1795 wurde auf der Hochfläche zwischen Darsberg, Grein und Hirschhorn Wald gerodet und 6 Erbhöfe angelegt. 1834 zählte das Dorf 60 Einwohner. Doch schon 2 Jahrzehnte später lebten hier nur noch 3 Personen. Missernten und die schlechten Sandböden hatten die Bauern gezwungen das Dorf zu verlassen. Nur der Förster musste wegen der für damalige Beamte üblichen Residenzpflicht in Michelbuch verbleiben. Als in Hessen alle gemeindefreien Gemarkungen den einzelnen Städten und Gemeinden zugeordnet wurden, blieb der Ort aufgrund eines besonderen Staatsvertrages zwischen den Großherzogtümern Baden und Hessen ausgespart. Dieser Vertrag besagt, dass die Gemarkung von Michelbuch von rund 485 ha Größe nur unter ganz bestimmten Auflagen einer Gemeinde zugeordnet werden darf, die bis heute niemand bereit war zu erfüllen. Kein Bürgermeister, kein Landrat und kein Gemeinderat besitzen hier Zuständigkeiten. Heute lebt nur noch eine einzige Frau in dem ehemaligen Forsthaus. Als 2002 ihr Mann starb, blieb sie alleine zurück. Die Frau hat weder Pflichten noch Rechte, sie zahlt keine Steuern, darf aber auch nicht wählen. Seit einem Gebietstausch zwischen Baden und Hessen aus dem Jahre 1903 sind Grund und Boden hessisch. Eigentümerin ist die Badische Evangelische Landeskirche, die dem Kreis Bergstraße anstatt der Grundsteuer eine Kreisumlage zahlt. Text von Rainer Türk, gefunden bei der Monatswanderung vom August 2011 des Geo-Naturpark Bergstraße-Odenwald

 
Man dachte über eine steuerfreie Risikoausgleichsrücklage nach: in guten Jahren könnten Landwirte so Rücklagen bilden, die nicht versteuert werden müssen. In Neuseeland, Australien und Kanada ist dies schon länger Praxis. Beschlossen hat die Bundesregierung vor zwei Jahren jedoch die Gewinnglättungsregelung, derzufolge Verluste und Gewinne über mehrere Jahre verrechnet und zusätzlich bei Bedarf durch individuelle Steuerermäßigung gestützt werden können. Allerdings steht die EU-Zustimmung noch aus, so daß diese Regelung für den Dürresommer noch nicht greift.

Was kann das Verlustrisiko durch Extremwetterereignisse verringern?

  • Erweiterte Fruchtfolgen
  • Anbau von Sorten mit unterschiedlichen Reifetypen
  • Aussaat zu verschiedenen Zeitpunkten
  • Bodenverbesserung

Ernteausfälle der Vergangenheit

1847 gab es im Großherzogtum Hessen eine schwere Mißernte: Feldfrüchte reiften nicht aus oder verfaulten, die Menschen hungerten. Pfarrersfrau Karolina Vaupel aus Lindenfels sammelte im Auftrag der „Verwaltung der Menschenfreunde“ in Darmstadt von den Bürgermeistern die Namen der am schlimmsten Notleidenden ein. In Schannenbach waren dies vier kinderreiche Familien, für die der Schannenbacher Bürgermeister Rettig drei Gulden erhielt. Ein Gulden war etwas mehr als ein Zimmermanns-Tageslohn, man konnte dafür ein Kilo Rindfleisch kaufen. Die großherzogliche Regierung teilte dem Ort im April 1847 zwölf Malter (1 Malter = ca. 100-120 Liter) Korn zu, von dem Brot für die Bevölkerung gebacken werden konnte. Es fehlte nicht nur an Kartoffeln zum Essen, sondern auch an Setzkartoffeln für das kommende Jahr. Daher wurden 34 Malter Setzkartoffeln (= 81 Zentner, du liebes Bißchen, was ist ein Zentner? Hundert Pfund, also waren es 4050 Kilogramm) zu 153 Gulden als Darlehen zu 5% Zinsen gekauft. Zwischen 60 und 600 Pfund Setzkartoffeln erhielt jede Familie. Die „Kartoffelschuld“ - es hatte ja niemand Geld dafür - mußte nach mehreren Pfändungsversuchen durch das Kreisamt „niedergeschlagen“, sprich erlassen werden.Eine weitere schwere Mißernte gab es 1852-53. Denn mit Einführung der Kartoffel kam auch die Krautfäule, die ab 1830 ganze Jahresernten vernichtete.Verwandte, die nach Ohio in Amerika ausgewandert waren, schickten Geld in die alte Heimat, um ihre Familien zu unterstützen. Interessant ist, was man dort für Boden, Gerät und Vieh zahlte, siehe Lesetipp im Infokasten S. 7.Das Folgende kommt Ihnen sicher aus der Gegenwart recht bekannt vor: 1893 - anhaltend trockene Witterung, nur ein Drittel Futter konnte geerntet werden, das Vieh mußte verfrüht geschlachtet werden, die Fleischpreise lagen am Boden. Auch der Getreide- und der Kartoffelpreis lag auf Niedrigstniveau, während Futter für das Vieh enorm teuer gehandelt wurde. (Quelle: Hermann Bauer, Schannenbach - ein Dorf im Odenwald, 1997).

