erklärte mir auch, daß Erbprinz Georg drei Kinder hatte: ein Sohn (Prinz Louis bzw. Ludwig von Erbach-Schönberg) der eine Mühle geerbt hatte, die Tochter (Prinzessin Edda Marie von Erbach-Schönberg) ging als Goldschmiedin in die USA, der dritte war Sohn Prinz Maynolf von Erbach-Schönberg - diese Kinder waren in Katharina Herzogs Alter.

Marieta Hiller, Januar 2022

Ergänzung im September 2022

Frau Isabelle Ellinger schrieb mir: "Sehr geehrte Frau Hiller, vielen Dank für den interessanten Bericht über den Bilderfund in Lindenfels. Bezüglich des Bildes mit der Fürstin Mutter kann ich Ihnen bestätigen, dass es sich um Fürstin Elisabeth handelt. Das Baby auf dem Foto ist mein Vater Prinz Maynolf (ihr Enkel), der 1936 als drittes und jüngstes Kind des Erbprinzen Georg-Ludwig und seiner Frau Marie-Margarete geboren wurde. Er war dem Hohenstein immer sehr verbunden. In der Anlage sehen Sie ihn mit seinen älteren Geschwistern Ludewig (*1926) und Edda-Marie (*1930). Leider ist mein Vater vor gut einem Jahr gestorben. Er hätte sich sehr über Ihren Bericht und den Fund gefreut. Er hat ein beachtliches Familienarchiv zusammengetragen und sich unermüdlich um die Bewahrung der Familiengeschichte gekümmert. So hat er auch als Zeitzeuge viele Stunden die in ihrem Bericht erwähnte Geschichtswerkstadt der Geschwister-Scholl-Schule bei ihrer Arbeit über seinen Vater unterstützt. Das Archiv haben meine Tochter und ich zwar übernommen. Allerdings müssten wir für weitere Hilfe bei Ihrem Fund etwas Zeit zur Sichtung investieren. Beste Grüße, Isabelle Ellinger"

Und eine Anekdote über Großherzog Ernst Ludwig habe ich noch entdeckt: der Fürst war ein liberaler Freund der Künste, und Kaiser Wilhelm II bezeichnete ihn einmal als seinen schlechtesten Soldaten. Trotzdem mußte auch er an der Front in Frankreich eine hessische Einheit befehligen. Auf die Frage des Oberstleutnants, ob er sofort antreten lassen soll, antwortete Ernst Ludwig offenbar: "Bloß net, die Leut' sin' froh, daß se ihr' Ruh' hawwe. Ich geh lieber mal ins Feldlazarett". (Quelle: Zeitungsartikel ohne Datierung von Jan Herchenröder, Neffe des Oberstleutnants). Über Stefan George, hochgelobter Dichterfürst und Ober-Esoteriker, konnte Ernst Ludwig jedoch herzlich lachen, wie die Quelle weiter verrät.

Viele weitere Fotos befinden sich im Besitz von Herrn Homburg.

Graf Wilhelm zu Katzenelnbogen kaufte am 28. Februar 1347 ein Viertel an dem Haus zu Rodenstein von Erkenger zu Rodenstein (die Hälfte von dessen Anteil) in der Burg, außerhalb des Vorhofs, einen Garten, den sechsten Teil des Waldes und seinen Besitz zu Brandau, Neunkirchen und Steinau mit allem Zubehör um 400 Pfund mit dem Einverständnis der Brüder Heinrich und Rudolf v. Rodenstein.

Der Käufer verpflichtet sich, auf dem geschworenen Burgfrieden: 'Der burgfriede get an an der Heinrichis clingen und get in die Eberbach uf und den slunt und oben den Erbenberg ober dem eichen holtz biz an die richen hube und biz in die Vallenbach und biz an den Eckenweg und von dem Eckenweg biz wider in die Heinrichis clingen.' Keiner soll 'ane den andern keinen herrn enthalten (aufnehmen)' und der dabei entstehende Nutzen gemeinschaftlich sein; 'werz aber, daz ein sine frunde oder sine diener enthelte, so ensal der andre keinre dawider enthalden, wan er der erste ist gesesen.' Das Vieh soll auf die Rodensteinische Weide geführt werden. Beim Bauen soll der Käufer 'drizich phunt heller verbuwen innewendich an der burg.' Wenn die Ringmauer fällt, 'würde man die wieder machen.' Was man 'innewendich an gehuse oder innewendig an der muren' verbaut, 'sollen wir auch auf das haus slan.' Pförtner, Turnierknechte und Wächter 'sal iederman lonen nach marzal.' Teidinge von Rudolf v. R. gehen den Käufer nichts an.

Auszug aus der Bestandsseite des Hessischen Landesarchiv Signatur HLA, HStAD B 16 Nr. 1https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/detailAction?detailid=v3307911

Ein Wiederkauf ist möglich, wenn einer der Brüder von Rodenstein mit 400 Pfund kurrenter Währung vierzehn Nächte vor oder nach St. Petri Stuhlfeier diesen fordert. Bei weiterem Versetzen und Verkaufen besteht Vorrecht des Käufers. Die Siegelbitte war an Abt Diether von Prüm, unseren Bruder Eberhart (von Katzenelnbogen), die Edelknechte Diemar von Rohrbach und Diemer von Ullenbach gestellt worden. Das Original Pergament liegt im hessischen Landesarchiv vor, von den ehemals anhängenden fünf Siegeln sind nur noch drei Presseln vorhanden.

 

Manch einer schafft es, seine Spuren zu verwischen: so war von einem Lithographen des 19. Jahrhunderts bislang kaum mehr als der Name van Hove und der Arbeitsort Offenbach bekannt. Spannend ist  im Beitrag von Johann Heinrich Kumpf (derselbe, der auch das Buch des Dr. Klein von 1754 neu herausgab) dargelegt, wie die Vornamen des geheimnisvollen van Hove ans Licht kamen. Noch spannender aber ist die Geschichte, wie früher mit dem geistigen Eigentum anderer umgegangen wurde: „Abkupfern“ nennt man das auch. Abkupfern kommt aus dem Druckwesen: ein Autor fertigte zunächst eine Zeichnung oder Skizze an, die anschließend vom Kupferstecher zu einer Druckplatte gemacht wurde: seitenverkehrt stach der Kupferstecher alle Linien nach, danach konnten von der Platte beliebig viele Abzüge gedruckt werden. „Mein lieber Freund und Kupferstecher“ war also jemand, der Plagiate anfertigen konnte, Abzüge ohne Copyright.
Franz Bernhard van Hove publizierte zwischen etwa 1820 und 1829, bevor sich seine Spur verliert. Jedoch nutzte er nicht Kupferstich, sondern Lithographie für seine Drucke. 1820 schuf der stets verschuldete Abenteurer und Obrist-Lieutenant eine Lithographie vom Melibokus, die in mehrfacher Hinsicht sehr aufschlußreich ist: zu eins kopierte er einen fünf Jahre alten Kupferstich von Christian Haldenwang, der seinerseits ein Aquarell von Carl Philipp Fohr aus dem Jahr 1813 zum Vorbild nahm. Haldenwang war so fein, den Urheber anzugeben - im Gegensatz zu van Hove, aber das deutsche Urheberrecht wird auch erstmals 1837 dokumentiert. Zum zweiten zeigen die Darstellungen völlig unbewaldete Hügel: einzelne Linien wie Obstbaumalleen ziehen sich bergan durch die Weinberge, aber auch der Melibokusberg selbst zeigt eine blasse Struktur von bewaldeten und gerodeten Flächen.  
Ebenfalls aufschlußreich sind seine Lithographien vom Felsenmeer und der Riesensäule. Van Hove scheint selbst nie vor Ort gewesen zu sein, denn beides wird völlig fehlerhaft dargestellt. Bei der Riesensäule stimmen weder Örtlichkeit, noch Lage, Anordnung und Abmessungen. Der Altarstein im Hintergrund ist ein kastenförmiger Klotz an der falschen Stelle. Van Hoves Gestaltung des Felsenmeeres läßt an auftürmende Wellenberge denken, einzig korrekt ist der Winkel der Spaltrichtung bei einigen der Felsgruppen dargestellt. Offenbar dachte sich der Künstler, daß eine naturgetreue Wiedergabe vielleicht in einer wissenschaftlichen Abhandlung Platz finden soll, nicht aber in einer Reisebeschreibung. Um eine solche handelt es sich aber: die Lithographien erschienen zur Illustration im Buch „Reise durch einen Theil der Bergstraße und des Odenwaldes während des Sommers 1819“ von Gerhard Friederich. Erhob auch die Darstellung der Sehenswürdigkeiten keinen Anspruch auf Genauigkeit, so stützte sich Pfarrer Friederich bei seiner Wanderung doch auf eine - zum damaligen Zeitpunkt - sehr exakte Wanderkarte: die Haas´sche Situationskarte - eine militärische Situationskarte, in 24 Blättern „von den Ländern zwischen dem Rhein Main und Neckar nebst den angränzenden Gegenden“ zwischen 1788-1813 erschienen.

