„Komm, setze dich zu mir. Es ist ein schlimmer Abend heute. Aller Sommer ist tot. ... Der Herbst sickert durch alle Fugen, geängstigt keucht die Kerze, riesige Schatten flattern an den Wänden.“

So beginnt das Buch Rodenstein von Werner Bergengruen (1892-1964), der eine Zeit seines Lebens in Lindenfels verbrachte und Odenwälder Sagen - vor allem gruselige - sammelte. Der Rodensteiner und das Wilde Heer faszinierte ihn besonders. Wenn ein Krieg sich ankündigte, so hörte man früher in der Nacht, als die Stuben noch von Kien und Kerzenlicht erhellt wurden, das Wilde Heer vom Schnellerts durch den Haalhof ziehen. Heute ruht im Wald zwischen Nieder- und Oberkainsbach still die Ruine der Schnellertsburg, und auf dem Haalhof rasseln allenfalls Kühe mit Ketten.

Burgenforscher Thomas Steinmetz stellte in Heft 3/2015 „Der Odenwald - Zeitschrift des Breuberg-Bundes“ einen neuen geschichtlichen Ansatz zum näheren Umfeld des Schnellertsberges vor. Dem Burgbau (- die Ruine wird zur Zeit von der Forschungsgemeinschaft Schnellert e.V. restauriert) gehe demnach der Erwerb fuldischer Lehen im Gersprenztal und Kainsbachtal durch die Schenken von Erbach voraus. Der Name Schnellerts rührt von der Snelhartswiese (hart= Wald). Der Haalhof unterhalb der Burg wurde früher Hausen genannt und ist ein erbach-fuldisches Lehen, er diente zusammen mit dem Erlenbacher Lehen in Ober-Kainsbach (Kuningisbach) und einem dritten Lehen im Wünschbachtal der Versorgung und Unterhaltung der Burgbewohner. Die Burg sollte für die Erbacher Schenken den rohstoffhaltigen Odenwald gegen den Zugriff anderer absichern.

Nach Dr. Wolfram Becher (meinem früheren Lateinlehrer, der sich immer umdrehen mußte wenn er mit uns schimpfte, weil er so grinsen mußte...) entstand die Burg 1391 als breubergisches Lehen. Dafür gibt es jedoch keine urkundlichen Belege. Thomas Steinmetz geht davon aus, daß die Burg bereits 1228 erbaut wurde wobei es möglicherweise ein „Schwarzbau“ war.

Die Forschungsgemeinschaft Schnellerts e.V. hat eine sehr informative Homepage mit der Historie, der Ruinenbeschreibung, der Wegbeschreibung, der Chronologie, den Mythen und Sagen, dem Museum und Aktuelles. www.schnellerts.de

So enden wir mit Werner Bergengruen:

„Heute ist Herbst. Frühling stürzt in Sommer, Sommer in Herbst, Herbst in Winter. In was kann der Winter stürmen, wenn nicht in den Tod? .. Lasse ihn stürmen, lasse ihn umreiten, den Unbeendeten."

Der Rodensteiner: mit einem Fluch belegt

Ein Fluch liegt auf dem Rodensteiner, der seit alten Zeiten als ruheloser Geist zwischen dem Schnellerts und dem Rodenstein hin- und herziehen muß. Denn er hat seine schwangere Frau so heftig gestoßen, so daß sie starb. Sie hatte ihn angefleht, nicht in den Kampf zu ziehen, doch er war kriegslüstern und wollte sich von ihr nicht aufhalten lassen. Und so zieht der Rodensteiner immer dann, wenn sich ein Krieg ankündigt, vom Schnellerts durch die Lüfte mit seinem wilden Heer zum Rodenstein. Das Kriegsende ist nahe, wenn das wilde Heer in der Gegenrichtung dahinrasselt. Die alte Sage berichtet uns zuerst vom fahrenden Schnellertsherrn, der das wilde Heer anführt. Ab 1770 spricht man auch vom Rodensteiner. In den Reichenberger Protokollen von 1742-1796 werden Auszug und Wiederkehr des wilden Heeres von mehreren Bewohnern des Gersprenztales zu Protokoll gegeben. Unter Angabe von Tag und Stunde soll das wilde Heer mit lautem Gebrause und Getöse zu hören gewesen sein, mit Hundegebell, Pferdegewieher und schlagenden Türen. Auch im 19. Jahrhundert wurden die Züge des Rodensteiners mehrfach erwähnt, und jedesmal befürchtete man den Ausbruch eines Krieges.

Das war nicht ganz unbegründet: denn Kriege beherrschten die Jahrhunderte auch im Odenwald, und es ist ein kostbares und unbezahlbares Privileg, daß wir heutzutage in einer seit über siebzig Jahren friedlichen Epoche leben dürfen.

Natürlich wurde die alte Sage von romantischen Dichtern gern und oft literarisch umgeprägt, man versuchte rationale und mythologische Erklärungen.

Erdstöße (wie sie ja in unserer Region nicht selten sind), Luftströmungen und Echoerscheinungen aufgrund besonderer topologischer Merkmale, Zugvögel wären solche rationale Erklärungsversuche. Mythologisch brachte man den Rodensteiner mit Wodan, dem Sturmgott, und seinem Hengst Sleipnir in Verbindung, der Schnellerts und Rodenstein seien heilige Orte der Germanen gewesen. Karl der Große, Dietrich von Bern und König Artus wurden später zu Anführern des wilden Heeres.

