Leserbrief von Anke Uhl: "Nach den Starkregenereignissen in Modautal 2018 und Lautertal zuletzt 2023 würde ich gerne etwas zu Wasserrückhalt im Wald schreiben. Ich bin im Bundesarbeitskreis Quellen und Grundwasser der Deutschen Gesellschaft für Limnologie (DGL) und Expertin für das Thema Wasserkreislauf und in Ober-Beerbach aufgewachsen. Kenne Lautertal, insbesondere Beedenkirchen, Staffel und das Felsenmeer wie meine Westentasche und habe von 2005-2009 in Modautal-Ernsthofen gelebt. Aktuell lebe ich in Mühltal NdR, gedenke jedoch nach meiner Verrentung wieder nach Ernsthofen zu ziehen. Es ist klar, dass wir künftig heftigere Regenereignisse erleben werden und ich würde gerne die Debatte um Solidarität und höheren Wasserrückhalt - auch für die zu erwartenden längeren Trockenphasen - anstoßen. Pfarrer Mohr hat mir die Möglichkeit eröffnet im Rahmen einer Veranstaltungsreihe der evangelischen Kirche Nieder-Ramstadt einen Fachvortrag am 11.03.2024 zu halten."

Vortrag zum Thema am 11. März 2024 in Nieder-Ramstadt - weiteres folgt.

Hier der Beitrag von Anke Uhl:

Citizen-Science-Projekt zum Wasserkreislauf in Lautertal und Modautal

Info: wenn Sie sich an diesem Projekt beteiligen möchten, haben Sie nicht viel Arbeit und minimalen Zeitaufwand. Ein oder mehrere Fotos machen und per Mail senden oder in Whats app Gruppe stellen!

Der Paprikagürtel verschiebt sich jährlich um 100 Kilometer nach Norden, so berichtet das Handelsblatt unter Bezugnahme auf den Inhaber einer Tiefkühlprodukte-Firma, die auch Gemüse anbaut. Die Bilder massiver Trockensommer und sengender Hitze lassen uns immer häufiger an Bewässerungsnotwendigkeiten denken, selbst hier. Der vergangene Sommer war jedoch wieder regnerisch, was zur Annahme verleitet, dass es vielleicht nicht so schlimm ist. Dabei sind wechselnde lange Trocken- und Regenzeiten genau die Prognose wie sich das Klima verändern wird für unsere Region. Dennoch fällt es selbst mir subjektiv schwer, bei längeren Regenperioden meinen eigenen Worten in der Fachzeitschrift Water Research zu glauben: „Der Stöpsel ist gezogen (…Pulling the plug…Uhl et al., 2022 siehe unten).“ In welchem Maß verschwindet das Wasser hier wirklich aus der Landschaft? Und wie stark fließt es in Regenzeiten oberflächlich ab?

An Schneefallmengen haben wir eine bessere Erinnerung und können diese besser abschätzen; besonders die, die in ihrer Kindheit freudige Schneetage im Odenwald verbringen durften, wenn der Schulbus nicht kam. Die Schneehöhe können wir optisch auch viel besser wahrnehmen als eine Niederschlagsmenge. Zwar ist weniger Schneefall ein Hinweis auf den Temperaturanstieg, der sich relativ leicht im Internet abfragen lässt. Der Schnee ist jedoch beim Tauen auch eine flächendeckende Tröpfchen Infiltration für den Oberboden, der die Grundwasserspeicher nach und nach genial auffüllt. Insofern ist die Schneemenge auch ein Hinweis auf sich füllende Grundwasserspeicher im Untergrund. Sein Verschwinden bzw. Seine Abnahme macht die Grundwasserneubildung komplizierter in der vegetationslosen Winterzeit. Das Regenwasser fließt dann tendenziell vermehrt über die Bäche unserer Region ab. Um möglichst viel Wasser in der Landschaft zu speichern, muss der Oberboden möglichst viel Wasser aufnehmen können. Das gelingt, wenn er biologisch aktiv und gut durchwühlt ist z.B. von Regenwürmern und er darf nicht überweidet oder festgefahren sein.

