Landidylle: auf dem Feld arbeiten Bauern und grüßen die vorüberzuckelnde Postkutsche. Lerchen zwitschern zur Vesper. Jetzt hätte ich gern fünf Euro für Ihre Gedanken... Autsch! So ist Landwirtschaft und ländliches Leben noch nie gewesen, hatte  nie etwas Romantisches.
Vor knapp 200 Jahren haben wir begonnen, das landwirtschaftlichen Leben  aufzugeben und uns als industrialisierte Gesellschaft zu organisieren. Die Städte wuchsen, das Land kümmerte. Das Industriezeitalter war angebrochen. Die Eisenbahn schuf schnelle Verbindungen und sorgte für das Wachstum der Städte, für ehemalige Knechte und Mägde, für Industriezentren mit Fließbandarbeit. Überall rauchten Schlote, niemand fragte nach Feinstaubemission. Der weltberühmte "London Fog" (Nebel) hat darin seinen Grund. Die Eisenbahn brauchte Kohle, die Kohle brauchte die Eisenbahn. Das klappte gut 160 Jahre lang. Alles war gut...
Dann aber verlor die Eisenbahn ihre Attraktivität, jeder mußte ein Auto haben. Das "heilig Blechle" entwickelte sich vom 6-Volt-Käfer zu "mothers urban tank", dem SUV. Wer in ländlichen Regionen kein Auto hatte, der kam nicht mehr vom Fleck, der ÖPNV war - auch durch die Privatisierung der Öffentlichen - vielfach einfach wegrationalisiert worden.

In 150 Jahren hat sich das Treibhausgas CO2 fast verdoppelt, und wenn der Ausstoß von 40 Milliarden Tonnen jährlich so weitergeht, ist die Arktis in 20 Jahren eisfrei (Dirk Notz, Max Plank Institut Meteorologie Hamburg). So begann man vor einigen Jahren, sich Gedanken über CO2 Einsparung zu machen. Elektroantrieb statt Benzin und Diesel: aber woher kommt der Strom? Gern auch aus konventionellen Kraftwerken, die Fahrzeuge werden noch schwerer, Batterien können explodieren ...
Ein Antrieb mit Brennstoffzellen wäre wesentlich sinnvoller, der funktioniert mit Wasserstoff, der in der Industrie als Abfallprodukt vorliegt. Doch daran kann niemand etwas verdienen, und so verschwindet ein gutes Konzept in dunklen Schubladen ...

Was der ÖPNV nicht mehr leistet, muß durch andere Konzepte geschaffen werden: Mitnahmebank (ersetzt das "Trampen"), Carsharing, Ruftaxi. Warum  eigentlich nicht mal den "großen Wurf" machen, den ÖPNV wieder in die Hände legen, in die er gehört? Warum muß ein Wirtschaftsbetrieb damit Geld verdienen, Menschen zu befördern? Erfahrungsgemäß - und verständlicherweise - arbeitet die Privatwirtschaft nach dem Motto: Gewinne privatisieren, Verluste sozialisieren.
Das funktioniert überall dort nicht, wo soziale Leistungen erbracht werden müssen: öffentlicher Verkehr, Krankenhäuser, Altenpflege, Bildungswesen. Privatisiert schaffen diese Sektoren eine Zweiklassengesellschaft: wer zahlen kann, bekommt Leistung. Und beim ÖPNV: wer sich kein Auto leisten kann oder will, hat das Nachsehen.

Aber andersherum betrachtet: würde der gesamte öffentliche Verkehr in staatliche Hände gelegt, dann würde sich ja der Verkehrsminister drum kümmern müssen! Und der hat - scheint eine Kernkompetenz dieses Jobs zu sein - eigentlich die Neigung zum Verschlimmbessern.

1994 wurde die Bahn privatisiert zu einer Aktiengesellschaft. Das mag 1835 eine gute Idee gewesen sein, als die Eisenbahn neu war und kein privater Investor sie hätte finanzieren können.  Aktiengesellschaften entstanden ja gerade durch die Entwicklung der Eisenbahn.
Aber als 160 Jahre später Eisenbahnbenutzer Beschwerde führten, weil immer mehr Strecken stillgelegt wurden ("nicht rentabel"), Fahrpläne ausgedünnt wurden ("zu wenig Bedarf")  und Fahrkarten Richtung unbezahlbar tendierten ("Personalkosten, Betriebskosten, UNkosten") konterte Hartmut Mehdorn, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bahn AG, das sei ein "typisch deutscher Meckerverein".
Und so fahren wir mit dem Auto, pusten Feinstaub in die Umwelt, schädigen Umwelt und Gesundheit.

Zu Fuß gehen wäre auch eine Möglichkeit. Ich erinnere mich an Erzählungen der (damals) Alten, die in ihrer Jugend täglich 1-2 Stunden Fußweg zur Arbeit und abends zurück hatten. Andererseits:  20 Minuten zu Fuß gehen verlängert das Leben um 80 Minuten (Peter Laufmann). 80 Minuten, die wir dann in Seniorenaufbewahrungsheimen mit Pflegenotstand verbringen dürfen. Das (staatliche) Finanzamt erwartet von privatwirtschaftlichen Heimbetreibern Gewinn. Bessere Arbeits- und Lebensbedingungen sind da nur störende Kostenfaktoren. M. Hiller 2018

Öffentlicher Personennahverkehr vor fünfzig Jahren

Unter Präsident Eisenhower (1953-1961 Präsident der USA) gaben die Vereinigten Staaten drei Viertel der Bundesmittel für Transport und Verkehr für den Bau von Highways aus und weniger als ein Prozent für den öffentlichen Verkehr (Bill Bryson in „Mein Amerika - Erinnerungen an eine ganz normale Kindheit“ ISBN? 978-3-442-30116-4).
Nachdem während der industriellen Revolution (um 1850) die Entfernung zwischen Wohn- und Arbeitsplatz immer größer wurde, entwickelten sich Bahn und Bus: der ÖPNV. 100 Jahre später kehrte das Auto die Entwicklung um. Busse und Straßenbahnen gelten seither als Verkehrshindernisse statt als umweltschonendes  und preiswertes Gemeinschaftsvehikel.

Nur mal angenommen: wir wollten die Welt retten. Wie machen wir das? Mit Elektro-Autos?

