Hessen ist das waldreichste Bundesland (42% der Fläche, ganz Deutschland 32%). Ohne Wald fehlt uns das Wichtigste: er produziert frische Atemluft, speichert Wasser und bringt Entspannung.

Aber was erwarten wir eigentlich vom Wald? Idyllische Pfade durch vielfältiges Grün, uralte Baumpersönlichkeiten und viel Junges am Boden, Vogelzwitschern und ein scheues Rehlein? Das Ganze möglichst ohne Stolperwurzeln, herabfallende Äste, Dornengestrüpp oder Giftpflanzen?

Die Realität sieht anders aus: denn wer sollte eine solche Idylle instandhalten? Unser Wald müßte dann Eintritt kosten. Niemand möchte außerdem tatsächliche Wildnis, denn sie ist nicht idyllisch. Hier wird gefressen was das Zeug hält, und vor uns Menschen macht Wildnis da nicht halt: denn zu einer echten Wildnis gehören Wölfe und Braunbären. Wilder Wald wächst in manchen Staatsforsten oder Nationalparks, zur Zeit sind es 2 % der Waldflächen, bis 2020 sollen es 5 % werden. Aber beim Betreten solcher Wildnis gibt es strikte Regeln für uns Menschen. Bei Wind ist das Betreten verboten, denn auch in einer Wildnis hat der Eigentümer die Sorgfaltspflicht.

Im Kellerwald am Edersee ist ein Stück Urwald neu entstanden - für Spaziergänger eine besondere Herausforderung!

 

Auf der anderen Seite steht der umsorgte Wald, wobei „umsorgt“ kein Werturteil ist. Solcher Wald wird Forst genannt und ist ein nicht zu verachtender Wirtschaftsfaktor: aus einem 350 Hektar großen Stück Forst etwa lassen sich jährlich 50.000 Euro Einnahmen aus Holzeinschlag erzielen. Daher liegt es auf der Hand, wofür sich Waldbesitzer entscheiden: kostenintensive Wildnispflege oder lukrative Bewirtschaftung. Ein Spaziergang durch einen intensiv bewirtschafteten Wald kann normale Erholungssuchende schmerzen: gefällte Bäume, maschinell geschält und in praktische Stücke zersägt, der Boden übersät von Holzsplittern und Abfallstücken, herausgeschnittene Verastungsstücke, deren behaglich bemooste Mulde keinem Eichhörnchen mehr Heimat bietet.

Baumriesen, die wir gestern noch umarmt haben, liegen heute am Boden, werden schnödes Bauholz oder - mit etwas Glück - Tisch, Stuhl und Bett für uns. Denn Tisch, Stuhl und Bett kommen nach wie vor nicht aus dem 3D-Plotter, sondern aus dem Wald. Was wir vom Wald wollen, das gibt er uns nicht: eine Idylle. In solchen Wertkategorien denken weder Bäume noch Forstwirte.

Ein Forstbaum in Deutschland verbringt sein Leben mit einer Lebenserwartung von durchschnittlich 77 Jahren in einem klar strukturierten Umfeld. Ein Lindenfelser Forstkritiker, Hakan Günder, beschreibt es so: „die Forstwirtschaft sorgt durch Waldverjüngung (= Herausnahme von Bäumen) für freie Flächen, die Licht bekommen. Hier können junge Bäume, die vielfach schon jahrzehntelang im Schatten auf ihre Chance gewartet haben, aufschießen. Sie müssen vor Wildverbiß geschützt werden, denn die Freiflächen locken durch Krautbewuchs Rehwild an.

