Altes Handwerk stirbt aus - im Museum bleibt es lebendig! Vom Spinnen und Seilern

Im Aprilheft 2021 lesen Sie über die Arbeit von Regierungsvermessungsrat Philipp Buxbaum (1879-1962). Bei der Recherche stieß ich auf einen anderen Philipp Buxbaum: Seminarlehrer in Bensheim (1843-1918). Auch über ihn gibt es viel Interessantes zu erzählen. Im Ruhestand widmete er sich der Dichtung und Volkskunde. Ein getreues Abbild des Odenwälder Volkslebens, eine Landes- und Volkskunde wollte er so entwerfen. Zahlreiche Gespräche mit Bauern oder Förstern lieferten ihm genügend Material. Eines seiner Bücher heißt "Hauswirken".

Als Hauswirken bezeichnete man derbe Stoffe, „hänfen in den Kettenfäden und flächsen im Fadenschlag“. Das Bild des so entstehenden Gewebes - kratzig und steif - schien ihm zur Schilderung des Odenwälder Landvolks gut geeignet.
Mit hänfenen und flächsenen Kett- und Schußfäden sind wir beim Thema Weben. Hanf wurde früher in den Dörfern angebaut und anschließend gebrochen, in sogenannten Hanfdarren.
Nicht nur für robuste unempfindliche Alltagskleidung wurde Hanf benötigt.
"Das Leinenzeug des Odenwälders besteht aus der Bastfaser von Flachs und Hanf. Von den beiden Spielarten des Flachses, dem Springlein und dem Dreschlein, wird in den Bergtälern noch jetzt der letztere mit höherem, weniger verästeltem Stengel als Gespinstpflanze angebaut."

Flachshechel, Museum Asbach; noch heute erinnert der Familienname Hechler an den alten Beruf


Der Flachs mußte zunächst auf dem Feld gerauft werden, das heißt die Pflanze wurde mit Wurzel herausgezogen. Dann wurden die Stängel zum Trocknen schräg gegeneinander gelehnt, dies sah aus wie Kapellen und hieß auch so. Der Odenwälder machte aus Kapelle Käppl, viele Flurnamen  mit Kapp, Käpp, Käppl berichten uns vom Flachsanbau. Am Ende werden die Stängel gerefft, als gekämmt. Danach müssen sie rotten, gären. So werden die Bastfasern gewonnen. Man konnte sie auch rösten: in der Dörrkaute über Heißrauch. Auf der Flachsbreche werden die Fasern von holzigen Teilen befreit und über den Hechelkamm gezogen. So entsteht der Werg, die Flachsfaser, die schließlich verwoben oder verdrillt werden kann. Genau wie mit dem Flachs verfuhr man mit Hanf.
So erzählt uns Buxbaum in seinem Büchlein 'Bilder aus dem Odenwälder Volksleben' über den Hechler und Seiler Valtin Rohr, der sich im Hof des Linnebauern eingemietet hat: "Der Valtin hat's ja auch mit seiner Arbeitsstätte sehr bequem, denn über dem Hof liegt in einer alten Gesittkammer der Hechelraum, und im Baumgarten führt der Scheune entlang die Seilerbahn." Von der Arbeit am Hechelkamm ist er krumm geworden, aber seine Seilerwaren trägt er durch den ganzen Odenwald.

Seilerbahn oder Reeperbahn, Modell im Gasthaus zum Odenwald in Schannenbach. Die Originalbahn war so lang wie eine Scheune


Auch zur Seilerei mußte langfaseriger Hanf erzeugt werden. Während das Spinnen und Weben im Winter von der Hausfrau übernommen wurde, war das Seilern Aufgabe der Männer.
Aus den Fasern wurden stärkere Fäden gedreht und zu Litzen gewickelt. Dann wurden jeweils vier Litzen verzwirnt, die Enden verknotet oder mit Eisen beschlagen. Eine Seilerbahn (Reeperbahn) ist in Ober-Ramstadt erhalten. Bäuerliche Seilereien konnten in Asbach, in Affhöllerbach, in Ober-Gumpen ermittelt werden.

 

Seilerbahn im Museum Asbach v.l.: Bock von hinten, Bock von vorne, Schlitten von vorne

 Schlitten von hinten, Kreuz


Hanfseile wurden zum Binden der Garben oder Ballen benötigt und sorgfältig gehütet. 1850 wurde in Starkenburg auf knapp 2047 Morgen Hanf angebaut, 1909 nur noch auf 14,3 Morgen. Der Grund war, daß die englische Produktion eine wesentlich höhere Qualität lieferte. Mit dem Rückgang des Hanfanbaues fiel auch die häusliche Seilerei dem aussterbenden Handwerk anheim. Wie und in welchem Umfang im Odenwald Seilerwaren selbst hergestellt wurden, läßt sich nicht mehr sagen.

v.l.: Seil am Brunnentrog, verdrilltes Seilende mit Metallring, selbstgedrehtes Seil (Gerhard Hornung), alle im Museum Asbach

In Asbach lebte die Seilerei am 21. Juli 1985 noch einmal auf bei einem Museumsfest des Heimatmuseums in der Schulstraße.
Man verwendete gekaufte Sisalstricke, die in 22 Meter Länge aufgespannt wurden. Nach dem Drehen war das Seil noch 16 Meter lang. Die Anzahl der Stränge hängt davon ab, wie stark das Seil sein soll.

Auf dem Seilbock in Asbach ist notiert: Ackerleine 24 Gänge, Wagenseil 48-60 Gänge, Zugstrick 16 ganze, 20 halbe Gänge - weil sich der Zugstrick verjüngt. Die Gänge sind die Litzen. Aus vier Litzen zu zehn Strängen, also 40 Gängen, drehte man ein Pferdegeschirr.

Mehrere Männer waren nötig, um das Seil über die gesamte Länge herstellen zu können, hinzu kamen verschiedene Werkzeuge: ein Seilbock mit Haken, ein Schlitten am anderen Ende, der dem sich verkürzenden Seil folgt, gespannt durch das Kreuz. Man drehte die Kurbel des Bocks in die eine, die Kurbel des Schlittens in die andere Richtung, in der Mitte des Seiles steckte das Kreuz. Je nachdem wie stramm das Seil gedreht wird, verkürzen sich die Litzen um 20-30%.

Der Asbacher Museumsleiter Gerhard Hornung läßt stets die neugewählten Mitglieder des Ortsbeirates vor Amtsantritt ihre Eignung beweisen: sie müssen ein neues Seil für den Brunnentrog drehen.

http://www.modautal.de/?Bildung_und_Kultur___Heimatmuseum___..._in_Asbach

M. Hiller