Es gibt gute und böse Demonstrationen: mit Klimaklebern und aufgebrachten Landwirten kann man sich heute kaum noch solidarisieren, oft werden ihre Demonstrationen schlicht als lästig empfunden. Es ist schwierig den Unterschieden gerecht zu werden. Denn kaum beurteilt man eine Domo nach bestem Wissen und Gewissen, wird man schon als Systempresse beschimpft. "Das System" oder einfach "DIE" als Gegner einer - möglicherweise sogar berechtigten - Demonstration anzuvisieren, hat in unseren Tagen jede Menge Zulauf. Für mich ist eine Demonstration dann in Ordnung, wenn sie gewaltfrei verläuft und zur Verständigung bereit ist. Bloße Drohgebärden, Erpressungsversuche, Steinwürfe und Brandanschläge  zählen da nicht dazu.

Wobei man verstehen kann, wenn sich jemand mit seinem Anliegen hilflos und ignoriert fühlt. Der richtige Ansprechpartner (=die entscheidenden Politiker) neigt zu Worthülsen und Vermeidungsstrategien.

Am 20. Januar fand in Brandau eine Demonstration gegen rechts statt, die sich wohltuend von anderen Demos abhob. Überall in Deutschland gehen die Menschen auf die Straße, um gegen rechte Auswüchse zu protestieren. Sie tun das friedlich. Ihr Wunsch: Stärkung der Demokratie, mehr Aufklärungsarbeit zu demokratischem Verhalten in der Gesellschaft.

Es ist wichtig, Haltung zu zeigen.

Aber es reicht nicht wenn jetzt Hunderttausende demonstrieren - sie müssen auch WÄHLEN gehen. Die letzten Tage haben gezeigt, daß der AfD trotz ihrer unsäglichen Remigrationsideen keine Wählerstimmen wegbrechen. Jede demokratische Wahl ist wichtig, und Wahlbeteiligungen um 50% spielen immer denjenigen in die Hände, die unsere Demokratie gefährden und sie abschaffen wollen.

In Brandau protestierten über 200 Menschen aus Modautal und Lautertal gegen rechts, aufgerufen hatten dazu 48 Stunden zuvor Kathrin Jährling, Jelena Dammshäuser und Vivian Glover. Sie "wollten nicht länger warten, bis irgend jemand anders etwas tut, sondern ein deutliches Zeichen dafür setzen, daß wir hier auch auf dem Land fegen Rechts sind."
Auf der Demo sprachen Barbara Walter vom Netzwerk Asyl Modautal, Ulrike Hasse (SPD Modautal) und Dr. Jelena Dammshäuser: "Wir drei, Vivian Glover, Kathrin Jährling und ich aus Hoxhohl waren bei den Landtagswahlen 2023 schockiert über die Wahlergebnisse. in Modautal wählten 20 % AfD. In unserem Dorf sogar 30 %.

Überall in Deutschland gehen die Menschen auf die Straße und positionieren sich gegen Rechts. Besonders hier auf dem Land kostet das Mut, da wir uns nicht in der Anonymität und in der Masse verstecken können. Ich bin sehr stolz auf jede und jeden, der heute hier erschienen ist."
Dammhäuser verwies auf die Studie „die distanzierte Mitte“ (Friedrich Ebert Stiftung Anfang 2023), die ergab daß aktuell bei 8,3% der Deutschen ein gefestigtes rechtsextremes Weltbild besteht (Schnitt der letzten zehn Jahre: 2,9 %). Der Anteil Menschen, die zwar keine rechtsextremen Meinungen explizit teilen, aber auch nicht ablehnen, stieg 12 % auf 20,1 % an.

"Dies ist der viel erwähnte Rechtsruck der Bevölkerung."

Während sich viele Wähler aus wachsender Angst und Verunsicherung über die vielen Krisen (Corona, Ukraine, Klimakatastrophe, Inflation…) der AfD zuwandten, weil sie sich von den übrigen Parteien nicht gesehen und gehört empfanden, fallen sie auf deren vermeintliche Lösungen und Parolen herein. Man sucht die Schuld an allen möglichen Mißständen entweder bei den alten Parteien oder bei Migranten und Flüchtlingen.
Politik und Zivilgesellschaft müssen diese 20 % der Bevölkerung ernstnehmen und ihnen das Gefühl geben, wahrgenommen zu werden in ihren Ängsten. Aufklärung, Gespräche, Diskussion und Farbe bekennen ist wichtig.

Wer dazu nicht bereit ist, kann zu den 8,3 % mit gefestigt rechtsextremen Weltbild gezählt werden, die nicht mehr für einen Diskurs zugänglich sind. Ihnen müsse, so die drei Brandauer Organisatorinnen, mit Intoleranz begegnet werden. Bereits 1945 stellte der österreichische Philosoph Karl Popper (1902-1994) zum "Paradoxon der Toleranz" fest: „Uneingeschränkte Toleranz führt mit Notwendigkeit zum Verschwinden der Toleranz. Denn wenn wir die uneingeschränkte Toleranz sogar auf die Intoleranten ausdehnen, wenn wir nicht bereit sind, eine tolerante Gesellschaftsordnung gegen die Angriffe der Intoleranz zu verteidigen, dann werden die Toleranten vernichtet werden und die Toleranz mit ihnen.“
Dammshäuser: "Diese Anwendung von Intoleranz als Ultima Ratio ist das aktuell diskutierte Verbot der AfD. Ob es durchgesetzt wird und ob es die richtige Entscheidung ist, wird die Zukunft zeigen. Meines Erachtens ist es ein gefährlicher Schritt, der definitiv zu weiteren rechts Radikalisierung vieler Menschen beitragen wird."
Die Geschichte hat gezeigt, daß die NSDAP zwar 1923 verboten wurde und danach (1928) nur 2,6% Stimmen erhielt, aber 1933 konnte sie die Demokratie gewaltsam abschaffen. Das sind zehn Jahre, und an welcher Stelle stehen wir heute, 2024?
Dammshäuser: "Deswegen ist es wichtig, dass wir alle jetzt ein Zeichen setzen gegen Rechts, gegen Diskriminierung gegen Menschenverachtung." Das Zeichen darf sich jedoch nicht in Protesten erschöpfen, es muß im nächsten Wahlergebnis deutlich werden.

Dammshäuser: "Wir sollten daher im Namen der Toleranz das Recht für uns in Anspruch nehmen, die Unduldsamen nicht zu dulden. Wir sollten geltend machen, dass sich jede Bewegung, die die Intoleranz predigt, außerhalb des Gesetzes stellt, und wir sollten eine Aufforderung zur Intoleranz und Verfolgung als ebenso verbrecherisch behandeln wie eine Aufforderung zum Mord, zum Raub oder zur Wiedereinführung des Sklavenhandels.“ M. Hiller

Organisator: https://zusammen-gegen-rechts.org/