Stille Nacht, Heilige Nacht - der Deutschen liebstes Weihnachtslied

Stille Nacht! Heilige Nacht!
Wo sich heut' alle Macht
väterlicher Liebe ergoß,
und als Bruder huldvoll umschloß
Jesus die Völker der Welt. Jesus die Völker der Welt.
Mit der vierten, eher unbekannten Strophe unseres liebsten Weihnachtsliedes grüßen die Felsenmeerdrachen alle Freunde ganz herzlich und wünschen eine besinnliche Adventszeit und ein fröhliches Weihnachtsfest in Frieden, Freiheit und Glück Euch allen! Das Lied entstand kurz vor Weihnachten 1818, als Joseph Mohr, Coadjutor zu Oberndorf bei Salzburg, den Vorschlag an Franz Xaver Gruber machte. Gruber war Schullehrer und Organist in St. Nicola im Österreichischen Laufen. Gruber schrieb die einfache aber ergreifende Komposition des Liedes, Mohr verfaßte dazu den Text. Am 24. Dezember 1818 vertonte Gruber das Gedicht für zwei Solostimmen und Chor mit Gitarrebegleitung. Am gleichen Abend wurde es uraufgeführt: Während der Christmette wurde es in der St. Nikolaus-Kirche in Oberndorf vorgetragen: Mohr sang Tenor und spielte Gitarre, Gruber sang Baß und der Kirchenchor trug die beiden Refrainzeilen vor. Das Lied brachte Licht in die finsteren Zeiten der Napoleonischen Kriege (1799-1815): Karl Mauracher, ein Orgelbauer aus dem Zillertal, war 1821 in Arnsdorf und 1825 in Oberndorf und brachte das Lied mit nach Hause ins Zillertal. Dort trug die Sängerfamilie Rainer es 1822 dem österreichischen Kaiser Franz I. und dem russischen Zaren Alexander I. im Schloß Bubenberg bei Fügen vor und am Weihnachtstag 1839 in New York. Schnell verbreitete sich die Kunde von dem schönen Lied: auch die Zillertaler Handschuhmacher- und Sängerfamilie Strsser aus Laimach verbreitete das Lied auf ihren Reisen. 1832 sangen sie es in Leizig, wo es als Tiroler Lied bekannt wurde. Um 1900 war es durch Missionare bereits auf allen Kontinenten bekannt. Übersetzt wurde es in über 330 Sprachen und Dialekte - ein wahrhaft weltweit völkerverbindendes Lied! Die alte Nikolauskirche wurde nach Verlegung des Ortes Oberndorf abgetragen, heute steht an ihrer Stelle die Stille-Nacht-Gedächtniskapelle. Marieta Hiller, 2017
„Komm, setze dich zu mir. Es ist ein schlimmer Abend heute. Aller Sommer ist tot. ... Der Herbst sickert durch alle Fugen, geängstigt keucht die Kerze, riesige Schatten flattern an den Wänden.“

So beginnt das Buch Rodenstein von Werner Bergengruen (1892-1964), der eine Zeit seines Lebens in Lindenfels verbrachte und Odenwälder Sagen - vor allem gruselige - sammelte. Der Rodensteiner und das Wilde Heer faszinierte ihn besonders. Wenn ein Krieg sich ankündigte, so hörte man früher in der Nacht, als die Stuben noch von Kien und Kerzenlicht erhellt wurden, das Wilde Heer vom Schnellerts durch den Haalhof ziehen. Heute ruht im Wald zwischen Nieder- und Oberkainsbach still die Ruine der Schnellertsburg, und auf dem Haalhof rasseln allenfalls Kühe mit Ketten.

Burgenforscher Thomas Steinmetz stellte in Heft 3/2015 „Der Odenwald - Zeitschrift des Breuberg-Bundes“ einen neuen geschichtlichen Ansatz zum näheren Umfeld des Schnellertsberges vor. Dem Burgbau (- die Ruine wird zur Zeit von der Forschungsgemeinschaft Schnellert e.V. restauriert) gehe demnach der Erwerb fuldischer Lehen im Gersprenztal und Kainsbachtal durch die Schenken von Erbach voraus. Der Name Schnellerts rührt von der Snelhartswiese (hart= Wald). Der Haalhof unterhalb der Burg wurde früher Hausen genannt und ist ein erbach-fuldisches Lehen, er diente zusammen mit dem Erlenbacher Lehen in Ober-Kainsbach (Kuningisbach) und einem dritten Lehen im Wünschbachtal der Versorgung und Unterhaltung der Burgbewohner. Die Burg sollte für die Erbacher Schenken den rohstoffhaltigen Odenwald gegen den Zugriff anderer absichern.

Nach Dr. Wolfram Becher (meinem früheren Lateinlehrer, der sich immer umdrehen mußte wenn er mit uns schimpfte, weil er so grinsen mußte...) entstand die Burg 1391 als breubergisches Lehen. Dafür gibt es jedoch keine urkundlichen Belege. Thomas Steinmetz geht davon aus, daß die Burg bereits 1228 erbaut wurde wobei es möglicherweise ein „Schwarzbau“ war.

Die Forschungsgemeinschaft Schnellerts e.V. hat eine sehr informative Homepage mit der Historie, der Ruinenbeschreibung, der Wegbeschreibung, der Chronologie, den Mythen und Sagen, dem Museum und Aktuelles. www.schnellerts.de

So enden wir mit Werner Bergengruen:

„Heute ist Herbst. Frühling stürzt in Sommer, Sommer in Herbst, Herbst in Winter. In was kann der Winter stürmen, wenn nicht in den Tod? .. Lasse ihn stürmen, lasse ihn umreiten, den Unbeendeten."

Der Rodensteiner: mit einem Fluch belegt

Ein Fluch liegt auf dem Rodensteiner, der seit alten Zeiten als ruheloser Geist zwischen dem Schnellerts und dem Rodenstein hin- und herziehen muß. Denn er hat seine schwangere Frau so heftig gestoßen, so daß sie starb. Sie hatte ihn angefleht, nicht in den Kampf zu ziehen, doch er war kriegslüstern und wollte sich von ihr nicht aufhalten lassen. Und so zieht der Rodensteiner immer dann, wenn sich ein Krieg ankündigt, vom Schnellerts durch die Lüfte mit seinem wilden Heer zum Rodenstein. Das Kriegsende ist nahe, wenn das wilde Heer in der Gegenrichtung dahinrasselt. Die alte Sage berichtet uns zuerst vom fahrenden Schnellertsherrn, der das wilde Heer anführt. Ab 1770 spricht man auch vom Rodensteiner. In den Reichenberger Protokollen von 1742-1796 werden Auszug und Wiederkehr des wilden Heeres von mehreren Bewohnern des Gersprenztales zu Protokoll gegeben. Unter Angabe von Tag und Stunde soll das wilde Heer mit lautem Gebrause und Getöse zu hören gewesen sein, mit Hundegebell, Pferdegewieher und schlagenden Türen. Auch im 19. Jahrhundert wurden die Züge des Rodensteiners mehrfach erwähnt, und jedesmal befürchtete man den Ausbruch eines Krieges.

Das war nicht ganz unbegründet: denn Kriege beherrschten die Jahrhunderte auch im Odenwald, und es ist ein kostbares und unbezahlbares Privileg, daß wir heutzutage in einer seit über siebzig Jahren friedlichen Epoche leben dürfen.

Natürlich wurde die alte Sage von romantischen Dichtern gern und oft literarisch umgeprägt, man versuchte rationale und mythologische Erklärungen.

Erdstöße (wie sie ja in unserer Region nicht selten sind), Luftströmungen und Echoerscheinungen aufgrund besonderer topologischer Merkmale, Zugvögel wären solche rationale Erklärungsversuche. Mythologisch brachte man den Rodensteiner mit Wodan, dem Sturmgott, und seinem Hengst Sleipnir in Verbindung, der Schnellerts und Rodenstein seien heilige Orte der Germanen gewesen. Karl der Große, Dietrich von Bern und König Artus wurden später zu Anführern des wilden Heeres.

