Dort, wo 1747 in einem einzigen Jahr die neue Kirche erbaut wurde, stand zuvor eine alte Kirche, die um 1430 erbaut worden war. Diese Vorgängerkirche war katholisch (1430-1747), die Reformation kam erst später in den Odenwald. Die "neue" Kirche mit ihren roten Kanten aus Sandstein aus dem östlichen Odenwald präsentiert sich als wichtiges Gotteshaus der damaligen Zeit: sie ist die erste große Kirche, wenn man aus Westen kommt: eigentlich ist sie für Reichenbach zu groß. Ihre Mauern sind 1,2 m dick und aus Granit gebaut.

Es gibt keine Bauunterlagen, doch ist ihr Turm (34,46m hoch) etwas schief, wie sich herausstellte, als der Foto Amateur Club Reichenbach (FAC) bei der Vermessung herausfand. Dennoch ist die Kirche auf 5 cm genau gebaut und bei dieser Größe als Hallenkirche ohne tragende Säulen eine architektonische Meisterleistung.
Die neue Ev. Kirche hat kein Patronat und verfügt nicht über eine Sakristei. Auf der Kanzel über dem Altar zeigt sich der gute Hirte mit seiner Stabschaufel zum Ausgraben giftiger Kräuter. Rechts des Altars befindet sich der Pfarrerstuhl, links der Fürstenstuhl (hinter Gittern). Das Allianzwappen der Fürsten Schönberg Battenberg ziert die Kirche.

Bei Restaurierungsarbeiten an der Evangelischen Kirche im Jahr 2000 entdeckte man eine fantasievolle Bemalung der Deckensegmente zwischen den Balken.
Etwa 1,5m unter der bis dahin verborgenen Decke in der Evangelischen Kirche Reichenbach wurde ein Gerüst eingezogen, um die wunderschöne Bemalung aufzufrischen.
Die - jetzt - Evangelische Kirche Reichenbach, die übrigens exakt auf der - natürlich längst verschwundenen - Quarzader steht, die als Reichenbacher Gold bekannt ist, war 1749 eingeweiht worden.

Eine Kletterpartie auf dem Gerüst unter der bislang verborgenen Decke präsentierte mir zahllose florale Motive, eine Eule, eine Ente, einen Igel...

 

Zu ihrem 250. Geburtstag im Jahr 1998 sollte sie von Grund auf renoviert werden und in neuem Glanz erstrahlen. Doch daraus wurde nicht gleich etwas, denn - wie Pfarrer Gattermann meinte: "gut Ding will Weile haben".

Das ehrwürdige Alter des Gotteshauses erforderte eine gründliche Sanierung. Gebäude, Statik, Glockengeläut, elektrische Anlagen und neue Fenster im Glockenturm waren fällig, auch gegen den Holzwurm mußte vorgegangen werden.

links: ältere Deckenbemalung von 1870, rechts üppige Ornamentik von 1910

 

Das kostete viel Geld und auch Zeit, und der Kirchenvorstand bat in einem Spendenrundbrief um finanzielle Unterstützung.

Bei den Renovierungsarbeiten kam dann der verborgene Schatz zum Vorschein: wunderschöne Deckenbemalungen aus dem Jahr 1910 von Kunstmaler Amann aus Bensheim. Ihre Restaurierung nahm weitere Finanzmittel in Anspruch, auch die Deckenbalken und die kunstvoll gedrechselten Verzierungen wurden durch die Reichenbacher Schreinerei Mink erneuert.

 

Ente im Deckengemälde

 

Pfarrer Gattermann erklärte: daß eine festlich geschmückte Kirche der Ehre und dem Lobpreis Gottes dient und somit finanzielle Opfer rechtfertigt. Das Landesdenkmalscchutzamt stellte keine Mittel zur Verfügung, und die Landeskirche gewährte nur begrenzte Zuschüsse. Der Spendenaufruf war erfolgreich, denn seit vielen Jahren zeigt sich die Evangelische Kirche Reichenbach wieder als Schmuckstück, wie Architekt Karl Schattenfroh es versprochen hatte.

Eule in der Bemalung

Amsel in der Deckenbemalung

Die alte Kath. Kirche St. Andreas stand genau dort, wo heute die Ev. Kirche steht. Sie hatte einen zentralen Turm und stand mitten im Gräberfeld. Das Kirchenschiff war ziemlich genau in Richtung der uralten Quarzader "Reichenbacher Gold" ausgerichtet - lesen Sie dazu auch Das Reichenbacher Gold und Die Grimmkarte von 1763 mit Legende und Johann Wilhelm Grimm: unbekannte Grabstätte

 
M. Hiller, Bericht im Durchblick Mai 2000

Was es mit den vier Evangelisten auf sich hat

Die vier Evangelisten haben im Neuen Testament das Leben Jesu niedergeschrieben. Das Wort Evangelium kommt aus dem Griechischen und bedeutet „frohe Botschaft“. In Kirchen findet man die Evangelisten seit dem 4. Jahrhundert oft mit ihren Symbolen dargestellt, doch haben sie uralte Wurzeln: schon in der babylonischen Mythologie, lange vor dem Christentum, gab es vier männliche Planetengötter mit auffälligen Ähnlichkeiten. 
 
Die vier Evangelisten in der Wehrkirche Nieder-Beerbach
 
Der christliche Evangelist Matthäus wird in bildhaften Darstellungen mit einem Mensch als Symbol  gezeigt. Parallele zum alten Mesopotamien: Nabu der Gott der Weisheit.
An der Seite des Evangelisten Markus zeigt sich ein Löwe, im Altbabylonischen Verkörperung des Kriegs- und Unterweltgottes Nergal.
Der Stier ist das Symbol des Evangelisten Lukas und des babylonischen Stadtgottes Marduk.
Der Adler, Symbol für den babylonischen Windgott Ninurta, zeigt sich bei dem Evangelisten Johannes.
 
Die altorientalischen Hüter der Weltecken und Träger des Himmelgewölbes aus Mesopotamien scheinen also noch immer gegenwärtig zu sein in den christlichen Evangelisten. Besonders kunstvoll sind diese dargestellt in der historischen Kirche in Ober-Beerbach. In dieser 1280-1380 erbauten Kirche ließen vermutlich Zisterzienserinnen aus dem Kloster Patershausen bei Heusenstamm die Wandfresken aufbringen, unter anderem auch die vier Evangelisten mit ihren jeweiligen Symbolfiguren.
 
Die Malereien in der Reichenbacher Kirche dagegen sind moderner: die Kirche selbst wurde in nur einem einzigen Jahr neu erbaut. Die alte Kirche (katholisch und unter dem Schutz des hl. Andreas) sah etwas anders aus, aber 1747 baute man an ihrer Stelle die neue Kirche, viel größer - zu groß für Reichenbach, das kommt daher, daß diese Kirche die erste im Odenwald ist, wenn man von Westen kommt.
 
Ihre Wichtigkeit betonen die Sandsteinkanten, von weither aus dem Odenwald geholt, obwohl Granit doch vor der Haustür lag. Die Mauern der Kirche sind aus 1,2 Meter dicken Granitsteinen. Von der Kirche gibt es keine Bauunterlagen, und so mußte der Kirchturm vom Fotoamateurclub Reichenbach eingemessen werden: er ist 34,46 Meter hoch, dabei etwas schief. M. Hiller, Winter 2015