Es stand im Durchblick im Jahr 1996: Gastronomie früher und heute...
Auf dem Felsberg im Odenwald fand sich bei den Recherchen für das Kochbuch "Dibbezauber" ein alter Zeitungsausschnitt: es geht um das Stenographenfest auf dem Felsberg am 3. Juli 1892 und die Einweihung der Gabelsberger Eiche.
"Unser Berichterstatter schreibt uns hierüber Folgendes. Die beiden Stenographenvereine Bensheim und Heppenheim, Arm im Arm, hatten für den gestrigen Sonntag einen gemeinschaftlichen Spaziergang mit Familien in Aussicht genommen und hierzu die benachbarten und entfernteren Vereine von Mannheim, Weinheim, Ludwigshafen bis Mainz, Frankfurt, Offenbach, Hanau, Aschaffenburg eingeladen."
Über Schönberg und Fürstenlager ging es mit einer Musikkapelle zum Felsberg:
"In stattlichem Zuge, wohl etwas über 300 Personen, Männlein und Weiblein, ging es durch Bensheim... ins Fürstenlager. Die Sonne hatte es bisher recht gut gemeint, d.h. Ströme von Schweiß uns entlockt, dennoch war es ihr nicht möglich den Humor zu vertreiben. ... Die Beschreibung des Aufstiegs werden wir dem Leser erlassen. Ich hatte soviel mit der Schwerkraft zu thun, daß ich mich um nichts weiter bekümmern konnte. Also endlich tauchten die gastlichen Dächer des Haberkorn'schen Gasthauses auf der Bildfläche auf und mit stenographischer Geschwindigkeit warfen sich die Colonnen auf das nun erreichte Ziel. Soviel mir bekannt, sollte für ca. 200 Personen Mittagessen bestellt sein, doch durch Zuzug von allen Richtungen der Windrose stellten sich wohl 600 hungrige Mägen ein. Gegen diesen Ansturm hatte sich der brave Haberkorn mit seiner kleinen Küchenarmee zu wehren. Es wird mir daher jeder unbefangene, billig denkende Theilnehmer Recht geben, wenn ich sage: 'der Wirth hat das Schlachtfeld siegreich behauptet'. Alle, alle sind gesättigt worden. ... Herr Häuser - Bensheim setzte sich nun wieder an die Spitze des Zuges à la Moses, um denselben trockenen Fußes in das Felsenmeer und dann an die Riesensäule zu führen...."
Vorratshaltung und Improvisationstalent
Zu Zeiten, als es noch kein Fernsehen gab, pflegte man noch wesentlich stärker Vereinsaktivitäten, und Massenausflüge wie der oben Beschriebene waren gang und gäbe. Auch zeigt der Bericht, daß ausgiebige Wanderungen im Odenwald soviel Hunger und Durst machten, daß etliche Gasthäuser damit einen guten Stand hatten. Heute fragt man sich, wie der Haberkornwirt es nur fertiggebracht hat, 600 statt 200 gemeldeter Wanderer zu verköstigen.
Es hängt wohl mit der früheren Vorratshaltung zusammen (ohne Kühltruhe und Vollkonserven versteht sich). Die Speisekammer mußte zu diesem Anlaß eben geplündert werden: Schinken, Hausmacher Wurst, eingemachtes Fleisch, sauer eingelegtes Gemüse, Frischgemüse aus dem Garten, Lagerkartoffeln - einfach alles mußte zur Verköstigung der Hungrigen herhalten. Wirt und 'Küchenarmee' sind vermutlich nach diesem Ansturm ebenso zusammengebrochen wie die Lagerbestände, aber die Aufgabe wurde erfolgreich bewältigt!
Marieta Hiller