Utopie: was ist das? Übersetzt bedeutet es Nicht-Ort, und darum geht es im Roman von Julia Scales aus Reichenbach - oder? Unter dem Motto "Steinzeit 2.0 – eine neue Chance für die Menschheit" erschien jetzt Band 1 des auf 5 Bände ausgelegten Romans. Kann der Mensch gut sein? Was ist gut? Zu wessen Vorteil? Und wer entscheidet das? Ist Basisdemokratie möglich, und kann die Menschheit "beim nächsten Mal alles richtig machen"? Einzigartige Eigenschaft des Menschen ist es, vorsätzlich böse sein zu können, aber auch: die Wahl zwischen gut und böse zu haben.

Julia Scales mit ihrem Buch Gaya

 

Interessant im 1. Band ist der zentrale Glaubenssatz: ein Brief, den der Schöpfer von Expedition, Raumschiff und Ziel der kleinen Bordgesellschaft hinterlegt hat. Er hat auch für eine Bordbibliothek gesorgt, eine selektive allerdings, die quasi die freie Entscheidung der Besatzung amputiert. Alles zum Thema Rassismus fehlt. Der große Schöpfer kommt natürlich nicht mit auf die Expedition und hat ab Raumschiff-Start keinen Einfluß mehr auf sein Experiment. Das führt die Besatzung allein auf sich gestellt durch, das "Auge Gottes" über der Gaya-Siedlergruppe fehlt.

Julia Scales hat Kulturanthropologie, Geschichte und Soziologie studiert, ihr Vater ist Astrophysiker. Und Schriftstellerin wollte sie schon immer werden. Also mußte das ja so kommen: Gaya ist ihr erster Roman. Die Idee ist schon 13 Jahre alt, und nun hat sie die Zeit gefunden sie auszuarbeiten. Es geht um Klimawandel, Kapitalismus, Konsum, Systemveränderung, Neuanfang ohne fossile Brennstoffe, eine fortschrittliche Form menschlichen Zusammenlebens, Selbstorganisation... Die Besatzung des Raumschiffes, die den fernen Planeten Gaya besiedelt, wurde sorgfältig ausgewählt und geschult, und sie soll auf Gaya möglichst keine Beeinflussung des Ökosystems hervorrufen - was natürlich schon am ersten Tag schiefgeht. "Denkt daran: ihr dürft die Fehler der Menschheit nicht wiederholen!" gab der Schöpfer, Professor Haakon Lindsten, den Siedlern mit auf den Weg. Aber was sind eigentlich die Fehler der Menschheit? Wer hätte die Position, dies zu beurteilen? Aus unserer realen Perspektive läßt sich diese Frage nämlich nicht klären.

Sehnsüchtig geht der Blick aus der realen Welt mit echten Menschen zurück ins Buch: und wäre das nicht so interessant geschrieben, daran könnte man an der Welt verzweifeln. Und so taucht man gerne wieder ein in die Gaya-Welt wie in ein modernes Märchen: in eine Welt weit weit weg von unserer, zu einer Zeit lange nach unserer, mit Personen die so völlig anders als wir sind - ein Traum. "Edel sei der Mensch, hilfreich und gut" - mit diesem Spruch vom ollen Goethe kann man sich auf die folgenden Bände von Gaya freuen, wenn schon auf sonst nicht viel...

M. Hiller

Julia Scales: GAYA - historischer Zukunftsroman Band 1, 2019, ISBN 978-3-7537-5928-3