Aber das wilde Heer ist kein Alleinstellungsmerkmal für das Rodensteiner Land: im Harz, im Vogelsberg, in Thüringen und im Harz, in Schwaben und Franken gibt es Berichte über umherziehende Geisterheere. Denn diese Sage gehört zu den archaischen Bildern der Menschheit: Naturvölker in Sumatra, Nordamerika (Indianerstämme), Südafrika (Buschmänner) und im arabischen Raum kennen die Sage vom Zug des wilden Heeres.

Totenkulte mit dämonischem Charakter schufen einen Brauch, der vor allem in den Zwölfnächten (Rauhnächte 25.12.-6.1.) ausgeübt wurde: Man verkleidete sich als Krieger, Hunde und Pferde und zog mit großem Lärm tanzend* durch die Straßen. Kriegerbünde bildeten die Totenschar, und so entstand die Sage vom Vorhersagen der Kriege.

Perchten und Hollen im alemannischen Sprachraum erzählen davon, auch Bohlischbock und Belznickel im Odenwald. Dr. Wolfram Becher vermutet, daß sich die Sage gerade hier zwischen Schnellerts und Rodenstein entwickelte, weil es sich hier um eine politisch recht schwierige Wegstrecke auf alten Gebietsgrenzen handelt. Vom Schnellertsberg durch die Haal nach Brensbach und Fränkisch-Crumbach zum Rodenstein. Oftmals berichtet der Volksmund, daß das wilde Heer in der Küche beim Kochen oder in der Schmiede beim Beschlagen der Pferde angetroffen wurde.

Der Haalhof: mittendurch soll einst der Zug des Wilden Heeres gegangen sein...

 

Nicht immer kündete der Zug vom bevorstehenden Krieg: in manchen Regionen ist es ein Fruchtbarkeitszauber. Das Feld über das das wilde Heer zieht, wird im kommenden Jahr das fruchtbarste sein. Die Burg Rodenstein aber steht seit 1635 leer, der letzte Rodensteiner verstarb 1671. Er - Junker Hans III zu Rodenstein - war Vorbild für die Entstehung der hiesigen Sage vom wilden Heer.

*Nicht so viel Lärm, aber um so mehr Gruseleffekt hat der Brauch der Worzelbouze, Riewebouze oder Dickwurzfratzen. Man höhlte Dickwurz aus, schnitt ein gruseliges Gesicht hinein, steckte sie mit einer Kerze auf einen Stecken und zog damit in der Nacht zu Allerheiligen von Haus zu Haus, ließ die leuchtenden Fratzen durch die Fenster in die Stuben sehen. Man nannte die Bouze im Odenwald auch Deiwelskopp oder Rummelesbouz. Im "Rummeles" steckt das Wort Rumoren für Lärm machen. Denn die Buben in den Dörfern machten sich einen Spaß daraus, nicht zur die Bouze in die Fenster zu halten. Nein, sie machten dazu auch schaurige Geräusche, etwa indem sie eine Schnur spannten und mit Schuhkrem rieben (das Prinzip der Teufelsgeige). Oder sie bliesen auf dem Kamm.
Lesen Sie dazu auch: Rettet die Dickwurz! Und das Dialektsprechen!

Zwei Frauen - ein Ritter

Der eine schlug seine schwangere Frau tot und mußte für alle Zeiten wäwwern (spuken). Der andere soll gar zwei Frauen geheiratet haben: Philipp III von Rodenstein wird auf einem Denkmal in der Ev. Kirche Fränkisch-Crumbach mit zwei Gattinnen dargestellt.

"Einem Herrn von Rodenstein wurde die Zeit zu Hause allzulang, wie das den großen Herren oft geht; er nahm Abschied von seiner Frau und ging auf die Reise nach Jerusalem, wo die Türken das heilige Grab Jesu besitzen. Als er sah, wie diese die armen Pilger plagten, fing er Händel mit ihnen an und forderte sie mit einigen anderen Herren, die gleichen Sinnes wie er waren, zum Kampf heraus. ..."

Die Sage aus der Zeit der Kreuzzüge spinnt die Geschichte weiter: Kettenhaft bei den Türken, jahrelanges Schmachten, schließlich die Rettung in Gestalt der Tochter des Gefängniswärters.

Sie heiratete den Ritter und floh mit ihm in sein Vaterland. Der Rodensteiner mußte nicht lange überlegen, nahm die Tochter zur Frau und kehrte nach Rodenstein zurück. Dort angekommen, fand er seine erste Frau wohlauf und nicht allzu sehr vergrämt vor, und sie willigte auch gleich in den seltsamen Handel der menage à trois ein, sofern denn der Herr Pfarrer auch zustimme.

Dieser natürlich holte sich erst die Rückversicherung durch den Landesherrn, der die Sache so absonderlich fand daß er sie genehmigte. Und so lebten sie glücklich und zufrieden bis an ihr Ende: die Geschichte ist nicht ganz unbekannt, denn auch in den Märchen aus 1001 Nacht weiß Scheherazade von einer solchen Begebenheit zu erzählen. Beide Frauen aber, die Orientalin und die Rodensteinerin, wurden beste Freundinnen und man begrub sie nach ihrem Tod zu beiden Seiten Philipps des Dritten von Rodenstein.

Zu schön um wahr zu sein? Philipp III, *1544, heiratete 1566 Margarete von Habern. Sie erbauten das Herrenhaus in Fränkisch-Crumbach, wo sie lebten bis zum Ausbruch des 30jährigen Krieges. Das Herrenhaus brannte nieder, Margarete starb. Philipp heiratete danach Christine Schutzpar von Milchling, war also nacheinander und keinesfalls gleichzeitig mit zwei Frauen verheiratet. Philipp III führte übrigens die Reformation in Fränkisch-Crumbach ein, 1579 setzte er den lutherischen Pfarrer Johann Busch ein. Zuvor, unter Georg III bis 1563, war man katholisch.

Der 11. November ist ein wichtiger Tag: einerseits beginnt da die 5. Jahreszeit - die Fastnacht.

Andererseits hat diese Jahreszeit ihren Ursprung darin, daß ab dem 11. November bis Weihnachten Fastenzeit herrschte. Deshalb ließen es sich die Menschen vorher schnell noch einmal gut gehen. An diesem Tag mußte der Zehnte abgeliefert werden - wenn es auch leider nie beim Zehnten, dem Zehntel der Einkünfte, blieb.

Schon im Mittelalter waren die Abgaben ähnlich hoch wie zu unseren Zeiten... Der Zehnte wurde von allem, was die Familie so produzierte, gezahlt: also Gänse, Schweine, Getreide, Gemüse, Wolle, Tuch. Martini, der 11. November, war und ist vielerorts auch noch heute der Tag, zu dem Verträge über Pacht oder Sold enden. Der Name kommt vom Heiligen Martin, der bekanntlich seinen Mantel mit dem Schwert zerteilte, um die Hälfte einem frierenden Bettler zu geben.

Martin war als Offizier des römischen Besatzungsheeres in der Civitas Vangionum (heute Worms) stationiert, ließ sich im Jahre 351 taufen und wollte von da an nicht mehr im Heer gegen die Germanen kämpfen. Von nun an sei er nicht mehr miles Caesaris, sondern miles Christi, Soldat nicht mehr des Kaisers sondern Christi.

Seine Bitte um Entlassung aus dem Armeedienst wurde ihm verweigert, bis er die vorgeschriebenen 25 Jahre Heeresdienst abgeleistet hatte.