Von der Agrargesellschaft zur Industriegesellschaft

Ein wichtiger Klimawandel fand im Mittelalter statt: während die Menschen lernten, wie landwirtschaftliche Erträge durch Arbeit und Know how gesteigert werden konnten, förderte das gute Wetter die Entwiclung enorm. Verbesserte Pflüge, erweiterte Fruchtfolgen - all dies führte dazu daß mehr Menschen ernährt werden konnten, so daß sich die Bevölkerung vom 9. bis zum 14. Jahrhundert verdreifachte.Um 1750 stellte der Hofarzt Dr. Ludwig Gottfried Klein fest, daß die Odenwälder von einem guten Acker (Fruchtwechsel! Nach 3-4 Jahren gedeihen Kartoffeln nicht mehr auf dem gleichen Boden) das Zwanzigfache an Ernte erhalten. Klein gibt als Beginn des Kartoffelanbaues 1700 an, zudem gab es ihm zufolge Korn, Heidekorn (Buchweizen), Hafer, Spelz (Dinkel), Gerste, Erbsen und Linsen. Weizen war noch selten. Ferner wurden weiße und gelbe Steckrüben, Hirse, Bohnen, Säubohnen, Saathanf und Saatflachs, Krauser Mohn (Magsamen) angebaut. (Quelle: Dr. Ludwig Gottfried Klein, statt des Confekts fressen sie eine gute Portion Kartoffeln, 1754)In Gadernheim gab es um das Jahr 1751 gut 200 Hektar Ackerland, 128 Hektar Wald, 70 Hektar Weideland. Bebaut waren 10 Hektar und 44 Hektar waren sogenannte Irr, was Erde bedeutet und für offene aber ungenutzte Flächen steht. 1975 waren es in Gadernheim nur noch 53 Hektar Ackerland, aber 150 Hektar Weide und 189 Hektar Wald. Kaum jemand wollte sich mehr die Mühe des Ackerns machen, ehemalige Äcker wurden zu Wiesen oder verbuschten und wurden zu Wald - im Neunkircher Wald sieht man noch die früheren Feldraine mit den aufgehäuften Lesesteinen. Die Bebauung war 1975 auf 62 Hektar angewachsen.Um 1850 war noch über die Hälfte der Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig.

Im Kaiserslautern der Fürstenzeit (18. und 19. Jahrhundert) entstand die kameralwissenschaftliche Hochschule für Kammerbeamte, die - zum Zweck der Geldvermehrung für die fürstliche Kammer - ausbildete zur Förderung der landwirtschaftlichen Bevölkerung (85 % aller Untertanen). Zur Wissensförderung und Entwicklung von Agrartechniken wurden zwei Professoren von Kaiserslautern als Konsistorialräte nach König (Schönberg) und Michelstadt (Fürstenau) entsandt. So gelangte Agrarwissen in den Odenwald. Dies war durchaus sinnvoll, denn der hintere Odenwald bietet mit seinen Buntsandsteinböden die gleichen Bedingungen wie die Gegend um Kaiserslautern. Die Bodengüte liegt mit 35 im unteren Drittel der Werteskala: 100 bezeichnet fruchtbaren Löß, 0 dagegen Sandboden. Die Wetterau als Speisekammer der Großstadt Frankfurt liegt bei 85. Die Buntsandstein-Bodengüte von 35 stellt zugleich die Untergrenze dar, nach der laut Morgenthauplan Landwirtschaft überhaupt empfohlen werden kann.Im Nachkriegs-Deutschland entfielen 1950 vom Bruttosozialprodukt (143,4 Mrd D-Mark) 9,1% auf die Landwirtschaft. Dieser Anteil sank bis 1972 auf 3,7%. Die Zahl der landwirtschaftlich Erwerbstätigen schmolz viel stärker ein als die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe. Die verbleibenden Betriebe wuchsen auf doppelte Größe an, aber 1972 lagen 272.000 Hektar brach, weil sie niemand bewirtschaftete.