Schon in früheren Zeiten war das Abkupfern in Mode:
Bernhard Cantzler (ca. 1563-1626) war u.a. Keller in Michelstadt und konnte mittels Vermessung einen Grenzstreit zwischen Hessen und der Grafschaft Waldeck beilegen. Cantzler entwickelte die geometrische Vermessung seiner Vorgänger mit neuen Verfahren weiter. Seine „sehr leichte Methode zur Längen- und Breitenvermessung“ (Prof. Balthasar Mentzer um 1716) war gängige Praxis, als Johann Wilhelm Grimm sich an die Vermessung der Lautertaler Ortsteile machte. Von Cantzler stammt auch die älteste bekannte Karte der Grafschaft Erbach und der Herrschaft Breuberg von 1623. Diese Karte ist nach Südsüdwest orientiert und ihre grundlegende Struktur ist das Gewässernetz. Territoriale Grenzen enthält sie nicht.
Man findet auf der Karte die Ortschaften Culmbach, Gadern, Reilbach, Hohenstein, Knoden, Lautern, Reichenbach, Elmshofen, Wilmshofen, Neunkirchen, Brannen, Ernsthofen, Obermuda, Webern, Bedenkirch, Wurtzelbach, Staffeln, Quatelbach. Andere fehlen: Schannenbach, Klein-Bieberau, Neutsch...
Dort, wo die Kartusche „Graveschaft Erbach“ saß, wurde die darunter verborgene Landschaft in Folgekarte von 1628 nicht nachbearbeitet, so daß kartographische Lücken entstanden. Daraus schließt die Fachwelt, daß Cantzler zwischenzeitlich verstorben war. Der Kupferstecher war Eberhard Kieser mit Verlag in Frankfurt. Aufgrund der Zustände während und nach dem 30jährigen Krieg gab es eine rege Nachfrage nach Kartenmaterial. Schon ein Jahr nach der 2. Cantzler-Karte fertigte der Amsterdamer Jodocus Hondius eine Karte „Erpach Comitatus“ an. Auf der Frankfurter Buchmesse 1629 wurde sie im Rahmen des Atlas von Gerhard Mercator präsentiert.
Hondius‘ Witwe verkaufte die Druckplatten an den Niederländer Willem Blaeu, und dieser veröffentlichte seinen eigenen Atlas. Von 60 Karten waren 37 mit den Hondius-Kupferplatten gedruckt, allerdings war der Name Hondius wegradiert. Die Erben reagierten mit einer Blaeu-Kopie ihrerseits. Wie die komplizierte Geschichte mit den Druckplatten für die Erbacher Grafschaft weiterging, lesen Sie in der Zeitschrift „Der Odenwald“ (Heft 3+4 2014), aber sicher ist: den Vorgang bezeichnet man seither als „Abkupfern“. Noch in wesentlich späteren Drucken zeigt sich die kartografische Lücke, wo einst die Kartusche „Grafschaft Erbach“ saß.

M. Hiller

Herbstfund: als die hohen Brennesseln am Wegrand abgestorben sind, tauchte - wie jedes Jahr - dieser zerbrochene Grabstein wieder auf: ein Mahnmal für unsere Vergänglichkeit, aber auch  Zeugnis für die einst rege Steinbearbeitungsindustrie vor Ort. Trotzdem bleibt das Gefühl: dieser Stein an diesem Ort ist pietätlos der Verstorbenen gegenüber.

 

Der November und sein Thema: Grabstein mitten in der Landschaft am Knorz nördlich von Lautern

Foto M. Hiller

Heute rechnet man für den Bau von Autobahnen  etwa zehn Millionen Euro pro Kilometer.

Im alten Rom (2. Jahrh. n. Chr.) rechnete man für eine Meile (1500m) 100.000-500.000 Sesterzen*. Für den Bau wurden Soldaten eingesetzt, die so in Friedenszeiten nicht auf dumme Gedanken kamen. Auf diesen Straßen durften nur Diplomierte reisen: Gesandte mit einem zeitlich begrenzten Erlaubnisschein. Entlang der 6-14 Meter breiten Straße gab es Raststätten. Fußgänger mit Gepäck schafften täglich 30-40 km, privilegierte Reiter 60-80 km, mit Pferdewechseln bis zu 300 km.
Frachtkarren mit Ochsengespann und einer halben Tonne Ladung legten täglich 12 km zurück. Von "Just-in-time-Lieferung war das weit entfernt...
*Die Kaufkraft einer Sesterze läßt sich schwer bestimmen, da für die erforderlichen Rahmenbedingungen für Gold, Silber oder Warenkorb kaum zuverlässige Quellenangaben vorliegen. Eine einfache Hauptmahlzeit oder 0,55 l Wein kosteten unter Kaiser Augustus (Zeitenwende) 2 Asse. (1 Sesterze = 4 Asse), ein Sklave kostete etwa 500 Denar (= 2000 Sesterze) oder mehr, ein Legionär erhielt als Tageslohn 10 Asse bis 1 Denar = 4 Sesterze, ebenso hoch war der Tagesbedarf eines Arbeiters. Ein kaiserlicher Leibgardist um 150 n. Chr. verdiente 2500 Sesterzen pro Jahr.

1 Aureus (Gold) = 25 Denare [Silber]
1 Denar = 4 Sesterze [Messing]
1 Sesterz = 2 Dupondien [Bronze, später Messing]
1 Dupondius = 2 Asse [Kupfer]

Wahnwitzige Geschwindigkeit überfordert Fußgänger

Als die erste Autofahrerin der Welt, Berta Benz, im Jahr 1888 mit dem Benz-Patentmotorwagen von Mannheim nach Pforzheim fuhr, meldeten sich bald darauf besorgte Bürger, weil das Automobil mit seiner wahnwitzigen Geschwindigkeit die Fußgänger in den Straßen überfordere. So wurde in den ersten Jahren verlangt, daß vor jedem Automobil ein ein Ausrufer mit Schelle gehen sollte, da die Menschen ein Fuhrwerk ohne Zugtiere nicht als solches erkannten. "Ausschlaggebende" Stellen trauen uns halt einfach nichts zu...

Der Dichter Werner Bergengruen lebte eine Zeitlang in Lindenfels und sammelte Odenwälder Sagen - vor allem gruselige. Der Rodensteiner und das Wilde Heer faszinierte ihn besonders. Wenn ein Krieg sich ankündigte, so hörte man früher in der Nacht, als die Stuben noch von Kien und Kerzenlicht erhellt wurden, das Wilde Heer vom Schnellerts durch den Haalhof ziehen. Heute ruht im Wald still die Ruine der Schnellertsburg, und auf dem Haalhof rasseln allenfalls Kühe mit Ketten.

Was Burgenforscher Thomas Steinmetz in einem neuen geschichtlichen Ansatz zum Schnellertsberg zu sagen hat, und daß die Burg möglicherweise ein „Schwarzbau“ war, viele Informationen der Forschungsgemeinschaft Schnellerts e.V. und worin der Fluch besteht, der auf dem Rodensteiner liegt, der gern und oft von romantischen Dichtern oft literarisch bemüht wurde, lesen Sie hier: Wenn Krieg vor der Tür steht, zieht im Odenwald das Wilde Heer... ; auch verschiedene rationale Erklärungsversuche für das Wilde Heer, das nicht nur im Gersprenztal durch die Sagenwelt geistert: im Harz, im Vogelsberg, in Thüringen, Schwaben und Franken gibt es Berichte über umherziehende Geisterheere. Es sind archaische Bilder: Naturvölker in Sumatra, Nordamerika (Indianerstämme), Südafrika (Buschmänner) und im arabischen Raum kennen die Sage vom Zug des wilden Heeres.

„Komm, setze dich zu mir.
Es ist ein schlimmer Abend heute.
Aller Sommer ist tot. ...
Der Herbst sickert durch alle Fugen,
geängstigt keucht die Kerze,
riesige Schatten flattern an den Wänden.“

So beginnt das Buch Rodenstein von Werner Bergengruen (1892-1964)

 

M. Hiller

Als man fürstlicherseits noch in die Sommerfrische reiste, anstatt eine "Spritztour" oder einen Ausflug in die Natur zu machen, gab es in den Wäldern um uns herum zahlreiche Plätze, die heute fast unbekannt sind.
Um die vorletzte Jahrhundertwende entstanden diese Orte der Lustbarkeit für Adelsangehörige: Jennis Höhe bei Breitenwiesen, die Elisabethenruhe und die Ferdinandenhöhe bei Reichenbach zum Beispiel.

Auf dem Felsberg gab es eine regelrechte Anlage für Sommerfrischler: das Hotel Felsberg. Erbaut 1882 von Förstersohn Justus Haberkorn (1848-1899) als landwirtschaftliches Wohngebäude, der pfiffige Sohn des grossherzoglichen Försters Georg Christian Theodor Haberkorn (1802-1874) war im Felsberg-Forsthaus zur Welt gekommen. Die Familie Haberkorn war hier seit Jahrhunderten als Förster-Dynastie etabliert.

Justus Haberkorn also erbaute zwar ein landwirtschaftliches Wohnhaus, hatte jedoch schon vor Baubeginn ein Hotel im Sinn. Dafür erhielt er keine Genehmigung, also ging er Schritt für Schritt vor. Das erste Gesuch stammt von 1879, das ursprüngliche Projekt wurde 1882 genehmigt und gebaut: Wohnhaus mit Fünf-Fenster-Achsen, mit Genehmigung aus den Jahr1885/86 folgte ein Risalit (dekorativer Fassadenvorsprung) und 1895 der erste Anbau, alles im klassizistischen Stil der Zeit. Zur architektonisch aufwändigen Gestaltung des ersten westlichen Anbaues sollte in schöner Symmetrie der zweite östliche Anbau hinzukommen. So wollte Haberkorn dem schlichten Gebäude allmählich die Optik eines Schlößchens verleihen. Der zweite Anbau solte jedoch noch 125 Jahre auf sich warten lassen.

Da die Fundamente des ersten Stockwerks des östlichen Anbaues nach Gutachten des Bauforschers Prof. Rudolf Pörtner aus Karlsruhe für mehr als einen eingeschossigen Küchenanbau ausgelegt waren, gab das Denkmalamt schließlich - 125 Jahre später - die Genehmigung, den zweiten Anbau im klassizistischen Stil analog zum ersten zu vollenden.

 

Blick vom Chaisenweg zum früheren Felsberg-Hotel

 

Da die Fundamente das erste Stockwerk des östlichen Anbaues nach Gutachten des Bauforschers Prof. Rudolf Pörtner aus Karlsruhe für mehr als einen eingeschossigen Küchenanbau ausgelegt waren, gab das Denkmalamt schließlich - 125 Jahre später - die Genehmigung, den zweiten Anbau im klassizistischen Stil analog zum ersten zu vollenden.

Doch zwischen Justus Haberkorn und dem Bauherrn unserer Zeit, Dr. Holger Zinke (Biochemiker und Gründer der B.R.A.I.N Biotechnology Research and Information Network AG Zwingenberg) lag eine wechselvolle Geschichte. Haberkorn verstarb schon 1899, auch aus dem Forsthaus war bereits eine touristische Ausflugsstätte geworden. Haberkorn hatte bei seinen Planungen stets den Heiligenberg bei Jugenheim im Blick. So sollte sein Haus ebenfalls aussehen, und ebenso sollte es erlauchte Gäste anlocken. Zar und Zarin verkehrten dort und zahlreiche Angehörige der Fürstenhäuser.

