Mühlengeschichten von früher und heut

Mühlen waren oftmals Keimzelle von Dörfern. Doch zugleich waren sie unheimliche Orte voller eigenartiger Geräusche, sie führten ein geheimnisvolles Eigenleben, und der Müller war oft ein zwielichtiger Bursche...

Eine geheimnisvolle Höllenmaschine?

Seit Menschen seßhaft wurden, leben sie von Getreide, das gemahlen werden muß. Es gibt Getreidemühlen, Ölmühlen, Schneidmühlen und noch einige mehr. Und Märchen ranken sich um die alten Mühlen...

Historische Mühlen: Ausgangspunkt für industrielle Großunternehmen

Hinter vielen Industriebetrieben verbirgt sich ein alter Mühlenstandort: so war das Pirelli-Werk in Sandbach einst eine Ölmühle. Aus ehemaligen Lohmühlen werden Textilfabriken, und wo heute vielleicht ein idyllischer See im Odenwald blinkt, lag früher unterhalb eine Hammermühle, um Erz zu klopfen. Unterhalb des Marbach-Stausees liegt das alte Fabrikgelände von Marbach Elektrik, verkehrsgünstig an der Kreuzung B 45 und B 460 gelegen, in Steinbach, Rehbach und Asselbrunn liegen Teiche, die früher den Hammer in Michelstadt versorgten. Hier stellte neben der Straßenverbindung B 45 und B 47 die Mümling den wichtigsten Transportweg dar.

Früher gab es im Odenwald eine Vielzahl an Mühlen, zu denen die Bauern ihr Korn zum Mahlen trugen. Heute belächelt man noch bestehende Kleinmühlen gern als 'alternativ', doch zu ihrer Zeit arbeiteten sie durchaus effektiv und es erforderte klare gesetzliche Regelungen in bezug auf Wasserrechte und ordentliches Maßhalten. Denn in der Mühle ging es nicht mit rechten Dingen zu, so berichten alte Schauermärchen. Neid und Mißtrauen dem Müller gegenüber herrschten unter den Bauern, man unterstellte der Müllersfamilie Zauberei und Hexerei, weil in der Mühle - so der Volksglaube - ein Mehrwert (die Abgabe fürs Mahlen) geschaffen wurde ohne eigenen Schweiß. Weitverbreitet war dagegen auch die Vorstellung, daß in einer gutgeführten Mühle die Heinzelmännchen zugange waren. Der Neid zeigt, daß es dem Müller meist gutging. Die Müllersfamilie fand ihr Auskommen durch das Molter: das ist das Maß für den Mehlanteil, den der Müller selbst behalten durfte, ein Sechzehntel des angelieferten Mahlgutes.

Unheimlich war es in der Mühle: wie von Geisterhand bewegen sich drin Mechanismen, es knarrt und stöhnt im Gebälk, gewaltige Kräfte sind am Wirken. Hinein in ein undurchschaubares Gewirr von He-beln, Wellen, Kurbeln, Trichtern und geheimnisvollen Kästen schickt der Müller das Getreide, das der Bauer zuvor im Schweiße seines Angesichtes gesät, gepflegt, geerntet, gedroschen und gelesen hat. Auf Nimmerwiedersehen verschwindet es im Getriebe der Mühle, und was herauskommt, ist ein winziges Quantum Mehl, gemessen an der Menge des ursprünglichen Getreides. Wo aber ist der Rest geblieben? Hat ihn die Höllenmaschine verschlungen? Hat ihn der Müller abgezweigt? Ja, hat der Müller gar heimlich Schwerspatmehl unter das Getreidemehl gemischt und noch mehr des kostbaren Lebensmittels für sich behalten? Die Mühle war in der bäuerlichen Gesellschaft die einzige Einrichtung, die nicht in jedem Bauernhaus vorhanden war, alle anderen Verrichtungen konnten in Selbstversorgung vorgenommen werden. Sein Getreide aber mußte der Bauer zum Mahlen fremd vergeben. Eine Getreidemühle konnte ungefähr 100 Seelen versorgen.

Ein Mühlenmärchen: Das Geheimnis der alten Mühle

Mühlentechnik einst und jetzt - Der Mühlstein: je teurer, desto länger scharf

Das Herz der Mühle ist der Mühlstein. Nahmen die Müller oder die Mühlärzte Odenwälder Bunt-Sandstein, so mußte der Stein etwa alle vier Wochen nachgeschärft werden. Besser geeignet war der Jonsdorfer Sinter-Sandstein aus dem Zittauer Gebirge, er blieb 8-12 Wochen scharf, und Gneis hielt sogar 12-16 Wochen seine Mahlschärfe. Am dauerhaftesten ist Basalt-Lava (z.B. aus der Eifel), die nur alle Jahre geschärft werden muß, oder der Franzosen- oder champagnerstein (Quarz), der mehrere Jahre scharf bleibt. Seinen Namen erhielt dieser Quarz nach seiner Herkunft, der Champagne.

