500 Jahre Reformation: das bedeutet, daß es im Jahre 1517 begann, als ein zorniger Mönch zu Wittenberg seine 95 Thesen an die Pforte der Schloßkirche nagelte. Dies beschert uns am 31. Oktober in diesem Jubiläumsjahr 2017 einen zusätzlichen Feiertag. Und das ist oft schon alles, was interessiert. Aber man stelle sich vor: ein Flüchtling aus Afghanistan oder aus Tibet pinnt seine Religionskritik auf Handzetteln an unsere Kirchentüren!
Da wäre einiges geboten.
Nichts anderes hat Martin Luther getan: ihm paßte vor allem der Ablaßhandel der Altgläubigen nicht, die damals noch die einzig Rechtgläubigen waren. Für fünf Vaterunser konnten wir uns vom Lügen und Betrügen reinwaschen, alles was wir tun mußten war, es dem Priester zu erzählen, der in einer Holzkiste in der Kirche saß und sein Gesicht verbarg, während wir beichteten. Kirchliche Ämter waren käuflich, so etwas hatte man ja auf der Welt noch nicht erlebt (!) - und so erhob sich der ungehobelte Augustinermönch zum Protest.
Aus Protest wurde später Protestantismus (1529 beim Speyerer Reichstag), und sobald eine Geisteshaltung zum -ismus wird, ist Vorsicht geboten. Wohlgemerkt Vorsicht vor allen -ismen.
Bis die Reformation zusammen mit einigen überzeugten Protestanten in den Odenwald kam, vergingen nach dem 31. Oktober 1517 noch ein paar Jährchen.
Wie Archivdirektor a.D. Prof. Dr. Friedrich Battenberg, Darmstadt bei der Neustädter Tagung des Breubergbundes anhand der Orte Nieder-Beerbach und Eberstadt erläuterte, konnte die Reformation hier neun Jahre später, also 1526, noch nicht Fuß fassen. Die Frankensteiner (Herrscher in Nd.-Beerbach und Eberstadt) weigerten sich und brachen (wieder einmal) einen verfassungsrechtlichen Streit mit der Landgrafschaft Hessen, die die Landeshoheit innehatte, vom Zaun.
Konkret läßt sich nicht feststellen, in welchem Jahr die beiden Orte reformiert wurden, es dauerte wohl ein Vierteljahrhundert. Erst mit der juristischen Regelung wurde der Weg zur Reformation geebnet. Die Quellenlage dazu ist dürftig, eine schriftliche Überlieferung der Herrschaft Frankenberg setzt spät ein, und nicht alle Pfarrer sind namentlich bekannt. Viele Akten gingen verloren, wenn auch Pfarrer Wilhelm Diehl (*1871 V12.09.1944 in der Darmstädter Brandnacht) vieles dokumentiert hat. So engagierten die Frankensteiner als Trotzreaktion einen katholischen Priester und stellten in Nieder-Beerbach und Eberstadt nach dem Passauer Vertrag 1552 die alte Ordnung wieder her.
Katholisch hieß man übrigens zu jener Zeit noch nicht: man war altgläubig. Der Begriff katholisch bedeutet ursprünglich allumfassend oder ganz, vollständig. Denn die Altgläubigen waren fest überzeugt, daß die Reformierten irgendwann schon zur Vernunft kommen würden - so ließ man sich beiderseits auf fürsorglichen Befehl des Kaisers auf einen Kompromiß ein, der seither seinesgleichen sucht: beim „geharnischten Reichstag 1547/1548 stellte der Kaiser zwar für einige Regionen die alte Religion wieder her, gestattete aber zugleich Priesterehe und Laienkelch. Dieses als Reichsgesetz erlassene Augsburger Interim sollte für eine Übergangszeit die kirchlichen Verhältnisse regeln, bis ein allgemeines Konzil über die Wiedereingliederung der Protestanten in die katholische Kirche endgültig entschieden hätte.
Doch es kam anders: der Passauer Vertrag von 1552 schrieb die formale Anerkennung des Protestantismus fest, und der Augsburger Religionsfrieden von 1555 schuf die reichsrechtliche Fixierung.
Mit dem Tod von Hans IV. v. Frankenstein 1548 gaben die Frankensteiner ihren Widerstand auf.
