Zwischen Bensheim und Reichenbach lagen zehn Tage, und doch wieder nicht...

„Zwischen den Jahren“ - in der Zeit nach Weihnachten und vor dem Dreikönigstag - hielt man innere Einkehr, faßte gute Vorsätze für das kommende Jahr, die Knechte und Mägde wechselten ihre Herrschaft. Für diesen Umzug übrigens wurden einst die Plätzchen erfunden: haltbares Kleingebäck für unterwegs. Zwischen den Jahren, auch Rauhnächte oder Zwölfnächte genannt, hatte man Zeit, um über die Zeit nachzudenken. Und was ist ein Kalender, wenn nicht niedergeschriebene Zeit? Kalender gibt es schon seit der Steinzeit. Stonehenge, die Maya-Knotenkalender, die Pyramiden, Kirchenfenster durch die das Licht zu einem bestimmten Tag auf ein bestimmtes Bild fällt.

Man strukturierte die Zeit, um die optimalen Tage für die vielfältigen landwirtschaftlichen Tätigkeiten nicht zu versäumen. Die Römer führten anno 45 v. Chr. den Julianischen Kalender ein, mit elf Monaten zu 30 bzw. 31 Tagen und einem 28tägigen Monat. Damit wurden sie nicht glücklich: einmal hatten sie ein Jahr mit 445 Tagen, und im Laufe der Zeit ging der julianische Kalender arg nach. 1582 n. Chr. war es dann soweit: zehn Tage hinkte der Kalender hinter dem draußen spürbaren Jahr hinterher, und so kam Papst Gregor XIII auf die Idee, dem Kalender einen Schalttag zu verpassen. Dieser Schalttag synchronisiert seither alle vier Jahre die Zeit und die Zeitmessung.  

Die Reichenbacher, seit 1430 n. Chr. im Genuß einer eigenen Kirche, waren aber gerade seit einigen Jahren reformiert und wollten Gregors „papistisches Teufelswerk“ nicht mitmachen.

In weiten Teilen Europas wurde 1582 der Gregorianische Kalender eingeführt, und auf den Donnerstag, den 4. Oktober kam gleich der Freitag 15. Oktober.

In Reichenbach aber konnte es vorkommen, daß ein Bauer am Freitag den 5. Oktober 1582 sein Schwein zum Verkaufen nach Bensheim trieb, auf dem Markt dort am Freitag den 15. Oktober mit dem Käufer ein Schnäpschen aufs Geschäft trank und doch nach wenigen Stunden am 5. Oktober wieder in Reichenbach eintraf.

Heute wäre Weihnachten nach dem julianischen Kalender erst am 7. Januar, und tatsächlich feiern einige Orthodoxe Kirchen ihr Weihnachtsfest erst am 7. Januar: in Jerusalem, Rußland, Serbien und Georgien, ebenso die altorientalischen Kirchen der Syrer, Kopten und Äthiopier.

Was es mit den vier Evangelisten auf sich hat

Die vier Evangelisten haben im Neuen Testament das Leben Jesu niedergeschrieben. Das Wort Evangelium kommt aus dem Griechischen und bedeutet „frohe Botschaft“. In Kirchen findet man die Evangelisten seit dem 4. Jahrhundert oft mit ihren Symbolen dargestellt, doch haben sie uralte Wurzeln: schon in der babylonischen Mythologie, lange vor dem Christentum, gab es vier männliche Planetengötter mit auffälligen Ähnlichkeiten.

Der christliche Evangelist Matthäus wird in bildhaften Darstellungen mit einem Mensch als Symbol  gezeigt (siehe Wehrkirche Nieder-Beerbach). Parallele zum alten Mesopotamien: Nabu der Gott der Weisheit.

An der Seite des Evangelisten Markus zeigt sich ein Löwe, im Altbabylonischen Verkörperung des Kriegs- und Unterweltgottes Nergal.

Der Stier ist das Symbol des Evangelisten Lukas und des babylonischen Stadtgottes Marduk.

Der Adler, Symbol für den babylonischen Windgott Ninurta, zeigt sich bei dem Evangelisten Johannes.

Die altorientalischen Hüter der Weltecken und Träger des Himmelgewölbes aus Mesopotamien scheinen also noch immer gegenwärtig zu sein in den christlichen Evangelisten. Besonders kunstvoll sind diese dargestellt in der historischen Kirche in Ober-Beerbach. In dieser 1280-1380 erbauten Kirche ließen vermutlich Zisterzienserinnen aus dem Kloster Patershausen bei Heusenstamm die Wandfresken aufbringen, unter anderem auch die vier Evangelisten mit ihren jeweiligen Symbolfiguren.

Die Malereien in der Reichenbacher Kirche dagegen sind moderner: die Kirche selbst wurde in nur einem einzigen Jahr neu erbaut. Die alte Kirche (katholisch und unter dem Schutz des hl. Andreas) sah etwas anders aus, aber 1747 baute man an ihrer Stelle die neue Kirche, viel größer - zu groß für Reichenbach, das kommt daher, daß diese Kirche die erste im Odenwald ist, wenn man von Westen kommt. Ihre Wichtigkeit betonen die Sandsteinkanten, von weither aus dem Odenwald geholt, obwohl Granit doch vor der Haustür lag. Die Mauern der Kirche sind aus 1,2 Meter dicken Granitsteinen. Von der Kirche gibt es keine Bauunterlagen, und so mußte der Kirchturm vom Fotoamateurclub Reichenbach eingemessen werden: er ist 34,46 Meter hoch, dabei etwas schief.

M. Hiller, Winter 2015