Von Römern und Pfälzern, von (Rot)-welsch und Religionswechseln
Seit einigen Jahren melden sich Menschen zu Wort, die wir so eigentlich nie wieder hören wollten: sie berufen sich darauf Deutsche (Doitsche) zu sein, selbst der unerträgliche Begriff der "Überfremdung" fällt gelegentlich wieder. Da stellt sich die Frage: was eigentlich ist "deutsch"?
Nähern wir uns dieser Frage ganz harmlos über das Wissen, das uns in früher Kindheit ganz spielerisch vermittelt wurde: die Märchen. Märchen erzählt bekommen ist wichtig: es prägt fürs Leben, denn es vermittelt Werte ohne daß wir es merken. Märchen sind volkstümlich und harmlos - so meint man. Vor allem der urdeutsche Märchenschatz der Grimmschen Kinder- und Hausmärchen. Allgemein gilt ja die Überzeugung, daß die Brüder Jakob und Wilhelm Grimm in deutschen Bauernstuben unterwegs waren, um "dem Volk aufs Maul zu schauen" und sich von einfachen Leuten deren tradierte Geschichten erzählen zu lassen. Deutscher geht es ja gar nicht mehr!
Aber stimmt das auch? Der führende Grimmforscher Heinz Rölleke (Heinz Rölleke und Albert Schindehütte "Es war einmal - die wahren Märchen der Brüder Grimm und wer sie ihnen erzählte" Eichborn, Frankfurt 2011) stellte die Zuträger der Grimms zusammen. Diese waren Personen aus dem gehobenen Bürgertum oder dem Adel, die ihrerseits als Kinder von Ammen oder Bediensteten Märchen hörten. Die Ammen und Bediensteten aber stammen vielfach aus Frankreich. Insbesondere hugenottische Einflüsse finden sich daher in den meisten von den Brüder Grimm gesammelten Märchen. Peinlich ist nun, daß die Brüder Grimm gerade mit ihrer Märchensammlung ein Remedium (= Gegenmittel) gegen die Überfremdung (da ist es wieder, das böse Wort!) durch französische Kulturoffensiven während der Napoleon-Zeit schaffen wollten. So bezeichneten sie die beigetragenen Märchen der Dorothea Viehmann als "ächt hessisch" - Frau Viehmann war jedoch von hugenottischer Abkunft. Sie bezog ihre Märchenkenntnisse aus zwei Quellen: einmal aus der schriftlichen Tradition durch ihre Vorfahren aus Frankreich, Holland und Deutschland, und zum anderen aus den derben Geschichten der Fuhrknechte, die im Haus ihrer Eltern (der Gasthof Knallhütte bei Kassel) abstiegen.
Exkurs
Deutsche Sprache: ein Konglomerat aus germanischen, lateinischen, französischen, sächsischen Ursprüngen - die Brüder Grimm konstatierten unserer Sprache folgendes, als sie 1811 einen Rundbrief zum Zweck der Märchensammlung an Lehrer, Pfarrer und andere Bekannte verfaßten: "...machen wir zum Gesetz oder Anliegen, daß die Aufzeichnung in Mundart, Redensweise und Wendung des Erzählenden geschehe, selbst wo solche fehlerhaft und sich gegen die Regeln versündigend erscheinen, welche zum großen Glück unseres freien Sprachstammes selber noch keinmal festgestanden haben." Die Regeln unseres Sprachstammes haben noch keinmal festgestanden: leugnen die Grimms hier etwa die Sinnhaftigkeit von Grammatik und Sprachlehre? Ausgerechnet die Begründer der Germanistik?
Wahlheimat Odenwald - wer lebte hier seit dem Ende des 30jährigen Krieges?
Bei einem Vortrag des Geographen i.R. Dr. Peter W. Sattler gab es einige interessante Informationen über den Odenwald. Der Vortrag hieß “Wahlheimat Odenwald” und wurde bereits im Jahr 2003 gehalten. Doch die Inhalte sind und bleiben spannend, deshalb soll hier in aller Kürze einiges wiedergegeben werden.