Zeitungsnotiz aus dem Illustrierten Unterhaltungs-Blatt des Darmstädter Tagblatts von 1895

 

Im Darmstädter Tagblatt - hier ein Titelblatt von 1897 - erschien in Nr. 36 aus dem Jahre 1895 ein Beitrag "Der heiligenberg bei Jugenheim" mit Abbildung. Siehe unten. Erhalten  habe ich diese Info vom Pungschder (bzw. Traaaasaer) Urgestein Ernst Schulze, der eine Kopie des Zeitungsausschnittes aus dem Tagblatt seinerseits an einen Freund geschickt hatte. Säuberlich hat Schulze seine handschriftliche Notiz mit an den Artikel geheftet, und ihren Inhalt möchte ich Ihnen nicht vorenthalten: "hallo Heinz, das Bei-bild 'Heiligenberg' erschien einst in der 'wöchentlichen Beilage zum Darmstädter Tagblatt', und zwar in No 36, 1895, auf S. 288; Haupttitel jenes Beiblattes: 'Illustrirtes Unterhaltungs-Blatt' - Oh schnörkelreiche Zeit! ... und bei der Orthographie war man seinerzeit auch noch nicht so weit... Heinz! Alles klar empfangen? Vom Alten Knaben Ernst anno 30. Mai 2021 aus Pungschd! Punktum."

Die Seite aus dem Tagblatt: "Bei Alsbach an der lieblichen Bergstraße zwischen Heidelberg und Darmstadt liegt das freundliche Dorf Jugenheim am Fuße des Heiligenbergs, der keilförmig das Stettbacher von dem Balkhäuser Thal trennt. Das auf dem Gipfel des gleichnamigen Berges gelegene Schloß Heiligenberg (siehe unsere Ansicht) gehört der Wittwe des 1888 verstorbenen Prinzen Alexander von Hessen, der Fürstin von Battenberg. Der Besuch der schönen Park- und Gartenanlagen ist den Fremden gestattet. Von der Schloßterrasse aus genießt man eine herrliche Aussicht auf das Rheinthal, den Taunus, Riederwald und die haardt mit dem Donnersberg. Von Jugenheim, das ein beliebter Sommeraufenthalt und Luftkurort ist, lassen sich zahlreiche schöne Ausflüge nach den interessantesten Punkten des Odenwaldes unternehmen, namentlich nach dem Felsberg mit dem Felsenmeer und weiter nach dem Melibokus." Auf dem Stich erkennt man rechts unten eine zweispännige offene Kutsche mit Kutscher und "shotgun" (so nannte man den Beifahrer des Kutschers, der mit dem Gewehr im Anschlag die Wegränder nach Strauchdieben absuchte) sowie zwei Fahrgästen, einer von ihnen vermutlich weiblich mit Sonnenschirm, damit die vornehme Blässe bei der Fahrt durch die freie Natur erhalten blieb...

 

Justus Haberkorn: Tourismus-Manager in eigener Sache

Haberkorn streute die Brosamen aus, denen die Fürstlichkeiten und das Bildungsbürgertum folgen sollten: standesgemäß sollten diese mit der Pferdekutsche anreisen, die Fahrt durch den nordöstlichen Felsbergwald genießen - bis sich der Blick auftut auf eine große Waldwiese mit parkähnlichem Baumbestand im Rund.

Ansichtskarte vom Hotel Felsberg, zur Verfügung gestellt von Günther Dekker: hier wurde nicht gekleckert, sondern geklotzt. Haberkorn warb mit allem was er vorzuweisen hatte, nur nicht mit dem Felsenmeer...
Herrlicher Aussichtspunkt, prächtige Waldspaziergänge - reelle Bedienung und billigste Preise waren ihm erwähnenswert.

Aus dem Jahr 1887, zur Verfügung gestellt von Holger Zinke. Hier ist das Felsenmeer erwähnt: in 10 Minuten erreichbar. Die verkehrstechnische Anbindung des Felsberges war damals wie heute eher nach Jugenheim bzw. Auerbach orientiert denn nach Reichenbach, obwohl der Felsberg seit der Gebietsreform 1972 mit zwei Gebäuden zu Lautertal gehört, während das ursprüngliche Forsthaus zu Jugenheim gehört.

Erlebnisberichte von Sommerfrischlern: Prinzessin Marie und Vikar Hager

In ihren Memoiren schreibt Marie Fürstin zu Erbach-Schönberg, wie sie am Montag den 12. September 1864 auf Eseln auf den Felsberg geritten ist, mit einer illustren Gesellschaft: "mama, Marie, Serge, Alexis, unsere drei Buben, Arseniew und Fräulein Tutschew". Ins Felsenmeer kam sie bei diesem Ausflug von Jugenheim her jedoch nicht: "Wir ritten bei schönstem Wetter fort, aber am Fuße des Felsberges gab es auf einmal einen solchen Platzregen, daß wir ganz patschnaß oben ankamen, denn keiner hatte einen Regenschirm bei sich. Oben angelangt, wurden alle Knaben ausgezogen und in Hemden des Försters gesteckt, während ihre Kleider zum Trocknen in die Küche gebracht wurden. Wir Mädchen waren glücklicherweise nicht so naß geworden und wurden nicht ausgekleidet. Man brachte nun Bier, Kaffee, Käse und Brot, und wir tranken und aßen, soviel wir nur konnten, weil wir des strömenden Regens wegen doch nicht mehr zum Vieruhressen rechtzeitig nach Hause gekommen wären. Als der Regen aufhörte, wurde ein Leiterwagen bestellt, mit dem wir heimfuhren. Der Kaiser, die Kaiserin und die ganze Gesellschaft saßen n och bei Tisch, aber sie stürzten alle heraus in den Hof und begrüßten uns lachend."

Hier wird auch beschrieben, wie die Kaiserbuche eingeweiht wurde: 14. September 1864 "Wir gingen alle mit dem Kaiserpaare und seinen (sieben) Kindern vor dem Frühstück an die große Buche, die auf dem Wege nach dem Felsberg steht, um sie mit ihrem neuen Namen 'Kaiserbuche' einzuweihen. Am Stamm hing ein weißes Schild, auf dem stand: 'Kaiserbuche. 14. September 1864' - Wir bildeten eine Kette und tanzten alle dreimal um den Baum herum und gingen dann nach Hause zum Kaffee. Unterwegs hatten wir beiden Marien sehr viel zu leiden unter den Neckereien der Knaben."

Der gemeinte Kaiser ist Zar Alexander II. Nikolajewitsch.

Der Kirchenrat Dr. Heinrich Hager, Erzieher der Prinzen Battenberg, erinnert sich an eine Partie auf den Felsberg mit Kaiser und Kaiserin. Das Kaiserpaar fuhr in seinem Hofwagen, die andere Gesellschaft saß in Leiterwagen von Jugenheimer Bauern. Da Hager wußte, daß die Kutscher am Zielort gerne ordentlich tranken, befahl er dem Wirt und Forstwart auf dem Felsberg, jedem Kutscher nur einen Schoppen Wein zu verabfolgen. Die Gesellschaft genoß auf dem Felsberg die Aussicht (!) und wanderte dann ins Felsenmeer. "Meine Zöglinge, die Prinzen Ludwig und Alexander, kletterten sofort auf dem Felsenmeer umher; sie waren darin geübt, und ich konnte sie ohne Sorge der eigenen Geschicklichkeit überlassen." Auch Großfürstin Marie (Großfürstin Marija Alexandrowna von Russland) wollte hier nicht zurückstehen: "Da unsere Prinzessin (Marie Fürstin zu Erbach-Schönberg) schon öfter gesehen hatte, daß ich mit großer Sicherheit ihre Kinder und auch erwachsene Damen auf den glatten Felsen geführt hatte, vertraute sie mir die Führung der Großfürstin Marie an; es war ein schweres Stück Arbeit, ich war in Schweiß gebadet, als ich die Großfürstin wieder glücklich auf ebenen Boden zurückbrachte."

Man nahm auf dem Felsberg den Kaffee ein, der allerdings mit dem "nötigen Gebäck" von Jugenheim geschickt worden war. "Die Kaiserin saß in der Mitte der Tafel, wo sie die Aussicht auf das Felsenmeer hatte." Man konnte also demnach vom Forsthaus auf dem Felsberg bis ins Felsenmeer blicken. Natürlich hatten die Kutscher ordentlich gebechert, und es ging in gefährlicher Fahrt den Berg hinab. Die Kaiserin ließ auf das ängstliche Geschrei der beiden Großfürsten Sergei und Paul hin ihren Hofwagen anhalten und nahm die beiden an Bord. So kamen alle schließlich doch wohlbehalten am Wilhelminenweg und im Schloß Heiligenberg an.

"Die Herrschaften hatten auch das Fremdenbuch des Wirtshauses auf dem Felsberg mitgenommen, um es auf dem Heiligenberg durchzusehen und ihre eigenen Namen einzutragen. Dasselbe war auf einem der Wagen verstaut gewesen, jedenfalls nicht sehr vorsichtig, und war unterwegs herabgefallen. Glücklicherweise wurde es schon am anderen Morgen fefunden, ehe der Verlust bemerkt worden war. Es wäre sehr peinlich gewesen, wenn es verloren gegangen wäre; ein derartiges Buch hat für den Besitzer großen Wert - die hohen Herrschaften hätten eine große Entschädigung zahlen müssen, wenn es nicht gefunden worden wäre."

  • Erzieher der Prinzen Battenberg 1862-1871 - Aus den Erinnerungen des Kirchenrats Dr. Heinrich Hager ISBN 978-3-93850200-6

 

Der Chaiseweg: Staunen nach der letzten Kurve

Die letzte Kurve des Kutschweges auf den Felsberg sollte ihnen den Mund vor Staunen offenstehen lassen: mitten im Wald, hoch auf einem abgelegenen Berg, fällt der Blick auf das malerische Bauwerk des Haberkornschen Hotels!

Zunächst sieht der Kutschgast nur die weite Wiesen-Parklandschaft, bevor sich die Kutsche auf der letzten Kurve dem Felsberg-Anwesen zuwendet.

Noch erkennbar im Geländerelief: der frühere Chaisenweg, der im Bogen von der Parkwiese am Hotel Felsberg um das heutige Adas Buka herum nach Nordwesten führt. Der Weg ging durch den Felsbergwald hinunter ins Tal des Quattelbach (Straße L 3101), überquerte den Bach über einen Weg, der heute noch sichtbar ist und eine Brücke aufweist, zwischen der Straße "im Winter" und dem Wasserwerk und führte auf der anderen Seite wieder bergan zum Heiligenberg oberhalb Jugenheim.