Weniger Pestizide, mehr robuste alte Sorten, mehr Blühpflanzen = mehr Bodenqualität, mehr Insekten, mehr Vögel

In einer insektenfreundlichen Gemeinde leben gesündere Menschen. Deshalb betrachtet es die Gruppe Dorf im Wandel als erstrebenswert, alles für eine intakte Insektenwelt zu tun. Wer jetzt denkt, daß er Wespen, Schnaken und Zecken nicht braucht, der sollte sich einmal eine blühende Wiese anschauen. Doch es werden - von Haus- und Gartenbesitzern, in der Landwirtschaft, in der Weide- und Forstwirtschaft unzählige Mittel eingesetzt, deren Langzeitwirkung auf das Ökosystem nicht oder unzureichend erforscht ist. Wird eines davon verboten, zieht die Pharmaindustrie dafür drei neue aus der Schublade. Pestizide, Herbizide und auf Effizienz statt auf Robustheit ausgelegte Pflanzenneuzüchtungen prägen unsere Böden, und alle - ob Zünsler oder Fruchtfliege, ob Schmusetiger oder Couchwolf (Katz und Hund) - und auch wir selbst nehmen diese Stoffe Tag für Tag auf.
 
Lesen dazu auch unsere Jahresaktion "insektenfreundliche Gemeinde" 2019!
Interessante Links:
-Deutscher Wetterdienst (DWD): Deutscher Klimaatlas https://www.dwd.de/DE/Home/home_node.html
 
*Eine Anmerkung wert: nach dem Samburu-Sprichwort gibt man 20% für ziviles Engagement (= der Freund in Not) aus. In Deutschland zeigen laut GEO-Statistik 50% der Menschen die Bereitschaft sich zu engagieren, tatsächlich tun es 33 %.
 
- Lesetipp: Wir ziehen nach Amerika - Briefe Odenwälder Auswanderer aus den Jahren 1830-1833, zusammengestellt von Marie-Louise Seidenfaden und Ulrich Kirschnick, 1988. ISBN 3-923366-03-5

Eine andere Welt...

Am 21. September 1944, also ein halbes Jahr vor Kriegsende in Deutschland, kam ein eigenartiges US-Papier versehentlich ans Licht: der Morgenthauplan. Der damalige US-Finanzminister Henry Morgenthau wollte aus Deutschland einen reinen Agrarstaat machen. Gebietsabtretungen, staatliche Zerstückelung und Rückverwandlung aller Industrieanlagen zu Ackerfläche sollte den internationalen Friedensstörer Deutschland auf immer die Mittel nehmen, einen neuen Krieg zu führen. Dabei nahm Morgenthau den Hungertod vieler Millionen Deutscher in Kauf. Das war unangenehm für die USA, und bald traten wieder die Ideen der Atlantik-Charta in den Vordergrund, nach der Sieger und Besiegte gleichermaßen zu wirtschaftlichem Wohlstand berechtigt sind.Lesetipp: Morbus Kitahara, Christoph Ransmayr, Frankfurt 1995, ISBN 3-10-062908-6.

Und wie es wirklich kam

Morgenthau vergaß einen wichtigen Aspekt: ein reines Bauerndeutschland hätte keine umfänglichen Reparationszahlungen leisten können. Und man brauchte ein leistungsfähiges Bollwerk gegen den Ostblock. Schnell war Morgenthaus Idee vom Tisch, stattdessen kam der Marshallplan. Von 1948-1952 stellten die USA für bedürftigen Staaten der Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit (OEEC) insgesamt 13,12 Milliarden Dollar (= heute rund 131 Milliarden Dollar) zur Verfügung. Der Ostblock verweigerte sich, doch in Westeuropa löste die Finanzhilfe den Nachkriegsboom aus, zudem stützte sie den Beginn der europäischen Gemeinschaft.

Die industriellen Revolutionen

Sie betreffen auch die Landwirtschaft. Im Laufe der letzten zweihundert Jahre änderten sich die Strukturen in Gesellschaft und Wirtschaft ständig. Wird die Dezentralisierung vieler gesellschaftlicher Bereiche sich auch in die Landwirtschaft fortsetzen? Mehr zu den großen industriellen Revolutionen im Überblick

Marieta Hiller, im Oktober 2018

 

Ein Klimaumschwung könnte die Neandertaler gezwungen haben, zu Kannibalen zu werden. In der Eem-Warmzeit (vor etwa 126.000 bis 115.000 Jahren) breiteten sich Wälder aus, wo vorher Grasland war, die Jagd auf Beutetiere wurde unmöglich.

