„Geschichte schöpfen ...“ in der Lorscher Zehntscheune wird am 1. März wiedereröffnet

Die große Jubiläumsausstellung der Staatlichen Schlösser und Gärten Hessen (SG) in Lorsch, „Geschichte schöpfen. Quellen aus einem Brunnen“, wird nach der Winterpause am Dienstag, den 1. März 2022, wieder für das Publikum zugänglich sein. Die Schau in der Zehntscheune bleibt zunächst bis zum 30. Oktober 2022 täglich (außer Montag) von 10:00 bis 17:00 Uhr geöffnet. Sie steht im Mittelpunkt eines Programms, mit dem die SG 30 Jahre UNESCO Welterbe Kloster Lorsch feiert. Aufgrund der Schutzmaßnahmen während der Corona-Pandemie musste der zentrale Festakt zur Titelverleihung vom 13. Dezember des vergangenen Jahres auf den 13. Juni 2022 verlegt werden. Die von der Baudenkmalpflegerin Dr. Katarina Papajanni kuratierte Ausstellung präsentiert einmalige Funde, die in einem alten Brunnen auf dem Klostergelände zum Vorschein gekommen waren. In die Brunnenwandung war Abbruchmaterial der ehemaligen Nazariusbasilika eingebaut: Darunter befanden sich steinerne Ausstattungselemente und wertvolle Kunstgegenstände wie die Fragmente einer seltenen Skulptur vom Typus „Atzmann“ aus dem 13. Jahrhundert. Sie wurde als Pultträger für die Liturgie eingesetzt. Entdeckungen dieser Art belegen eine Blütezeit des Klosters Lorsch auch in nachkarolingischer Zeit.

Der Vortrag der Kunsthistorikerin Angelika Wellnhofer zur Jubiläumsausstellung „Geschichte schöpfen – Quellen aus einem Brunnen“ am 2. Dezember 2021 wird auf einen späteren Zeitpunkt verlegt.

Jubiläumsausstellung präsentiert Neues zur Vergangenheit des UNESCO Welterbes Kloster Lorsch: „Geschichte schöpfen – Quellen aus einem Brunnen“

Im 30. Jahr der Verleihung des UNESCO Welterbetitels an Kloster Lorsch bringt eine Jubiläumsausstellung einmalige Funde aus einem alten Brunnen zum Vorschein. Die multimediale Schau „Geschichte schöpfen – Quellen aus einem Brunnen“ zeigt dem Publikum vom 6. Oktober 2021 an erstmals einen seltenen „Atzmann“. Die Skulptur aus dem 13. Jahrhundert ist ein steinerner Pultträger, der sich jetzt in die kleine Zahl erhaltener Exemplare dieses Typus einreiht: Nur 19 weitere waren bisher bekannt. Der „Atzmann“ und viele andere spektakuläre Architektur- und FigurenWerkstücke waren in der Wandung eines barocken Brunnens verbaut. Sie stammen aus der zerstörten Lorscher NazariusBasilika, von der nur noch ein Baufragment existiert. Sie war einst als „Wunder an Pracht und Schönheit“ gerühmt worden. Die Neuentdeckungen lassen auf eine Blütezeit klösterlicher (Bau)Kunst auch in nachkarolingischer Zeit schließen. Am Dienstag zuvor wird die von der Baudenkmalpflegerin Dr. Katarina Papajanni kuratierte Ausstellung im Schaudepot Zehntscheune in Anwesenheit der Staatssekretärin im Ministerium für Wissenschaft und Kunst, Ayse Asar, eröffnet. Sie bleibt bis 28. November 2021 zugänglich und ist nach einer Winterpause wieder vom 1. März bis 30. Oktober 2022 zu besuchen.

Bei der Untersuchung eines alten Brunnens auf dem Gelände des UNESCO Weltkulturerbes Lorsch vor einigen Jahren kamen unerwartet qualitätsvolle mittelalterliche Architektur- und Skulpturfragmente zum Vorschein. Eingebaut in die Wandung konnten einige von ihnen geborgen werden. Das Staunen über diese Funde war damals groß. Nach gründlicher Dokumentation, Restaurierung und wissenschaftlicher Einordnung sind sie nun erstmals öffentlich zu sehen.

Die am 6. Oktober 2021 eröffnete Ausstellung “Geschichte schöpfen – Quellen aus einem Brunnen” der Staatlichen Schlösser und Gärten Hessen (SG) ist der Höhepunkt des Jubiläumsprogramms zu 30 Jahren UNESCO Weltkulturerbe Kloster Lorsch. Die Präsentation im Schaudepot Zehntscheune spiegelt nach Meinung der Staatssekretärin im Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst, Ayse Asar, die Qualität und den Auftrag einer Welterbestätte.

“Dies ist ein authentischer Ort der Geschichte, an dem Menschen dank beispielhafter Vermittlungsinitiativen von Neugierigen zu Wissenden werden. Kloster Lorsch hat uns immer wieder mit Aufsehen erregenden
Ausstellungen begeistert, darunter die anthropologische Schau “Begraben und Vergessen. Knochen erzählen Geschichte” zu menschlichen Überresten. Stets werden der Vergangenheit neue wichtige Erkenntnisse entlockt und verständlich für das Publikum aufbereitet. Der Atzmann ist eine Sensation.”