Das Forsthaus heute (ganz hinten im Nebel). Die junge Pappel im Vordergrund kennzeichnet den Endpunkt des Chaisewegs.

 

zeitgenössisches Gemälde des Anwesens und des regen Gastbetriebes, mit vorfahrender Kutsche. Diese kommt allerdings nicht vom Chaiseweg, sondern aus Westen. Im Hintergrund erkennt man den Otzberg am linken Bildrand, rechts erhebt sich die Neunkircher Höhe. Zwischen den beiden Fahnen auf dem Hausdach liegt Neunkirchen. Repro von Walter Koepff

 

Das Felsberg-Hotel: viele Betreiber versuchten hier ihr Glück

Das gelungene landschaftsarchitektonische Arrangement sorgte gewiß für Gesprächsstoff in den Kaffeekränzchen, und das Felsberghotel profitierte davon. Doch nicht lange, denn anhand der umfangreichen Postkartensammlung von Günther Dekker aus Reichenbach läßt sich belegen, daß das Anwesen oft den Betreiber wechselte: als Sommerfrische-Hotel wurde es vom Nachfolger Simon betrieben, später von Cl. Hallmann (leider ohne zeitlichen Beleg, es existiert nur eine nicht gestempelte Ansichtskarte "Hotel Felsberg, Höhen-Luftkurort i.O." 515m ü.M., und schon mit Post- und Telegraphenstation) danach war es Erholungsheim der Betriebskrankenkasse von Lanz Mannheim, später der Landesversicherungsanstalt, noch später Kindererholungsheim des Deutschen Roten Kreuzes.

Auf historischen Ansichtskarten erkennt man den - wenn auch übertrieben gezeichneten - Bogen des Chaisewegs zum Felsberg, den Ohglyturm und den Heiligenberg sowie die Eisenbahnstation Jugenheim. Ebenso erkennt man die Bahnlinien von Weinheim nach Fürth und nach Wald-Michelstadt, und daß Mannheim nicht den begehrten Bahnknoten erhielt, sondern Friedrichsfeld (in the middle of nowhere). An letzterem waren die Viernheimer Gemeinderäte schuld: 19. Jahrhundert: Eisenbahnkomitees allerorten

Der Riesensarg unterhalb des Felsberg-Gipfels; hier - im Bildhintergrund - sind noch heute die Installationen für Stromversorgung und Wasserwerk für die Gebäude oben zu sehen; errichtet wurden sie zu Zeiten als das DRK das Gebäude betrieb.

 

Die Restaurierung der historischen Herrlichkeit: aus dem Vollen geschnitzte Maßarbeit von Zimmerleuten, Natursteinwerkern, Architekten und Installateuren

Nach mehreren weiteren Inhabern kam das Anwesen über eine Zwangsversteigerung schließlich zu Dr. Zinke. Er perfektioniert die ursprüngliche Idee des Justus Haberkorn: er baute den zweiten Flügel ans Gebäude und stellt mit einer ganzen Reihe von Kooperationspartnern aus Handwerk und Wissenschaft die Außenanlagen und die Inneneinrichtung nach historischen Quellen (Fotos, Ansichtskarten, Bauzeichnungen) her.

Dabei wird "aus dem Vollen geschnitzt": Naturmaterialien müssen höchsten Ansprüchen genügen, Bauteile müssen historisch adäquat sein. Dabei verfolgt Zinke auch das alte Haberkornsche Konzept der Nachhaltigkeit: vorhandene Baumaterialien werden neu verwendet, Fensterleibungen, Fassadenelemente, Mauerwerk.

Alles wird wieder verwendet und bekommt ein zweites Leben. Die Handwerker stellten ihre Bauteile so detailverliebt her, daß für Denkmalschutz, Optik und Sicherheit nichts zu wünschen übrig blieb.

Mit Planern und Handwerkern aus der direkten Nähe setzt er seine Vision um:

  • die Planer Christoph Turetschek, Johannes Pappert und Monika Heiser aus Gadernheim
  • Baugeschäft Essinger & Beilstein aus Beedenkirchen Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! mit ihrem Mitarbeiter Markus Jost
  • Elektromeister Dirk Krämer aus Reichenbach mit seinem Mitarbeiter René Degenhardt
  • Michal Nowakowski Baurenovierung aus Raidelbach mit seinem Schwager Bartek Adamski für die Schreinerarbeiten
  • Zimmerermeister Wendelin Wagner aus Glattbach für die Dächer
  • Martina Löw aus Ober-Ramstadt ist für die Wandmalerei zuständig: die Farben werden aus Steinmehlteig und Wasserglas aus den ehemaligen Silinwerken Gernsheim (jetzt Siofarben Viernheim) gemischt - http://farbe-funktion-form.de/html/werk.htm
  • der rote Sandstein kommt vom Sandsteinbruch Hans Hintenlang aus Grasellenbach, der Granit von Wilferth Granit
  • Die historische Installation der Heizkörper und der Verrohrung aus Schwarzrohr schuf Bernhard Strahl Sanitär Alsbach Hähnlein-Sandwiese, die modernen Heizkörper wurden als zeitgenössisch nachgebildete hochdekorative Elemente aus England bezogen, die Verrohrung liegt natürlich auf Putz, so daß die fachmännische Arbeit klar erkennbar ist

Holger Zinke gibt auf Wunsch Interessierter gerne die Kontaktdaten der Handwerker weiter: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

                                    Das Foto oben rechts zeigt die Original-Wandmalerei im historischen Speisesaal des Felsberg-Hotels

 

"Klassizismus" im Neubau: die Pilaster wurden unten mit Feinzugmörtel von Firma Remmers ausgeführt. Die Pilaster im alten großen Speisesaal bestehen ebenfalls unten aus Feinzugmörtel und oben aus kannelliertem Holz. So sollen die Pilaster im Neubau ebenfalls werden, für ihre Gestaltung ist Maurer / Verputzer Jacek Ruszkowski (Mitarbeiter von Michal Nowakowski) zuständig Die Dekostäbe zur historisch passenden Gestaltung der Deckenbalken, eigens gedrechselt und in vier Viertelprofile zersägt von Bartek Adamski (Mitarbeiter von Michal Nowakowski)  rechts Kristallüster mit Deckenkassette

 

Die neugestaltete Außenterrasse, im Hintergrund die historische Gabelsberger Eiche. Einst stand sie ganz am Ende des Anwesens, denn der Zugangsweg vom Hotel zum Felsenmeer führte östlich am Gelände vorbei. Heute schaut der Gedenkstein an der 1892 gepflanzten Gabelsberger Eiche daher vom Felsenmeerweg und vom Parkplatz weg nach Osten. Die Eiche war einst aus anlaß eines Festes der Stenographenvereine Bensheim und Heppenheim gepflanzt worden.

 

Recycling und Nachhaltigkeit: im Garten des ehemaligen Forsthauses lagern Sandsteinquader von einem früheren Lokschuppen in Mannheim. Ursprünglich kommt der Stein aus dem Steinbruch Grasellenbach (heute Hans Hintenlang).

 

Die abgebildete Farbkarte für klassizistische Fassaden von Friedrich Christian Schmidt aus dem Jahr 1790 (der bürgerliche Baumeister): sie wurde nicht für Innenräume oder als Farbbemusterung der Räumlichkeiten entwickelt, zu Forschungszwecken wurde sie jedoch für die Fassadengestaltung des Felsberg-Hotels einbezogen.

Arbeitsproben von Farbforscherin Martina Löw (Ober-Ramstadt) und ihre farbliche Darstellung für die Gestaltung der Räume der Felsberg-Villa: Martina Löw entwickelte die Farbkonzepte unter anderem mit der fachkundigen Unterstützung eines ortsansässigen Mineraliensammlers: das Foto zeigt die Bemusterung anhand der Fundstücke vom Felsberg - Handaufstriche der manuel getönten Steingrau Nuancen.  

Unten ein Blick in Martina Löws Vitrine "Steingrau" Teil der Ausstellung "einfache vielfalt - Farbe beim Wort genommen" (Fachkongress Farbe in der Bildung, Halle / Saale 2010)

Die Oberflächen der Innenräume wurden von Löw in Mineralfarben der Firma Sio (Viernheim)  ausgeführt. Regionale Farben und deren Geschichten bilden die Grundlage  von Löws Farbgestaltung für die acht Appartements und die vier Bibliotheken, wie z.B. Karoline von Hessens Krapp oder Wilhelm Büchners Ultramarin, beides aus Pfungstadt.  

Pigmente der Fa. Kremer in Aichstetten und aus einem Malernachlass in Pfungstadt kamen für die Ornamentik zum Einatz. Denn es ist auch ein Ultramarin-Zimmer dabei: das verwendete Ultramarin-Pigment stammt von Firma Kremer in Aichstetten. Früher wurde dieses herrliche Blau auch ganz in der Nähe produziert: Ultramarinfabrik Büchner in Pfungstadt (1890) und Blaufarbenfabrik Marienberg in Lautern (bis 1970er Jahre).

  

Fliesen im Ultramarin-Zimmer und die RAL-Farbe Ultramarinblau: RAL 5002 100 cyan 90 magenta  0 yellow 10 black (k). Über die Geschichte der Lauterner Blaufarbenfabrik lesen Sie in meinem Jahrbuch Spinnstubb 2.0 von 2021!

 

Das Felsberg-Ensemble und der Chaisenweg auf alten Karten

Der Situationsplan: Norden ist unten, der Pflanzgarten gehört zum heutigen Forsthaus, wo zur Zeit der Restauration die Sandsteinquader lagern. Auf hochauflösenden Karten läßt sich noch das Wegkreuz im Garten erkennen, der nach den damals üblichen Regeln mit vier Beetabteilungen angeordnet war. Wo "Forsthaus" steht, ist heute das Adas Buka, und das Felsberg-Hotel ist mit "Hotel" gekennzeichnet. Sehr gut erkennt man die Anlage des Chaiseweges, der - links auf der Karte - im Bogen nach Nordwesten zieht und dann abknickt. Auch oberhalb des Hotels ist der Zugangsweg ins Felsenmeer erkennbar: er zweigt von einem Weg hinter dem Hotel nach Süden ab Richtung Riesensarg und Riesensäule.