Natürliche Waldverjüngung

 

Dann sollen die Jungbäume möglichst dicht an dicht nach oben wachsen, im sogenannten langen Dichtstand, was  zu geraden astfreien Stämmen führen soll.“ Rückegassen werden von vornherein mit angelegt. Diese werden für Harvester, Forwarder und Abfuhrfahrzeuge benötigt und stellen etwa 15-20% der nutzbaren Fläche dar. Günder weist darauf hin, daß diese Fläche bei Einsatz von Rückepferden weitgehend zum Anbau zur Verfügung stünde, der Boden würde zudem so gut wie nicht verdichtet, Verletzungen durch Großfahrzeuge an Bäumen, Wegweisern und Grenzsteinen würden entfallen. Auch massive Wegezerfurchung oder -zerstörung könnten vermieden werden. Entstandene Schäden durch Großmaschinen der von Hessen Forst beauftragten Firma werden oft nicht behoben.

All dies sind Kritikpunkte, die man vielfach aus der waldnutzenden Bevölkerung hört, jedoch hat sich Herr Günder durch aggressives Auftreten mit oft recht agitativen Beiträgen das „offene Ohr“ der Beteiligten verscherzt, was schade ist. Denn was er dokumentiert, könnte - in sachlicherer Form - durchaus ein Umdenken anregen. Hessen Forst ist ein Landesbetrieb, der Sachzwängen unterliegt. In erster Linie müssen schwarze Zahlen erwirtschaftet werden, denn Hessen ist nicht nur das waldreichste Bundesland, Hessen hat auch die Einnahmen aus seinen Wäldern fest im Haushalt einkalkuliert und finanziert aus diesen Einnahmen andere Landesaufgaben.

Leider unterliegt Hessen Forst damit dem Zwang, anstelle von Nachhaltigkeit (eine Erfindung der Forstleute: pro Jahr darf nicht mehr Holz entnommen werden als nachwächst) eine finanzielle Optimierung zu verfolgen. Der Auftrag zur Holzernte wird an den günstigsten Bieter vergeben, und der Günstigste ist leider nicht der Umsichtigste. Ähnlich zeigt sich das beim Landesbetrieb Hessen mobil: eine Kolonne mit drei vier Mitarbeitern erledigt das Straßenbegleitgrün in einem Aufwasch: rasieren, häckseln, ausliefern an zahlungskräftigen Großabnehmer. Schön ist anders, aber teurer.

Eine Abkehr der modernen Forstwirtschaft von dieser Praktik wäre schon fast eine Idylle: selektive Nutzungsform ohne kostenintensiven Fuhrpark bzw. dessen Anmietung, schonende Arbeit mit Rückepferde, keine flächendeckenden Nachpflanzungen inklusive Durchforstung - stattdessen Nachwuchs von Jungwald an Einzelentnahmestellen, dadurch lokal begrenzter Lichteinfall, weniger  Verkrautung und Wildverbiß, Schutz junger Bäume durch umgebende Altbäume, Wegfall von teuren Instandsetzungsarbeiten an Wegen und touristischen Einrichtungen.

Die Lösung des Problems kann in einem Kompromiß liegen: ökologisch sinnvolle Planung und verträgliches Wirtschaften. Es kann nicht im Interesse der hessischen Bürger liegen, vor jedem Einschlag eine Bürgervollversammlung durchzuführen, sondern diese müssen Vertrauen in die Arbeitsweise von Hessen Forst und deren Auftragsnehmern haben können. Aktuell haben sie dieses Vertrauen wohl nicht. Januar 2019, M. Hiller

Waldzustandsbericht 2018:
https://www.hessen-forst.de/uploads/aktuelles/2018/wzbhessen2018_.pdf

Bürgerinitiative „Unsere Wälder sind keine Holzfabriken – es reicht!!!“  https://www.bundesbuergerinitiative-waldschutz.de/

Aktuell Sommer 2021: Petition »Schützt das Naturschutzgebiet am Felsenmeer!«

Der NABU Seeheim-Jugenheim e.V. richtet sich an die Gemeinde Lautertal, an Hessenforst und die Privatwaldbesitzer, das Regierungspräsidium Darmstadt, den Geo-Naturpark Bergstraße-Odenwald und den Kreis Bergstraße sowie das Hessische Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz und die europäische Kommission:

Wir fordern ein Ende der forstwirtschaftlichen Nutzung des Naturschutzgebietes Felsberg/Felsenmeer im Lautertal!