Werkstücke werfen neues Licht auf die Geschichte des Klosters Die kostbaren Steinmetzarbeiten, die im oberen Teil des zehn Meter tiefen barocken Brunnens verbaut waren, gehörten einmal zur Ausstattung der ehemaligen Lorscher Nazarius-Basilika. Von dem Gotteshaus mit seinen Anfängen in der Karolingerzeit, das als “Wunder an Pracht und Schönheit” gerühmt wurde, ist heute nur noch der westliche Teil des Mittelschiffs (das sogenannte Kirchenfragment) erhalten.

Zu den Werkstücken aus dem Brunnen gehören unter anderem die ornamentierten Elemente einer Chorschranke aus romanischer Zeit sowie Fragmente von gotischen Skulpturen mit bedeutenden Farbfassungsresten. „Die Entdeckung der wiederverwendeten Spolien ist aus unserer Sicht nicht hoch genug einzuschätzen”, sagt Kirsten Worms, Direktorin der SG. “Sie werfen ein neues Licht auf die Geschichte des Klosters. Eine Blütezeit, unbestreitbar für die Epoche der karolingischen Herrscher, ist jetzt auch für spätere Jahrhunderte am Ort greifbar. Uns erscheint es sogar möglich, das Kloster in der Kunst und Architektur des Hoch- und Spätmittelalters neu zu verorten. Wir freuen uns über diesen großen Zugewinn an Erkenntnissen.“

Kuriosität: ein “Atzmann”

Unter den kunsthistorisch hochbedeutenden Funden ist beispielsweise ein “Atzmann” aus dem 13. Jahrhundert: Diese seltene Bilderfindung gehört zu den Kuriositäten steinerner Kathedralskulptur des Mittelalters: Er wurde als ein Diener in Menschengestalt mit liturgischen Gewändern dargestellt, der auf Brusthöhe eine Pultplatte vor sich hält. Insgesamt sind aktuell nur 20 Atzmänner erhalten. Das neu entdeckte Lorscher Exemplar fordert eine Bezugnahme zu anderen heraus, beispielsweise zu jenen der weltbekannten Dome von Naumburg und Straßburg sowie zum Atzmann in der ehemaligen Chorherrenstiftskirche St.
Peter in Fritzlar. Daher werden zum Vergleich diese drei “Verwandten” als digitale Modelle und alle weiteren Pultträger mit Fotografien in der Ausstellung gezeigt.

Nach den Worten der Kuratorin und Baudenkmalpflegerin der SG, Dr. Katarina Papajanni, wurden die Objekte mit hochpräzisen 3DScans erfasst und mit unterschiedlichen Methoden der Bauforschung, Restaurierung und Kunstgeschichte sowie der Naturwissenschaften dokumentiert und analysiert. Zudem habe man mit den Funden früherer Grabungen einen erweiterten Kontext für manches hinzugekommene Werkstück geschaffen: Korrespondierende Arbeiten aus dem Altbestand des Lorscher Lapidariums wurden einbezogen.

“Wir haben sämtliche Blickwinkel auf das neue Material eingenommen, um sie disziplinenübergreifend einzuordnen”, so Papajanni.

Auch der Brunnenschacht selbst war Gegenstand gründlicher Erforschung. Er gab die Idee zu einer aufwändigen Szenographie für “Geschichte schöpfen – Quellen aus einem Brunnen” der Gestalterin Sabine Gutjahr (Exposition, Frankfurt). Papajanni und Gutjahr zielten darauf ab, die neuen Funde Interessierten aller Altersgruppen – auch ohne Vorkenntnisse – in ihrer Attraktivität und Bedeutung für Lorsch möglichst anschaulich vorzuführen.

Die Ausstellung bleibt zunächst bis zum 28. November 2021 geöffnet. In der Winterpause der Zehntscheunde finden jedoch weiterhin Führungen nach vorheriger Anmeldungen statt. Vom 1. März bis 30. Oktober 2022 ist die Schau wieder uneingeschränkt zugänglich. 2022 erscheint zu “Geschichte schöpfen – Quellen aus einem Brunnen” eine umfangreiche Publikation im Verlag Schnell & Steiner.

Noch im Jubiläumsjahr führen zwei kunsthistorische Vorträge in Themen ein, die die Ausstellung aufruft:

Am 10. November 2021, 18:30 Uhr, stellt Dr. Anja Lempges vom Dom- und DiözesanMuseum Mainz den aktuellen Stand der Forschung zum Skulpturentypus Atzmann vor: “Atzmann. Stummer Diener für lautes Lob”.

Angelika Wellnhofer, Kunsthistorikerin aus Regensburg, gibt am 2. Dezember 2021, um 18:30 Uhr, einen allgemeinen Überblick zu Kunst, die aus dem Zeitgeschmack fiel: “Verschenkt, enthauptet, begraben. Das Schicksal der Kunst”.
Beide Vorträge finden im Paul-Schnitzer-Saal am Museumszentrum statt