Der sagenhafte Mantel, auf lateinisch cappa, wurde dem Kronschatz der Merowinger einverleibt und als Reliquie vom Kappellan verwahrt. Von diesem Begriff cappa läßt sich unser Kaplan, zudem die Kapelle ableiten. Denn der Mantel wurde in einer eigenen kleinen Kirche, der Kapelle, aufbewahrt. Die fränkischen Könige konnten nicht selbst lesen und schreiben, dafür hatten sie ihre Kapellane, die wichtige Schriftstücke in der Kapelle aufbewahrten. November 2013

Weihnachten, Christkind - und warum wir an diesem Datum feiern

"Wir feiern den 25. Dezember nicht wegen der Geburt der Sonne wie die Ungläubigen, sondern wegen der Geburt dessen, der die Sonne erschaffen hat." so sprach Kirchenvater Augustinus (4. Jh. n. Chr.). Es ging nicht an, daß die Menschen wie in vorchristlicher Zeit die Tage um die Wintersonnwende als eine besondere Zeit begingen. Man hielt Einkehr, überdachte das Vergangene und bereitete sich zugleich auf das neue Jahr vor. Bei den Römern gab es die Saturnalien, die Römer feierten Mittwinter und die Ägypter die Geburt des Horus.
Augustinus aber führte die Sitte ein, ein Fest des Friedens und des Lichts zu feiern. Alle Feindseligkeiten mußten ab der Wintersonnwende für drei Wochen stillschweigen, man verschob ausstehende Forderungen und sühnte keine Jagdfrevel in dieser Zeit. Auch kam die Sitte auf, Arme und Bedürftige zu  beschenken.  Am 21. Dezember war der "blutige Thomas", ein furchterregender Feiertag, den die Christen vor Augustinus hatten: hammerschwingend mit blutunterlaufenen Augen stürmte Thomas die Häuser und wollte Kindern den Kopf einzuschlagen. In der Thomasnacht räucherte man die Häuser aus - was ja mit den Rauhnächten noch immer im Bewußtsein der Menschen ist, wenn auch ein paar Tage später -, man trieb die bösen Dämonen mit einer Glutpfanne und Kräuterdämpfen hinaus. Dieser blutrünstige Brauch erschien den Kirchenvätern, und vor allem Augustinus, dem bewußt war, daß die Menschen unter der dunklen kalten Jahreszeit litten, als abschaffenswürdig, und sie verlegten ihn kurzerhand auf den 3. Juli. An seiner Stelle wurde das Christfest einfeführt, das für Frieden und Liebe stand. Letzte Überreste des "blutigen Thomas" finden sich noch am Nikolausabend: da stampft kettenrasselnd Knecht Ruprecht durchs Haus, in manchen Gegenden auch der Krampus oder Hans Muff. Wer brav war, der bekam Äpfel und Nüsse, wer nicht artig war, dem drohte die Rute. Viele weitere Geschichten um Winterzauber und Weihnacht sind im Buch "Mondmagie und Liebeszauber von Ute York (Knaur Verlag) zu finden, so zum Beispiel diese: Licht war im Dezember, wenn es stockdunkel und ungemütlich draußen war und der Wind durch alle Ritzen im Haus pfiff, etwas sehr Kostbares. Wie schnell konnte ein Windzug die rußige Kienfackel verlöschen lassen, die  notdürftig die Stube erhellte und gehörig stank. Kerzen gab es nur bei Wohlhabenden. "Ein hübscher Brauch war es, wenn die Hausfrau am Weihnachtstag mit dem Brotbacken fertig war, mit teigigen Fingern die Bäume im Garten zu umfassen. So sollten die Obstbäume im kommenden Jahr besonders gut tragen. Sogar die Reste vom Festessen bekamen die Bäume: in Böhmen schüttete man sie an die Wurzeln der Bäume." "Lange vor dem Christbaum holte man bereits grüne Zweige in Haus und Stall, in der Hoffnung, daß sich deren Lebenskraft auf Mensch und Tier übertragen werde. Wer zur Weihnachtszeit keinen grünen Zweig im Haus hatte, der würde nach mittelalterlicher Überzeugung das Jahr
nicht überleben." Klar, daß die alten heidnischen Zweigzauber den Kirchenvätern nicht behagten. Lange Zeit war das Fällen und Aufstellen von Nadelbäumen vor Weihnachten verboten. Erst im 19. Jahrhundert wurde es allgemein üblich, einen Christbaum in der Stube aufzustellen - aber da war ja das Zeitalter der Aufklärung auch schon eine Weile ins Land gegangen... Kerzen als etwas von altersher Kostbares schmückten ihn ebenso wie Äpfel - die schönen kleinen rotbackigen! - und Nüsse. Im Odenwald hieß er auch Zuckerbaum, wegen der Süßigkeiten und der süßen Äpfel, die an ihm zu finden waren. Marieta Hiller

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Ein Zauberglanz in ihren Augen...

Wer kennt es noch: das Gefühl, wenn die Nase an der Schaufensterscheibe festgefroren scheint, weil man so lange, lange hineingeschaut hat in all die Herrlichkeit! Puppen mit Schlafaugen und seidiger Haarpracht, Sternenflitter und Kerzenschimmer, rauchende Schornsteine auf winzigen Häuschen, an denen eine Eisenbahn mit Dampflokomotive vorbeirattert! Drücken wir - und unsere Kinder - uns heute noch Nasen platt an Computerbildschirmen? Stehen wir mit zu Eis gefrorenen Händen und Füßen da und schauen, stundenlang?

Längst ist all die Spielzeugpracht nicht mehr unerreichbar, versperrt durch eine große kalte Glasscheibe, hinter einer Tür, an der wohl ein klingendes Glöckchen erklingt, aber auch eine gestrenge ältere Dame dafür sorgt, daß wir nichts anfassen...

Längst können wir alles auf Knopfdruck bekommen, bequem per Internet bestellen und zahlen. Aber ist es damit auch noch so unvergleichlich erstrebenswert?

Fiebern wir heute noch so hin auf das Fest der Feste, auf Weihnachten, wenn all unsere Wünsche in Erfüllung gehen könnten? Meist taten sie es nicht. Glücklich waren wir, wenn auch nur einer unserer Herzenswünsche erfüllt wurde, und nicht nur Socken und Schulhefte unter dem Weihnachtsbaum lagen.

Verheißungsvoll schien uns früher Sternenglanz, Glockenklang und Kerzenschein - Zeichen einer ganz besonderen Zeit, der Zeit des Wünschens.

Schenken war noch etwas sehr Durchdachtes: zunächst mußten unsere geheimsten Wünsche ja erforscht werden! Dann galt es, heimlich heimlich genau das Richtige zu finden, es zu erstehen - was oftmals schon das größte Hindernis war, denn soviel Geld wir heute haben, hatten die Leute früher nicht - es nach Hause zu bringen und gut zu verstecken; so daß unser Geschenk wirklich bis zum Abend der Bescherung ein Geheimnis, eine Überraschung blieb! Und was konnte uns ein schönerer Lohn sein als der Zauberglanz in ihren Augen, wenn sie unsere liebevoll verpackten Geschenke auswickelten...

Wir können ihn uns nicht zurückholen, diesen Zauberglanz - kein Internetshop der ganzen WWWelt kann das. Aber wir können ihn in unserer Erinnerung behalten, können Bilder heraufbeschwören. Bilder vom strahlenden Weihnachtszimmer, das Glöckchen, das uns beim Abendessen - so überraschend! - ruft, der Sturm auf die Tür, jeder will zuerst den Baum sehen, den Baum! Und dann Sturm auf die Geschenke, Papierrascheln, versunkenes Betrachten.