Nach dem 30-jährigen Krieg (1618-1648) war der Odenwald fast menschenleer, in der Zeit danach war jeder Dritte Schweizer. In 2000 Jahren gab es im Odenwald mehr Auswanderer als Einwanderer, es war immer eine arme Gegend, die vorwiegend Köhlern, Pottaschensiedern, Sodaherstellern und Harzbrennern ihr Auskommen sicherte. In jenen notleidenden Zeiten galt Ein- wie Auswanderern der Wahlspruch „ubi bene ibi patria“ - “wo es gut ist, dort ist das Vaterland.” Für Vaterland kann heute der neutralere Begriff Heimat stehen, wobei Heimat sich weniger durch Geburt als vielmehr durch Wahl definiert.
Einheimische und Fremde wachsen zu einer kulturellen Einheit zusammen. Bereits die Römer trafen ein buntes Völkergemisch an, z.B. helvetische Kelten (ihnen verdanken z.B. Gersprenz und Weschnitz ihren Namen). Peter W. Sattler vertrat die These, niemand sei heutzutage reinrassig, dann schmunzelnd: “aber wir müssen die Nachkommen von Siegern sein, sonst gäbe es uns nicht”.
Ausprägungen der multikulturellen Einflüsse findet man in Brauchtum, Tracht, Handwerk, Liedgut, Bauweise und Wirtschaftsweise. Daß der Odenwald nicht viel hergab, war schon den Allemannen klar, denn sie haben den Limes nicht im Odenwald überrannt, sondern an den Flanken. Der Odenwald war unattraktiv, hier gab es nur Wald.
Auch die Römer hatten hier nur Hilfstruppen beschäftigt, keine Legionäre. Es gab jedoch auch Zeiten, zu denen Auswandern bei Strafe verboten war, denn die Untertanen brachten ihrer Herrschaft den Fron, den Zehnten ein. Der Landesherr bestimmte auch die Religion der Untertanen.
Bei einem Herrschaftswechsel gab es daher oft auch einen Religionswechsel. Die Reformation faßte zuerst 1522 in Kurpfalz Fuß. Olfen beispielsweise war lutherisch und gehörte damit zu Erbach, Wald-Michelbach dagegen war reformiert und gehörte zur Kurpfalz. Es gibt daher auch im Odenwald sogenannte “Pfälzer”, mit diesen sind aber die kurpfälzischen Orte im Odenwald gemeint.
Mit den Religionswechseln wurden aber immer einige Menschen gezwungen, weg zu wanderten, hauptsächlich Lehrer und Pfarrer. So kamen auch einige von ihnen aus anderen Regionen in den Odenwald.
Im gesamten Mittelalter kamen außerdem Bergbaufachleute und ihre Helfer in den Odenwald, möglicherweise betrieben schon die Römer und Kelten Bergbau. Im Lorscher Kodex (Entstehung ca von 1167 und 1190 in der Reichsabtei Lorsch) wird der Begriff “arezgrefte” erwähnt, was soviel wie Erzgruft bedeutet. Ferner erwähnt der Lorscher Kodex 877 Slawen, was allerdings möglicherweise Sklaven bedeutet, denn die Slawen haben laut Mößinger (Friedrich Mößinger, 1898 bis 1969, Realschullehrer in Michelstadt) den Bergbau erst von den Deutschen gelernt.
Vor 1578 wird die Einwanderung ungarischer und Tiroler Köhler, Kohlenknechte und Holzhauer erwähnt, außerdem kamen Hammerschmiede aus Tirol, der Schweiz, Thüringen, dem Erzgebirge und vielen anderen armen Gegenden.
Glasmacher, Köhler, Blaufärber: Berufe von Zuwanderern im Odenwald
Glasmacher aus dem Schwarzwald gründeten im 18. Jahrhundert Seidenbuch. Der Quarzsand für die Glasherstellung kam aus den Rieddünen oder aus dem Buntsandstein. Hier spielten die Lautertaler Fuhrleute eine große Rolle, denn Quarz und Pottasche mußten nach Seidenbuch transportiert werden. Die Glashütte brachte Brot und Arbeit für 100 Menschen, dies war Bedingung für die Erteilung des Regals (Privileg, von königlicher oder staatlicher Seite - leitet sich ab von lat. Rex = König) durch Kurfürst Karl Theodor von der Pfalz an den Betreiber.
Die Pfalzgrafen siedelten Wallonen in Schönau an, die dort unter anderem die Textilverarbeitung und Blaufärberei einführten. Aus all diesen zugewanderten Gruppen mußte schließlich das Land Hessen gebildet werden, und so ist es nicht verwunderlich, daß „Hesse“ keine eindeutige Herkunftsbezeichnung wie Bayer oder Schwabe ist.
