Zur Hochblüte der Knopfdreherei in Reinheim in der Mitte des 19. Jahrhunderts stellten etwa 30 Familien aus Knochen Knöpfe her, die sogenannten Beinknöpfe. Sie waren sehr gefragt, und die Reinheimer konnten den Bedarf an Massenware, vor allem auf den Märkten in Erbach und Darmstadt, decken. Aus dem Abfall konnte noch Knochenmehl, ein guter Dünger, hergestellt werden. Die Knopfdreherei ernährte ihre Familien oft besser als die Landwirtschaft.

 

Knopfbild aus der Reinheimer Knopf-Ausstellung 2013

beinerne Knöpfe

Die Dampfmaschine hält Einzug in der Knopfdreherei

Ende des 19. Jahrhunderts waren beinerne Knöpfe nicht mehr gefragt, und in Reinheim verschwanden die Knopfdrehereien. Auf begehrtere Materialien oder effektivere Produktionsmethoden stellte man nicht um. Nur wenige Familien schafften sich eine Dampfmaschine an. Diese waren teuer, gefährlich und wartungsintensiv. Aus alten Dokumenten läßt sich jedoch schließen, daß im Jahr 1883 die Dampfmaschine im Hause Witwe Georg Heinrich Stühlinger schon einige Zeit in Betrieb gewesen sein muß, denn in diesem Jahr wurde vom Großherzoglichen Kreisamt Dieburg die Reparatur angeordnet, der Weiterbetrieb ohne diese verboten.

Knopfdrehbank

 

Drehbank, Zurichtbeil und weitere Werkzeuge aus der Dreherei von Georg Philipp Michel konnten im Reinheimer Heimatmuseum besichtigt werden. Dieses Museum zeigt seit 1911 das bäuerliche Wohnen, aussterbende Handwerksberufe und ihre Arbeitsbedingungen und das kirchliche Leben in Reinheim. Die Betreuer des Museums im Herrenhaus des Hofgutes in der Kirchstraße 41 haben im Winter 2013 eine liebevoll gestaltete Sonderausstellung zum Thema Reinheimer Knöpfe aufgebaut.

Die Gerätschaften und zahllose Knöpfe waren wohl vorhanden, aber das Wissen um die Arbeitsabläufe und die Funktionsweise der Maschine war verloren. Mühsam wurde dieses Wissen bei vielen Sachverständigen neu eingeholt. Dampfmaschinen gab es in der Pumpenmacherei und Knopfdreherei Johannes Stühlinger seit 1878, in der Mahlmühle Philipp Leinert seit 1885, bei Heinrich Stühlinger (s.o.) seit 1887, die Zimmereibetriebe Spörl und Stühlinger hatten seit 1890 / 1892 eine Dampfmaschine, die Ziegelei von Jakob Fleschhut 1904 und Apotheker Julius Scriba 1915.Dieser Apotheker Scriba, dessen vollständige Apotheke ebenfalls im Museum zu sehen ist, beantragte 1913 die Errichtung einer feststehenden Dampfmaschine.

Der elektrische Strom löst die Dampfmaschine ab

Dies war jedoch nach Auskunft des Stadtarchivs die letzte neue Dampfanlage - der elektrische Strom, seit 1900 in Reinheim, lieferte eine bessere und wartungsärmere Energie.

1902 nennt Friedrich Kopp (Buch "Reinheim in Vergangenheit und Gegenwart") vier Knopfmacherwerkstätten, davon eine mit Dampfbetrieb. Bis 35 Jahre zuvor waren in den ca. 30 Werkstätten bis zu 14 Arbeiter in Lohn und Brot, doch die Metallknopfindustrie verdrängte die Beinknopfherstellung. 1915 nennen die Hessischen Blätter für Volkskunde noch einen einzigen Knopfmacher, der jedoch keine Beinknöpfe mehr produziert, sondern Kunsthirschhornknöpfe für Großhändler, und dies nur im Nebenberuf im Winter.

Verschiedene Knopfsorten

Beinknöpfe: Knochen werden gekocht und in Scheiben gesägt. Mit dem Handbeil werden sie weiter zugerichtet und dann in die Andrehbank gespannt. Hier werden die Knöpfe grob herausgemeißelt. Vier Löcher werden eingebohrt mit stählernen Spindeln, in denen je ein Bohrer sitzt. Mit dem Doppelmeißel wird die Rückseite abgedreht, danach wird der Rohling aus dem Knochenstück herausgelöst. Nun kommen die Knöpfe ins Schleiffaß, in dem sie mit Bimsstein tagelang herumgewälzt werden, bis sie oberflächlich geglättet sind. Ein zweiter Schleifgang erfolgt mit Wasser und gemahlener Kreide. Für die Vorderseite nimmt man einen Wollappen mit Polierbrei aus Holzkohle und Schmierseife. Zum Schluß erhalten die Knöpfe Glanz durch Schleudern in einem wachsgetränkten Sack. Danach werden die Knöpfe in Schachteln verpackt oder zu Schnüren aufgefädelt. So zieht der Marketender mit seinem Bauchladen auf den Markt.

Ein Knopfschatz...