Ein Abglanz jener glücklichen Zeiten erscheint uns vielleicht in den verwinkelten Gassen einer ganz besonderen mittelalterlichen Kleinstadt mitten in Deutschland: in Rothenburg ob der Tauber. Denn hier ist ganzjährig Weihnachten, in vielen Geschäften finden Weihnachtsbesessene hier, was das Herz begehrt. Christbaumschmuck, mundgeblasene und handbemalte Kugeln, Lauschaer Glasvögelchen, die guten alten Wachskerzen, erzgebirgische Räuchermännlein, gold- und silbernglimmernde Feen, aber auch Weihnachtsgurken! Skurril ist es, das Weihnachtsdorf - wie Rothenberg ob der Tauber auch spöttisch genannt wird. Skurril, mitten im Sommer geschmückte Christbäume zu sehen, Schaufenster voller Schlitten im Kunstschnee, fast fürchtet man, daß es nach Bratäpfeln und Glühwein riecht, kommt man um die nächste Gassenecke.

Doch nirgends läßt es sich besser in Erinnerungen an die Kindheit schwelgen, als hier in einem Straßencafé im August, und wenn auch die Räuchermännlein qualmen auf Teufel komm raus!

Wem all das Weihnachtsgeglitzer zu bunt wird, der kann trotzdem durch die Gassen streifen, um schiefe Sandsteinhausecken spähen, durch weinbehangene Torbögen schreiten, vergessene Winkel und liebevolle Türeingänge entdecken. Vielleicht stößt man dabei ja auf das Kriminalmuseum, das einzige Rechtskundemuseum in ganz Europa. Gruselig wird einem hier ums Herz beim Betrachten all der Züchtigungsmethoden in den Kellergewölben, die Todesstrafe mag manchem da gnädig erscheinen. Auf Holzschnitten und Kupferstichen sind alte Kriminalfälle dargestellt, es gibt eine Abteilung für Hexenverfolgung und Hexerei, Darstellungen von Gerichtsverfahren, Folter und Strafvollzug in früheren Zeiten. Wie man als unbescholtener Bürger in Rothenburg lebte, das läßt sich im Alt-Rothenburger Handwerkerhaus im Stadtgraben 26 entdecken, und wie es im Dreißigjährigen Krieg zuging, soweit es damals noch jemanden gab, der es berichten konnte, sieht man im Historiengewölbe mit Staatsverlies.

Doch zurück zur Welt des Zauberglanzes: es gibt in Rothenburg auch ein Puppen- und Spielzeugmuseum, wo die Welt im Kleinformat auf Besucher wartet. Über 800 Puppen gibt es hier, eine jede ein  Abbild ihrer sozialen und kulturellen Welt. In zwei Häusern aus dem 15. bzw. aus dem 17. Jahrhundert sind Puppenstuben, Puppenschulen, Kaufläden, Eisenbahnen und Blechspielzeug zu sehen.

Wer weiß, vielleicht bringt ein Ausflug ins Taubertal und in das mittelalterliche Städtchen Rothenburg uns ein Stück heile Welt zurück, zumindest aber können wir uns für eine kurze Zeit vorstellen, daß es sie einmal gegeben haben muß...

Marieta Hiller

Weitere Infos:

www.rothenburg.de

www.spielzeugmuseum.rothenburg.de

www.kriminalmuseum.rothenburg.de

www.weihnachtsmuseum.de

wohlfahrt.com/76-0-weihnachtsstadt_rothenburg

www.alt-rothenburger-handwerkerhaus.de

Die Rauhnächte sind eine ganz besondere Zeit

Es sind die Tage - und vor allem die Nächte - zwischen Heiligabend und Heilig-Drei-Könige, auch Zwölfnächte genannt, an denen das Tor zur Geisterwelt besonders durchlässig ist.
Früher, als die Leute noch abergläubisch waren, durfte während der Zwölfnächte nicht gewaschen werden, nicht gekehrt, nicht gebadet - nichts durfte das Haus verlassen, womit die Geister Macht über die Bewohner bekommen konnten. Vor allem frisch gewaschene Wäsche im Garten, aber auch abgeschnittene Fingernägel und Haare, die ins Freie gelangten, oder Hautschuppen, die mit dem Kehrricht vor die Türe kamen, waren solche Dinge, auf die es die Geister abgesehen hatten. War so ein ehemaliges Teil eines Menschen erst einmal in ihrer Hand, bekamen sie die Macht, aus ihrer Geisterwelt hinüber zu kommen in unsere...
Heute sind die Tage "zwischen den Jahren" noch immer eine Zeit der Einkehr, der Besinnung.  M. Hiller Auf den Fotos zu sehen: Ein sehr unbequemes Kostüm aus alter Odenwälder Tradition: die Stoppelgans. Die Fotos stammen aus dem Nachlass von Dr. Heinrich Winter und sind dem Buch  “Odenwälder Brauchtum” von Helmut Seebach entnommen. Die Stoppelgans ist das schwierigste Kostüm der Rauhnächte-Figuren.

Wer ist er eigentlich, der Nikolaus? Ist er ein Guter oder ein Böser?
Wer kennt ihn nicht: „den großen Nikolas mit seinem großen Tintenfaß“ - der zur Strafe für ungehorsame Kinder im Struwwelpeter als Drohfigur auftritt. Generationen von Kindern wurden mit dem - heutzutage völlig ungeeigneten - Erziehungshilfsmittel von Dr. Heinrich Hoffmann geängstigt. Die unzerreißbare, ungekürzte farbige Volksausgabe steht wohl noch in jedem Bücherschrank, aber Angst vor dem Nikolaus hat heute keiner mehr.


Wie aber ist die Nikolausfigur entstanden?

Darüber gab vor einigen Jahren eine wunderschöne Ausstellung von Gerd J. Grein im Alten Rathaus in Lengfeld Auskunft. Hier erfährt man, daß es im 17. Jahrhundert die Schreckfigur des Kinderfressers gab. Denn eigentlich mußte ja niemand Angst vor dem heiligen Nikolaus haben, sondern vor seinem Begleiter: Knecht Ruprecht, andernorts auch der Krampus oder der Rauhe Percht genannt. Der Schwarz Mann steht für das Böse, das dem Guten zu dienen hat. Er soll die unartigen Kinder erschrecken, während die braven mit Nüssen und Zuckerwerk beschenkt werden. Knecht Ruprecht trägt auch die berüchtigte Rute, vor der sich die Kinder am meisten fürchten. Dabei gilt der Streich mit der Rute erst seit der Aufklärung als Strafe. Davor versprach die Berührung mit der Rute interessanterweise Glück und Segen. Da die Ruten meist aus knospenden Zweigen, so genannten Maien, gebunden waren, erinnerten sie an die immergrünen Kränze, die Schutz und Fruchtbarkeit versprachen. Durch die Berührung mit der Rute sollte sich die Lebenskraft auf die Personen übertragen.


Im 19. Jahrhundert entstand die Figur des Guten, des St. Nikolaus, aber nur in katholischen Gegenden, in Evangelischen war es der gute alte Mann. Und im Odenwald war er der Niklos: „Mimm große Dindefass kummd do de Niklos dene hinnenoh“. Auch diese Ausgabe des Struwwelpeter ist in Lengfeld zu entdecken.

Lautern: Der erste Christbaum wurde 1880 aufgestellt...

In Lautern übrigens, so konnte Gerd Grein verraten, wurde im Jahre 1880 der erste Christbaum aufgestellt, und zwar in der Wohnstube von Familie Krichbaum. Er steckte in einer halbierten Rübe, die als Fuß diente, war klein, aber hübsch mit Papiergirlanden geschmückt. Das ganze Dorf kam, um diesen Baum zu betrachten.
Was wir aber heutzutage aus Weihnachten gemacht haben, das  hat mit dem volkstümlichen Fest nicht mehr viel zu tun. Im August gibt es Schokoladennikoläuse, ab September kann man nicht mehr Fernsehen ohne von „come in and find out“ (zu deutsch komm rein und finde wieder raus...) Parfümchen belästigt zu werden.
Heinrich Böll warnte schon vor über 60 Jahren davor. In seiner Geschichte „Nicht nur zur Weihnachtszeit“ haucht ganzjährig und unermüdlich, aber ungehört, ein Engel von der Christbaumspitze sein „Frieden Frieden Frieden“ in die absurde Welt des sozialen Werteverfalls.