Da sparen wir aber um jeden Preis - koste es was es wolle! Der Herr Professor Kagermeier* ist sicher daß das geht: "je mehr wir natürlich erneuerbaren Strom bekommen, desto umweltfreundlicher wird es." Also predigt Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier: "bis 2030 sollen 30% der weltweiten Nachfrage nach Batteriezellen aus deutscher und europäischer Produktion kommen" damit wir alle umweltfreundliche Elektroautos fahren können. Noch vor wenigen Jahren war die Umstellung von Benziner auf Diesel Glaubensbekenntnis, jetzt sollen Diesel nicht mehr fahren und alle beten das E-Auto an. Die genialste Geschäftsidee für den KFZ-Sektor überhaupt ist der Abmahnverein. Der sorgt für saubere Luft, indem er Städte und Gemeinden mit Prozessen überzieht. Die Deutsche Umwelthilfe ist genialer als alle Auto-Batterien der Welt, da können die Chefingenieure der Automobilindustrie einpacken.

Im Handstreich läßt die DUH mal eben in Darmstadt zwei Straßen für Verbrennungsmotoren sperren, und schon ist alles blitzblank sauber: niemand hat vor, mit seinem Verbrenner einfach über andere Straßen zum Ziel zu kommen. Nein. Wir werden alle brav unsere Verbrenner verscherbeln und uns einen E-SUV kaufen. Das kurbelt die Wirtschaft an, das haben wir zu Zeiten der Abwrackprämien ja geübt. Schätzen Sie mal: ist der ökologische Fußabdruck für einen elektrischen Neuwagen mit tonnenschwerer Batterie größer oder der eines altgedienten Kleinwagen mit Verbrennungsmotor? Vielleicht möchte Herr Altmaier ja gemeinsam mit Jürgen Resch von der DUH ein TV-Wirtschaftsquiz ins Leben rufen: zu gewinnen gibt es eine Patenschaft für notleidende Bauernfamilien in Argentinien oder China.

Warum eigentlich E-SUV? Ganz einfach: eine Batterie wiegt mehrere 100 kg, sie enthält Lithium (kommt aus Argentinien, wo eh nur arme Bauern wohnen). Die haben jetzt halt für jedes produzierte E-Auto 80.000 Liter Wasser weniger und ihre Lamas werden blind, was solls. Wozu brauchen die Landwirtschaft, wenn ihre Regierung selbst ein Lithium-Bergwerk betreibt und massenhaft Lizenzen an Kolonialkonzerne verteilt? Und in China - nein, da fällt diesmal kein Sack Reis um - da wird nur der Großteil der Batterien für unsere E-SUVs unter Einsatz von Kohlekraftwerken produziert, ebenso in Süd-Korea. In China werden seltene Erden (= giftige Chemikalien und radioaktive Substanzen) gefördert und vergiften ganze Landstriche.

Aber der Herr Altmaier will das ja sowieso ändern, denn besser unsere Wirtschaft verdient daran als der ferne Osten. Nur leider kann die Herstellung von Elektroautos eben gerade NICHT umweltfreundlich gestaltet werden. Gefördert mit staatlichen Forschungsgeldern, Umweltprämien, Steuervorteilen und kostenlosen Parkplätzen verbraucht ein E-Auto doppelt soviel Rohstoffe wie ein Verbrenner. Vor dem ersten "Anlassen" des Autos erzeugt die Herstellung der Batterie pro kWh Leistung 150-200 kg CO2, das sind bei einer durchschnittlichen 100 kWh Batterie 17 Tonnen CO2, damit wäre ein vergleichbarer Verbrenner mit 6 Liter Verbrauch über 100.000 km gefahren...

Natürlich prüfen unsere Premium-Automobilfirmen BMW, Volkswagen, Mercedes Benz, Audi und andere die sozial und ökologisch erforderliche Verträglichkeit, was die Herkunft der Rohstoffe betrifft. Mit vielen (zu vielen?) "eigentlich" erläutert z.B. Dr. Alexander Kotouc (BMW), wie Kfz-Hersteller die oft lange und nicht sehr transparente Lieferkette von der Mine bis zum Fließband gewissenhaft durch standardisierte Fragebogen mit Ankreuzfragen für die Nachhaltigkeit sicherstellen. Wie rührend!

Also laßt uns endlich die Welt retten: mit tonnenschweren Elektro-SUVs wird es uns doch endlich gelingen, oder? Marieta Hiller im Sommer 2019
* Prof. Henning Kagermann: Leiter Nationale Plattform Zukunft der Mobilität
 Reportage & Dokumentation vom 03.06.2019 Das Erste, Video in der Mediathek verfügbar bis: 03.06.2020

Heiligs Blechle - zum Zweiten! Noch einmal Auto und Umwelt...

Die Autoindustrie ist die Schlüsselindustrie der Wirtschaft. Wenn es ihr gut geht, florieren zahlreiche weitere Zweige. Nun zeigte die IAA: sind SUVs etwa nicht mehr uneingeschränkte Lieblinge der Deutschen? Aber immer noch stützen Wirtschaft und Politik den Individualverkehr, anstatt endlich ein SINNVOLLES flächendeckendes ÖPNV-Angebot zu schaffen. Statt dessen sollen Autos jetzt umweltfreundlich werden. Elektro statt Verbrennungsmotor: eigentlich pure Augenwischerei. Auch der Elektroantrieb verbraucht erhebliche Ressourcen, die Produktion ist alles andere als umweltfreundlich, und für jedes Auto muß Fläche für Straßen und Parkplätze zur Verfügung stehen. Reichweite und Leistungsfähigkeit der Elektrofahrzeuge sind nach Jahren noch immer unbefriedigend.

Der unsinnige Rummel der deutschen Umwelthilfe (in meinen Augen keine Umweltorganisation, sondern marktorientierter Abmahnverein) machts nicht besser: wozu in Darmstadt ZWEI Straßen "sauber" machen? Gibt es deshalb weniger Verkehr  und weniger Umweltbelastung in der Stadt? Hier wird (bewußt?) vom eigentlichen Problem abgelenkt.
Unsere Autoindustrie liefert das, was die Käufer möchten. Politiker entscheiden gern so, daß es ihnen und diversen Lobbies am wenigsten weh tut. Früher waren Benziner die Bösen und Diesel wurde gefördert. Jetzt merkt man daß Diesel Feinstaub produziert, offenbar sogar ausschließlich Diesel. Dabei produzieren auch Fahrräder, Schuhsohlen und Elektroautos Feinstaub...

M. Pohl aus Beedenkirchen schrieb dazu: "Elektroautos sind vielleicht nicht der kürzeste Weg aus der Klimakatastrophe, aber wir haben schon zu lange beratschlagt. Seit Jahrzehnten warnt die Autoindustrie vor 'übereilten Schritten', weil es z. B. bei der Brennstoffzelle einen Durchbruch geben könnte. Den sucht sie aber kaum selbst, sondern bei fremden Forschungslaboren. Und hatte sie nicht davor gewarnt, das Blei aus dem Benzin zu nehmen und die Motoren mit Katalysatoren zu drosseln? Haben wirklich nur wenige von ihren hunderten Programmierern von den Softwaretricks beim Abgas gewußt?"

