Geschichtswerkstatt: Öffentliche Buchpräsentation „Gegründet 1936? Das Kaufhaus Ganz in Bensheim und seine jüdische Vorgeschichte“

Umfangreiche Arbeitsergebnisse zur Historie des Bensheimer Kaufhauses Ganz stellte die Geschichtswerkstatt der Geschwister-Scholl-Schule Bensheim im September vor. Vorausgegangen war ein öffentlich ausgetragener Streit zwischen der Kaufhausführung des „GANZ“ und historisch interessierten Kritikern zur Jubiläums-Kultur im Kaufhaus. Speziell im Jahr 2016 waren die jüdischen Vorbesitzer*innen völlig unerwähnt geblieben, sowie fragwürdiges zeitgenössisches Bildmaterial aus der Nazizeit zu Werbezwecken genutzt worden. Schulleiter Thomas Stricker und Oberstufenleiter Tim Schmöker erinnern: „In der Hochphase der Auseinandersetzungen wurde schließlich unsere Geschichtswerkstatt mit ihren Schüler*Innen und Leitern um wissenschaftlich valide Aufarbeitung des Sachverhaltes gebeten. Die ausführlichen Analysen liegen nun auf 644 Seiten in Buchform vor und sind erwerbbar." Das Buch ist erhältlich bei Kaufhaus Ganz, der Buchhandlung Schlapp und bei der BA-Pressestelle zum Preis von 36 Euro.


"Wir sind uns zweifelsfrei bewusst, dass die Auseinandersetzungen des 'Ganz-Jubiläumsjahres' 2016 zu erhöhter Aufmerksamkeit in Bensheim geführt haben. Viele Menschen wollen seitdem wissen, inwiefern mit der Erinnerung zur NS-Zeit umgegangen wird und welche Rolle der Kaufhaus-Käufer Ernst Ganz im NS-Staat gespielt hat, bzw. wie er mit den jüdischen Vorbesitzer*innen umgegangen war“, fasst Frank Maus, einer der beiden Leiter der Geschichtswerkstatt, die schwierige Ausgangslage zusammen. „Unsere Dokumentation fußt daher auf einem sehr breiten Daten- und Dokumententableau. Es werden mehrperspektivische Zugänge aus Verkäufer- und Käufersicht dargelegt sowie ein speziell Bensheim-bezogener Blick reichsweiten Entwicklungen gegenübergestellt. Somit dürfte uns eine weitgehend objektive Analyse gelungen sein.“ Streit über die gesellschaftliche Rolle und Verantwortung des Ernst Ganz dürfte somit in Zukunft nicht mehr nötig sein, vermuten die Akteure der Geschichtswerkstatt. Zentrale Erkenntnisse zur Genese des früheren NSDAP-Mitglieds Ernst Ganz werden im Buch vorgestellt, Hinweise zur Einschätzung und Bewertung der Kaufabwicklung des Kaufhauses erläutert. "Insofern geben wir eine recht klare Auskunft zur Frage, ob oder inwieweit der Besitzerwechsel 1936 eine 'rücksichtslose Arisierung jüdischen Vermögens' darstellt. Die Phase der Wiedergutmachungen ist hierbei ebenso aufschlussreich und wurde detailreich aufgearbeitet,“ so Maus. Peter Ströbel, ebenfalls Leiter der Geschichtswerkstatt, hierzu: „Es ist uns gelungen, die Schicksale der betroffenen jüdischen Familienmitglieder umfassend zu erforschen. Hierbei gehen wir bis in das Jahr 1899, dem Jahr der Kaufhausgründung, zurück. Jede Person und deren Schicksal wurde von uns gewürdigt und daher dokumentieren wir deren Lebensweg im Kontext der Emigration aus Nazi-Deutschland ausführlich und respektvoll.“ Die Nachkriegs- und Wirtschaftswunderzeit nach Ende des Hitler-Regimes beendete die Leidenszeit der ihrer Heimat beraubten Juden nicht. Insbesondere jahrelange Auseinandersetzung mit den deutschen Wiedergutmachungsbehörden in der jungen BRD offenbaren eine Art „Zweiter deutscher Schuld“, so Ströbel. n