Doch es bleibt die spannende Frage: Wie genau verändern sich die Niederschläge vor Ort konkret? Entwickelt sich der typische Landregen hin zu stärkeren Starkregenereignissen? Regnet es lokal an einigen Stellen stärker und punktueller? Wo fließt Wasser in der Landschaft oberflächlich ab?Neigen Trockenzeiten zu längeren, heißeren Dürreperioden? Mit eigener Erinnerung ist das kaum abschätzbar. Unsere Gehirne würden ausgetrickst, wenn sie die Regenereignisse und Dürreperioden der letzten 30 Jahre vor dem geistigen Auge vorbeiziehen lassen und bewerten müssten. Das Absterben der Wälder ist zwar ein gewisses mittelbares Zeichen für Wassernot allerdings, ist die Ursache multifaktoriell und Wassermangel nur ein – wenn auch bedeutsamer Faktor. Aufzeichnungen und Dokumentationen können hier objektive Klarheit schaffen.

Ein Handy-Video aus Neutsch vom Regenereignis am 22.04.2018 zeigt, wieviel Wasser selbst dort in einem Gebiet ohne jeglichen Steilhang bei relativ geringem Starkregen bereits über die Ortsstraße talabwärts rauscht. Das stimmt nachdenklich. Zumal die größte Katastrophe, das Magdalenen-Hochwasser 1342 in seinem dramatischen Folgen stark durch menschliches Handeln verschuldet war. Die Wälder waren abgeholzt und so konnte das Wasser den Boden angreifen und großflächig zu Tal schwemmen. Daraus dürfen wir lernen, dass es ganz besonders an Steilhängen aber auch generell besser ist, präzise, lokal und vorsichtig in der Landschaft zu arbeiten. Egal ob es um Bauen, Waldbewirtschaftung oder Landwirtschaft geht. Es wäre klug, die eher verletzlichen Stellen in der Landschaft zu identifizieren zu beobachten und zu versuchen, deren Schwächen abzumildern. Z. B. wenn Wasser den Hang herunterfließt, dann ist es sinnvoll zu schauen, wo es hangparallel abgeleitet werden kann. In einigen Waldstücken finden sich bereits Querriegel und Ableitungsgräben.               ------ Lesen Sie dazu auch den Beitrag Felsberg: Naturschutz - Holznutzung - Tourismus? auf diesen Seiten!

Komplexe Zusammenhänge wie das Wetter und dessen Veränderungen perfekt zu prognostizieren, wird selbst mit künstlicher Intelligenz schwer möglich sein, weil Wetter immer wieder auch chaotischen Bedingungen unterliegt. Dennoch sind die Prognosen über die Jahrzehnte besser geworden, und sie zu ignorieren wäre ein Fehler. Das Wetter ändert sich besonders in dem Teil Europas, in dem wir leben, am stärksten. Unsere Region kannte keine klassischen Regenzeiten; es regnete in jeder Jahreszeit. Das führte dazu, dass hier jeder Wald wuchs. Ähnlich war es in der Landwirtschaft, in der Regel ließen sich gute Ernten einfahren. Diese Veränderungen in der Landschaft zu beobachten und nach Möglichkeit praktische, kostengünstige Lösungen für Abhilfe zu finden, wäre zeitgemäß und vorausschauend.