Ich freue mich übrigens immer über Zuschriften, so auch die von Herrn Blitz aus Modautal zu meinem Elektroauto-Kommentar vom Sommer 2019.
Nun sollen also Elektroautos auf den Markt geworfen werden, und die Käufer werden wieder mal mit einer "Abwrackprämie" gelockt: da werden gut funktionierende Fahrzeuge verschrottet, die im Vergleich zu Neuwagen (so elektrisch sie auch sein mögen) eine gute Umweltbilanz aufweisen. Jeder Neuwagen belastet die Umwelt weit stärker als das die Restkilometer eines gebrauchten Diesel tun würden. Aber von Gebrauchten kann die Industrie nicht leben...

Deshalb werde ich, solange es kein bezahlbares Auto mit Brennstoffzellenantrieb gibt, meinen alten Golf weiter fahren bis er auseinanderfällt, und wenn mich der Hafer sticht, nehme ich das 67er Käfer Cabrio oder den VW-Bus (Bj. 1972, das ist der mit dem 16-Liter-Motor, allerdings Verbrauch pro 100 km, nicht Hubraum)...
Man gönnt sich ja sonst nix, und solange IHR mit euren SUVs durch die Landschaft blockert, verbreite ICH mit dem Oldtimer Grobstaub.

Feinstaub-Erzeugung in Deutschland in Tonnen / Jahr
Industrie 60.000
Gesamter Verkehrsbereich (Straße, Luft, Schiff, Bahn) 42.000, davon Diesel 29.000
Privathaushalte 33.000
Silvesterfeuerwerk 4500
Stromversorgung 19.000
Landwirtschaft 15.000
M. Hiller 2019

Ein Fluchtweg von 2882,49 km Luftlinie von Damaskus nach Lautertal, 3800 km auf der Straße und dem Mittelmeer...

Cosmas und Damian kamen aus Syrien, wie auch unzählige Geflüchtete seit 2015 aus dem instabilen Staat in Vorderasien hierher kamen. Syrien grenzt im Süden an Israel und Jordanien, im Westen an den Libanon und das Mittelmeer, im Norden an die Türkei und im Osten an den Irak.

Aber wie fern ist uns das Syrien wirklich, das wir täglich in der Tagesschau sehen?...

In gut drei Tagen könnte man die Strecke Lautertal-Damaskus mit dem Auto zurücklegen. Adam* (sein Name ist fiktiv und steht für etwa 600.000 Menschen, die aus Syrien nach Deutschland geflohen sind, Männer, Frauen, Kinder**), Adam also machte sich im September 2015 in Damaskus auf den Weg nach El Qamishlie. Die PKW-Fahrt dorthin, 700km lang, kostete 600 Dollar.
Zu Fuß überquerte er die Grenze zur Türkei in einem 50-Kilometermarsch nach Midyat. Es gab keine Grenzkontrolle. So konnte er einen Umweg von 290 Kilometer einsparen, den ein Fahrzeug auf offiziellen Wegen gebraucht hätte. In Midyat bestieg Adam den Bus nach Izmir, 1500km und 24 Stunden lang, ermöglicht durch eine einflußreiche Schmiergeldmafia, die viel Geld verlangte.
Von Izmir ging es mit dem Boot nach Griechenland, das kostet zwischen 900 und 3000 Dollar. Das Boot bietet Platz für acht Personen, wird aber mit 40 Personen vollgepackt. Die Überfahrt dauert 12 Stunden.
In Mitilini (Mythilene) auf Lesbos kommen manche nach drei, manche nach zehn Stunden an. Von dort ging die Überfahrt weiter nach Athen, wieder für sehr viel Geld. Mit der normalen Fähre ist man 15 Stunden unterwegs.
In Athen bestieg er ein großes Schiff, das 60 Euro kostete. Die Überfahrt nach Makedonien dauerte 12 Stunden. Man kann auch fliegen, aber das ist riskant und teuer. Mit Auto oder Bus ist man für die gut 500km über fünf Stunden unterwegs.
Wieder einen Tag später und 600km weiter kam Adam mit einem UN-Bus und der Eisenbahn nach Serbien. Hier waren wieder Gelder für Schlepper fällig, und in Kroatien, nach einem weiteren Tag und fast 700km, hing er drei Tage ohne Essen ohne Zelt fest. Dabei ging es ihm besser als vielen, die in Griechenland zehn Tage und länger warten mußten. Andere Wege über Ungarn, per Bus und Zug, waren riskant. Über Slovenien ist die Einreise erst seit sechs Monaten möglich.
Wieder folgte ein Tag und 500km nach Wien. Dort saß Adam vier Tage fest. Das waren die Tage, als der Bahnhof in Wien im Belagerungszustand war und geschlossen werden mußte. Die Straßen im Grenzgebiet um Rosenheim waren verstopft von Polizeifahrzeugen: Hundertschaften von Polizeifahrzeugen.
Endlich konnte Adam aber Wien verlassen und erreichte Hannover mit dem Zug (IC), es gab keine Kontrollen. Von hier fuhr er einem Tag später nach Bielefeld. Dort griff die Polizei willkürlich Leute aus der Menge und brachte sie nach Gießen zum Erstaufnahmelager.
Die Flucht kostet insgesamt im Schnitt 2500 Euro pro Person, Schlepperdienste mußten dazu in Syrien, der Türkei, in Athen für das Visum und in Serbien gezahlt werden. Oft legen die Familien ihr gesamtes Vermögen zusammen, damit einer aus der Familie in Sicherheit gelangt. Dahinter steht die Hoffnung, daß dieser seine Frau und Kinder später nach Deutschland nachholen kann. Durch die Änderung in der Asylpolitik wird diese Hoffnung winzig. Familiennachzug kann erst 2018 beantragt werden, und täglich sind die Familien in der Heimat von Hunger, Durst und Bomben bedroht. Unterdessen schafften es andere Geflüchtete mit dem Zug von Wien nach Hamburg für nur 130 Euro und durften endlich einmal, nach zwei Wochen auf der Flucht, wieder in einem richtigen Zimmer übernachten. In Gießen trafen sie sich mit Adam.
Es folgte das Erstaufnahmelager: Massenabfertigung und Sprachprobleme sorgten dafür, daß überlastete Beamte und Dolmetscher für die meisten der Geflohenen kurzerhand als Geburtsdatum den 1. Januar ihres Geburtsjahres in die Büma (Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender) eintrugen. Dieses Datum wurde laut BAMF prinzipiell eingesetzt, wenn der Asylsuchende keine Papiere hatte.
Jenes erste deutsche Ausweispapier Büma wurde dort zusammen mit anderen vorhandenen Papieren einbehalten und eine „Bescheinigung über die Weiterleitung eines Asylsuchenden“ ausgestellt. Und so konnten am 1. Januar dieses Jahres zigtausende Flüchtlinge in Deutschland Geburtstag feiern können, obwohl das Datum meistens nicht stimmt.