Mannheim und Hanau sind hugenottische Neustädte
Ein paar Jahrhunderte zuvor, im Jahr 1546, kamen die ersten Hugenotten in den Odenwald. Die waldensische Bewegung, die auf das zwölfte Jahrhundert zurückgeht, deren Anhänger schon seit dieser Zeit Verfolgungen ausgesetzt waren, schloß sich 1532 der Reformation an. Vorwiegend in Frankreich ansässig, mußten die Waldenser spätestens nach dem Dekret von 1698 ins ausländische Exil. Bei evangelischen Fürsten fanden sie ebenso wie Tausende anderer Verfolgter, z.B. die Hugenotten, Aufnahme.
Mit ihrer Ansiedlung, die - durch Privilegien zum Teil erleichtert - auch umworben war, verbanden die deutschen Fürsten nicht selten eigene wirtschaftliche Interessen. Landgraf Ernst Ludwig ermöglichte 1699 knapp 400 Waldensern aus Pragela (Savoyen) auf seinen Hofgütern Rohrbach, Wembach und Hahn einen Neubeginn. Es gab zu dieser Zeit ganze Hugenotten-Neustädte, z.B. Hanau, Neu Isenburg, Mannheim oder Freudenstadt. Hugueneau heißt übrigens Eidgenosse und rührt von den Calvinisten her.
Dann kam der 30-jährige Krieg, und der Odenwald war nach 1648 fast menschenleer. Mossau hatte damals 0 Einwohner, Hüttenthal 2, Hiltersklingen 1 und Güttersbach 4, nicht nur durch den Krieg, auch die zu gleicher Zeit wütende Pest dezimierte die Bevölkerung stark. Sattler leitet aus dieser Tatsache ab, daß die Franken und Sachsen möglicherweise erst nach dieser Zeit in den Odenwald kamen, denn es sei ja nach 1648 kaum noch ein Mensch da gewesen, der sich an Ortsnamen u.ä. hätte erinnern können, die auf Sachsen und Franken hinwiesen.
Rotwelsch - die geheime Gaunersprache
Zu allen Zeiten gab es jedoch neben dem Zuzug in den Odenwald das Mißtrauen gegen alles Fremde. Als „Welsch“ wurde es bezeichnet, dieser Begriff stammt ursprünglich ab von “Gallisch”, stellt die germanische Bezeichnung für die Kelten dar und zielt hauptsächlich auf die westlich gelegenen Regionen.Das Wort Welsch lebt heute noch fort im Rotwelschen, der Gauner- und Vagantensprache.
Seit dem späten Mittelalter ist es bei Bettlern, fahrendem Volk, Vertretern sogenannter unehrlicher Berufe und in kriminellen Subkulturen in Gebrauch. Es half bei der Verständigung dieser Gruppen, ohne daß die Obrigkeit oder die Bürger etwas davon mitbekommen sollten. Seit dem 17. Jahrhundert finden Rotwelsch-Ausdrücke mit der Ansiedlung dieser Gruppen auch regionalsprachlichen Niederschlag.
Das Jenische (Sprache der Eingeweihten, von romani dzin = wissen), die Jaunersprache (von frühneuhochd. junen „spielen“ in der Bedeutung von Falschspielen) oder auch der “Kundenschall” (Kunde von Kundiger = Landstreicher, Schall = Gesang), also die Neuigkeiten aus Landfahrerkreisen sind gängige Ausprägungen des Rotwelschen. Einige auch bei “normalen” Bürgern allgemein gebräuchliche Wörter wie “ausbaldowern”, “Kohldampf”, “Schmuh” und “Bulle” für Polizist sind Rotwelsch.
Welsche Ausdrücke dagegen sind beispielsweise die “Fisematentchen” - das stammt nämlich von “Visitez ma tente” und war die Aufforderung französischer Soldaten an die Mädels zur Besichtigung der “Briefmarkensammlung”, und deshalb war der Spruch aller Mütter: “Fisematentchen gibts nicht!”
(Text M. Hiller; Quellen: Vortrag von Dr. Peter W. Sattler aus dem Jahr 2003, Wikipedia, Dr. Heinrich Tischner Bensheim)