Mit der Bille oder Picke, einem langstieligen Hammer mit einem pickelförmigen Eisen (gefunden in Michelstadt, alte Mühle Kellerei) wurde seit Mitte 19 Jh. in Handarbeit nachgeschliffen. Der Furchen- und Flächenhammer sorgte für den Feinschliff beim Schärfen. 

Mühlordnungen wie z.B. die Erbacher Mühlordnung von 1769 regeln genau, wie Mühle, Wasserantrieb und Mahlwerk auszusehen hatten, alles wurde vom Mühlbeschauer begutachtet.

Mühlen allerorten

Nach einer Mühlenzählung im Jahre 1907 gab es im damaligen Deutschen Reich noch etwa 44.000 Wasser- und Windmühlen mit ca. 74600 Mahlgängen.
In Köln mußten im 14./15. Jahrhundert 70.000 Malter (zu je 138 ltr) Getreide gemahlen werden, das sind 7000-8000 Tonnen Getreide oder 10000 Wagenladungen (Ochsengespanne) zu je 700 kg. Dahinter verbirgt sich nicht zuletzt auch ein gigantisches Versorgungsproblem.
Die Kainsbacher Mühle (Kainsbach / Odenwald) hatte eine Leistung von 6-8k W oder 10 PS, was an Mahlleistung etwa 25kg pro Stunde oder 500 kg pro Tag einschließlich der Stillstandzeiten bedeutete. Im Monat wurden 12.500 kg Mehl gemahlen, pro Jahr sind das 125.000-135.000 kg Mehl. Dafür mußten 150.000 kg Korn eingesetzt werden. Heute mahlen industrielle Großmühlen gut ihre 12.000 kg pro Stunde! 

Schon das 19. Jahrhundert läutete für die Wassermühlen das Ende ein: neue Großmühlen mit hochtechnischer Einrichtung, günstig an Verkehrswegen (Fluß oder Bahn) gelegen, lösten sie ab. Die Müller der Kleinmühlen versuchten mit der Entwicklung Schritt zu halten, sie übernahmen neue Techniken, bauten Wasserräder mit höherem Wirkungsgrad und Turbinen ein, stiegen von Holz auf Gußeisen um, Dampfmaschine und Elektromotor hielten Einzug. Doch der Niedergang ließ sich nicht aufhalten.

Was die Mühlen an Getreide mahlen mußten

Heute brauchen wir etwa 250 kg Getreide (ahd gitregidi - lat frumentum) pro Kopf und Jahr. Das sind etwa 70% unseres Kalorienbedarfs. Im Mittelalter erbrachte die Landwirtschaft einen wesentlich geringeren Ernteertrag, das Getreide war anfällig gegen Pilzerkrankungen und Unkraut, ernsthafte Hungersnöte waren fast an der Tagesordnung. Das Getreide stand auf hohen Halmen, und es herrschte ständiger Düngermangel, auch ohne Kunstdünger. Ursprüngliche Getreidesorten sind Hirse, später Emmer, Einkorn, Dinkel, dann folgten Roggen und heute haben wir Weizen, Hafer und Gerste. Weizen macht heute 90% des gesamten Getreideanbaues aus, dicht gefolgt vom Mais. 

Seit im 14. Jahrhundert die Dreifelderwirtschaft mit Wintergetreide, Sommergetreide und Brache eingeführt wurde, stiegen die Erträge deutlich an. Doch noch immer litt der Landbau unter großen Problemen: Zu viel Feuchtigkeit führte zu Gärung oder Keimung, der Weizen konnte Schmierbrand und der Roggen Mutterkorn bekommen.

Meist wurde das Getreide geschrotet oder gemahlen und als Grütze, Brei, Fladen oder Brot verzehrt.

Das Molter: noch viel undurchschaubarer als das Malter

Im Gegensatz zum Malter gab es noch das Molter: das ist der Naturallohn des Müllers, und dieser war immer wieder Streitgegenstand. Der 16. Teil des Mahlgutes, also 6,25 % der gemahlenen Nettomenge standen dem Müller zu. Doch niemand wußte, wieviel er wirklich in seinen Mehlkasten abzweigte. Dem Müller konnte man nicht trauen. Neben dem Müller gab es noch weitere unehrenhafte Berufe im Mittelalter: Bader, Schornsteinfeger, Leinenweber, Henker und Müller durften im Ort keine Ämter übernehmen, gehörten nicht zur der Ständeordnung und waren nicht zunftfähig. Erst im ins ausgehenden 16. Jahrhundert änderte sich das allmählich. Die Bauern sagten den Müllern Betrügereien und dunkle Geschäftspraktiken nach, zum einen aufgrund des Naturallohnes, der ausschließlich vom Müller errechnet wurde, zum anderen natürlich aufgrund der für die Bauern undurchschaubaren und deshalb unheimlichen Nutzung von Wasser oder Windkraft, die die Mühle auch schon einmal des Nachts rumpeln ließ.