* Adam: dieser Name erscheint passend, denn für die meisten Geflüchteten kommt ihr Weg der Vertreibung aus dem Paradies gleich. In der arabischen Welt lautet der Name Adham.

** Quelle: https://mediendienst-integration.de/migration/flucht-asyl/syrische-fluechtlinge.html, Stand August 2016

Marieta Hiller, im Oktober 2016

Eine Zeitreise vom Feldweg zur Nibelungenstraße mit Heidi Adam, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der Geschichts- und Heimatvereine im Kreis Bergstraße, im November 2016

Der Reichenbacher Verschönerungsverein (VVR) hatte zu diesem Vortrag eingeladen. Die Nibelungenstraße ist jünger als mancher glaubt. Ihre Entstehung und Veränderung legte Frau Adam dar.

Menschen sind zu allen Zeiten in Bewegung, doch früher war dies oft beschwerlich. Seit Seßhaftwerdung der Jäger und Sammler entstehen Orte und verbindende Wege. Die wichtigsten sind Flüsse, dann folgen Straßen.

Die Römer kamen vor knapp 2000 Jahren mit ihren Soldaten über den Rhein zur Bergstraße, wo sie lange schnurgerade Straßen anlegten, manche bis zu 40 Meter breit. Denn ihnen ging es um Übersichtlichkeit und Sicherheit, den Odenwald mit seinen waldigen Hügeln empfanden als unheimlich. Die römischen Straßen-baumeister legten überall im Römischen Reich breite Straßen an, heute oftmals noch als „Steinerner Weg“ oder „alte Römerstraße“ in Landkarten zu finden. Sie bauten lieber eine Straße mitten durch ein Moor wie in Lermoos in Österreich, mit massiven Befestigungen, als Umwege ins Hügelland zu machen.

In unserer Region entstanden Straßen zwischen Mainz und Heidelberg, die Bergstraße bis Frankfurt und die Limesstraße entlang der Grenze. In regelmäßigen Entfernungen legten sie Relais an, Rasthäuser. Von der Strata montana, der Bergstraße, bauten sie in den Odenwald hinein die heutige Siegfriedstraße von Heppenheim nach Beerfelden oder die Via strata oder Würzburger Straße von Worms über Heppenheim und Lindenfels nach Würzburg.

Von Bensheim verlief der Weinweg oder die Weinstraße über Reichenbach, die Grauelbach und Beedenkirchen bis Dieburg. Diese Straße ohne jede Brücke war hochwassersicher, was in früheren Zeiten sehr wichtig war. Die Weinstraße war für Reichenbach von großer Bedeutung, so Heidi Adam. Denn bis Reichenbach verlief die Vorgängerin der Nibelungenstraße im Talgrund, um dann am alten Rathaus nordöstlich auf die Höhe Richtung Beedenkirchen abzubiegen.

In Reichenbach trafen kleinere Wege, die Markt- und Kirchpfade zusammen, es entstanden Gasthäuser und Herbergen, Reichenbach war ein Knotenpunkt. Schon um 1600 war die Weinstraße geflastert. 1613 wurde die Mentzelbrücke, 1747 die Marktplatzbrücke über die Lauter gebaut. 1736 baute man den alten Marktweg nach Gadernheim zur Straße aus, die von Reisenden als „furchtbarer Weg“ bezeichnet wurde. Dreimal mußte der Vorspann der Kutschen gewechselt werden, um den steilen und felsigen bzw. sumpfigen Abschnitt bei Lautern zu überwinden. 1829 wurde die „Lautertalstraße“ gebaut, schon auf der heutigen Streckenführung. Damals kam der Name Nibelungenstraße auf.

In Reichenbach hatte man immer wieder Lauter-Hochwasser: 1611, 1772, 1882, 1930, 1931, 1938 und 1964/65. Am 6. Januar 1906 - die Orte im Odenwald waren zu dieser Zeit übrigens noch nicht elektrisiert - nahm die erste Motor-Omnibusgesellschaft zwischen Bensheim und Lindenfels ihre Arbeit auf. Die Straße wurde zum Schutz vor Überflutungen höhergelegt, die Lauter mit Stützmauern eingefaßt. An den Häusern wurden die Treppen zum Hauseingang überflüssig, die ursprünglich zu den über dem Keller liegenden Wohnräumen führte.

Zu dieser Zeit war für Steintransporte aus Lindenfels und dem Lautertal der Bau einer Eisenbahn geplant. Alles war bereits projektiert, die Finanzierung gesichert, die Streckenpläne erstellt. Der Ausbruch des 1. Weltkrieges 1914 machte die Pläne zunichte, so daß die „Chaussee von Bensheim nach Gadernheim“ der einzige Erschließungsweg in den Odenwald blieb. 1920 übernahm die Deutschen Reichspost die Strecke mit ihren gelben Postbussen, sie soll die rentabelste in ganz Hessen gewesen sein. Kopfsteinpflasterung erhielt die Straße 1936, nachdem sie zuvor sehr staubig und uneben über verdichteten Boden verlief. 1972 wurde die Lauter in Reichenbach verdohlt, später verschwanden das Gasthaus Zur Sonne und die Lindenbäume.

Die Nibelungenstraße spielte auch eine wichtige Rolle am Kriegsende 1945: am Palm-Sonntag 25. März 1945 gingen über Deutschland viele Bomben nieder. Osnabrück und Limburg wurden zerstört, Darmstadt lag schon seit dem 11. September 1944 in Trümmern. In Darmstadt wollte Pfarrer Wintermann an diesem Sonntag predigen, aber dort war alles verbarrikadiert. So hielt er einen denkwürdigen Konfirmationsgottesdienst in Beedenkirchen. Als die Menschen aus der Kirche kamen, hörten sie die ersten amerikanischen Panzer auf einer Rundfahrt von Ober-Ramstadt über Nieder-, Ober-, Schmal-Beerbach, Wurzelbach, Allertshofen, Hoxhohl, Ernsthofen wieder nach Ober-Ramstadt. Erst zwei Tage später, am Dienstag, 27. März, marschierten die Amerikaner nachmittags in Reichenbach ein. Da sie an diesem Tag entlang der B 47 auf Widerstand stießen, dauerte es noch einen Tag und kostete zwölf sinnlose Menschenleben, neun Gadernheimer Zivilisten und drei US-Soldaten, bis die amerikanischen Panzer durchkamen.