Zuvor, in der Altsteinzeit, hielt der Mensch sich junge Wölfe als Wächter und Jagdhelfer - aufessen ging leider nicht, denn Wölfe fressen mehr als sie liefern und wurden so über viele Generationen schließlich zum Hund. Der machte sich nützlich: um 8000 v.Chr. begann der Mensch Ziegen und Schafe zu halten, später auch Schweine und Rinder, die bewacht werden mußten. Alle heutigen Rinder in Europa und Nahost stammen von einer einzigen Herde im fruchtbaren Halbmond ab. Durch Zähmung und Zucht schrumpfte deren Gehirn um ein Viertel, die Sinne wurden weniger scharf. Und die Viehzucht förderte das Bevölkerungswachstum: die Frauen der Jäger und Sammler wurden erst erneut schwanger wenn das Kind selbst mitwandern konnte, mit 4 Jahren. Seßhafte Frauen wurden alle 2 Jahre schwanger.

Pocken und Masern stammen direkt aus der Seßhaftwerdung: Jäger und Sammler hatten nur sporadisch Kontakt zu infizierten Tieren, Bauern aber leben mit ihnen zusammen. Beim Kontakt durch Ausmisten und Düngen manifestieren sich Krankheiten. Mäuse, Ratten, Läuse und Flöhe bringen die Pest, Tuberkulose, Typhus und Cholera. Die ersten Bauern hatten durch einseitige Getreideernährung schwache Abwehrkräfte: zuviel Kohlehydrate, zu wenig Eisen, Eiweiß und Vitamine. Die Folge war Skorbut, Karies, Gelenkentzündungen. Ein Bauer um 9000 v. Chr. hatte eine Lebenserwartung von 40 Jahren bis zum Greisenalter.

Jäger und Sammler dagegen ernährten sich von Fleisch, Obst und Nüssen. Resistenz gegen Seuchen aber konnte nur entwickeln, wer Vieh hielt.

Und Bauern können dem gleichen Stück Land bis zu 100x mehr Erzeugnisse abringen als Jäger und Sammler.

Übrigens wurde die Landwirtschaft unabhängig voneinander an acht Orten der Welt erfunden, zwischen 9000 v.Chr. im fruchtbaren Halbmond und 3000 v. Chr in Zentralafrika. Sie verbreitete sich mit einem Kilometer pro Jahr weiter, verstärkt durch eine kühle trockene Phase um 6000 v. Chr, die zur Wanderung zwang: vor 11.500 Jahren gab es innerhalb eines Menschenlebens (= 40 Jahre) eine Klimaerwärmung von durchschnittlich 6 Grad.

Um ca. 3000 v. Chr wird durch Genmutation Milchzucker für Erwachsene verträglich, der erste Hinweis auf Milchernährung ist jedoch noch viel älter. Man fandeine Scherbe mit Milchfett aus dem 6. Jahrtausend v. Chr. Heute, 5000 Jahre später, wird Laktoseunverträglichkeit häufiger - oder wurde bislang nur nichts über die Häufigkeit vermerkt?

Dem ausgestorbenen Auerochsen sehr ähnlich: in Lauresham gezüchtete Rinderrasse

 

Auf 11.000 Generationen Nomaden (Jäger und Sammler) folgen nur 100 Generationen der neolithischen Revolution, wie die Erfindung der Landwirtschaft auch genannt wird. Weitere 100 Generationen später leben wir.

Wir hätten also noch sehr viel Zeit, um uns auf die Seßhaftigkeit einzustellen, und die Unverträglichkeiten der heutigen Zeit sind "Kinderkrankheiten". Vielleicht ist aber auch Fleisch und Milch von gezähmten (= degenerierten) Tieren schlechter verträglich als das von wild lebenden? Oder vielleicht treten immer mehr Unverträglichkeiten und Krankheiten auf, seit die Ernährung von Fleisch in Richtung Vegetarisch / Vegan tendiert (fehlender "Stallgeruch")? Noch ein Gedanke könnte sein: als Generation zählen 25 Jahre, die Lebenserwartung steigt jedoch. So müssen immer mehr Menschen gleichzeitig ernährt werden. Aber die Kriege der letzten Jahrhunderte haben mehr Menschenleben gefordert als Hunger und Krankheit.

So sah es wohl auf einem Karolingischen Herrenhof um 800 n. Chr. aus: Freilichtmuseum Lauresham

 

Hier jetzt noch ein kleiner Ausflug zum Thema Arbeit:

die Seßhaftwerdung brachte die Notwendigkeit der regelmäßigen Arbeit mit sich. Wer im Frühjahr nicht sät, leidet ein Jahr lang Not.