 

Knebelknöpfe: Vorläufer zum modernen Knopf. Längliche Form, aus verschiedenen Materialien, benötigt eine Schlaufe anstelle Knopfloch. Bekanntestes Kleidungsstück ist heute der Dufflecoat (zu Deutsch Düffelmantel! Dieser auch Monty nach Feldmarschall Montgomery genannte Mantel wurde aus einem Stoff gefertigt, für den die Stadt Duffel in Belgien berühmt wurde)

Posamentenknopf: aus Kordeln und Quastenmaterial, Seide oder Kunstseide. Oftmals an Militärkleidungsstücken, besonders bekannt die Husarenröcke.

Verschiedene Dekoverschlüsse: Posamentknöpfe, Straßknöpfe, Glas- und Perlmuttknöpfe

 

Holzknopf: läßt sich gut spanend bearbeiten. Sägen, fräsen, drehen, lochen, pressen, färben, polieren. Aus 2 Kg Holzbrettchen konnte 1 kg Knöpfe hergestellt werden. Die natürliche Maserung mußte dann noch herausgearbeitet werden. Auch die Schale von Kokosnuß wurde zu Knöpfen verarbeitet. Aus der Steinnuß und aus Ton konnten auch hübsche Knöpfe hergestellt werden.


Zwirnknopf: Leinen- oder Baumwollgarn wird sternförmit um einen Metallring gelegt, bis die Mitte gefüllt ist. Sie waren gut waschbar und daher meist weiß.

Der Strumpfhalterknopf

 

Perlmuttknopf: aus der innersten Schalenschicht der Perlmuttmuschel. Das schillernde Material war besonders für flächige Zierknöpfe begehrt. Schildpatt: begehrtes Material vom Rückenschild der Meeresschildkröte, heute strikt verboten. Läßt sich gut warm formen und pressen. Schildpatt hat eine wunderschöne schimmernde Transparenz. Galalith: auch Kunsthorn genannt, ein Kunststoff der Frühzeit aus Casein, im Jahr 1897 entwickelt. Er ist unbrennbar, sehr zäh und hat einen warmen Farbton. Es läßt sich gut warm verformen und danach spanend bearbeiten. Um die 1930er Jahre war Galalith aus keinem Haushalt wegzudenken. Heute noch bestehen Stricknadeln aus Galalith. Jettknopf: tiefschwarz und glänzend, sehr dekorativ. Jett besteht aus Braunkohle mit Erdpech. Sie sind sehr fest und lassen sich gut schleifen und polieren. So können sie auch gut facettiert werden, was ihren Glanz noch betont.

Rohlinge, aus denen Knöpfe gedreht werden  -  Polierfaß

 

 

Die Knopfbezieh-Maschine: so entstehen Stoffknöpfe

 

Fertig für den Handel: Knopfketten und Knopfsack

 

Umwidmen von ehemaligen Militärknöpfen aus Metall

 

Knöpfe sind links! Nein rechts! Also gut: die Männer rechts, die Frauen links.

Das kommt aus einer Zeit, als die Steinzeitmänner links den Schild trugen und mit der rechten Hand kämpften. Also mußte der Fellüberwurf auf der linken Schulter sitzen, damit man rechts die volle Bewegungsfreiheit hatte. Dies war auch noch im Mittelalter so, nur daß es da schon Knöpfe gab. Frauen dagegen trugen mit dem linken Arm ihre Kleinkinder, damit sie nahe am Herzen lagen. Der linke Arm war also der wichtigere. Und so bekamen die Knöpfe ihren festen Platz.

   

Knopfkunst und Knopfschatz

Während man heute gerne unartigen Kindern androht, daß es am Wochenende einen spannenden Ausflug ins Knopfmuseum gibt, haben Knöpfe doch ihren ganz besonderen Reiz. Sie eignen sich zu Kunstwerken genauso wie für die persönliche Schatzkiste!

Knopfstuhl und Knopfkunst: "Unser Dorf hat Zukunft" 2013 - der Reinheimer Ortsteil Überau zeigte besonders viel Gemeinsinn und schufen eine lange Reihe an Stuhl-Kunstwerken, Symbol für das Ankommen, Niederlassen, Miteinander Reden und Zur Ruhe Kommen. Der Knopfstuhl wurde von Marc Hoppe gestaltet.

Noch heute sammeln viele Menschen leidenschaftlich Knöpfe, auch ich. In Reinheim gab es einst (40er und 50er Jahre des 20. Jh) eine Schneiderwerkstatt von Neckermann. Gelegentlich kippte man auf die Wiese vor diesem Haus kistenweise Knöpfe aus, die nach den Kriegsjahren heiß begehrt waren: man schleppte weg, was die Taschen hergaben. "Rennen nach den Knöpfen" nannte man das in Reinheim. Das war sogar ein Kinderspiel damals: mit einem Strick zum Gespann gebundene Pferdchen mußten sofort, wenn eine Knopfkiste ausgeschüttet wurde, dorthin eilen und soviel wie möglich aufsammeln. Da konnte es passieren, daß das letzte Gespann-Kind nur noch mitgeschleift wurde und sich die Knie versorgen lassen mußte, während die anderen den Schatz unter sich aufteilten...

Haspel zum Wolleaufwickeln nach dem Spinnen

 

Geschmiedete Rose, ebenfalls im Museum Reinheim

 

Text und Fotos: M. Hiller