„Es waren lange Tage, als wir wußten, daß sie kommen und doch nicht wußten, was wird“, schrieb Else Roth aus Reichenbach in ihr Tagebuch. Man hörte die Artillerie, zwei Häuser in Reichenbach wurden stark beschädigt: die Elternhäuser zweier Gründungsmitglieder der örtlichen NSDAP in der „Straße der SA“. „Menschen hat der Beschuß keine gefordert, unser Dörfchen steht Gott sei Dank noch“, schrieb  Else  Roth.

In Gadernheim dauerte der Beschuß aus sechs Artillerie-Kanonen noch die ganze Nacht, bis der letzte NS-Widerstand gebrochen war. Die amerikanischen Truppen konnten auf der Straße weiter in den Odenwald vordringen, im Lautertal war damit der Krieg zuende.

Siehe auch: Altstraßen in der Region und Die Römer im Odenwald

M. Hiller, W. Koepff und die Heimatforscher im VVR, siehe auch den Auszug aus den Onlinebriefen 200-203 (2015) des Verschönerungsvereins Kriegsende im Lautertal

Von Feuerlinien entlang zu befriedender Grenzen weiß die Geschichte vielfach zu berichten. Freie Sicht zu den nächsten benachbarten Feuerstationen war sehr wichtig, auch freie Sicht ins Feindesland. Noch wichtiger jedoch waren die Wege zu den Feuerstationen. Denn sie mußten ständig unterhalten werden: Brennholz und Nahrungsmittel mußten angeliefert werden, die Besatzungsmitglieder mußten an ihren freien Tagen bequem in die nächste Ortschaft kommen können - ins Badehaus oder die Kneipe etwa. Die Grenzbefriedung durch den Limes, oft mit Wall und Graben sowie das Wegesystem zwischen den Türmen und zu den römischen Siedlungen diente dazu, das Binnenland zu schützen. Die Provincia war ein vielbesuchter Landstrich: Händler kamen und gingen, Soldaten, Kuriere und Herrscher reisten von Rom oder nach Rom. Straßen waren daher für die Römer der ersten Jahrhunderte nach Christus sehr wichtig, und man widmete ihnen viel Mühe und Einsatz. Am liebsten war es den Römern, wenn sie auf breiten schnurgeraden und ordentlich befestigten Wegen vorwärts kamen. Alle wichtigen Punkte in der Provinz waren daher mit gut ausgebauten Straßen vernetzt: Moguntia (Mainz), wo die 22. Legion stationiert war, gegenüber am anderen Rheinufer Castellum = Mainz-Kastel, Bormitomagus (Worms) und Nida (Frankfurt-Heddernheim), Lopodunum (Ladenburg). Natürlich gehörten über Fernstraßen die großen Städte Colonia Claudia Ara Agrippinensium (Köln), Augusta Treverorum (Trier), Argentorate (Straßburg), Augusta Vindelicum (Augsburg) und natürlich nicht zu vergessen: Lutetia (Paris). Mitten im nördlichen Odenwald: Dieburg, von dessen römischem Namen nur die drei Buchstaben MED überliefert sind. Der Marmor aus Hochstädten mußte über eine Straße in die Ebene zum Zullestein (Burg Stein in der Nähe der Weschnitzmündung in den Rhein) transportiert werden, ebenso die behauenen Werkstücke aus dem Felsberg. Der Weinweg von Weinheim bis Dieburg mag bereits in römischer Zeit eine vielbenutzte Straße gewesen sein, und die Landkarte des Odenwaldes weist zahlreiche „Hohe Straßen“ auf.

Altstraßen entdecken und wieder sichtbar machen

Noch längst nicht geklärt ist, welche Orte mit römischen Straßen verbunden waren, nicht nur im Odenwald, sondern auch im Taunus und der Ebene dazwischen. Dort forscht Harry Haarstark über alte Römerstraßen und versucht sie in Landschaft und Karte wieder sichtbar zu machen. Gemeinsam können die Straßensysteme im Taunus und Odenwald miteinander verknüpft werden, ebenso wie in einem der nächsten Jahre endlich die Feuerlinie aus dem Odenwald sich mit den Lärmfeuern der Taunushöhen treffen werden. Dies wird unser Projekt für den Winter 2014/15 werden. Erste Infos finden Sie hier, sie werden nun ständig ergänzt. Wer sich gerne am Projekt beteiligen möchte, ist ganz herzlich eingeladen, Harry Haarstark und mich mit Informationen zu versorgen! Wem das alles zu historisch ist, der kann sich die Sache mit den Lärmfeuern auch im Film ansehen: wenn Frodo Beutlin und seine Freunde miterleben, wie die  Leuchtfeuer von Minas Tirith („Herr der Ringe“) entzündet werden. Phantastisch, aber vorstellbar: auf den Bergkuppen flammt ein Feuer nach dem anderen auf - und natürlich wird dann alles gut werden...

Viel Spaß beim Suchen alter Straßen und Verbindungswege wünscht Marieta Hiller

Die Römer bauten als Erste planmäßig genormte Straßen

Zwischen dem Odenwald und dem Taunus, wo Harry Haarstark MA vor einigen Jahren nach Spuren römischer Verbindungswege suchte, liegt die berühmte Römersiedlung Nida (Frankfurt Heddernheim).

Es gibt im 19. Jahrhundert einige Spekulationen über Römerstraßen quer durch den Odenwald, die südlich des Mains aber nördlich von Dieburg liegenden sind etwas besser erforscht und wurden weitergenutzt. Im Gebirge selbst werden die Römer wohl kaum nach dem klassisch schnurgeraden Prinzip gebaut, sondern (bereits vorhandene) Höhenwege für ihre Zwecke hergerichtet und genutzt haben.  Während die ersten Altwege auf den Wasserscheiden bzw. den Höhenzügen der Gebirge und entlang den großen Flüßen verliefen, bevorzugten es die Römer, wenn sie auf breiten schnurgeraden und ordentlich befestigten Wegen vorwärts kamen. Also kann man zurecht davon ausgehen, daß die Römer in unserer Gegend die Ersten waren, die Straßen planmäßig angelegt und hierzulande einen einheitlichen, genormten Straßenbau eingeführt haben. Deshalb wird man sich an den Höhenwegen orientieren müssen und auch nach Verbindungen zu wichtigen Flußübergängen im Tal (Rhein, Neckar, Main) suchen - zunächst ist theoretisches Schmökern in der Literatur erforderlich, bevor man das in der Landschaft überprüfen kann.

Burg Stein - römischer Burgus Zullestein

Beginnen wir am Schluß: wenn die im Odenwald gewonnenen Rohstoffe und Materialien oder auch Truppenteile auf den Rhein verschifft werden müssen.