Noch heute erkennt man auf modernen topographischen Karten den Bogen des Chaisenweges:

Quelle: open street map

 

Der Chaisenweg soll in der Landschaft wieder erlebbar gemacht werden

Bei einem Besuch im Gebäude und auf dem Gelände zeigte Dr. Zinke mir und Günther Dekker auch die noch sichtbare Anlage des Chaisenwegs. Der weitgeschwungene Bogen am Ende des Weges, wenn sich der Blick auf das Anwesen öffnet, ist noch gut erkennbar und durch eine neugepflanzte Säulenpappel markiert. Der weitere Verlauf dieses Kutschweges, der die Verbindung zwischen Schloß Heiligenberg und dem Felsberg schuf, soll in der Landschaft wieder erlebbar gemacht werden.

Dazu hat die Stiftung Heiligenberg (Dr. Joachim Horn) mit der Akademie auf dem Felsberg (Dr. Holger Zinke) gemeinsam ein Forschungsstipendium ausgelobt, in Kooperation mit dem Institut für Personengeschichte (Prof. Dr. Volkhard Huth) wird auch der frühe touristische Verkehr der „vornehme Leut“ auf den Felsberg beforscht werden. Es fanden auf dem Heiligenberg bereits zwei Kolloquien statt, in Kooperation mit dem Hessischen Rundfunk HR2-Kultur und der hessischen Landeszentrale für poltische Bildung, „Die Battenbergs – eine europäische Familie“ in 2018 „Eine optimistische Welt – Mensch und Natur in den Umbrüchen des 19. Jahrhunderts“ und in 2020, zu beiden Kolloquien sind Tagungsbände im Verlagshaus Römerweg – Verlag Waldemar Kramer zum Nachlesen erschienen.

Der Chaisenweg hat eine Länge von etwa 10 km, google maps gibt für einen Fußmarsch zwei Stunden an, mit Pferdekutsche dürfte es in der Hälfte der Zeit zu schaffen sein, wobei ein Zwischenstopp auf der Kuralpe ganz sicher gern eingeplant worden ist. Der historische Weg kreuzt die Straße unterhalb der Straße "im Winter" am Wasserwerk.

 

Historische Ansichten des Forsthauses und des Anwesens Felsberg-Hotel

Das ursprüngliche Forsthaus auf dem Felsberg, in dem Justus Haberkorn zur Welt kam, auf der geometrischen Rißkarte von Johann Wilhelm Grimm um 1730. Man erkennt gut den Gemüsegarten und den Grenzverlauf. Das Forsthaus liegt auf Hochfürstlich Hessen-Darmstädtischem Grund, die Grenze zur Reichenbacher Gemarkung verläuft über den Felsberg über den westlichen Rücken durch den heutigen Standort des Ohlyturm und zwischen Forsthaus und Felsberg-Hotel. Das Gebäude des afrikanischen Restaurants Adas Buka liegt wie das Felsberg-Hotel heute auf Lautertaler Grund. Das Adas Buka, vormals Waldrestaurant Felsberg, wurde 1937/38 von Familie Jost erbaut.

 

Ansichtskarte "Gruss vom Felsberg" vom Haus Haberkorn, einst mit der Deutschen Reichspost an die "Hochwohlgeborne Frau Ludwina v. Furtenbach in Feldkirch /Vorarlberg Österreich" geschickt. Bei der dortigen Poststelle wurde die Ankunft mit einem Stempel quittiert. Die Karte datiert vom 12. August 1882 und erhielt am 13. September 1892 den Poststempel von Reichenbach. Auf der Vorderseite der Karte sieht man das zu allen Zeiten beliebte Bild des "schwitzenden Mannes" - siehe Tuborg-Plakat unten. Die rechteckige Vignette zeigt das Felsenmeer, jedoch nicht naturalistisch. Eine wilde Anhäufung von Felsen mit leicht weitwinkeliger Optik - hier hat wieder einmal jemand das Felsenmeer gezeichnet, ohne es gesehen zu haben... Die runde Vignette zeigt das Hotel haberkorn mit einer ganzen Reihe illustrer Gäste "mit Schirm Charme und Melone". Die Ansichtskarte wurde von Günther Dekker zur Verfügung gestellt.

Der durstige Mann - ein Werbeplakat der Tuborg-Brauerei (hängt in meiner Werkstatt, warum auch immer...)

 

   

Drei Ansichtskarten aus der Haberkorn-Ära:
Links: der durstige Mann zieht seine beschirmte Dame den steilen Berg hoch, denn oben wartet im Hotel Haberkorn ein erfrischender Trunk! Kaum erkennbar, auch von der umgebenden Topographie her, ist die Riesensäule...
Mitte: September 1895, mit Riesensäule, Odenwälder Trachten, dem Phantasie-Felsenmeer und dem Hotel mit Holzpavillon
Rechts: die Riesensäule wird mit den seitlich liegenden Abfall-Felsbrocken gezeigt, wie sie auch tatsächlich liegen. Über das Felsenmeer schweift der Blick zum Knodener Kopf, und der durstige Mann ist - uff! wie man mit wenigen Zeichenstrichen ein zufriedenes erfrischtes Gesicht zaubern kann - auf dem Heimweg. Seine Dame eilt voraus.

 

 

Hotel Felsberg. Sommerfrische.
1903: Man sieht den 1901 erbauten Ohlyturm und ein etwas naturgetreueres Felsenmeer. Das Felsberg-Hotel hat einen Holzanbau westlich des Anbaues erhalten. Das Hotel verfügt inzwischen über eine Post- und Telegraphenstation, und wieder ist der Absenderstempel "Reichenbach (Odenwald) und der Empfängerstempel "Frankfurt" zu sehen. Auf dem Karteneindruck ist der Felsberg zum Höhen-Luftkurort geworden.

 

 

Links: Neben dem Hotel Haberkorn firmiert jetzt im Forsthaus J. Simon mit seiner Forsthaus-Restauration. Kleidung und Gestaltung der Karte weist auf eine frühe Zeit hin, das Hotel hat bereits den Holzpavillon
Rechts: jüngere Karte mit handkolorierten Fotos vom Felsenmeer und dem Hotel, das jetzt J. Simon gehört.

 

 

1912: Hotel und Speisesaal; Die Bäumchen vor dem Gebäude haben inzwischen schattenspende Funktion, und im Speisesaal erkennt man die Deckenkassette und an der Rückwand die große Pendeluhr. Bei den Bauarbeiten ab 2016 wurde die Wandmalerei dieser Wand freigelegt, die Umrisse der Pendeluhr sind deutlich erkennbar. Schon vor 100 Jahren gab es also Faulpelze, die wie ich gern um die Möbel herum tapezierten oder anstrichen...
Der Bullerofen mitten im Raum war durch ein langes Ofenrohr mit dem Kamin verbunden. Man kann sich vorstellen, daß die Klimazonen im großen Speisesaal alle Weltzonen zwischen Arktis und Regenwald umfaßten.

 

Blick nach dem Felsberg 1925: Ohlyturm, Forsthaus und Hotel Felsberg von der Hutzelstraße aus betrachtet. Das Hotel wirkt auf der Karte, als hätte es drei Giebel. Der dritte kam jedoch erst 100 Jahre später... Aber diese Ansicht wurde für die Denkmalbehörde letztlich ausschlaggebend, um die Genehmigung zum Bau des zweiten östlichen Anbaus zu erteilen. Hell sind die Wegverbindungen zu sehen, es führt auch ein Weg nach links zur Kuralpe. Hier war 1896 ein Wohngebäude mit Trinkhalle genehmigt worden. Als Station nach dem schwierigen Anstieg von Jugenheimer wie von Staffeler Seite (Staffel bedeutet Treppe und zeigt so im Namen schon, daß es hier steil ist) brauchten Pferde und Kutscher - und sicherlich auch die illustren Fahrgäste - hier auf der Höhe eine Pause. Von Osten kommt genau an dieser Stelle die Hutzelstraße, nach Westen führt ein direkter steiler Fußpfad hinauf auf den Felsberg. Eine Raststation, die quasi alternativlos war.

Der Kartenschreiber notiert unten am Rand: "Die Winterlandschaften sind von überwältigender Schönheit" und auf der Rückseite (am 19. März!): "Die ganze Zeit konnte ich mir kein genaues Bild darüber machen, ob das Schneewetter anhält oder nicht. Nun nehme ich aber mit Bestimmtheit an, daß es anhält..."

Auf dieser Ansichtskarte ist der Blick von der Hutzelstraße zum Felsberg koloriert.

 

Kinder und Jugendliche im Erholungsheim in den 1960er / 1970er Jahren

 

 

Rechnungsblock mit Jahreszahl 189_ mit Notiz: "In deiner Jugend sollst du dich zum Arbeiten halten fleißiglich. Hernach zu schwer die Arbeit ist, wenn du zum Alter kum bist" (?) vom Alter krumm?

 

Marieta Hiller, Oktober 2021

Lesetipp:
Wir ziehen nach Amerika - Briefe Odenwälder Auswanderer aus den Jahren 1830-1833, zusammengestellt von Marie-Louise Seidenfaden und Ulrich Kirschnick, 1988. ISBN 3-923366-03-5

Sehr aufschlußreich sind die Beispiele in den Briefen Odenwälder Auswanderer aus den Jahren 1830-1833. Man findet zahlreiche Belege für die Preise in Amerika im Vergleich zu unserer Region.

Im Jahr 1830 zogen 100.000 Seelen von Europa nach Amerika. Ein Dollar war 2,5 Gulden wert, für 3 Gulden 45 bekam man in Amerika 1 Dollar. Reiche Einwanderer konnten gleich nach Ohio weiterziehen, wo man für 1-2 Taler einen Morgen Land kaufen konnte. Dagegen kostete der Morgen in Waynesboro 30-40 Taler. Pro Auswanderer wurden für die Überfahrt 100 Gulden für Erwachsene und Kinder über 12 Jahren, 50 Gulden für Kinder unter 12 Jahren verlangt. Ein gemeinsamer Wagen von Baltimore nach Wheeling für die Raidelbacher, Lauterner und Hohensteiner Auswanderer mußte für 100 Dollar gemietet werden.