Wer war der Nikolaus wirklich?

Über den historischen Nikolaus gibt es wenige belegte Tatsachen. Er lebte in Myra in Lykien, heute Demre, das ist ein kleiner Ort etwa 100 km südwestlich von Antalya in der heutigen Türkei. Im 4. Jahrhundert war es Bischofssitz. Geboren wurde Nikolaus zwischen 270 und 286 in Patara in Lykien. Die Sage berichtet, daß er, der Sohn reicher Eltern, sein ererbtes Vermögen unter den Armen verteilt habe.
Bischof Nikolaus lernt drei oströmische Feldherren kennen, die er zu sich nach Myra einlädt. Dort werden diese zu Zeugen, wie der Bischof drei unschuldig zum Tod Verurteilte vor der Hinrichtung bewahrt, indem er dem Scharfrichter das Schwert aus der Hand reißt. Zurück in Byzanz werden die drei Feldherren Opfer einer Intrige und selbst zum Tod verurteilt. Im Kerker erbitten sie die Hilfe des heiligen Nikolaus, der daraufhin dem Kaiser und dem Intriganten erscheint und im Falle der Hinrichtung erhebliche Konsequenzen ankündigt. Zutiefst erschrocken veranlasst der Kaiser die unverzügliche Freilassung der Feldherren. Eine andere Sage (bei Heiligen spricht man hier nicht von Sagen, sondern von Legenden): Nikolaus hilft mit drei Goldklumpen einem armen Mann und dessen Töchtern. Ein verarmter Mann beabsichtigt, seine drei Töchter zu Prostituierten zu machen, weil er sie mangels Mitgift nicht standesgemäß verheiraten kann. Nikolaus, noch nicht Bischof und gerade durch ein Erbe mit einem größeren Vermögen ausgestattet, erfährt von der Notlage und wirft in drei aufeinander folgenden Nächten je einen großen Goldklumpen durch das Fenster des Zimmers der drei Jungfrauen. In der dritten Nacht gelingt es dem Vater, ihn zu entdecken, ihn nach seinem Namen zu fragen und ihm dafür zu danken, dass nun die Mitgift für jede der Töchter gesichert ist. Aus dieser Legende entspringt die häufige ikonografische Darstellung mit drei goldenen Kugeln oder Äpfeln. So steht es in Wikipedia nachzulesen.

Die Odenwälder Weihnachtsfiguren und ihre Verwandten in der weiten Welt

Hier sind nun noch ein paar Anmerkungen von mir: in der Vorweihnachtszeit kamen das Christkindchen und der Belznickel (Rupprecht) und spielten good cop - bad cop. Das war seit dem 17. Jh. so. Das Christkindchen hatte einen Korb mit Gaben dabei und das Zuckerbäumchen. Der Belznickel hieß an manchen Orten auch Strohnickel, Belzmärtel oder Belzebock, was schon die Nähe zu Beelzebub = Teufel andeutet. In anderen Orten wurde das Christkindchen von Tieren begleitet: Bär, Esel und Bock als Teufelsverkörperungen, die aus der alten heidnischen Panverehrung herrühren. Diese Bräuche müssen also schon viel älter sein als der erste Beleg im 17. Jh.
Die Vorreformation (vor dem 16. Jh) brachte den Hl. Nikolaus zu Ehren. Seither wird auch er an manchen Orten vom Rupprecht begleitet.
Der Nikolaus wurde im Odenwald, wenn er überhaupt anstelle des Christkindchens die gute Seite verkörpern durfte, sehr unterschiedlich verkleidet: eigentlich kam es nur darauf an, daß das Gesicht nicht erkennbar war. Erst nach dem 2. Weltkrieg bekam er den roten Mantel mit weißem Pelzbesatz und seinen langen weißen Bart.
Bei Philipp Buxbaum (Bauernbrot, Bilder aus dem Odw. Volksleben, 1910) tauchen in derselben Geschichte Pelznickel, Knecht Rupprecht und Nikolaus in einer Gestalt auf, d.h. er beschreibt wie sich ein Verwandter in denselben verwandelt und nennt ihn dann während seiner Erzählung bei allen drei Namen.

Heinrich Tischner schreibt über den Hl. Nikolaus: "In katholischen Gegenden kann man heute noch erleben, dass Nikolaus nicht mit Kapuze, Sack und Rute, sondern im Bischofsornat mit dem Bischofsstab erscheint, oft in Begleitung eines Wesens namens Knecht Ruprecht, Krampus (Bayern, Österreich), Pelzmärtel (Schwaben), Pelznickel (Hessen). Der alte hessische Pelznickel war alles andere als ein Kinderfreund, eine furchterregende Gestalt, in Felle (Pelze) gehüllt, mit Ketten gefesselt, entsetzlichen Lärm machend, vor der man vor Angst unter den Küchentisch kroch. Den Namen Belznickel gibt es auch in den Vereinigten Staaten (pfälzisches Erbe), und bei Familien deutscher Herkunft in Brasilien, wo er Pelznickel heißt.Ich selbst kann mich noch gut an den "Nikolaus" meiner Kindheit entsinnen, bekleidet mit einem dicken Mantel aus Schaffellen, mit langem Bart, wie sich's gehört, aber mit Bischofsmütze und Bischofstab. Er machte dem Namen Pelznickel also alle Ehre: Bischof Nikolaus und bepelzter Popanz in einer Gestalt." Marieta Hiller

Der Nikolaus wurde zum Belznickel

In früheren Zeiten zogen im Dezember und Januar seltsame Gestalten durch die Dörfer, erschreckten oft die Kinder dort: aus dem guten Nikolaus wurde hier der Belznickel. Der Name erinnert an Pelz, denn in Pelz gehüllt waren hochgestellte Personen, oft auch Krieger. So auch der Begleiter Knecht Ruprecht. Ru kommt von rauh, was pelzig bedeutet. Doch im Odenwald wurde aus dem Belznickel schnell der Strohnickel, denn Stroh war einfach besser verfügbar als Pelz. In der Biedenkopfer Gegend wurde er zum Schuddenickel (Schudde = Schotenstroh), in der Rhön zum Herschekloas (Hersche = Hirse). Hier im Odenwald kannte man ihn auch als Bollebouz oder Storrnickel (von bollern = poltern, storren von stochern). Begleitet wurde der Nickel vom Bohlischbock und anderen Gestalten.

Aus: Karl-Heinz Mittenhuber, Wo der Rodensteiner durch die Lüfte braust - Merk- und Denkwürdiges aus dem Odenwald, Fränkisch-Crumbach 1992

Der Schnee des letzten Winters (2013) hat alle geschafft. Wer hätte in Zeiten der Klimaerwärmung mit einem solchen Bilderbuchschnee gerechnet, wie ihn manch einer nur noch aus dem Märchen kennt?

Doch welche Lasten bürdete uns dieser Winter auf: eingestürzte Dächer, Staus und Unfälle, der Müll wurde nicht mehr abgeholt, das Streusalz ging vorzeitig zur Neige, wir fühlten uns eingeschränkt in unserer freien Beweglichkeit, mußten stundenlang Schnee schaufeln - kurz: alles war schrecklich.

Doch wer denkt bei all dieser Unbill daran, wie sich wohl die Menschen in früheren Zeiten gefühlt haben müssen, wenn die weißen Flocken vom Himmel rieselten?

Kein Streuauto kam und schob den Schnee von der Straße - ja, es gab noch nicht einmal eine Straße! Keine Zentralheizung sorgte für wohlige Wärme, wenn man von draußen hereinkam und die klammen Finger auftauen sollten. Kein Supermarkt um die Ecke, der notfalls zu Fuß erreichbar war, wenn das Auto nicht ansprang...