Dies geschah am spätrömischen Burgus Zullestein (Burg Stein). Der Ort liegt in der Nähe der Weschnitzmündung in den Rhein und heißt noch heute Schloßberg oder Schloßbuckel. Inzwischen ist der Rhein etwa 500 Meter weit entfernt. Ob der Burgus in römischer Zeit direkt am Rhein lag, ist aufgrund der ständigen Umgestaltung der Auenlandschaft nicht zu klären. Angelegt wurde er im 4. Jh. n. Chr unter Kaiser Valentinian. Vermutet wird, daß der Burgus sich zur Weschnitz hin öffnete und zwischen zwei Wehrmauern ein geschütztes Hafenbecken zur Be- und Entladung darstellte. Die Mauern aus römischer Zeit sind in mittelalterlichen Quellen immer wieder erwähnt, es entstanden neuere Bauwerke, die wieder abbrannten oder abgebrochen wurden. Interessant an diesem Ort ist die Weschnitzableitung. Der Fluß Weschnitz fließt aus dem Odenwald ins alte Neckarbett, das in der Rheinebene parallel zum Rhein mäanderte und mündete erst bei Trebur (heute in Weinheim!) in den Strom. Für die römische Zeit kann eine Nutzung der Weschnitz als Transportweg angenommen werden. Nach 203 n. Chr. floß die Weschnitz plötzlich ab Riedstadt-Goddelau (hier gab es Untersuchungen an einer römischen Holzbrücke) nicht mehr nach Norden. Solche Umlenkungen beherrschten römische Ingenieure gut, man vermutet, daß das Steinmaterial vom Felsberg so besser verschifft werden konnte. Allerdings bestand zu dieser Zeit die Burg Stein vielleicht noch gar nicht... Rätsel über Rätsel...

Wie sollte die Riesensäule zum Rheinfloß kommen?

Damit sind wir gleich bei einer weiteren spannenden Frage: wie transportierten die Römer ihre schwergewichtigen Werkstücke vom Felsberg bis zum Rhein? Den Zeitraum der römischen Steinbruchtätigkeit kann man nicht genau bestimmen, er liegt zwischen dem 2. und dem 4. Jahrhundert. Unklar ist, ob der Burgus Zullestein zu jener Zeit bereits bestand. Eine Theorie besagt, daß die Werkstücke aus dem Felsberg bergab nach Süden ins Lautertal gebracht wurden, die Lauter dann in zahlreichen Staustufen vom dünnen Bächlein zu einem veritablen Flößergewässer umgebaut wurde, so daß die flachen Flöße, die trotz ihrer schweren Steinlast nur wenig Tiefgang hatten, von Stufe zu Stufe schwimmen konnten, bis sie in der Ebene endlich über Winkelbach und Weschnitz-Altbett zum Rhein gelangten. Eine andere Theorie besagt, die Werkstücke seien auch bergauf im Gelände über eingeseifte geschälte Baumstämme gerollt worden. Auf diese Weise konnten sie bis über den Nachbarhügel und nach Hochstädten geschafft werden, wo durch den dortigen römischen Marmorsteinbruch bereits eine Transport-Infrastruktur bestand. Dazu wird aktuell eifrig geforscht, die Wissenschaftler Vilma Rupienne, Ulrich Schüssler und Michael Unterwurzacher haben ihre Ergebnisse als Aufsatz "Auerbach Marble Quarries in the Odenwald near Hochstädten" im Jahrbuch des Institute Europa Subterannea 2013 (ISBN 978-90-817853-3-4) veröffentlicht (S. 120). Ebendort finden sich auch die jüngsten Erkenntnisse zu den Transportwegen: "Alle Wege führen zum Rhein" von Alexander Vögler (S. 154)

Eine Brücke über den Sumpf

Bei Bickenbach wurden in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts von einer Truppe Amateurarchäologen in mehreren intensiven Einsätzen ein Brückenfundament sowie viele Terra-Sigillata-Scherben, Fibeln und Würfeln aus der Römerzeit gesichert. Die Eichenhölzer der Brückenpfeiler ließen sich mittels Dendrochronologischer Untersuchung auf ca. 145 n. Chr. als Fällungszeitpunkt datieren. Zahlreiche weitere Brücken wurden in der Region um Gernsheim, Groß-Gerau, Groß-Rohrheim entdeckt, die alle nicht ausschließlich dem Zweck dienen konnten, um eine Sanddüne zu erklimmen. So auch in Eschollbrücken, wo 2013 die Balken einer römischen Sumpfbrücke gefunden wurden, deren Fällung zwischen 60 und 107 n. Chr datiert werden. Vielmehr stellte man die Brücken schon früh in den größeren Zusammenhang zum schnurgeraden römischen Straßensystem im Ried und von dort auch in den Odenwald. 

Namenloses römisches Zentrum im nördlichen Odenwald: ...MED...

Nicht nur Steine vom Felsberg oder Bauholz aus dem Weschnitzumland waren abzutransportieren, nein: viele Artikel des täglichen Lebens mußten auch in den Odenwald gebracht werden. Ähnlich wie Nida (Frankfurt-Heddernheim) einst als römisches Zentrum in der Wetterau in der Mitte eines weitverzweigten Straßennetzes lag, so liegt auch die römische Siedlung ...MED... (heute: Dieburg) am Knotenpunkt vieler Straßen. Eine davon führt von Gernsheim nach Dieburg und weiter nach Wörth am Main, von wo ab der Odenwald-Limes im Main nach Süden verlief. Eine direkte Straßenverbindung führte natürlich auch nach Nida.

Die römischen Straßen rund um den Odenwald

Belegt sind römische Straßen im Norden, Westen und Süden des Odenwaldes. Der Osten wird durch den Mainlimes abgeschlossen. Im Norden verlief die schnurgerade Straße von Gernsheim nach Dieburg, von der sich bei Eberstadt eine Straße nach Süden entlang der Bergstraße zieht, die durch Lopodunum (Ladenburg) führt und sich in Heidelberg verzweigt. Der östlich führende Zweig zieht durch den kleinen Odenwald jenseits des Neckars Richtung Limes. Dazwischen: der Odenwald - unerforschte Hügel, waldreiche Täler voller grauenhafter Dinge. Nichts fürchteten die Römer mehr als unübersichtliche Landschaften - was kein Wunder war, denn genau in einer solchen Landschaft bekamen sie im Jahr 9 n. Chr. ordentlich was auf den Helm - Varus, varus, gib mir meine Legionen wieder...