Ich hätte Interesse an einem Umweltbeobachtungsprojekt in Modautal und Lautertal, modern: Citizen-Science-Projekt. Trockene Gebiete, Quellen, feuchte Gebiete und Steilstrecken in Wald und Feld auf unseren Alltagswegen zu finden und regelmäßig in den Blick zu nehmen, das soll Ziel eines ersten Treffens sein. Die erarbeiteten Ergebnisse würde ich dann in der nächsten Sitzung des Bundesarbeitskreises Quellen und Grundwasser der Deutschen Gesellschaft für Limnologie (DGL) im Juli 2024 vorstellen, um mit wissenschaftlichen Anregungen das Konzept zu optimieren. Doch die Frage ist, ob es genügend Interesse in Modautal und in Lautertal gibt, den Landschaftswasserhaushalt zu beobachten und ein niederschwelliges Projekt auf den Weg zu bringen, durchaus mit dem Ziel einfache, kostengünstige Verbesserungsmaßnahmen lokal vorschlagen zu können. Grundsätzliche Idee ist, dass an einigen Stellen Fotos und Videos gemacht werden, eventuell zusätzlich noch Niederschlagsmessungen. Vielleicht kommen bei einem ersten Treffen noch Ideen hinzu.

Seit mein Arbeitskreiskollege Prof. Dr. rer. nat. Hans Jürgen Hahn von der Uni Landau mir von dem gelungenen bundesweiten Projekt zu trockenfallenden Gewässern und Seen berichtet, dass er betreut hat, hege ich den Wunsch eine solche Umweltbeobachtung auch hier im vorderen Odenwald starten. Ich suche interessierte Menschen in Lautertal und in Modautal, um gemeinsam dieses Projekt aufzubauen. Darum bitte ich um Zuschriften von interessierten Personen, die ausschließlich ihren ersten Wohnsitz im Lautertal oder Modautal haben, an folgende Adresse:

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Je nachdem, wieviel Personen sich melden, würde ich dann einen Raum organisieren, in dem wir uns untereinander austauschen können. Das Lautertaler Treffen würde ich für April 2024 anvisieren, das Modautaler für Mai 2024.

Was bei den ersten Treffen in Lautertal und Modautal herausgekommen ist, würde dann im jeweils nächsten Durchblick berichtet.

Anke Uhl, Bundesarbeitskreis Quellen und Grundwasser der Deutschen Gesellschaft für Limnologie

Quelle:

Anke Uhl, Hans Jürgen Hahn, Anne Jäger, Teresa Luftensteiner, Tobias Siemensmeyer, Petra Döll, Markus Noack, Klaus Schwenk, Sven Berkhoff, Markus Weiler, Clemens Karwautz, Christian Griebler,

Making waves: Pulling the plug—Climate change effects will turn gaining into losing streams with detrimental effects on groundwater quality,

Water Research,Volume 220, 2022, 118649, ISSN 0043-1354,

https://doi.org/10.1016/j.watres.2022.118649.

Abstract: In many parts of the world, climate change has already caused a decline in groundwater recharge, whereas groundwater demand for drinking water production and irrigation continues to increase. In such regions, groundwater tables are steadily declining with major consequences for groundwater-surface water interactions. Predominantly gaining streams that rely on discharge of groundwater from the adjacent aquifer turn into predominantly losing streams whose water seeps into the underground. This reversal of groundwater-surface water interactions is associated with an increase of low river flows, drying of stream beds, and a switch of lotic ecosystems from perennial to intermittent, with consequences for fluvial and groundwater dependent ecosystems. Moreover, water infiltrating from rivers and streams can carry a complex mix of contaminants. Accordingly, the diversity and concentrations of compounds detected in groundwater has been increasing over the past decades. During low flow, stream and river discharge may consist mainly of treated wastewater. In losing stream systems, this contaminated water seeps into the adjoining aquifers. This threatens both ecosystems as well as drinking and irrigation water quality. Climate change is therefore severely altering landscape water balances, with groundwater-surface water-interactions having reached a tipping point in many cases. Current model projections harbor huge uncertainties and scientific evidence for these tipping points remains very limited. In particular, quantitative data on groundwater-surface water-interactions are scarce both on the local and the catchment scale. The result is poor public or political awareness, and appropriate management measures await implementation.

Keywords: Climate change; Hydraulic gradient; Groundwater-surface water interactions; Landscape water balance; Surface water intrusion; Groundwater pollution