Unter diesem Link ist die ausführliche Begründung zu finden. Zahlreiche NABU-Ortsgruppen der Region haben sich angeschlossen, auch der BUND Bergstraße sowie Greenpeace ist dabei.

Hier zunächst noch ein Exkurs: Am Himmelfahrtstag 1996 veranstaltete ich mit einigen anderen zusammen die allererste Felsenmeerführung. Ort und Uhrzeit für den Start waren bekannt und es hatten sich zahlreiche Menschen angemeldet. Unser Fehler: wir haben nicht vorher das Terrain geprüft, sondern uns darauf verlassen daß der Felsbergwald zwischen Parkplatz Felsberg und Riesensäule genau so aussieht wie eine Woche vorher. Tja, und dann führten wir die entsetzten Teilnehmer durch ein mit roher Gewalt abgeholztes Stück, wo "mein Freund der Baum" mit großen Maschinen niedergemetzelt worden war. Die Fläche sah aus wie ein Truppenübungsplatz. Das war der Augenblick, als ich begann mich mit Waldökologie und schonenden Forstmethoden zu beschäftigen.

Ich gehöre nicht zu den militanten Baumkuschlern, die kein gutes Haar an den Förstern lassen. Mit denen hatte ich mich 2018 mal befaßt: nachzulesen im Heft Januar 2019: Waldidylle oder Forstwirtschaft: Ökologie, Ökonomie und Vertrauensbildung. Ich bin mir bewußt, daß für Kommunen, Hessenforst und Privatwaldbesitzer die wirtschaftliche Notwendigkeit besteht, Holz zu ernten. Wo kämen wir hin, wenn es kein Holz mehr gäbe? Die Frage ist überholt, die Preise am Holzmarkt belegen es.

Erosion durch Waldtrampler seitlich des Felsenmeeres

 

Unser Wald ist kein Urwald, es gibt eine Sorgfaltspflicht für die jeweiligen Eigner. Sonntagsspaziergänge im Wald sollen nicht durch kranke umsturzgefährdete Bäume beeinträchtigt werden. Und so ist es notwendig Wälder zu durchforsten und kranke Bäume herauszunehmen. Auch "reife" Bäume müssen gefällt werden. Dies darf nur im Winter geschehen. Und jüngste Erkenntnisse legen Waldbesitzern nahe, keinen Kahlschlag vorzunehmen, sondern einzelne Bäume zu ernten. Aktuell sollen auch die durch die Hitzesommer abgestorbenen Fichten nicht flächenmäßig herausgenommen werden. Besser ist es, sie dürr stehen zu lassen, wo es möglich ist. So bleibt das Waldklima für die lebenden Bäume günstiger und unter den toten Fichten können Schößlinge geschützt aufwachsen. Erkenntnisse legen auch nahe, daß durch schwere Maschinen der Waldboden unwiederbringlich zerstört wird: die Verdichtung erholt sich nicht mehr, die Folge ist ein geschwächter Wald. Förster Jens Uwe Eder aus Fürth erklärte dies in einem Vortrag. Feste Rückegassen, Arbeiten mit langem Seil und am liebsten mit Rückepferden (aber die müssen aus Slowenien angefordert werden) können den empfindlichen Boden schützen.

Was Hessenforst umsetzen kann, um Wälder schonend zu durchforsten, ist für private Waldbesitzer schwierig - eine Kosten-Nutzen-Rechnung, die leider oft zu Ungunsten des Waldes ausgeht. Es geht hier darum, eine Diskussion über Forstmethoden in Gang zu bringen, die beiden Seiten gerecht wird: der wirtschaftlichen und der ökologischen. Beide haben die gleiche Daseinsberechtigung, und die eine kann ohne die andere nicht bestehen.

Forstwirtschaft kann nicht ohne Waldökologie funktionieren, und Waldökologie nicht ohne Forstwirtschaft - eine einfache Formel