Über Anschaffungen, laufende Kosten und den Ertrag berichten zahlreiche Briefe der Auswanderer. Das Foto eines Auswanderers, Adam Tracht aus Raidelbach, zeigt einen alten Mann, obwohl er zur Zeit des Fotos erst 65 Jahre alt ist und seit 20 Jahren in Amerika lebt. Seine Züge zeugen von einem entbehrungsreichen Leben. Trotzdem konnte Adam Tracht mit seiner Frau in Freiheit leben, und er verdiente bereits in seinem ersten Jahr in Amerika 110 Dollar!

Für ein Doppelgewehr aus Deutschland konnte man in Amerika 50 Taler = 125 Dollar bekommen, deshalb waren Gewehre begehrte Mitbringsel aus der Heimat. Neuankömmlinge mußten oftmals Schulden machen, wie Johannes Rettig aus Reichenbach. Dennoch rät er seinen Verwandten davon ab, anderen Geld zu leihen. Die Leute seien noch "Darmstädtisch".

Entfernungen: 28 Stunden brauchte man auf dem Landweg für 120 Kilometer, 3 Meilen schaffte man in einer Stunde.

Amerikanische Maßeinheiten: 1 Buschel ist etwas mehr als ein Simmer, 1 Acker = acre entspricht einem Morgen.

Im Flurnamenbuch von Erzbach bei Reichelsheim taucht anno 795 im Lorscher Kodex Walehinhoug auf, später im 11./12. Jh. als Welinehouc bezeichnet. Eine uralte Grenze verläuft über den Kahlberg: hoch erhebt sich der Berg mit dem Walburgiskapellchen über dem Weschnitztal südöstlich von Fürth im Odenwald. Die Grenzen der fränkischen Gaue Lobdengau, Mingarteiba, Oberrheingau und Maingau endeten hier, wo Weschnitz, Marbach, Osterbach und Ulfenbach die Landschaft bestimmen. Karl der Große umriß die Mark Heppenheim 773 und schenkte sie dem jungen Kloster Lorsch.

Urkunde 6 (Reg. 849) Schenkung Karls des Großen in Heppenheim

Karl der Erlauchte, von Gottes Gnaden König der Franken, allen unseren Getreuen, den gegenwärtigen und den zukünftigeen. Was weir den Niederlassungen der Klöster aus wohltätiger Überlegung gewähren, wird uns, wie wir fest vertrauen, ohne Zweifel durch Gottes Schutz zur ewigen Seligkeit gereichen. Aus diesem Grunde sei euch kund und zu wissen, daß wir um des Herrn Namen und unserer Seele Seligkeit willen unserem Kloster, welches Lorsch genannt wird, wo der Leib des heiligsten Märtyrers Nazarius beigesetzt ist und Gundeland als Abt regiert, eine Schenkung zu machen....

Über die Mark Heppenheim (Urkunde 6a)

Das ist die Beschreibung der Mark beziehungsweise der Waldmark Heppenheim, so wie sie immer seit alter Zeit unter den Herzögen und Königen zu diesem Dorf gehörte, bis sie dann der Kaiser Karl zu seinem Seelenheil dem Hl. Nazarius übergab.

Grenzen:

  • Steinvorotwa (Steinfurtau = steinige Furt über die Lauter am Winkelbach, westlich von Fehlheim, südwestlich Langwaden, Grenze zur Gernsheimer Mark
  • Langwata und Ginnesloch (Langwaden und Ginnesloch bei Hähnlein)
  • Woladam (Knüppeldamm bei Zwingenberg)
  • Aldolvesbach (Alsbach, von Adolfsbach)
  • Getwinc (Zwingenberg, Gezwinge = Paß zwischen Sumpf oder alten Flußläufen und dem Odenwald-Steilhang)
  • Von hier zieht die Grenze zum Felisberk (Felsberg), vom Felsberg nach Reonga (auf dem Höhenrücken Felsberg - Neunkircher Höhe als Wasserscheide Lauter-Modau), von da zum Wintercasten (nicht das Dorf sondern die Windherrenhöhe, heute Neunkircher Höhe)
  • Von da führt die Grenze zur mittleren der Arezgrefte (Erzgrüfte, Erzgruben zwischen Erzberg und Erzbach) nach dem Welinehouc (Walenhab, Welschenhügel = Kahlberg)
  • Hildegeresbrunno (Quelle des Hiltersklinger Baches, heute verm. Streitbach zw. Wegscheide und Lärmfeuer)
  • Burgunthart (zu Worms gehörig?)
  • Eicheshart (bei Hiltersklingen), Grenze zur Waldmark Michelstadt, "wo der Königsbote Rado ... einen Steinhaufen aufwerfen ließ
  • Vlisbrunnen (Ulisbrunnen südlich Untermossau
  • Mosehart (Moswald oberhalb Mossau
  • Lintbrunnen (Lindelbrunnen zw. Hiltersklingen und Hüttental)
  • Albwines sneida (?, Wasserscheide? Oben zwischen Sensbach und Schöllenbach?)
  • Moresberk (Morsberg, Mauersberg)
  • Entlang der Jutra (Itterbach) bis Eberbach am Neckar
  • Am Neckar bis zur Mündung von Ulvena (Ulfenbach) und Franconodal (Fränkeltal Fränkelhöhe in der Nähe von schiumeten wage - spumosum stagnum - schäumender Tümpel
  • Hier Quelle der Steinhaha (Steinach)
  • Pendens Rocha (überhängender Fels, Götzenstein?)
  • Gunnesbach (Kundenbach Kunzenbach)
  • Katesberk (Goldknopf bei Oberkunzenbach)
  • Strata publica (strata montrana platea mountium, Bergstraße) aus dem Ladengau
  • durch die Wisgoz (Weschnitz) zurück nach Lorsch
  • und zurück zur Steinfurtau

Grenzhügel: Eicheshart, Mosehart, Lintbrunnen. In diesem Grenzmarkierungssystem hatte der Kahlberg oder Welschenhügel eine wichtige Funktion. 795 ließ Karl der Große hier ein placitum abhalten. Das war ein Gericht unter dem Vorsitz des Grafen des Oberrheingaues, Warin, mit 37 namentlich genannten Zeugen. Hier, oben auf dem Berg, wurden die Grenzstreitigkeiten beendet und ein für allemal festgeschrieben. Leider verrät uns das Dokument aus dem Lorscher Kodex nicht, wo solch geheimnisvolle Orte wie Reonga, Albwines sneida, Pendens Rocha lagen.

placitum - Kaiserliches Gericht hoch oben auf dem Kahlberg

Man stelle sich vor: die kaiserliche Wandergruppe mitsamt den 37 Honoratioren ächzt und stöhnt, um diesen immerhin 521 Meter hohen Berg zu erklimmen. Oben angekommen, war man gewiß nicht mehr in der Laune, sich auf Diskussionen einzulassen... Und so konnte die Grenzbeschreibung ohne viel Hin und Her fixiert werden. Der Ort aber, an dem sich die Herren auf dem Kahlberg versammelten, soll genau an der Stelle gewesen sein, wo heute die Walburgiskapelle steht. Andere meinen, es sei an einer anderen Stelle auf dem Kahlberg, wo man noch herumliegende verwitterte Sandsteinstücke findet.

Die Abgelöststeine

Noch heute läßt sich die historische Grenze zwischen der Neunkircher Höhe (Gelichaberga, gleiche Berge), dem Walehinhoug und den Arezgreften bis Hilderesbrunno erkennen, denn die modernere Grenze zwischen dem Mainzer Rad und den Kurpfälzer Rauten ist durch gut erkennbare Grenzsteine markiert. Das sind die Abgelöststeine, denn sie markieren die Rück-Übergabe des östlichen Gebietes aus pfälzischer in mainzerische Hand nach dem 30jährigen Krieg anno 1650. Denn zuvor, 1461, waren diese Gebiete durch den Mainzer Erzbischof Dieter von Isenburg an die Kurpfalz verpfändet worden.
Diese Steine findet man in der Fortsetzung der Grenzlinie auf den Stotz beim Gumper Kreuz, wo sie auf der Rückseite die drei Erbacher Sterne zeigen.

Rätselhafte Ursprungsdörfer an der Weschnitz: Richgisesbura und Manegoldescella

Die Wisgoz (Weschnitz, zurückgehend auf das keltische Wort für Wasser "viscantia", um 800 n. Chr. Wisgoz, um 1200 n. Chr Weschez***) fließt entlang an Manoldescella und Richgisesbura, Furte, Rintbach, Morlenbach, Birkenowa, Winenheim; Fürth, Rimbach, Mörlenbach, Birkenau, Weinheim ist soweit klar. Aber wo lagen Richgisesbura und Manoldescella? Die Weschnitz hat zwei Quellbäche, am oberen liegt der Hammelbacher Richardsbauer, der noch heute im Volksmund "Am Riwisch" heißt. Nach der ersten Flußstrecke trifft die Weschnitz auf Manoldescella, ein Einsiedlerzelle bei dem Ort Weschnitz (so vermutet wiederum mein hochgeschätzter Lateinlehrer Wolfram Becher), die Zelle des Manegold. Weschnitz hatte um 1050 sieben Höfe. Denkbar wäre es, daß vorher bereits Kelten hier siedelten und Erz schürften im nahegelegenen Erzberg. Ebenfalls denkbar, daß die Cella des Manegold auf dem Welschenberg lag, auf dem denkbaren Kultstättenberg Walehinhoug. Josef Metzendorf vermutet hier eine keltische Fluchtburg mit einem Weitblick vom Beobachtungsplatz auf 471m Höhe. A.L. Grimm (Die malerischen und romantischen Stellen der Bergstraße, des Odenwaldes und der Neckar-Gegenden, 2. Auflage Darmstadt 1842. Albert Ludwig Grimm war Gymnasialdirektor und Oberbürgermeister in Weinheim) nahm an, daß hier ein Kultplatz für den Keltengott Visucius war und jener der Weschnitz ihren Namen gab. Die Vermutung ist nicht ganz von der Hand zu weisen, denn die christlichen Missionare überbauten immer alte heidnische Kultplätze mit Kirchen oder Kapellen oder auch nur mit einem Andachtskreuz.

Wie bekam die uralte Bergwallfahrtstätte ihren Namen?

