In manchen alten Bauernhäusern, in der Stadt auch - sehr selten! - in historischen Wohnhäusern, entdeckt man zuweilen als unterste Schicht auf dem Wandputz schablonierte Malereien. Diese kunstvollen Wanddekorationen schufen sich die Bewohner in früheren Zeiten, als Tapeten noch etwas für Fürstenhäuser waren.

 

Regionalmuseum Reichelsheim: Malerutensilien

 

Die Wände der Wohnung wurden früher meist mit Musterwalzen verziert, die die Farbe direkt auf den Putz brachten. Erst mit dem Wirtschaftswunder konnten sich die Leute Tapeten leisten, und die Putzkunst geriet in Vergessenheit. Aber in den letzten Jahren kommen kunstvolle Wanddekorationen mit Musterschablonen, Musterwalzen, Schwämmen und Stempeln wieder in Mode, lassen sie doch viel mehr Raum für Kreativität als die schreiend-bunten Tapeten.

Am Anfang war der Stempel. Kinder kennen den Kartoffeldruck, man schnitzt sich eine Form aus einer rohen Kartoffel, die in Farbe getunkt und auf die zu dekorierende Fläche gedrückt wird. Das wirkt auf jeden Fall sehr abwechslungsreich, denn nicht ein Stempelabrdruck gleicht dem anderen aufs Haar.

Regionalmuseum Reichelsheim: Schablonen

 

Aus dem Stempel wurde ein Rollstempel, der über die Fläche gerollt werden konnte und das Muster so in Bahnen vervielfältigte. Die Rollstempel entwickelten sich zu den verschiedenartigsten Musterwalzen. Um eine gleichmäßigere Farbverteilung beim Rollen zu erzielen, bekamen die Walzen integrierte Farbspender, die ein Farbbad füllen, durch das die Walze bei jeder Bewegung fährt. Über ein System aus drei Walzen wird die Farbe aus dem Farbbad auf eine Übertragungswalze gebracht, die wiederum die Musterwalze einfärbt. Später wurde der Farbkasten zusätzlich beweglich angebracht, so daß er bei jeder Bewegung der Musterwalze automatisch senkrecht hing und keine Farbe herauslaufen konnte. Wahre Könner unter den Malern konnten allerdings auch mit dem früheren starren Farbkasten klecksfrei arbeiten.

Als Farbe wurde Leimfarbe verwendet. Diese läßt sich sehr viel klarer aufmustern, da moderne Dispersionsfarben sich am Rand der Musterwalze anlagert und ein unscharfes Musterbild ergibt. Auch läßt sich das Gerät bei Verwendung von Leimfarbe leichter reinigen. Die Farben wurden aus Trockenfarben wie Kreide oder Farbpigmenten mit Wasser teigig gerührt. Wichtig ist daß alle Pulverknöllchen sich auflösen. Danach wird dem dicken Farb-Wasserteig der Leim hinzugegeben, bis eine schöne glatte anschmiegsame Paste entsteht. Als Leim verwendete man Zelluloseleim in einem Verhältnis von 1:25, da man einen fertigen Farbansatz zwar jederzeit verdünnen kann, aber zum Dickermachen wieder Farbe zugesetzt werden muß, so daß man am Ende viel zuviel Farbe erhält.

Auf den Wandputz, der in erster Linie das Baumaterial glatt verdecken soll und zusätzlich auch für Wärmedämmung sorgt, trug man dann zunächst die Grundfarbe auf, die der Raum bekommen sollte. Ist diese trocken, steht dem kreativen Dekorationsvorgang mit der Musterwalze nichts mehr im Wege. Die Kunst besteht darin, die Rolle gleichmäßig von der Decke bis zum Boden zu führen und rechts oder links davon genau die passende Ansatzstelle für die nächste Bahn zu treffen. Bei Hobbydekorateuren kann es deshalb vorkommen, daß ein und derselbe Raum drei Überstriche erhält, bis das Bemustern richtig sitzt. Der Profi machts aus dem Handgelenk.

Ein hübscher Nebeneffekt des Musterrollens ist, daß man mit der Musterwalze nicht bis zur Decke und zum Boden mustern kann. So ist man gezwungen einen umlaufenden Fries zu gestalten, der den Übergang zwischen Decke und Wand dekorativ betont oder auch kaschiert, je nach Geschmack. Der Übergang zwischen Wand und Boden mußte sowieso durch eine hölzerne Lamperie abgedeckt werden, unter der die Kabel verliefen. Beim Abschrauben solcher alten Lamperien (Bodenleisten) entdeckt man viel Interessantes: alte Münzen und Haarnadeln, längst Verlorengeglaubtes, Staubmäuse und zuweilen auch Mäuseknoddelchen.

 

Auch dekorativer Wandputz wurde früher für Innenräume eingesetzt, wo man auf die kunstvolle Malerei verzichten wollte. Im Marmoritwerk in Hochstädten wurde von 1865 bis 2008 Edelputze hergestellt. Der Marmor dafür wurde im Bergbau auf dem Gelände zwischen Bangertshöhe, Hochstädten und Fürstenlager gewonnen und in Hochstädten gemahlen, zu Kalk gebrannt und zu verschiedenen Produkten verarbeitet. Niemand in Hochstädten beklagte sich über die Staubentwicklung, denn der ganze Ort lebte vom Betrieb, ähnlich wie es in Lautern war als die Ciba Geigy Marienberg GmbH (die "Blaufabrik") noch produzierte.

Das "Auerbacher Weiß" war eines der bekannten Fabrikate aus Hochstädten, es wurde für die Betonwerksteinproduktion und in Trinkwasserentsäuerungsanlagen verwendet.

1982 verkaufte der langjährige Firmenchef Dr. Karl Linck im Alter von 78 Jahren das Marmoritwerk an Fa. Knauf GmbH, es wurde noch ein paar Jahre weiter produziert, aber man mußte bereits Marmor aus dem italienischen Carrara importieren, um in Hochstädten Edelputze, Unterputz, Strukturputz, Wärmeschutzputz, Dichtschlämme, Mörtel, Isoliergrund und vieles mehr herstellen zu können. 2008 wurde die Produktion eingestellt und die Betriebsgebäude wurden abgerissen. Sehr schade ist vor allem, daß das Verwaltungsgebäude mit wunderschönen Putzdekorationen in Schutt und Asche aufging. Eine Vorstellung, wie kunstvoll die Fassade einst von Grafiker Reinhold Schön entworfen und von Stukkateur Wilhelm Groen aus Hochstädten realisiert worden war, kann man aber noch heute bekommen, wenn man sich die Königshalle in Lorsch anschaut. Ihre karolingische Fassade diente als Vorbild für den Grafiker. Das Hochstädter Wappen zeigt seit 2007 Schlägel und Eisen, die traditionellen Bergbauwerkzeuge, 143 Jahre lang währte die Bergbauperiode.

Marieta Hiller, Januar 2015

Über einen Ausflug in das Bergwerk in Hochstädten, dessen Eingang heute unzugänglich unter Erdreich verborgen liegt und dessen Stollen voller Grundwasser stehen, finden Sie hier Fotos und Infos!

Literatur zum Marmoritwerk Hochstädten: "Der Bergbau auf Marmor bei Bensheim-Auerbach und Hochstädten" von Michael Vettel ISBN 978-3-926707-15-4, bitte bei Ihrem Buchhändler vor Ort bestellen, nicht über den großen Internetversandhandel. Warum? Lesen Sie hier!