Interessante Quellen:

Altstraßen in Hessen: https://www.altstrassen-in-hessen.de/altstrassen/altstrassen.php

Friedrich Kofler (1830-1910), deutscher Archäologe und Streckenkommissar der Reichs-Limes-Kommission hat eine umfangreiche Sammlung der Altstraßen veröffentlicht in der Westdeutschen Zeitschrift für Geschichte und Kunst im Jahr 1896. Darin sind die Altstraßen auf Seite 22 bis 44 beschrieben.

Ebenfalls eine tolle Quelle mit vielen Details zu den Hohen Straßen / Hochstraßen / Höheren Landstrassen ist der Nachlaß des Stadtbaurats und Architekten August Buxbaum: er hat fleißig in vielen südhessischen Gemeinden nach den alten Flurnamen geforscht und sie in gezeichneten Karten hinterlassen: im Darmstädter Staatsarchiv:  Steinstraße, Heidenschloß oder Römerbuckel sind dort zu finden.

Johann Friedrich Knapp und seine "Denkmale des Odenwalds" 

Die "Sagen des Neckarthales, der Bergstraße und des Odenwald"  von J. Baader

Die "Altertümer und Geschichte des Bachgaus im alten Maingau" von Johann Wilhelm Christian Steiner )

Die "Alterthümer der heidnischen Vorzeit innerhalb des Grossherzogthums" Hessen  von Philipp Alexander Ferdinand Walther

Karl Nahrgang "Römerstraßen im nördlichen Tel der Provinz Starkenburg" BAHDr. 13, 1930

Die Altstraßen nach einer Zeichnung von Georg Grohrock und anderes Interessantes über Straßen

Ein geschichtsbegeisterter Wanderer ist Georg Grohrock, pensionierter Geometer aus Gadernheim. Er zeichnete mir in die topografische Karte Blatt 6218 Neunkirchen 1:25.000 (älteres Modell) den Verlauf einiger Altstraßen ein.

Die Hutzelstraße verläuft nordwestlich des Felsberges über Quattelbach, Kuralpe und Neutscher Hof nach Frankenhausen und weiter. Es gab eine Abzweigung nach Steigerts. Ihren Namen hat die Hutzelstraße daher, weil auf ihr früher die Bauersfrauen im Winter mit großen Körben voller Hutzeln zu den Märkten in Darmstadt, Dieburg oder Weinheim wanderte. Als Hutzeln wurde gedörrtes Obst bezeichnet, in früheren Zeiten eine der wenigen Möglichkeiten, die Fülle des Herbstes für den Winter zu konservieren...

Zur Hutzelstraße findet man bei Heinrich Tischner einige Angaben. Er übermittelt die verblüffende Einsicht, daß es sich nach Quellenlage bei der Hutzelstraße um einen unbedeutenden Verbindungsweg im vorderen Odenwald handelt, der kein Handelsweg war, sondern ein "verhutzelter", verschrumpelter Weg mit Schlaglöchern! Der Pfarrer im Ruhestand ist für alle regionalhistorischen Fragen ein kompetenter Ansprechpartner. Tischner verweist auf eine Quelle zum Begriff Hutzelstraße und meint, daß sich daraus vielleicht ein Straßenverlauf rekonstruieren läßt. Aber DA-Eberstadt, Frankenhausen, Hoxhohl, Nieder-Beerbach, Nieder-Modau, Ober-Beerbach, Reinheim, Spachbrücken, Staffel - das sei keine einheitliche Strecke, sondern ein ganzes Straßensystem, ausschließlich im Darmstädter Odenwald.

Ob es eine Fernstraße dieses Namens wirklich gab, ist für ihn also zweifelhaft. Das Südhessische Wörterbuch 3,878 erklärt den Namen in Ober-Beerbach und Balkhausen als "eine Straße, deren Name von den Hutzelbirnbäumen am Straßenrand herrühren". Das sind zunächst Namen von Dorfstraßen, vermutlich aber übernommen von einem Verbindungsweg.

Die gedruckte Ausgabe des Südhessischen Flurnamenbuchs 529 fügt an die bloße Aufzählung der Flurnamen mit Hutzel- eine Erklärung hinzu: "Die Namen erinnern... an den Fernweg, der von der Bergstraße bei Auerbach über Reinheim zum Main führte" (was aber nicht mit der Verortung der Flurnamen übereinstimmt) "auf der das Dörrobst (im Odenwald einst bedeutsames Wirtschaftsgut) transportiert wurde."

Wurden Hutzeln (=Dörrobst) wirklich exportiert oder wurden sie vor Ort selbst aufgegessen? Brachte man sie zum Markt nach Eberstadt, Reinheim, Babenhausen, Aschaffenburg? Dort gab es schließlich eigenes Obst...

Der Reiterweg zweigt an der Kuralpe von der Hutzelstraße ab in östlicher Richtung bis zu einem Punkt auf der Braad Haad (Dialekt für "breite Heide" bei Brandau) zwischen Beedenkirchen, Brandau, Lautern und Gadernheim, kreuzt dort den Weinweg und geht weiter Richtung Ost-Nord-Ost zur Altscheuer, einem keltischen Ringwall bei Lichtenberg.

Der Weinweg verläuft von Elmshausen bis Reichenbach Marktplatz auf der B 47, dort weiter über die L 3099 bis zu den Doppel-S-Kurven, biegt hier in Ost-Nord-Ost über den Schneeberg und Almen bis zur Kreuzung der Straße Beedenkirchen-Lautern und zur Braad Haad ab, knickt dort nach Süd-Süd-Ost ab, verläuft über den Hinkelstein östlich von Gadernheim bis zur Neunkircher Straße, verläuft auf ihr in Ost-Nord-Ost südlich vorbei am Rauhestein, Hühnerwald, Gehrenstein und Westergiebel (die vier Kuppen der Neunkircher Höhe, von Südwesten aus gesehen) bis zur Fahrstraße zum Kaiserturm, verläuft auf dieser bis zur großen Lichtung in südlicher Richtung, knickt an der Lichtung nach Osten ab zum Parkplatz Weinweg an der Straße Neunkirchen-Winterkasten, kreuzt diese und verläuft in nordöstlicher Richtung nördlich vorbei an der Germannshöhe oberhalb Laudenau, südlich des Rimdidim, Meßbach und Nonrod weiter Richtung Aschaffenburg.

Gadernheim liegt am Weinweg mitten zwischen den beiden Steilstrecken in der Graulbach (Reichenbach-Beedenkirchen) und der Neunkircher Höhe und ist evtl. nur aufgrund der Straße entstanden, wie Grohrock vermutet. Der Weinweg wurde auch hohe Straße genannt.