Um 730 kam Walburga mit ihren Brüdern Wunnibald und Willibald von England, um im Frankenland zu missionieren. Willibald starb 787 in Eichstätt, Wunnibald 761 in Heidenheim, wo auch Walburga 779 in verstarb. Man bewahrt ihre Reliquien* in Eichstätt im Walburgakloster auf, hier entsteht auch das wundersame Walburgisöl**. Der Legende zufolge war der Ort auf dem Kahlberg eine ehemals keltische, später germanische Kultstätte, die durch Walburga zum Christentum "bekehrt" wurde. Eine Mitschwester Walburgas, Hugeburc, berichtet über die rauhe Landschaft, die die Missionare im Odenwald vorfanden:

"die Ländereien waren durchweg noch Wildnis und Wald, Bäume mußten gefällt werden, es galt zu roden, Disteln und Dornen rissen die Hände auf. Die Wohnhütten armselig und kalt. Noch gab es Zauberer mit teuflischer List, Götzendiener, Wahrsager, die, von Dämonen getrieben, zu Gottes und des Volkes Schaden wirkten. Aber noch schlimmer, daß bekehrte Christen, sogar Kleriker zügellos lebten, der Unreinheit ergeben."

Tag und Nacht lauerten Gefahren, und Walburga muß in Wahrheit ein ganz anderes Kaliber gewesen sein als die mildtätige Frau, die den Menschen Gott näher bringen wollte. Aber als sie 779 starb, soll - so die Sage - das Glöckchen auf dem Berg von selbst geläutet haben. Später sprach man sie heilig, was sie in den Status der Reliquienquelle versetzte. Man zerteilte ihre sterblichen Überreste, so daß jede Walburgisgemeinde ein Stückchen Knochen für die Monstranz oder den Altar erhielt*. Der Heiligen Walburga widmete man übrigens nicht nur die Kapelle auf dem Kahlberg. Auch auf dem Schwanberg im Kreis Kitzingen und auf dem Ehrenbürg bei Forchheim wurden alte heidnische Kultstätten christlich überprägt. Und man legte ihren Namenstag auf den 1. Mai, der einem uralten heidnischen Kultdatum entspricht. So wurde aus der heiligen Walburga die Walpurgisnacht vor dem 1. Mai. Der April macht was er will, und nach allen Kapriolen fahren die Hexen fröhlich zum Hexentanz auf dem Brocken, bevor der Spuk vorbei ist. Vorbei bis zum Allerheiligentag, dem 1. November. An dessen Vorabend führte man sich auch im Odenwald schon immer toll auf, mit Riewebouze und Mummenschanz.

"... daß hin und wieder in unßeren Landen Mummereyen gehalten, auf Waldpurgis oder am ersten Tag May nachts von denen jungen Purschen und Knechten theilß Meyen gesteckt, theilß die alßo genante Leyhen (= Lehen) außgetheilt, auch geschosßen und allerhand Excessen verübet werden sollen. Die Übertretter sollen mit Thurm oder Gefängnüß Straaf belegt werden, damit solches Unwesen außgetilget werde. Darmstadt, den 19ten Octobris 1698, renoviert (=erneuert) 1728. Ludwig, Landgraf" (Auerbach)

Am 1. Mai streute man zudem mit Asche drei Kreuze in die sauber ausgefegten Ställe, damit es nicht walbert (wäwwert, = spukt). Nikolaus Eisenhauer, Weschnitz 1932. Eigentlich aber sollte es ja walbern, also das Böse vertrieben werden. Walbersnacht wird im Odenwald eine schlechte Alptraumnacht genannt. Der 1. Mai bildet den Wendepunkt für Kälte, danach sind kaum noch Fröste zu erwarten (so wie vom 20. auf den 21. April 2017 fast die gesamte Apfelernte im Odenwald erfror). Sind die Hexen auf ihren Besen erst davongeritten, sind Unfruchtbarkeit in Haus und Stall gebannt, dafür stehen die drei Kreuze. Noch heute sagt man "ich mache drei Kreuze, wenn das vorbei ist".

Und was kam nach Walburga?

Jahrhundertelang war der Ort ein christlicher Kultort, bis der 30jährige Krieg kam. Viele Dörfer wurden völlig menschenleer, die Pest hatte mit den geschwächten Bewohnern leichtes Spiel. Die Gegend war entvölkert. Als der Krieg zuende war, nach 1648, besann man sich aber auf das Bergheiligtum der Heiligen Walburga, wo Einsiedler lebten. Noch lange Zeit später betrieben diese Eremiten eine Klosterschule in Brombach (Fürth).

Eine neue Kapelle auf dem Kapellenberg 1671 und 1935

Auf dem Kahlberg errichtete man 1671 eine neue Kapelle, selbst das Glöckchen aus dem Turm war noch erhalten. Leider sprang es bei dem großen Brand, der alles zerstörte und den Einsiedler vertrieb, so daß es sein "Soli Deo Gloria" nicht mehr erklingen läßt.

A. L. Grimm berichtet um 1843, daß ein Zufall ihm eine handschriftliche Nachricht über den Berg zuspielte aus dem Jahre 1664. Darin wurde festgehalten, daß sich achtzigjährige Männer daran erinnern, daß hier einst Wallfahrten stattfanden, daß es auch Zeichen von Heilungen an Lahmen und Blinden gegeben habe.

Dieser Bericht Grimms, dem man zunächst wenig Glauben schenkte, wurde aber bestätigt durch einen Bericht zweier Brombacher Kapuziner 1768 an das Erzbischöfliche Generalvikariat Mainz. Daraufhin überprüfte der Bensheimer Pfarrer Heckmann die Sache und erklärte, daß tatsächlich aus dem ganzen Odenwald Besucher zur Kapelle kämen. Daher sei ein angedachter Kreuzweg empfehlenswert. Der Pfarrer meinte aber auch, daß die beiden Kapuziner die Last der unentgeltlichen Schulhaltung loswerden wollten, weil sie mit dem Kreuzweg und den dort abzuhaltenden Andachten genug zu tun hätten. Es wurden in Brombach tatsächlich im Winter viele Kinder unterrichtet, von Weschnitz weiß man, daß dort 22 Jahre lang ca. 60 Kinder den Unterricht besuchten. Infolgedessen lehnte das Generalvikariat den Kreuzweg ab, die Kapuziner mußten weiter unterrichten. Bei Ausgrabungen 1933/35 fand man den Brandschutt, Nägel und den Klöppel des Glöckchens. Gute Mauersteine waren längst fort: die sind in den umliegenden Dörfern als willkommenes Baumaterial vermauert worden. Um 1815 erbaute man aus kleinen Bruchsteinen ein neues Kapellchen mit dem erhalten gebliebenen Standbild der St. Walburga als Äbtissin. Später wurde das Kapellchen zum Chor der neuen Bergkirche, federführend vom Lehrer Josef Metzendorf betrieben, am 17. September 1932 wieder geweiht. Zur Bauernwallfahrt 1933 hörte man ein neues Walburgisglöckchen, das der Mitstreiter Metzendorfs Lehrer Hofmann aus Heppenheim stiftete. 1935 machten sich viele Freiwillige an die Arbeit, um die neue Kapelle zu erbauen. Man baute zwar in einem Stil, der sich bei näherer Betrachtung unschwer den künstlerischen Ideen des 1000jährigen Reiches zuordnen läßt (die ja auf die Optik heidnischer Thingstätten bezug nahm), trotzdem machte die NS-Zeit alles sehr schwierig. Lehrer Metzendorf war gewiß nicht "infiziert": schließlich war er von 1933 bis 1945 vom Schuldienst suspendiert. Doch in sieben Wochen konnte man den Rohbau soweit errichten, daß die Bauernwallfahrt 1935 hier stattfinden konnte, dem NS-Regime zum Trotz.1937 konnte die Kirche mit einer großen Wallfahrt geweiht werden. Während der NS-Zeit wurde die Kapelle "ruhiggestellt", Wallfahrten wurden verboten, das Bergglöckchen wurde entfernt und den Berg hinabgeworfen. Im März 1945 blieb der Ort von Kriegsbeschuß verschont, und 1949 konnte man wieder das Glöckchen hören. Seit 1967 findet wieder jährlich am 1. Mai eine Wallfahrt hinauf auf den Kahlberg statt. Hier hört man seither wieder das Walburgislied:

Jungfrau, die wir hier verehren auf dem Berge Dir geweiht,
wolltest unsere Bitten hören, wie Du tatest alle Zeit!
Halte schützend Deine Hände über unsern Odenwald,
alles Unheil von uns wende, wenn wir rufen, Jung und Alt:
O Walburga, o Walburga: Schütze unsern Odenwald! ... weitere vier Strophen folgen

Allerdings wurden im Februar 1967 die drei Standbilder der Walburga und ihrer beiden Brüder gestohlen, doch dank guter Polizeiarbeit der Kripo Heppenheim schon zwei Monate später sichergestellt. So kehrten die drei Missionare am 1. Mai 1967 zurück in ihre Bergkirche.

* das ist einer der Gründe, warum mir der Katholizismus suspekt war und ist: man bewahrt Knochenteile von Toten im Altar oder in der Monstranz auf. Es gibt einen Science Fiction Roman (mir fällt leider nicht mehr ein welcher es war), in dem geschrieben steht, daß der Heilige Thomas acht Tonnen wiegen müßte, würde man alle ihm zugeschriebenen Reliquien auf einmal wiegen.
Reliquienkult, Missionierung - Dinge, die sich nicht ohne weiteres in meine Weltsicht fügen wollen...

** Walburgisöl: eine klare geruchlose Flüssigkeit, die ölig aus dem Sarkophag der Heiligen Walburga rinnt, und zwar seit 1042 jedes Jahr vom 12. Oktober, dem Tag der Übertragung der Gebeine Walburgas, bis zum 25. Februar, ihrem Todestag. Das aus dem aus weißgrauem Eichstätter Kalkstein gebauten Grab herabtropfende Öl wird durch silberne Rinnen in vergoldeten Schalen gesammelt, im Kloster in kleine Glasfläschchen abgefüllt und gegen Spende abgegeben. Das Öl soll in neun Jahrhunderten für etliche wundersame Heilungen gesorgt haben. Man sieht die Heilige Walburga auf Gemälden immer mit Ölfläschchen. Die modernen Schwestern des Klosters St. Walburg sagen allerdings selbst, daß das Walburgisöl selbst gar nicht heilkräftig sei, sondern daß das Wunder der Heilung durch Gott geschieht, der den Gläubigen hilft. Da sage noch einer, daß Homöopathie nicht wirkt!

