Mehr über das gefährliche Leben auf einer Handelsstraße
Der Mohndiebstahl - ein Räubermärchen
Romantisches Räuberleben um 1800?
Lustig war es nicht, und fröhlich und fidel waren die Räuber in dieser vorindustriellen Zeit sicherlich auch nicht. Durch einen unmenschlichen Verwaltungsapparat in die Armut getrieben, blieb manchen Menschen eigentlich gar nichts übrig, als sich einer Räuberbande anzuschließen.
Die unzugänglichen Hügelräume des Spessart, des Odenwaldes, der Pfalz und anderer Regionen waren günstige Zufluchtsorte für sie. Doch Zuflucht bedeutete oft: in einer Höhle leben, ohne Hab und Gut, ohne Sicherheit und von der Hand in den Mund.
Wie wurde man zum Räuber?
Im späten Mittelalter herrschte der Feudalismus vor, das bedeutete daß der Landesherr absoluter Herrscher über Untertanen, Leibeigene und Hörige war. Jeder Mensch in dessen Einzugsgebiet gehörte zu einer dieser drei Gruppen, die sich durch unterschiedliche Rechte und Pflichten sowie den Umfang ihrer Leistungen für den Herrn ergaben.
Beging einer dieser Menschen ein Unrecht - meist veranlaßt durch schlichten Hunger: Wilderei oder Diebstahl von Essen, so wurde er aus der Rechtsgemeinschaft ausgestoßen. Sein Dorf durfte er nicht mehr betreten, ihm blieb nur der Weg in den finsteren Wald. Dort schlossen sich solche Rechtslosen in Banden zusammen, die streng organisiert waren - besser oder gar romantischer war das Räuberleben ganz sicher nicht.
Buchdruck, Reformation, die Entdeckung Amerikas und anderer Seewege für Handel und Kriege, der 30jährige Krieg und die sogenannte “kleine Eiszeit” und als Folge Hungersnöte folgten vom 15. bis 17. Jahrhundert so schnell aufeinander, daß das soziale und rechtliche Gefüge der Gesellschaft nicht Schritt halten konnte, und so wandelte sich das soziale Netz, das zuvor von persönlicher Bindung an einen Feudalherrn geprägt war, hin zu einer Gesellschaft, die nicht Fisch noch Fleisch war. Aussätzige, Ausgestoßene oder Deserteure und Vogelfreie, Verzweifelte, die keinen anderen Ausweg zum Überleben sahen, als Räuber zu werden, rotteten sich zusammen. Die französische Revolution und die damit verbundenen Lebensumstände trieben das Räuberwesen zum Höhepunkt, und in den ersten Jahrzehnten nach 1800 waren die meisten Räuberbanden zerschlagen, ihre Hauptleute aufgehängt, ihre Mitglieder zu einfachen Bettlern geworden.
Vergessen wir also das fröhliche Räuberleben. Doch wir wären keine Menschen, wenn uns beim romantischen Gedanken an jene Räuberzeiten nicht wohlige Schauer durchrieselten.
Bereits die Romantiker begannen, das Räuberleben zu verklären zu einer Lebensform, in der Gesetzlosigkeit mit Freiheit, Raub und Mord mit Leben in Saus und Braus, Sittenlosigkeit mit Sinnenfreude verwechselt wurde - und das nur wenige Jahrzehnte, nachdem die letzten Räuber enthauptet worden waren.
Was bleibt uns von jenen Räuberzeiten?
Eine eigene Gesellschaftsordnung, eine eigene Sprache, eine geheime Schrift und all die Geschichten vom Räuberleben und von Räuberbanden.
