"Geh mir fort mit dem braunen Zeug!" bekam ich früher immer zu hören, wenn ich davon sprach, wie gesund und lecker Vollkornnudeln sind. Bio? Gab es schlicht nicht.
Meine Großmutter kochte noch bodenständig: was es regional und saisonal eben gab. Meist waren das Salzkartoffeln mit Mehlschwitzgemüse und Fleisch. Unsere Elterngeneration aber fuhr auf Maggi & Co. ab, auf Convenienceprodukte. Man muß dazu wissen, daß sich die Menschen im eiskalten Nachkriegswinter 1946/47, dem sogenannten Steckrübenwinter, von nicht viel mehr als Steckrüben ernähren konnten. Dazu gab es - mit etwas Glück - Zichorienkaffee, auch Blümchenkaffee genannt.
Kriege waren immer wieder der Grund für Hungerjahre
Vergangene Jahrhunderte sind geprägt von wiederkehrenden Hungersnöten, denn wohl noch nie gab es eine so lange Zeit des Friedens wie jetzt. Doch auch das Wetter sorgte oft für Ernteausfälle, und Mensch und Vieh hungerten.
Nach Einführung der Kartoffel wurden witterungsbedingte Hungersnöte seltener. Der Kartoffelanbau verbreitete sich im 18. Jahrhundert zunächst zögernd. Dann aber zeigte es sich, daß der Odenwald durch Klima und Bodenbeschaffenheit ein hervorragendes Anbaugebiet für dieses Knollengewächs war. Doch seit die Landwirtschaft einen tiefgreifenden Strukturwandel erfuhr und seit die Supermarktregale Kartoffeln aus aller Herren Länder präsentieren, ist der Kartoffelanbau im Odenwald unrentabel geworden. Baut man sie trotzdem an, werden sie sehr gut und schmackhaft!
Die Gruppe Dorf im Wandel* baut im dritten Jahr eigene Kartoffeln an, es wird gemeinsam von Hand gesteckt, gejätet und geerntet. Das macht Spaß, man ist in der frischen Luft, hat Bewegung und ein gutes naturbelassenes Lebensmittel. Die Kartoffel wird im Frühjahr gesteckt, doch gibt es eine Redensart: „Steckt ihr mich im April, kumm ich wann ich will, Steckt ihr mich im Mai, kumm ich glei.“
Die Pflege der Kartoffelfelder ohne Maschinen war sehr zeitaufwendig. Die Kinder bekamen Kartoffelferien, um bei der Ernte zu helfen. Mit Hacken und Körben wurden die Kartoffelreihen abgeerntet. Man blieb den ganzen Tag auf dem Feld, setzte sich zur Rast auf umgestülpte Körbe oder auf den Boden, dann gab es Malzkaffee und Butterbrot. Am Ende trug man das Kartoffelkraut auf einen Haufen und zündete es an. In der würzigen Glut röstete man dann die Kartoffeln mit der Schale. Erst wenn sie außen ganz schwarz waren, brach man die Schale auf und holte das Weiße vorsichtig heraus. Ein lustiger Spruch geht so: am besten ist das zwischen dem Rohen und dem Verbrannten. Ein besonderer Genuß dazu war Salz, einfach aus der Jackentasche darübergestreut. Was früher harte Arbeit war, auch für die Kinder, hat heutzutage als „Kartoffelferien“ Erlebnischarakter bekommen.
Im Odenwald baute man zeitweise rote Kartoffeln an, sie sind besonders robust. Doch die weiße Kartoffel wurde beliebter und verdrängte die Rote. Erst in den letzten Jahren hat man sie wiederentdeckt und baut sie jetzt im Odenwald auch wieder häufiger an, zumals sie als festkochend und besonders schmackhaft gilt.
Der Stolz einer jeden Hausfrau war es, die Kartoffel immer abwechslungsreicher auf den Tisch zu bringen. So sammelten sich in den Rezeptsammlungen der Odenwälder im Laufe der Jahre immer mehr Kartoffelrezepte.
300 kg beste Kartoffeln für sechs Familien holte "Dorf-im-Wandel" 2015 aus dem Boden
Marieta Hiller, Januar 2018