Die gute alte Zeit, in unseren Augen oft so verklärt als etwas Romantisches, unwiederbringlich Verlorenes - kaum einer würde wirklich damals leben wollen.

Die Vorratshaltung war darauf eingestellt, daß die Hausgemeinschaft damit mehrere Wochen auskommen konnte. Das hieß aber auch: keine Erdbeeren im Dezember, keinen Gurkensalat und keinen Vanillepudding - es gab Eintöpfe aus eingekellerten Rüben und Kartoffeln, Sauerkraut oder Bohnen aus dem Salzfaß, die Früchte des Sommers standen in Weckgläsern im Regal und ließen als Kompott längst vergangene warme Tage erinnern. In reichen Häusern hingen geräucherte Würste und Schinken in der Kammer, doch in den meisten Dörfern auf dem Lande war der Schmalztopf der Hauptlieferant tierischen Kraftstoffes.

Warm hatte man es nur, wenn man im Sommer und Herbst gut vorgesorgt hatte: meterhohe Holzstöße mußten sich bei Wintereinbruch vor dem Haus stapeln, mit Spinnen so groß wie Untertassen darin...

Übrigens Spinnen: die Wohnhäuser der damaligen Zeit teilte man mit allerlei Getier, das Schutz vor der Kälte suchte. Durch große und kleine Schlupflöcher krochen sie herein, die Mäuse, Spinnen, Käfer. Gemeinsam lebte man warm und gemütlich, und so manch einer schaute lieber nicht allzu genau in die dunklen Winkel im Keller...

Denn die Häuser waren nicht so dicht und sauber wie heute. Aus Holz, Feldstein oder Fachwerk gebaut, mit einem Dach aus Stroh oder Ziegeln, ließ es überall Botschaften der Draußenwelt herein: Kälte, Nässe, Getier. Daher war zu jenen Zeiten auch der Frühjahrsputz ein besonders wichtiger Tag im Jahr.

Schlug man morgens die Augen auf, glitzerte und funkelte es von der Decke: der gefrorene Tau begrüßte die Menschen, die in aller Frühe ihr warmes Bett verlassen mußten. Hinein in die klammen Kleider - nicht selten durften sie deshalb nachts mit unter die Decke!

Es war noch dunkel, und elektrisches Licht gab es nicht. Das kam in die abgelegenen Dörfer erst vor etwa achtzig, neunzig Jahren. Also tappte man im Dunkeln durchs Haus, das Dach ächzte unter der Schneelast, vor den winzigen Fenstern türmte sich der Schnee, und die Scheiben waren von Eisblumen überwuchert.

Hinaus aufs Örtchen - der erste Gang des Morgens, doch ach: die Haustüre auf und herein brachen die weißen Massen. So hieß es zuallererst einmal, einen schmalen Pfad durch den Schnee zum Örtchen über den Hof zu schaufeln. Kalt war es dann nicht mehr...

Eisig überkrustet alles, was man berührte, hui - nichts wie zurück in die warme Stube. Doch je, die mußte zuerst noch geheizt werden! Also wieder hinaus, einen großen Korb Feuerholz (und Spinnen) hereingeschleppt, den Ofen geputzt und dann mit Spänen („Schliwwer“) und - so vorhanden - Papier ein Feuerchen zum Leben erweckt. Ein Scheit daraufgelegt, und siehe da: schon nach zwanzig Minuten wurde es endlich gemütlich warm in der Stube.

Nur in der Stube wohlgemerkt. Es gab die Stube - zugleich Küche, Waschraum und Lebensmittelpunkt der Bewohner, und es gab die gute Stube. Die aber blieb kalt und verschlossen. Dort standen die guten Möbel, die nicht einstauben sollten, und man öffnete sie nur zum Sonntagskaffee, wenn Besuch kam oder wenn ein Feiertag anstand.

In der Küche wummert inzwischen der Herd, die Socken vom Vortag trocknen darüber, einträchtig neben gewaschenen Hemden und dem Handtuch der Familie.

Im Schiff, dem Wasserbehälter des Herdes, siedet das Wasser für die morgendliche Katzenwäsche und für den Kaffee. In einem großen Topf am Rand des Herdes bekommt die Suppe der Woche allmählich Temperatur, und der glasige Quark ist bereit, sich zu Kochkäs rühren zu lassen.

Frische Brötchen aus der Bäckerei um die Ecke? Pustekuchen! Haferbrei gab es zum Frühstück, wer Glück hatte bekam Kompott dazu.

Und dann hinaus in den Schnee! Schlittenfahren, Schneeballschlacht, Schneemann bauen!

Doch kein wasser- und winddichter Schneeanzug, keine Matschhose und Moonboots schützten die kleinen Schneebegeisterten. Streng gebot die Hausfrau über die Kleiderordnung. Da mußten zuerst nach dem Muster der Zwiebel ein kratziges Hemd, zwei bis drei noch kratzigere Wollpullover und ebenso kratzige dicke Socken, mehrere übereinander, angezogen werden. Bis die vielen Schichten endlich angezogen waren, schwitzten die Kinder schon ordentlich. Doch dann ging es hinaus in den Schnee. Eine Schlitterbahn wurde angelegt, besonderes Glück hatte, wer von seinem Vater einen selbstgebauten Holzschlitten bekommen hatte. Auch Schier gab es, hölzern und grob. Und auf dem Dorfteich hatte man seinen Spaß. Gefährlich? Na ja, die Eltern mußten ja nicht alles erfahren...

Zu Mittag kam man dann durchnäßt aber glücklich ins Haus, wo man von einer ungehaltenen Hausfrau aus den Zwiebelschichten geschält wurde, die dann am Herd getrocknet wurden und so gemeinsam mit der ganzen Familie Mittagstisch hielten.

Schule, ach richtig, da war ja auch noch die Schule: die fiel natürlich aus, wenn es so richtig geschneit hatte. Dafür kam zu Mittag der Lehrer, denn er hatte Wandeltisch. Jeden Mittag war er zu Gast in einer anderen Familie seiner Schüler. Und so hatte man nicht einmal an den Schneetagen Ruhe vor ihm.

Was taten eigentlich die Erwachsenen, wenn man so eingeschneit in einem abgelegenen Dorf wohnte?

Werkzeuge und Ackergeräte reparieren, Kleidung flicken und neue Strümpfe stricken, hoffen daß das Dach hält und das Holz reicht, Geschichten erzählen. Der Haushalt in damaliger Zeit war nicht mit einer halben Stunde Aufräumen am Tag erledigt, das war richtig viel Arbeit, und so waren die Großen bei Einbruch der Dunkelheit rechtschaffen müde. Die Kinder natürlich auch, waren sie doch den ganzen Tag draußen im Schnee! Sie wurden bald ins warme Bett gepackt, nicht ohne daß ihnen zuvor die Oma noch ein Märchen erzählt hatte; die Erwachsenen saßen dann noch ein bißchen am Herd beisammen, bei einem Kienspan oder Petroleumlicht. Stinköl-Lampen nannte man die im Odenwald. Vielleicht kamen die Nachbarn noch auf ein Schwätzchen herüber, doch bald schon hieß es „Gut Nacht“, und früh senkte sich die Stille über die verschneiten Häuser.

Marieta Hiller, Dezember 2014

Ihr kennt doch sicher die Köhlerstochter und Räuberbraut Bawweddsche, oder? Sie hat euch viel zu erzählen...

Bawweddsche meint dazu:

Also eins will ich Ihnen ja mal sagen: die Jahreszeiten sind auch nicht mehr das was sie mal waren! Im August gibts Schokonikoläuse, und im September stehen schon die ausgehöhlten Kürbisse vor den Türen...

Früher, als die Menschen noch ohne elektrischen Strom lebten, da wurde es früher dunkel. Jedenfalls kam es uns so vor. Die Häuser duckten sich in der Dämmerung, zogen die Schultern ein. Drinnen hockten die Menschen und gruselten sich, ließens sich aber zugleich auf der warmen Ofenbank gutgehen. Uns Räubern ging es nicht so gut!

