Wilhelm Sturmfels gab 1910 das Büchlein "Die Ortsnamen Hessens" heraus, für Erziehung und Unterricht. Hessen: das war zu seiner Zeit noch das Großherzogtum Hessen. Erst in der Weimarer Republik ging das Gebiet 1919 in den Volksstaat Hessen über. 1806 war das Großherzogtum aus dem Reichsfürstentum der Landgrafschaft Hessen-Darmstadt hervorgegangen. Haupt- und Residenzstadt war Darmstadt; siehe auch Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Großherzogtum_Hessen.
Das Etymologische Wörterbuch der Orts- Berg und Flußnamen des GH Hessen erschien im Fr. Ackermanns Verlag Weinheim / Leipzig 1910.
Sturmfels war 1830 in Klein-Umstadt zur welt gekommen und engagnierte sich politisch, wurde Gutsbesitzer und trug akribisch alle geografischen Namen zusammen, die er finden konnte. Oftmals muß man mehreren Querverweisen folgen, um an eine Information zu kommen, aber Sturmfels läßt den Sucher nie im Stich. Sturmfels greift zu vielen Ortsnamen verschiedene Deutungsmöglichkeiten auf, die Wurzeln liegen ja oftmals im Althochdeutschen (ca. 750-1050 n. Chr.). Dabei konnte er nicht - bequem wie wir heutzutage - auf Datenbanken, Internetrecherche oder Mailanfragen zurückgreifen. Er mußte alle Informationen per Briefpost anfordern, so daß oftmals viele Monate vergingen, bis er wirklich alle Erkenntnisse zu einem Wort beisammen hatte. Seine Zeitgenossen freuten sich meist über die detaillierte Arbeit und ließen ihm ihr Wissen gerne zufließen. So entstand ein Werk, das zwar wissenschaftlich erstellt wurde, aber von allgemeinem Interesse und auch in allgemeinverständlicher Sprache abgefaßt war. Der Erfolg führte zu einer zweiten Auflage.
Hier sollen einige Themengruppen dargestellt werden:
Zum Thema Wasser- und Gewässernamen
Das Urwort für Wasser taucht in Gewässernamen mit der Endung -ach auf:
Ach aus mhd (mittelhochdeutsch ca. 1050 bis 1350 n. Chr.) ahe und ahd (althochdeutsch) aha: Wasser, fließendes Wasser, Bach. In der Wurzel klingt noch das indogermanische ákwâ durch, aus dem auch lateinisch aqua entstand. Im Odenwald gibt es wenige Flüsse bzw. Bäche auf die Endung -ach: Steinach und Seckach. Die Steinach im südwestlichen Odenwald gab mehreren Dörfern ihren Namen: Heiligkreuzsteinach, Neckarsteinach, Oberabtsteinach...
Au wurde im 13. Jahrhundert aus aha. Die Modau führt in unserer direkten Nachbarschaft als Einzige im Odenwald diese Endung. Das Wort Au bezeichnet eine grasreiche Fläche am Wasser.
Die große Mehrzahl der Gewässer endet im Odenwald auf -Bach. Interessant in diesem Zusammenhang ist der Erdbach in Erbach. Der Ortsname Erbach entstand aus diesem Gewässernamen. Der Erdbach verschwindet in Erbach und fließt unterirdisch weiter bis nach Michelstadt-Stockheim.
Eine Familie sind Gewässernamen mit Itter, Euter, Lauter. Bäche oder Flüsse diesen Namens findet man deutschlandweit immer wieder. Der Itterbach oder Euterbach ist ein Nebenfluß des Neckars und heißt auch Lutra, Gutra, Jutra, Euteraha und ist gleichbedeutend mit Lauter (ahd Hlȗtra, Lȗtra, mhd lȗter). Lauter heißt hell, rein, klar - den Gewässernamen gibt es im Odenwald, außerdem als Nebenfluß der Wetter, als Lauterbach und Lüder. Auch der Eiterbach, Nebenfluß der Steinach, gehört in diese Familie.
Der Neckar rahmt zusammen mit Main und Rhein den Odenwald ein. Seinen Namen leitet Sturmfels von lateinisch nicar, Nicer ab, entstanden aus der indogermanischen Form nig nik oder nag für "Waschen, spülen, reinigen". Unser Wort nackt stammt ebenfalls daher: nagna. Sturmfels schreibt dazu: "Neckar bedeutet 'der glänzende Fluß', eine für diesen Bergfluß gewiß recht passende Bezeichnung", während andere neuere Deutungen den Namen als keltisch in der Bedeutung "wildes Wasser" ansehen.
Die Gersprenz, neben Mümling, Modau und Lauter einer der größeren Flußsysteme im Odenwald, hieß 786 Caspenze, 1012 Gaspensa, 1408 Gersprenze. Ursprüngliche Endung war -antia (anza enze enza inza, ein deutschwes Grundwort, das Fluß bedeutet. Sturmfels kommt hier zu einem kuriosen Ergebnis für den Namen: "den ersten Teil stelle ich zu ir (irisch) car = Bach, die Deutung wäre also 'Fluß-Fluß'." In diese Familie stellt er auch Gerau, Gierbach, Cera.
Die Mümling hieß im 9. Jahrhundert Mimelinga. Ihr Name ist märchenhaft: er kommt von "den Minnen, Mümmelchen, d.i. kleinen Wassergeistern, Nixen ab. Die Nixen erscheinen in der Regel nur bei Nacht in ihrer wahren Gestalt, bei Tag verbergen sie sich in den Wasserblumen, namentlich in der weißen Seerose und in der gelben Teichrose, daher diese auch Nymphaea (alba und lutea) heißen. Diese Nixblumen führen auch den Namen Mummel, Mümmelchen, und Schwanenblume; denn die Nixen bringen den Wöchnerinnen als Schwäne oder Störche die Kinder aus den Teichen. Der Mummelsee im Schwarzwalde, ein Bergsee am östl. Abhange der Hornisgründe, ist voll solcher Blumen."