Heute fahren Traktoren stolz mit dem Spruch "Landwirt: der wichtigste Beruf der Welt - wir machen euch alle satt!" herum, aber immer mehr Landwirte leiden unter Burnout-Syndrom. Obwohl der tägliche Umgang mit Vieh und Erde gesund erhält, machen hohe Belastung und niedrige Wertschätzung krank.

Denn unsere Gesellschaft hat eine perfide Eigenschaft: sie teilt sich auf in überbezahlte administrativ-verwaltende (schwarzer Schimmel, ich weiß) und unterbezahlte betreuend Tätige. Dazwischen versuchen die Produzierenden zu überleben.

Ein wunderbarer Lesetipp dazu: "Bullshit Jobs - vom wahren Sinn der Arbeit". David Gräber beschreibt darin anhand von Beispielen, warum sich Manager, Banker, Vorstände und Aufsichtsräte bei überdurchschnittlicher Bezahlung schlecht fühlen. Auf der anderen Seite gibt es die Pflegeberufe, die Bildungsberufe, die Landwirtschaft: durchweg unterbezahlt und unterbewertet. Je mehr eine Arbeit anderen nützt, desto schlechter wird sie bezahlt. Gräber stellt einen direkten Zusammenhang her zwischen Altruismus / Egoismus und Arbeitslohn.

Er führt als illustrierendes Beispiel eine Petition aus dem Jahre 1837 an, als in Massachusetts ein Gremium von Geschäftsleuten eine Transport-Gesellschaft mit begrenzter Haftung gründen wollte. Reisende Handwerksgesellen klagten dagegen: "sie freuten sich als reisende Gesellen, ihre eigenen Herren zu seien, und sie wollen den von ihnen geschaffenen Wert nicht anderen überlassen. Gesellschaften legen Mittel in die Hände unerfahrener Kapitalisten, mit denen sie uns die Profite unserer Kunst wegnehmen, die zu erwerben uns jahrelange Arbeit gekostet hat..." (Anm. 44, S. 451). Aber es kam anders: über die ehrliche Arbeit siegten Kapitalgesellschaften und Management.

Da bleibt uns doch nur, mit Stolz weiter daran zu arbeiten, daß es anderen besser geht. Wenn der Landwirt uns nicht satt machen würde, wenn die rumänische Pflegekraft uns nicht den ganzen Tag umsorgen würde, wenn Lehrende sich einen feuchten Dreck um unsere Bildung scheren würden, dann würde es irgendwann auch keine "Telefondesinfizierer"* mehr geben. So, wie es heute keine Landwirtschaft gäbe, wenn nicht irgendjemand irgenwann auf die Idee gekommen wäre, statt unverdaulichem Gras (ich weiß, das muß 'statt unverdaulichen Grases' heißen) die schmackhafte Ziege zu essen.

* "Filmproduzenten, Telefondesinfizierer, Frisöre, Unternehmensberater und Versicherungsvertreter" gehören laut 'Anhalter' (siehe Lesetipp) zum als überflüssig erachteten Drittel der Bevölkerung von Golgafrincham, das kurzerhand auf der Erde entsorgt wurde. Und dort haben wir sie jetzt...

Marieta Hiller, Oktober 2019

Info dazu:

  • Youtube Videoreihe "Landwirtschaft damals" vom Bundesinformationszentrum Landwirtschaft

  • GEO Epoche 'Steinzeit'

  • David Gräber, Bullshit Jobs - vom wahren Sinn der Arbeit, 2018 ISBN 978-3-608-98108-7

  • Douglas Adams, Per Anhalter durch die Galaxis - fünfbändige Trilogie 1981-1993
    1. Anhalter ISBN 3-453-14697-2
    2. Das Restaurant am Ende des Universums ISBN 3-453-14698-0
    3. Das Leben, das Universum und der ganze Rest ISBN 3-453-14605-0
    4. Macht’s gut, und danke für den Fisch ISBN 3-453-14606-9
    5. Einmal Rupert und zurück ISBN 3-453-08230-3
    plus Nr. 6 post mortem 2009: "Und übrigens noch was" ISBN 978-3-453-26640-7

Landwirtschaft vor 250 Jahren anhand der Karte des Felsberges von Johann Wilhelm Grimm

Bei einer Führung durch die Gadernheimer Fluren der Neunkircher Höhe im Jahr 2000 erläuterte Georg Grohrock, Geometer aus Gadernheim und inzwischen leider verstorben, interessierten Teilnehmern, welche Flächen vor 250 Jahren noch landwirtschaftlich genutzt wurden, die inzwischen vom Wald zurückerobert worden sind.