Getreidemaße: kein transparenter Markt...

Das Molter ist ds Maß für den Eigenanteil des Müllers. Das Malter dagegen ist ein Hohlmaß für Schüttgut, in dem Getreide gemessen wurde. Die Maße waren nicht einheitlich. Jedes Dorf hatte oftmals sein eigenes Maß für ein Malter, manchmal gab es auch noch ein großes und ein kleines Malter, und es kam darauf an, ob gestrichen oder gehäuft gemessen wurde und um welche Getreideart es sich handelte, ob es glatte oder rauhe Frucht war, ...

Ein Malter enthielt in Mainz 109,387 Liter, in Leipzig dagegen bis 1287 Liter in Leipzig. Genau ein Hektoliter enthielt das Nassauer Malter in Wiesbaden.
Ein Malter konnte aus vier Scheffel und 16 Metzen bestehen wie in Mühlhausen, oder aus 6 Scheffel wie in Münden. In Gotha hatte ein Malter nur zwei Scheffel. 32 Diethäuflein bildeten in Nürnberg 16 Metzen oder ein altes Malter oder aber 128 Maß. In modernem Maß entsprach es 167,1 Liter.

Warum man Hohlmaße braucht: ist das Getreide feucht, wiegt es mehr als trockenes. Füllt man es aber in ein Hohlmaß, so nimmt es immer den gleichen Platz ein.
Weitere Hohlmaße: ein Ohm = 160 Liter, ein Simmer = 32 Liter, wobei das von Ort zu Ort unterschiedlich sein konnte.

 

Glattes und rauhes Getreide...

Buchweizen oder Haarekorn (Heidekorn) muß nicht gemahlen werden Hafer - für Pferd und Mensch ein Genuß  Gerste - nicht nur für Gebäck, sondern auch für Bier unerläßlich Weizen - das Basisgetreide heutzutage

 

Müller-Dichtkunst

Raden, Trespen, Quecken und Wasserwicken
sollt ihr nicht zur Mühle schicken.
Wenn das Korn wird rein sein,
wird das Mehl auch fein sein

Die beste Frucht der Erde
bringt man uns ins Haus
damit gemahlen werde
ein feines Mehl daraus

Das Müllerhandwerk ist von Gott gegeben
doch das Mahlen bei Nacht
und das Schleifen der Stein
das hat der Teufel erdacht

Das Metzen und das Kehren
das ist des Müllers Pflicht
Wer aber das Metzen und das Kehren vergißt
ist nicht wert daß er des Müllers Brot noch ißt.

   Aus der Mühle Friedersdorf bei Löbau


Mühlen-Sprüche

"An einer Mühle ist das Beste, daß die Säcke nicht reden können" - das drückt das Mißtrauen der Bauern dem Müller gegenüber aus. Denn "Neben jeder Mühle steht ein Sandberg" - mit Sand oder Kalk wurde das Mehl gestreckt, auch Schwerspat wurde wohl gern beigemischt, der brachte besonders viel Gewicht auf kleinem Raum. Ob die Spurenelemente und Heilerdeanteile unser tägliches Brot in früherer Zeit gesünder oder schädlicher machte, sei dahingestellt. 

Der Müller unterhielt im Volksglauben eine Verbindung zu bösen Geistern, denn schließlich konnte er das "Wetter voraussehen". Zudem standen die Mühlen oft abseits der Ortschaften an Wasserläufen und wurden so bevorzugt zum Schauplatz von Raub und Mordtaten.

Der Müller und die Mühle durch die Jahrhunderte

Erst Ende 16. Jh wurde das Zunftrecht eingeführt, doch noch bis 1700 mußten die Müller als Auflage beim Errichten der Galgen helfen. Später, im 17./18. Jahrhundert, wandelte sich das Bild: der Müller sorgte für ausreichende Grundnahrungsmittel.

Heute umfaßt das Berufsbild Müller die Bereiche Mühlentechnik, Schlosserei, Schreinerei, Zimmerei. Der Müller ist zugleich Steinmetz und Ernährungssachverständiger. Das Müllerhandwerk wurde zum Lehrberuf, nach etlichen Wanderjahren konnte der Geselle Meister werden, und seit der frühen Neuzeit endlich sind Müller und Mühle hochangesehen.

Im Jahr 1660 sah die Vorschrift zur Meisterprüfung vor, daß ein "Müller, wenn er Meister werden will, soll zum Meisterstück ein oberschlechtig Wasserrad bauen, das Kamprad neu kämmen, eine Haue inn Mühlstein einsenken, das Getriebe vorstellen, die Mühle auf drei Teile fassen und solche untadelhaft gangbar machen".

Marieta Hiller, 2015