Aber das wilde Heer ist kein Alleinstellungsmerkmal für das Rodensteiner Land: im Harz, im Vogelsberg, in Thüringen und im Harz, in Schwaben und Franken gibt es Berichte über umherziehende Geisterheere. Denn diese Sage gehört zu den archaischen Bildern der Menschheit: Naturvölker in Sumatra, Nordamerika (Indianerstämme), Südafrika (Buschmänner) und im arabischen Raum kennen die Sage vom Zug des wilden Heeres.

Totenkulte mit dämonischem Charakter schufen einen Brauch, der vor allem in den Zwölfnächten (Rauhnächte 25.12.-6.1.) ausgeübt wurde: Man verkleidete sich als Krieger, Hunde und Pferde und zog mit großem Lärm tanzend* durch die Straßen. Kriegerbünde bildeten die Totenschar, und so entstand die Sage vom Vorhersagen der Kriege.

Perchten und Hollen im alemannischen Sprachraum erzählen davon, auch Bohlischbock und Belznickel im Odenwald. Dr. Wolfram Becher vermutet, daß sich die Sage gerade hier zwischen Schnellerts und Rodenstein entwickelte, weil es sich hier um eine politisch recht schwierige Wegstrecke auf alten Gebietsgrenzen handelt. Vom Schnellertsberg durch die Haal nach Brensbach und Fränkisch-Crumbach zum Rodenstein. Oftmals berichtet der Volksmund, daß das wilde Heer in der Küche beim Kochen oder in der Schmiede beim Beschlagen der Pferde angetroffen wurde.

Der Haalhof: mittendurch soll einst der Zug des Wilden Heeres gegangen sein...

 

Nicht immer kündete der Zug vom bevorstehenden Krieg: in manchen Regionen ist es ein Fruchtbarkeitszauber. Das Feld über das das wilde Heer zieht, wird im kommenden Jahr das fruchtbarste sein. Die Burg Rodenstein aber steht seit 1635 leer, der letzte Rodensteiner verstarb 1671. Er - Junker Hans III zu Rodenstein - war Vorbild für die Entstehung der hiesigen Sage vom wilden Heer.

*Nicht so viel Lärm, aber um so mehr Gruseleffekt hat der Brauch der Worzelbouze, Riewebouze oder Dickwurzfratzen. Man höhlte Dickwurz aus, schnitt ein gruseliges Gesicht hinein, steckte sie mit einer Kerze auf einen Stecken und zog damit in der Nacht zu Allerheiligen von Haus zu Haus, ließ die leuchtenden Fratzen durch die Fenster in die Stuben sehen. Man nannte die Bouze im Odenwald auch Deiwelskopp oder Rummelesbouz. Im "Rummeles" steckt das Wort Rumoren für Lärm machen. Denn die Buben in den Dörfern machten sich einen Spaß daraus, nicht zur die Bouze in die Fenster zu halten. Nein, sie machten dazu auch schaurige Geräusche, etwa indem sie eine Schnur spannten und mit Schuhkrem rieben (das Prinzip der Teufelsgeige). Oder sie bliesen auf dem Kamm.
Lesen Sie dazu auch: Rettet die Dickwurz! Und das Dialektsprechen!

Zwei Frauen - ein Ritter

Der eine schlug seine schwangere Frau tot und mußte für alle Zeiten wäwwern (spuken). Der andere soll gar zwei Frauen geheiratet haben: Philipp III von Rodenstein wird auf einem Denkmal in der Ev. Kirche Fränkisch-Crumbach mit zwei Gattinnen dargestellt.

"Einem Herrn von Rodenstein wurde die Zeit zu Hause allzulang, wie das den großen Herren oft geht; er nahm Abschied von seiner Frau und ging auf die Reise nach Jerusalem, wo die Türken das heilige Grab Jesu besitzen. Als er sah, wie diese die armen Pilger plagten, fing er Händel mit ihnen an und forderte sie mit einigen anderen Herren, die gleichen Sinnes wie er waren, zum Kampf heraus. ..."

Die Sage aus der Zeit der Kreuzzüge spinnt die Geschichte weiter: Kettenhaft bei den Türken, jahrelanges Schmachten, schließlich die Rettung in Gestalt der Tochter des Gefängniswärters.

Sie heiratete den Ritter und floh mit ihm in sein Vaterland. Der Rodensteiner mußte nicht lange überlegen, nahm die Tochter zur Frau und kehrte nach Rodenstein zurück. Dort angekommen, fand er seine erste Frau wohlauf und nicht allzu sehr vergrämt vor, und sie willigte auch gleich in den seltsamen Handel der menage à trois ein, sofern denn der Herr Pfarrer auch zustimme.

Dieser natürlich holte sich erst die Rückversicherung durch den Landesherrn, der die Sache so absonderlich fand daß er sie genehmigte. Und so lebten sie glücklich und zufrieden bis an ihr Ende: die Geschichte ist nicht ganz unbekannt, denn auch in den Märchen aus 1001 Nacht weiß Scheherazade von einer solchen Begebenheit zu erzählen. Beide Frauen aber, die Orientalin und die Rodensteinerin, wurden beste Freundinnen und man begrub sie nach ihrem Tod zu beiden Seiten Philipps des Dritten von Rodenstein.

Zu schön um wahr zu sein? Philipp III, *1544, heiratete 1566 Margarete von Habern. Sie erbauten das Herrenhaus in Fränkisch-Crumbach, wo sie lebten bis zum Ausbruch des 30jährigen Krieges. Das Herrenhaus brannte nieder, Margarete starb. Philipp heiratete danach Christine Schutzpar von Milchling, war also nacheinander und keinesfalls gleichzeitig mit zwei Frauen verheiratet. Philipp III führte übrigens die Reformation in Fränkisch-Crumbach ein, 1579 setzte er den lutherischen Pfarrer Johann Busch ein. Zuvor, unter Georg III bis 1563, war man katholisch.