Für die Odenwälder Bevölkerung (nicht nur im Frankensteiner Land) bedeuteten die häufigen Herr-schaftswechsel meist auch einen Wechsel in der Konfession. Mal mußte nach katholischem Ritus geglaubt werden, mal reformiert. Siehe die wechselvolle Geschichte in Knoden und Schannenbach...
Ist es da verwunderlich, daß die bodenständigen hart arbeitenden Odenwälder gleich an ihrem alten Glauben festhielten und sich oftmals dem widmeten, was von der Kirche (welcher auch immer) als Aberglaube gebrandmarkt wurde? Aberglaube, Zauberei, weiße und schwarze Magie! Das war allemal verläßlicher als die Melodie „wes Brot ich eß des Lied ich sing“.
Und so gibt es im Odenwald einen uralten Zauber, die Knodener Kunst, auch weiße Magie (= Zauberei zum Guten) oder das Brauchen genannt.
M. Hiller, Oktober 2017
Kein Buchdruck ohne Luther, keine Reformation ohne Gutenberg!
Martin Luther reformierte nicht nur den christlichen Glauben, ohne ihn könnten Sie heute wohl auch keine Zeitung lesen! Nicht daß Luther höchstpersönlich dem Zeitungsdruck den Weg geebnet hätte - aber er hat etwas sehr Weitreichendes geschaffen: gemeinsam mit Johannes Gensfleisch Gutenberg löste er eine Revolution aus.
Denn erst Martin Luther gab der jungen Druckerkunst Gutenbergs ein Thema, dessen Verbreitung sich lohnte, den ersten Bestseller der Geschichte. Gedrucktes wurde durch ihn verständlich und durch Gutenberg erschwinglich. Vorher wurden die Kirchenväter und antike Philosophen in Auflagen von höchstens 200 Exemplaren gedruckt - in lateinischer Sprache, die Kirche wollte dem gewöhnlichen Volk nichts von ihren Geheimnissen preisgeben. So war das Lesenlernen für jenes Volk auch von allergeringstem Interesse.
Nun aber wurden Luthers Traktate* mit 300.000 Exemplaren gedruckt und fanden reißenden Absatz. Alle Welt wollte lesen lernen, es entstand Öffentlichkeit. Luther erfand die Fortsetzungsgeschichte im Abonnement: so wurde der Kaufpreis für ein Buch auf viele kleine Portionen verteilt. Er forderte Bildung für alle, auch für Mädchen. Das ist es, was ich persönlich besonders an Martin Luther schätze, auch wenn er zeitlebens antisemitische und frauenfeindliche Äußerungen von sich gab.
Ohne die Druckerkunst wäre Bildung für alle nicht möglich geworden, diese und Luther haben sich gegenseitig gefördert in einer Zeit, in der wissenschaftliche Diskurse auf Latein in schwergewichtigen Wälzern geführt wurden. Luther dagegen schrieb seine Botschaften kurz und prägnant auf deutsch, man konnte sie in 10 Minuten vorlesen.
Die ersten Zeitungen entwickelten sich aus dem Prinzip von Luthers Flugschriften: maximal 4-8 Bögen, 2x gefaltet. Zum Ausbruch des 30jährigen Krieges verbreitete sich so bereits auf basisdemokratischem Wege Ideologie.
*Traktat = Gezogenes (vgl. Traktor = Ziehendes) oder Abzug. Ü50er erinnern sich gern an ihre ersten Kontakte mit Alkohol: als 12jährige hingen wir nicht an der Schnapsflasche, sondern meldeten uns begeistert für alles, was auf dem Matrizendrucker abgezogen werden mußte. Das nannte man Hektografie, eine Technik aus der Zeit vor dem Fotokopierer. Zuvor mußte man seinen Text ohne Farb-band, also blind, auf Matritzenpapier tippen oder schreiben. Davon ließen sich dann maximal 250 Abzüge drucken. Der Druck erfolgte von einer wachsbeschichteten Folie, die über eine spiritusgetränkte Rolle gezogen wird, wobei sich Wachspartikel lösen. Je mehr Abzüge, desto weniger Wachs auf der Matritze. Deshalb konnte man ab dem 100. Abzug auch nicht mehr viel entziffern. Aber selbst die verschwommensten Abzüge wurden von uns gerne beschnuppert...
Marieta Hiller, April 2017