*** Zum Flußnamen Weschnitz: viele Flüsse haben an mehreren geografischen Orten Namensähnlichkeiten. Rhein - Rhone; Neckar - Niger; zur Weschnitz (Visantia) paßt die Wiesaz in Württemberg, die Visance in Frankreich, die Visontia im Wallis, die Visentios in Italien, Visention bei Besançon in Frankreich, Viešintà in Litauen. Vis ist das indogermanische Wort für Wasser (Quelle: Hans Krahe, Sprache und Vorzeit, Heidelberg 1954)

Mehr dazu: Josef Metzendorf, Die Walburgiskapelle und andere bemerkenswerte Stätten bei Weschnitz im Odenwald, Sonderdruck aus: Geschichtsblätter für den Kreis Bergstraße Band 13, 1980.

Foto von Uwe Krüger Naturfotografie

Ein Heilszeichen an der alten Wallfahrtstraße von Neustadt über Hainhaus, Würzberg und Bullau zum heilbringenden Quellwasser der Wallfahrtskirche Schöllenbach ist im Laufe der Jahrhunderte weit in den Stamm einer mächtigen uralten Buche eingewachsen. Es ist ein lebendiges Flurdenkmal, denn das Bild wurde stets gut erhalten und immer wieder liegen Zweige und Blumen hier.
Menschen kommen hier vorbei und halten Andacht, danken ihrem Schöpfer für alles, halten Prozessionen ab. Die Reformation brachte diesen alten Brauch zum Erlöschen, doch im 17. und 18. Jahrhundert setzte er sich wieder durch.

Ein schauriger Ort im Odenwald ist der dreischläfrige Galgen bei Beerfelden. Auf der Anhöhe liegt der einzige heute noch erhaltene Galgen seiner Art, errichtet aus Sandstein anno 1597. Vorher stand auf der Gerichtsstätte bereits ein hölzerner Galgen aus uralten Zeiten.

Bereits die alten Germanen kannten die Hinrichtung durch Hängen, wie Tacitus (55-116 n. Chr.) berichtet. Gehängt wurden Diebe, während Mörder meist gerädert wurden. Und so machten Diebe auch in Beerfelden am historischen Galgen Bekanntschaft mit „des Seilers Tochter" bzw. mußten „Hanfsuppe" essen.

Während die Grafschaft Erbach, zu der auch Beerfelden zählte, über 1000 Jahre Kontinuität (echte 1000 Jahre, nicht nur 12 die für 1000 verkümmelt wurden!) und Eigenständigkeit bewahren konnte, herrschten in den meisten Kleinstaaten des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation ständiger Wechsel. Man legte Wert auf einen ansehnlichen Galgen zum Beweis der eigenen Gerichtsbarkeit. Hierzu auch: Als die Reformation in den Odenwald kam

Stolz erbaute man die Galgen auf weithin sichtbaren Anhöhen, aber sein Schatten durfte nicht auf Nachbarland fallen. Die Flurnamen deuten heute noch auf Richtstätten hin: Galgenberg, Galgenäcker, Hochgericht. Ein dreischläfriger Galgen, im Volksmund auch "Dreibeiniges Tier" genannt, war schon etwas besonderes. Das Beerfelder Hochgericht an der ehemaligen Zentlinde, an der Gabelung von Güttersbacher und Airlenbacher Weg, heißt im Flurnamenbuch noch heute "Zur Centlinde".

Ringsum den Beerfelder Galgen stehen auch heute alte Linden und vor dem Galgen liegt das Sandsteinkreuz, auf dem der Delinquent seine letzte Beichte ablegen durfte und vor der Reise in die Ewigkeit Absolution erhielt. Errichtet wurde ein Galgen immer von allen Bürgern einer Stadt. Jeder mußte mithelfen. Einst bewahrte man deshalb zu Frankfurt einen Nagel auf für einen Zimmermann, der zur Zeit der Errichtung des Galgens gerade verreist war. Als er zurückkehrte, mußte er den Nagel in den fast fertiggebauten Galgen einschlagen. So wurde sichergestellt, daß die Richtstätte wirklich von allen Bürgern akzeptiert wurde. Und alle freien Männer mußten beim Hängen Hand anlegen: ein jeder mußte symbolisch den Strick berühren.

Denn es war eine schaurige gruselige Stätte, und es rankten sich viele abergläubische Riten ringsherum. Die Todesstrafe war eine kultische Handlung, zur Abschreckung von Übeltätern an der Gemeinschaft. Nackt wurde der Bösewicht in alten Zeiten gehängt, später mit Büßerhemd. Natürlich bekam er auch die Henkersmahlzeit. Die gesamte Gemeinschaft wohnte dem Hängen bei, und der Gehängte durfte nicht vom Galgen abgenommen werden.

Denn jetzt kamen die Raben (Krähen) ins Spiel. Sie zerhackten den Leichnam, bis fast nichts mehr übrigblieb. Anders war es, wenn der Vorgang des Hängens nicht klappte, wenn der Zu Hängende herabfiel und - mit etwas Glück - noch lebte. Denn dann hatte Gott das Opfer nicht angenommen, und der Täter durfte als unschuldiger Mensch von dannen ziehen. Aber wenn zusammen mit dem Täter Hunde oder Wölfe aufgehängt wurden, war das ein besonders starkes Ritual.

In Beerfelden hängte man zuletzt im Jahr 1804 eine Zigeunerin, die für ihr krankes Kind ein Huhn und zwei Laib Brot gestohlen hatte. Auf dem Weg zur Richtstätte soll sie der Erzählung nach geschrien haben:

weil das Volk am heißesten Sommertage stürmisch bergauf drängte, ihr selbst es aber gar nicht pressiere..., sie sei ja die Hauptperson bei dem Spektakel und der Henker solle ruhig warten bis er blau würde, er bekäme es ja bezahlt und das Volk würde noch genug zu sehen bekommen für sein Geld..., "bevor ich nicht oben bin geht es doch nicht los."

Um 1800 wurden viele gehängt: durch die Auflösung der territorialen Ordnung bildeten sich große Räuberbanden, und oft brannte man Dieben zunächst einen Galgen auf den Rücken.

Oft aber wurden sie auch gehängt. Die letzte Hinrichtung durch Erhängen fand 1812 in Offenbach statt. Waren Räuber oder Zigeuner erst einmal gefaßt, wurde er beim Centgericht abgeurteilt und der Tag der Hinrichtung festgelegt. War dieser Tag gekommen, so wurde der Täter nochmals öffentlich abgeurteilt und der Stab über ihm gebrochen. Diese feierliche Handlung nahm der Centgraf vor. Gefesselt wurde der Delinquent dann in einem langen Zug aus Schaulustigen auf dem Schinderkarren zum Galgen gefahren.

Oft mußte der Kläger selbst oder die Dingpflichtigen (die Bürger) die Hinrichtung vollziehen. Später entstand der Beruf des Henkers. Er trug in vielen Kulturen besondere Merkmale und hatte Privilegien, aber er war auch von Aberglauben und Angst umweht: der "Knüpfauf" mußte neben dem Hängen weitere unbeliebte Tätigkeiten verrichten: als Abdecker (Schinder), als Kloakenreiniger und Hundefänger. Starb einmal ein Henker, so wollte ihn niemand zu Grabe tragen, er war vom Abendmahl ausgeschlossen, und seine Kinder durften kein Handwerk erlernen. Schon die Berührung eines Henkers machte wohlanständige Bürger unehrlich.

Galgen bei Siedelsbrunn, Foto G. Morr

Aber der Henker tat sich auch als Arzt, als Zauberer oder Geisterbanner hervor. Henker konnten bannen, das bedeutet, jemanden auf der Stelle festsetzen. Die Leute holten sich ein Holzstück vom Galgen, um es für Zaubertränke zu verwenden oder unter die Türschwelle zu legen. Damit konnten Hexen gebannt werden und es schützte vor Gewitter. Wilde Pferde wurden zahm, wenn Gebiß, Mundstück und Sporen aus Galgenketten geschmiedet war. Unbesiegbar wurde, wer einen Ring aus einem Galgennagel trug, und der Galgenstrick wurde vom Henker in kleinen Stückchen als Amulett verkauft.

Unter dem Galgen wuchs die Alraune. Grub man an einem Freitag vor Sonnenaufgang vorsichtig die Wurzel aus, band eine Schnur daran und ließ einen schwarzen Hund die Wurzel ziehen. Dabei mußte man sich die Ohren verstopfen, denn das Galgenmännlein schrie fürchterlich. Wer es hört, fällt tot um. Die Haut eines Gehängten wurde zu zauberkräftigen Gürteln, und im Schädel des Gehängten goß man Kugeln, die ihr Ziel niemals verfehlten. Den Daumen trug man im Geldbeutel, so daß das Geld nie alle wird. Eine Hand vergrub man unter der Krippe, so blieb das Vieh gesund, und eine kleine Rippe pulverisiert in Weinessig gerührt hilft gegen die rote Ruhr. Das Blut wurde als Zaubermittel verkauft, oder die Frau des Henkers braute Zaubertränke für allerlei Zwecke. Fieber konnte durch das Tragen eines Knochenstückes vom Arm des Gehängten auf dem bloßen Leib senken. Nachdem der Beerfelder Galgen nach der letzten Hinrichtung 1804 ein Jahrzehnt lang ungenutzt stand, kamen Kosaken, die nach der Völkerschlacht bei Leipzig 1814 vor Napoleon flohen.

Sie schmiedeten sich für ihre Pferde aus den Bandeisen des Galgens Hufeisen. Es könnte aber auch sein, daß es Einheimische waren, denn Hufeisen aus Galgeneisen waren ja zauberkräftig. Und noch ein magisches Zeichen: die Eisenstäbe des Galgens verrosten nicht, obwohl sie jahrhundertealt sind - Beweis für die Zauberkraft des Galgens.

So magisch ist es aber gar nicht: denn man verwendete im Mittelalter manganhaltiges Gestein (das Odenwälder Manganeisen findet man zum Beispiel zwischen Reichelsheim-Bockenrod, Vierstöck und "rotem Kandel").

Lesetipp: 

Kurt Siefert: die mittelalterliche Richtstätte des ehemaligen Gerichtsbezirks Beerfelden, 1984