Die meisten Altstraßen verlaufen auf den Höhenrücken, da die Täler sumpfig und oft unpassierbar waren. Auch der Weinweg verläuft entlang der Wasserscheide über die Neunkirchener Höhe Richtung Rodenstein. Über das Wegerecht gibt es 300-400 Jahre alte Verträge (z.B. Braad Haad). Vom Weinweg ging und geht vom Brandauer Weg ein Feldweg mitten durch den Dingeldeinhof in Gadernheim.

Wenn hier von der Hohen Straße die Rede ist, ist jedoch nicht der Weinweg gemeint. Die Hohe Straße kommt von Schönberg her und verläuft  südlich des Hofgutes Hohenstein und dem Köppel in Ost-Nord-Ost nördlich von Breitenwiesen durch den Salztrog zum Schelmenacker, kreuzt dort die B47, läuft auf den Höhenweg zum Kapellenberg, wo sie nach Osten abknickt und den Paß zwischen Raupenstein und Neunkircher Höhe, die Schleich bis Winterkasten nutzt. Dort quert sie die Straße, umgeht südlich die Breite Irr in einer Kurve zum Vogelherd, quert die Straße in Laudenau in östlicher Richtung durch den Reichelsheimer Wald zum Richtplatz und weiter. Marieta Hiller, August 2016 - nach Informationen von Georg Grohrock aus dem Jahr 2000

Ohne Wasser keine Burg

Ein sehr spannendes Buch über die Versorgung der Höhenburgen und den Bau der Tiefbrunnen hat Axel W. Gleue2014 veröffentlicht. Im Mittelalter, als die Trutzburgen auf den Hügeln erbaut wurden, stellte sich das Problem der Wasserversorgung ebenso wie heute für moderne Gemeinden als eine der wichtigsten Aufgaben.

In den Dörfern konnte Wasser aus nahegelegenen Quellen geschöpft werden oder es gab einen Brunnen in der Ortsmitte. Auf die hochgelegenen Burgen konnte das benötigte Wasser nicht transportiert werden, dazu war die erforderliche Menge zu groß. Für Soldaten, Pferde, Rinder und Schweine sowie den Nutzgarten wurden zahllose Eimer Wasser benötigt. Die Maßeinheit 1 Eimer faßt ca. 50 Liter, was ausreichend war für 10 Mann Burgbesatzung oder für ein Pferd oder Rind oder 5 Schweine. Und sehr wichtig war auch die Bevorratung von Löschwasser. Deshalb war ein Tiefbrunnen meist unumgänglich. Dies wiederum war ein bergmännisches Unterfangen, für das viel Bauwissen erforderlich war. Am Beispiel einiger Burgen, darunter Breuberg, Otzberg, Windeck, Ronneburg und Lindenfels und mit vielen aufschlußreichen Zeichnungen präsentiert Gleue seine Ergebnisse.

Lesetipp: Axel W. Gleue, Ohne Wasser keine Burg, ISBN 978-3-7954-2746-7.

Wie Städte entstanden: immer der Straße nach

Zuerst gab es die Straßen, genutzt für militärische und wirtschaftliche Zwecke. Salz, Lebkuchen oder auch Stoffe wurden vom Erzeuger zum Kunden gebracht. In Abständen, die ein Pferdefuhrwerk gut an einem Tag zurücklegen konnte, entstanden Gasthäuser, auch Relais genannt. Dort wurden die Reisenden und die Pferde versorgt, es standen Ersatzpferde für den nächsten Tag bereit. Rund um Augsburg läßt sich diese Wegstrecke noch heute auf der Landkarte ablesen: in 30-40 km Abstand liegen „Fuggerstädte“.

Noch wesentlich älter ist der Salzhandel. Er ist belegt seit der Zeit der Römer. Für die Strecke Rom-Köln war man 67 Tage zu je 30-35km unterwegs, von Mansio zu Mansio, als Soldat zu Fuß in Sechserreihen. Reitende Boten schafften 150 km. Ein spektakulärer Fund war die Entdeckung der Römerstraße im Moor zwischen Lermoos und Ehrwald: sie war 7 Meter breit, schnurgerade durch das Moos.

Später konnte das Fuhrwesen die Strecke Augsburg-Venedig in 6 Wochen zurücklegen, ein feingeknüpftes Netz von Straßenstationen und verfügbaren Fuhrleuten entstand. Jeder durfte einen festen Abschnitt bedienen, so daß die Ware auf ihrem Weg durch die Hände unzähliger „Besitzer“ wanderte. In Österreich ersetzte Maria Theresia dieses Rodwesen (Rod = Straße, siehe engl. road, verwandt mit Rotte, der Straßenbaumannschaft) durch durchgängige Streckenzuständigkeit und Verantwortlichkeit.

Bis zur Einführung der Eisenbahn war das Straßenwesen ein wichtiger Handelsfaktor. Mit der Eisenbahn kam die erste industrielle Revolution, ein Schienennetz mit Bahnhöfen und Betriebswerken entstand, und vor allem eine einheitliche Zeitmessung. Dörfer mit Bahnhof blühten auf, das Fuhrmannswesen dagegen starb. Heute findet man interessante Utensilien wie Rehmschuh, Fuhrmannsstiefel oder Fuhrmannsglas in den Heimatmuseen.

Doch auch die Eisenbahn ist heute schon Geschichte: viele Strecken wurden stillgelegt, Bahnhöfe verfallen oder werden privat bewohnt, die Dörfer sind wieder in ihre - durch den demografischen Wandel noch verschärfte - Beschaulichkeit zurückgekehrt. M. Hiller, Sept 2016

Als die Riegelstraße in Amerika gebaut wurde

"Dieses Jahr war überhaupt Geld genug zu verdienen wegen der Riegelstraße. ... Die Riegelstraße führt hier bei Friedrichstadt (in Amerika) vorbei gegen den Ohio Staat. Die Riegelstraße ist ein ganz eben gemachter Weg, 18-20 Fuß breit, der bisweilen tief durch Hügel durchgegraben ist und worauf viereckige eichen Riegel fest zusammen gekeilt sind, worauf Eisen genagelt ist, und auf diesem Eisen gehen die Packwägen mit Eisen gegossene Räder, welche an der Innenseite eine Falze haben, damit die Räder nicht aus dem Riegel springen: diese Wagen treibt der Dampf."

Haben Sie erkannt, worum es geht? Natürlich: um den Bau der Eisenbahn - die war in den Jahren um 1830 noch unbekannt, in Deutschland wurde die erste Eisenbahn erst am 7. Dezember 1835 eröffnet. Aus: Wir ziehen nach Amerika - Briefe Odenwälder Auswanderer aus den Jahren 1830-1833, zusammengestellt von Marie-Louise Seidenfaden und Ulrich Kirschnick, 1988. ISBN 3-923366-03-5

Als die Eisenbahn nach Bensheim kam

Der Gadernheimer Meilenstein