Draußen mußten wir hausen, so gut es ging - im Kalten, bei Regen und Schnee!
Aus dem finsteren Wald heraus konnten wir ihre Fenster sehen: warme gelbe Vierecke in den gemütlichen Häuschen; o wie gern hätten wir uns auch auf die Ofenbank gekuschelt...

Doch wie gesagt: sie gruselten sich. Dabei wußten sie nichts von den wirklich gruseligen Umständen des Lebens!

Und wenn es dann am Abend dunkel wurde im Herbst, dann zogen die halbwüchsigen Kinder um die Häuser, mit Riewebouze. Ausgehöhlten Rüben vom Acker, denen sie grausige Gesichter schnitzten. Auf einen langen Stock damit, eine Kerze hinein, und schon konnte es losgehen: an die Fenster wurde geklopft, mit verstellter Stimme gerufen. Doch wie haben wir selbst sie beneidet, sie die im Dunkeln um die Häuser zogen mit ihren Riewebouze. Uns hätte bestimmt nicht gegruselt!

Aber wenn man so mit Räuberaugen betrachtet, was die Menschen heutzutags alles anstellen, um sich zu gruseln, dann kann es einem schon gruselig werden. Und was aus den hübschen Riewebouze geworden ist: auch das ist gruselig...

Na ja, da gab es auch noch die Kelten. Aber das war lange vor unserer Zeit. Allerdings auch lang nach der Zeit jener Kelten, die nicht im Odenwald gelebt haben sondern nur rundherum. Sozusagen der zweite Keltenaufguß: in Irland - dem Land wo sie Knopf und Knopfloch durch Sicherheitsnadeln ersetzt haben (lest nur euren Heinrich Böll, so ihr lesen könnt wie ich! Ich bin nämlich eine gebildete Räuberbraut!) in Irland also war es Brauch, zu All Hallows’ Eve, dem Allerheiligenfest der katholischen Iren in der Nacht vom 31. Oktober zum 1. November, dafür zu sorgen, daß die Geister und Seelen dort blieben wo sie waren: in der Anderswelt. Sie verkleideten sich, zogen schrille Kostüme an und machten ordentlich Krach. Dazu legten sie kleine Gaben vor ihre Türen (wir Räuber hätten uns im Paradies gefühlt...)

Und da unglaublich viele Iren nach Amerika auswanderten, wo dann alle Erinnerungen an die alte Heimat mit Zuckerguß überzogen wurden, bekam auch der All Hallows’ Eve-Brauch als Halloween allmählich ein neues Gesicht. Froh sein kann man ja schon, wenn sie dort die Kürbisse - denn Kürbisse sind an die Stelle der Rüben getreten, die so schwer auszuhöhlen waren - wirklich als echte Früchte zum Aushöhlen nahmen, und das Innere zu einem leckeren Kürbissüppchen kochten! Aber bald verwandelte das Land der unbegrenzten Möglichkeiten auch die Halloween-Kürbisse in häßliche Plastikdinger. Anstelle der Gaben, die die Iren einst auf ihre Schwelle legten, wird heute von umherziehenden Kindern - immerhin ziehen sie wieder! - mit Nachdruck "Süßes oder Saures" gefordert. Doch wehe, es gibt nichts Süßes: dann wird auch schonmal die Hauswand mit rohen Eiern, Farbe oder Schlimmerem verziert. 

Das Rübenschnitzen ist nicht mehr in Mode, doch an manchen Orten lebt es heimlich wieder auf: vor einigen Jahren gab im Odenwald eine Dickwurz-Rettungsaktion. Wie schön leuchtete das Kerzenlicht aus den geschnitzten Fratzen! Glaubt nur nicht, daß wir Räuber euch nicht aus dem finsteren Wald heraus beobachtet hätten!

Der Zwingenberger Geschichtsverein soll ja inzwischen das Dickwurzschnitzen auch wieder aufgenommen haben, aber ob sie das auch in diesem Herbst wieder getan haben, das wissen die Geister. Alle Seelen und auch die Geister schweigen still...

Es grüßt euch aus dem finsteren Wald Euer Bawweddsche, ihres Zeichens Räuberbraut und Köhlerstochter - und des Lesens kundig...

Laßt die Dickwurz nicht sterben!

Die Futterrübe, auch Runkelrübe, Vieh-Mangold oder Dickwurz genannt, macht viel Arbeit und ist deshalb so gut wie ausgestorben. Wer die lustig bis gruseligen “Riewebouze” in seinem Garten anbauen möchte, braucht dazu nur eine kleine Ecke im Garten. Tütchen mit Samen gibt es bisweilen noch im Internet, zum Beispiel bei Dreschflegel als Futterrübe, Erdmangel oder Zuckerwurz. Oder fragt mal bei euch im Dorf die Bauern, manche bauen noch immer Dickwurz an!

Wäre ja gelacht, wenn wir im Odenwald überhaupt keine Dickwurz mehr hätten...

Erinnerungen an mein Elternhaus

von W. Sänger, zu finden unter www.heimatmuseum-waldsolms.de/geschichten

Im Frühling, wenn der Wind die Felder vom Winter abgetrocknet hatte, haben die Bauersleute mit der Aussaat begonnen (Roggen und Weizen wurden im Herbst des Vorjahres gesät). Es wurde Mist und Puddel (Jauche) auf die Felder gefahren, so hat der Bauer die Felder gedüngt - hier wurden Kartoffel und Dickwurz angebaut. Kunstdünger ist nur selten verwendet worden. Es gab eine Dreifelderwirtschaft, das heißt: Hackfrucht (Kartoffel und Dickwurz), Winterfrucht (Roggen o. Weizen) und Sommerfrucht (Hafer oder Gerste).
Eine Menge Nebenarbeiten waren immer wieder zu verrichten, wie z.B. auf den Wiesen die Maulwurfshügel auseinander machen oder auf den Kleeäckern die Steine lesen, von denen es hier in Hasselborn ja recht viele gibt. Bei diesen Arbeiten mussten die Kinder immer mithelfen. Brot backen und waschen waren Arbeiten, die regelmäßig zwischendurch gemacht werden mussten.
Bis alle Frühjahrsarbeiten getan waren, war es Ende Mai. Anfang - Mitte Juni begann die Heuernte.  ... Zwischendurch wurden bei Regenwetter die Dickwurz und das Gemüse auf dem Acker angepflanzt. Die Pflänzchen wurden im Garten vorgezogen. Mit dem Dickwurz und dem Gemüse war es dann umgekehrt wie bei der Heuernte. Hatte die Sonne zwei bis drei Tage auf die frisch gesetzten Pflänzchen gebrannt, dann waren sie ausgetrocknet. Es musste eine Menge ausgesetzt werden, oder man konnte alles noch einmal von vorn machen.
Zuletzt (Ende Oktober) sind Dickwurz und das Gemüse vom Feld geholt worden.

Anbau-Erläuterungen, gefunden auf  

www.dein-bauernhof.de

Für den Anbau von Runkelrüben ist vor allem ein nährstoffreicher Lehmboden mit durchlässigem Untergrund geeignet. Er sollte darüberhinaus auch kalkhaltig und reich an Humus sein, um ein optimales Wachstum zu begünstigen. Schlecht bekommen der Runkelrübe dagegen steinige, schwere Böden sowie trockener Sandboden und nasser Tonboden. Da die Runkerübe sehr tief wurzeln kann, sollte der Boden gut gelockert werden. Am besten baut man Runkelrüben nach Kartoffel oder Wintergetreide an. So kann man den Boden im Herbst gegebenenfalls noch düngen und bearbeiten, falls er nicht ausreichend Nährstoffe enthält.

