Tischlein Deck Dich! Kulinarisches und Märchenhaftes...

Zwei Tage lang hörten wir im Duft eines reifen "Le Rustique" den Märchen und was es darüber zu wissen gibt zu, während der 22. Sagen- und Märchentage in Reichelsheim Ende Oktober 2017. Dazu muß man wissen, daß die Dekoration im historischen Saal in Reichelsheim zu den Sagen- und Märchentagen stets liebevoll und ganz aufs jeweilige Thema abgestimmt durch Carolin Colin hergerichtet wird. Und zum Thema "Tischlein Deck Dich" gehörte eben auch ein reifer Camembert...

Märchen: Brot für die Seele

Michaele Scherenberg: "Märchen muß man teilen wie das Brot"

Das Festmahl im Märchen

Ein Festmahl ist ein wichtiges Märchenelement, bei dem es entscheidende Neuigkeiten zu hören gibt, so zum Beispiel beim Froschkönig, beim Gestiefelten Kater oder im Märchen Die Rübe. Oder die Speise sorgt auf Reisen dafür daß der Märchenheld nicht hungrig zu Bett gehen muß, wie in den sieben Raben.
Fehlt die Speise, ist also die soziale Not groß, so muß sich auf die Suche begeben werden. Wie bei Hänsel und Gretel: sie ziehen aus dem Elternhaus aus, weil es eine Zeit großer Teuerung war und die Eltern kein Brot mehr hatten. Dies erläuterte Hans-Jörg Uther, Wildweibchenpreisträger 2017. In seinem Vortrag "Alle Tage Gebratenes und Gesottenes" ging es auch um Märchen, wo sich mehrere Figuren ihre Beute teilen: Wolf Bär Löwe und Fuchs - daher kommt der Begriff „Löwenanteil". Um Nahrungsdiebstahl geht es in vielen Fabeln, so vom Wolf, Fuchs, Bär und Raben. Mit Lügen, List, Schmeicheleien und Ausreden wird hier Essen ergaunert. Bei Frau Holle, der Jenseitshelferin, spielt das Essen eine wichtige Rolle und lehrt uns guten Umgang damit.

Schlaraffenland und Steckrübenwinter

Das beliebteste Märchen,wenn es ums Essen geht, ist aber sicher das Schlaraffenland. Ein unerreichbarer Ort unermeßlichen Überflusses, Utopia! Schon in der Antike und auch im Mittelalter gab es diesen geheimnisvollen Ort für Menschen, die hungern müssen oder in Sorge vor einer Hungersnot leben müssen. Das Schlaraffenland beeindruckt Kinder sehr stark: so malten 1943 in einer Schulklasse 30 Kinder ihr Lieblingsmärchen, und acht von ihnen malten das Schlaraffenland! Die Angst vor Hunger ist sehr tief verankert und gehört zu unseren Urängsten, sie ist archaisch. In der Nachkriegszeit mußte unsere Großelterngeneration Buchweizennudeln oder Steckrübengemüse essen, und immer wenn man von Bionudeln oder gesundem Eintopf anfing, schauten sie völlig entgeistert. Noch in mir wirkt die Ehrfurcht vor dem Essen nach, obwohl ich in einer Zeit lebe, die inzwischen über 70 Jahre Frieden hält. Es will mir nicht gelingen, Essen wegzuwerfen. Der Steckrübenwinter 1946-1947 hat sich wohl epigenetisch in uns verankert, er steckt uns noch immer in den Knochen. Essen werfen wir nicht weg.
Unerreichbar muß ein solcher Ort sein: im süßen Brei heißt es „und wer wieder in die Stadt wollte mußte sich durchessen".

Fleiß und Arbeit sind ein Lebensmittel - aber umgekehrt gilt auch: "wie die Verpflegung so die Bewegung", und "wie einer ißt so schafft er auch".
In deutschen Märchen gab es meist karges Brot, die Märchen der Romania und des Orients tischen opulenter auf.

Leben in der Küche, schlafen in der Asche: märchenhafte Frauenleben?

Um "Frauen Küche Kochen" in den Märchen der Brüder Grimm ging es im Vortrag von Sabine Schimma von der Grimm-Welt Kassel. Zaubermärchen täuschen über den Status Arm oder Reich hinweg, über das reale karge Leben. Essen hat in den Kinder und Hausmärchen der Brüder Grimm psychologische und symbolische Bedeutung.

Dorothea Wild, spätere Frau von Wilhelm Grimm, hatte eine Rezeptsammlung mit 394 Rezepten, davon waren zwei Drittel Süßspeisen. Hierin spiegelt sich die Zeit der Romantik und des Biedermeier. Ihre Sammlung war etwas ganz Neues für ihre Zeit: deutsche Küche! Vorher wurde nur italienische und französische Küche des Niederschreibens für wert gehalten.

Die Küche geriet in den öffentlichen Blick in der Gesellschaft und auch im Märchen. Dorothea Wild notierte Rezepte für die Resteküche, aber auch internationale Leckereien, immer mit Datum und Fundort inkl. Haushaltstipps. So machte sie eine creme brulê mit dem Bügeleisen, statt zu flambieren. Früher waren die Koch- und Backzeiten viel länger, da man nur Holzöfen hatte. Und alles war sehr kalorienreich.