Robin Hood, der “gute” Räuber, der nur von den Reichen nahm (von wem auch sonst), der aber dann auch mit den Armen teilte, war wohl die idealisierte Ausnahme. “Normale” Räuber aber nahmen auch von den Ärmsten noch, vorausgesetzt sie hatten noch etwas Speck und Brot. Oftmals schlugen sie ihnen dann auch noch den Schädel ein, was für ein recht rohes Moralgefüge der Räuber spricht, doch etwas anderes hatten die Ausgestoßenen zuvor ja auch nicht erfahren. Viele taten sich durch traurige Berühmtheit hervor: der Schinderhannes, bürgerlich als Johannes Bückler bekannt, der Hölzerlips (Georg Philipp Lang) und der Mannefriedrich (Namen Philipp Friedrich Schütz) im Odenwald, Fra Diavolo in Italien, die große Siechenbande, die sich als Leprakranke tarnte, im Rheinland und viele mehr. Literarisch sind die Räuber im Spessart durch das dazugehörige Wirtshaus geworden, ein sogenanntes “Kochemer Bajes”. Das ist Rotwelsch (von Rotte und welsch = fremdsprachig, französisch), die internationale Geheimsprache der Vaganten, Bettler und Räuber, und bedeutet Gaunerherberge. Kochemer sind Eingeweihte, und im Wort Bajes klingt unser heutiger Ausdruck Beiz für eine zwielichtige Kneipe mit. Viele alte Rotwelschwörter gibt es noch heute, oft allerdings mit gewandelter Bedeutung: lütt hieß klein, “die Motten haben” war gleichbedeutend mit Tuberkulose haben, Schmiere gab es schon in beiden Bedeutungen: Wandertheater und Wachtposten; als Grünrock wurden alle bezeichnet, die den Räubern suspekt sein mußten, also Jäger, Waldhüter, Zollbeamte... Nicht nur eine eigene Sprache hatten die Gauner, die ihre Ursprünge oftmals im Jiddischen fand, das über die Zigeuner - auch nichts anderes als Ausgestoßene und Rechtlose, die sich auf eigene Faust durchschlagen mußten, in die Welt der Räuber und Vaganten gelangte. Auch ein ganz eigenes geheimes Zeichensystem wurde länderübergreifend benutzt: sogenannte Zinken, mit Kreide oder Kohle an Zäunen, Hauswänden oder Türen angebracht, in Bäume geritzt oder an Wegsteinen markiert. Sie informierten nachfolgende Gauner genau über die Verhältnisse, die in einem Dorf oder Haus anzutreffen waren. Ob eine alleinstehende Frau dort lebte oder ein Polizist oder Pfaffe, ob es bissige Hunde gab oder freigiebige Menschen, ob man als Kranker oder als Hausierer besser ankam, oder ob es gar ein Kochemer Bajes gab, in dem man Unterschlupf fand.
Meist ging es darum, in Dörfern und Häusern die Dinge des täglichen Lebens zu ergaunern, durch Bettelei oder Raub. Speck, Schmalz, Brot - und Schnaps. Auf ihren Raubzügen durchquerten die Räuber oftmals über 40 Kilometer in einer Nacht, barfuß und mitten durch die Wildnis. Im Odenwald hatten sie ihr Versteck in einer Region, die Winterhauch hieß - der Name spricht für sich. Gemütlich war es dort sicher nicht, doch zumindest überlebte man. Schlimm wurde die Sache mit den Odenwälder Räubern erst, als sie bei einem Raubzug auf Gold und wertvolle Waren aus waren. Dabei wurde ein Schweizer Kaufmann so schwer verletzt, daß er später verstarb. Da allerdings hatte die Obrigkeit ihre schmutzigen Finger im Spiel: ein gewisser Ludwig Aloys Pfister, Stadtdirektor zu Heidelberg und der Herr Carl Friedrich Brill, peinlicher Gerichtsassessor zu Darmstadt, lieferten sich in bezug auf die Bekämpfung des Räuber- und Bettelwesens in ihren Bezirken einen Profilierungskampf, und der Schweizer Kaufmann wurde auf Betreiben Pfisters nicht in dem Umfang ärztlich versorgt, wie es für die Rettung seines Lebens nötig gewesen wäre. Damit hatte Pfister einen sauberen Raubmord, der einigen Räubern der Hölzerlipsbande den Kopf kostete, darunter junge Männer, die gerade zwanzig Jahre alt waren. Der Mannefriedrich verfaßte während seiner Haft in Heidelberg das weithin berühmte Räuberlied “die Hemsbacher Affär”: Seit erstem Mai ist uns bekannt
Die Hemsbacher Affäre im Badenland
Die uns das Leben jetzt verkürzt
Und uns in großes Leid ’neinstürzt Drum sind wir jetzt, wir armen Leut
In diesem Fall, der uns gereut
Wohl unsrer fünfe aufgespürt
Nach Heidelberg in Arrest geführt Refr. Die Armut die war freilich schuld
Daß man sich nicht mehr hat geduldt
Die reichen Herrn sind schuld daran
Daß mancher tut, was er sonst nicht getan Der Krämer-Veit der erste war
Er macht’s den Herren offenbar
Wer diesen Raub und Mord verricht’
Und sagt’s den anderen ins Gesicht Danach auch wir gestanden ein
Durch Kerkerstraf und Kettenpein
Daß wir gewesen mit dabei
Und daß die Armut schuld dran sei Refr. Die Armut die war freilich schuld
Daß man sich nicht mehr hat geduldt
Die reichen Herrn sind schuld daran
Daß mancher tut, was er sonst nicht getan Oktober war’s Verhör vorbei
Und manche Träne floß dabei
Den armen Weib und Kindelein
Mag Gott nun ein Begleiter sein Jetzt wollen wir das Lied beschließen
Doch lasse niemand sich’s verdrießen
Ist auch vielleicht ein Fehler drein
Das macht, weil wir nicht studieret sein
Marieta Hiller