Die optimale Düngung ist beim Anbau von Runkelrüben unerlässlich, sie benötigen vor allem viel Kali. Darüberhinaus sollte auch an ausreichend Stickstoff, Superphosphat und Stallmist gedacht werden. Ziel ist es, die jungen Pflanzen durch schnellwirkende Düngemittel in ihrem Wachstum zu unterstützen. Wenn die Saat zu dicht steht, sollten einzelne Pflanzen verzogen werden. Die Verdünnung der Saat sollte umgehend erfolgen, damit die übrigen Pflanzen keinen Schaden erleiden. Es können durchaus auch Setzlinge in einem Pflanzenbeet herangezogen werden, welche dann Anfang Juni aufs Feld ausgebracht werden. Wenn man die Setzlinge dann versetzt, müssen zu lange Wurzeln unbedingt gekürzt werden, damit sie später nicht verbogen werden.

Um ein Angießen der Pflanzen zu umgehen, sollten die Runkelrüben am besten bei Regenwetter gepflanzt werden. Die Runkelrüben sollten nach der Aussaat mehrmals behackt werden, gerade am Anfang der Wachstumsphase. Auf dieses Weise unterstützt man die Entwicklung der Pflanzen, zusätzlich sollte man schnellwirkende Düngemittel einsetzen. Die Blätter sollten auf keinen Fall vor der Ernte entfernt werden, da die Pflanze sie zum Wachsen benötigt. Nur verwelkte oder verfärbte Blätter dürfen im Herbst abgepflückt werden. Die Ernte muss auf jeden Fall vor den ersten Frösten erfolgen, da die Pflanzen ansonsten erfrieren würden.
 

 

Dickwurz - Symbol für vergessene Bräuche

Gruselgestalten ziehen durch die Straßen, gräßliche Masken klopfen an Türen, vor denen ausgehöhlte Kürbisse mit Lichtern stehen: es ist Halloween.

Doch das ist eine neue Sitte, „viel zu moderrrrn“, würde der Kohlen-Juke aus der Augsburger Puppenkiste jetzt sagen.

So wie uns der Weihnachtsmann von Coca Cola beschert wurde und oftmals den uralten Nikolaus mit klebrig-süßem Kitsch überzog, genau so kam das Halloween-Treiben aus Amerika zu uns. Die Idee ist alt und hier zuhause, doch was heute mit bloßem Klamauk gefeiert wird, war einst in den ländlichen Gegenden ein wichtiger Anlaß im Dorfleben.

Erntedank war vorüber, die Felder abgeerntet und lagen winterlich kahl. Keller, Töpfe und Fässer waren - hoffentlich - wohlgefüllt, und man saß in der Stube bei Geschichten und Kerzenlicht. Draußen stürmte es durch die frühe Dunkelheit. Und zuweilen blickte ein unheimliches Gesicht durch die Scheiben herein! Riewebouze hießen sie im Odenwald, schrullig-knorzelige Gesichter, die in ausgehöhlte Dickwurz geschnitzt wurden. Charaktergesichter, nicht die faden Kürbisköpfe unserer Zeit, trugen die Dickwurz. Nicht eine war wie die andere gewachsen, und so zeigten auch die geschnitzten Gesichter allerlei seltsame Verzerrungen.

Dickwurz, eine Hackfrucht, deren Anbau sehr viel Mühe macht, gibt es heute fast nicht mehr. Sie gehört zu den Rüben und wird auch Runkelrübe, Raahner, Rangasn, Runkel, Rummel, Rüben-Mangold, Vieh-Mangold, Burgunder-Rübe, Dickrübe genannt. Es gab jedochvor einigen Jahren im Odenwald eine Initiative, die sich um den Erhalt dieser aussterbenden Rübe bemüht: „laßt die Dickwurz nicht sterben“ hieß es, und viele Hobbygärtner machten mit. Sie säten im Frühjahr, hackten und gossen im Sommer, entfernten die untersten Blätter und hegten und pflegten ihre Dickwurz. Große dicke Rüben und kümmerliche Schläuche, bei manch einem auch gar nichts, brauchten die Bemühungen hervor. Im November dann trafen sich die Dickwurz-Gärtner zu einem Schnitznachmittag um aus den mitgebrachten Rüben charaktervolle Riewebouze entstehen zu lassen, die später in der Dunkelheit vielleicht hier und da zum Einsatz kamen...


Novembergedanken...

Schattenhände klopfen gegen die Fenster

„Schattenhände klopfen gegen die Fenster, Wolkenpferde jagen heulend über den Winter...“ so dichtete Werner Bergengruen, als er uralte Sagen und Geschichten aus dem Odenwald in sein „Buch Rodenstein“ faßte. „Hier liegen Schätze vergraben unter der Erde, von feurigen Hunden gehütet; hier springt der Hömann dem verspäteten Waldgänger atempressend auf den Räücken - Schlangen nisten in den Kellern, Kobolde in Vorratskammern, wilde Weibchen in den Gesteinshöhlen; kopflose Männer verrücken des Nachts die Grenzsteine. Aber das tiefste Geheimnis dieses Landes ist die Rodensteinische Wilde Jagd.“

Das Gruseln einstiger Generationen entsteigt diesem Buch und schleicht sich in unsere Herzen, die doch nichts fürchten und das Gruseln verlernt haben. Bergengruen (1892-1964) hat es geschafft, daß in kraftvoller Sprache und lebhaften Bildern die alten Geister auferstehen. Geschichten aus seinem “Buch Rodenstein” (Insel Taschenbuch, ISBN3-458-33493-9) waren zu hören von Marieta Hiller im November 2010 bei einer Fackelwanderung durch den dunklen Wald der Neunkircher Höhe und im Gaststübchen auf dem Kaiserturm.
Das wilde Heer, die wilden weißen Heiden und die wilden weißen Selben, die Knodener Kunst, gespenstische Wiedergänger, verführerische Pilze und  die zwei Frauen des Herrn von Rodenstein wurden lebendig, und im vollbesetzten Gaststübchen konnte man eine Stecknadel fallen hören.

Dialekt - die Vielfalt des gesprochenen Wortes

Märchen leben vom Erzähltwerden. Und auch heute gibt es  sie noch: die Märchenerzähler. Ihnen zu lauschen, entführt in eine Welt fern der alltäglichen, in Räume voller geheimnisvoller Gestalten, in Zeiten die längst vergangen sind. Doch was wäre ein erzähltes Märchen ohne den Erzähler? Die eigenen Worte sind es, die Leben in alte Geschichten zaubern, die Färbung der Sprache jedoch gibt ihnen Heimat.

Doch nicht allein die Färbung ist es, was Heimat ausmacht: von Dorf zu Dorf hört das geschulte Ohr die Unterschiede, kleinste Laute, die den Sprecher doch eindeutig zuordnen.
Dialekt ist nicht die gesprochene Sprache der Tagesschau, nicht die der Lehre in unseren Schulen. Es ist die Sprache der Menschen, und es gibt wohl auf der ganzen Welt niemanden, der nicht ein winziges Stückchen Sprachmelodie von dort wo er lebt, in sich trägt.

Lange Zeit schien es, als stürbe der Dialekt aus, als dürfe nur noch Hochdeutsch gesprochen werden. Nur noch wenige alte Menschen gibt es, die heute wirklich ihren Dialekt sprechen können, die noch all die uralt überlieferten Ausdrücke kennen, die in der Hochsprache verloren gingen. Um diese Wörter, um diese erdverbundene Sprache geht es, wenn wir uns heute fragen, muß es „Bankbao, Benkbao orre Bankbee??!“ heißen, wenn im Odenwald ein Bankbein benannt werden soll. Nur wenige Kilometer, oft nur ein Hügel, liegen zwischen völlig verschiedenen Sprechweisen. Vorgestellt werden uns diese aussterbenden Wörter von einem, der sich auskennt: Dr. P. W. Sattler.