Heute sind die Repair Cafés Bergstraße gut etabliert. Bevor die Pandemie begann, gab es sechs Termine pro Jahr, jeweils in einem anderen Ort. Die Reparaturquote liegt immerhin bei mindestens 50 %!
Infos: repaircafe-bergstrasse.de
Die Geburtsstunde des Repair Café Bergstraße - Dorf im Wandel: reparieren und tauschen statt wegwerfen...
Januar 2013: Nachbarschaftshilfe und Tauschbörsen im Kommen: „Kennen Sie jemanden, der ungespritzte Lageräpfel hat?“ Diese Frage erreichte mich in den letzten Wochen, und ich konnte helfen. Denn ich hatte kurz vorher in der Hohensteiner Straße in Reichenbach eine handgeschriebene Tafel „ungespritzte Äpfel“ entdeckt. „Vielen Dank für Ihren heißen Tipp, habe gleich Herrn XY angerufen. Sogar mit Lieferservice! Er hat noch Äpfel zentnerweise das Kilo zu 1 €, schmecken gut, kann man nur empfehlen. Super!“ kam prompt die Antwort. Zufällig brauchte Herr XY gerade einen Artikel, den die Fragerin anzubieten hatte. Gesucht - gefunden, kann man da nur sagen. Tauschgeschäfte waren in früheren Zeiten im ländlichen Raum vorherrschend. Das „Mutuum“, das wechselseitige Geben und Nehmen wurde sogar durch Landgraf Georg I im Jahre 1798 ausdrücklich empfohlen. Nur Zins durfte nicht verlangt werden. Nachzulesen ist dies in einem spannenden Aufsatz von Rosemarie Beck über eine Billingser Mühlenfamilie in „Der Odenwald“ (Zeitschrift des Breubergbundes, Heft 1, 2 und 3 2012 )
Heute ist unsere ländliche Gesellschaft wieder an dem Punkt, wo das Selbermachen, das Sich-selbst-organisieren wichtig wird. Bund, Länder und Kommunen haben viel zu lange aus dem Vollen geschöpft. Sie waren Ende 2011 mit rund 2.021 Milliarden Euro verschuldet. Insgesamt betrug im Jahr 2011 die Pro-Kopf-Verschuldung 25.770 Euro, davon in den Gemeinden im Schnitt 1709. In Hessen liegt sie pro Gemeinde bei 1750 Euro. Würden ab sofort von Bund, Ländern und Kommunen keine Schulden mehr aufgenommen und würde die öffentliche Hand gesetzlich verpflichtet, neben allen anderen Ausgaben für Personal, Investitionen, Sozialleistungen, Zinsen etc. jeden Monat auch eine Milliarde Euro an Schulden zu tilgen, so würde dieser Prozeß 168 Jahre lang andauern müssen, um den Schuldenberg vollständig abzutragen. Mit dem kommunalen Schutzschirm und der Aufforderung zur Haushaltskonsolidierung versucht nun das Land Hessen, ausgerechnet die Kommunen als erste zum Schuldenabbau zu zwingen, die neben ihren Pflichtausgaben kaum Spielraum haben.
Auf längere Sicht wird also für den Einzelnen aus der öffentlichen Hand nicht mehr viel zu erwarten sein. Selbstorganisation wie beispielsweise bei Fahrten und Transporten, der Finanzierung der FSJ-Stelle an der Mittelpunktschule Gadernheim, Weitergabe von Kenntnissen und Austausch von Tätigkeiten und Dingen werden notwendig. Die Bürgerquelle Lindenfels macht es seit vielen Jahren vor. „Bürger bieten Besonderes“ und die Bürgerquelle erfaßt, fördert und verknüpft dies. Mal reinschauen! Auch die Streuobstwiesenretter sind eine solche Initiative. „Unser Dorf im Wandel“ soll im Lautertal ähnliches leisten. Margit und Willy Welker aus Gadernheim haben es angestoßen und suchen nun Mitstreiter. Am Beispiel eines Filmes über Kuba, das nach dem Zusammenbruch der UdSSR und dem Öl-Embargo gezwungen war, innerhalb weniger Jahre auf eine Gesellschaft ohne Öl umzustellen (die Kubaner nahmen im Schnitt innerhalb von 3 Jahren 9 kg ab - so weitreichend wirkt sich das Fehlen von Öl aus!). Geld wurde bedeutungslos, Tausch bekam den größten Stellenwert. Betrifft uns nicht? Natürlich nicht, jedenfalls nicht nächste Woche oder bis Ostern. Doch auf lange Sicht haben die Ölreserven ihr Fördermaximum überschritten, es wird jedes Jahr weniger Öl gefördert, aber ständig mehr benötigt.
„Unser Dorf im Wandel“ soll Denkanstöße geben, Ideen sammeln, Gemeinschaftsaktionen fördern. Ohne Parteipolitik, ohne Ortsteildenken und ohne gewerbliche Aspekte. Familie Welker läd daher alle Bürgerinnen und Bürger aus Lautertal ein, sich zu beteiligen. Zunächst genügt es, einfach zum nächsten Stammtisch zu kommen und zu sehen, was es da alles gibt. Als Thema für die Zusammenkunft, die im Januar stattfinden soll, wurde „Gärtnern“ gewählt. Hier auf dem Land gibt es noch viele Menschen, die viel Wissen um gesunden Anbau von Gemüse und Obst besitzen. Und es gibt viele junge Menschen, die dem Trend zum Selbergärtnern folgen möchten, aber nicht wissen wie. In Kuba bebaute man zur Krisenzeit sämtliche öffentlichen freien Flächen, Abrißgrund-stücke, Parks und Zierrabatten mit Gemüse - übrigens auch in Deutschland zu Kriegs- und Nachkriegszeiten. „Urban gardening“ ist heute wieder ein Modetrend geworden. Dabei gibt es im Odenwald die uralte Form der Allmende, die schon früher gemeinschaftlich bewirtschaftet wurde. Man darf gespannt sein, was beim Stammtisch zu diesem Thema alles zu hören sein wird. Der Termin ist am 30. Januar 2013 um 19.30 Uhr im Erbacher Hof in Lautertal-Gadernheim.
Marieta Hiller - erschienen im Durchblick Dezemberheft 2012
Dorf im Wandel - eine erfolgreiche Initiative
Die Initiative "Dorf im Wandel" trifft sich nach wie vor einmal monatlich zu einem formlosen Stammtisch. Ort und Datum erfahren alle, die sich bei Margit Welker in die Teilnehmerliste eintragen: Telefon 06254-942206.
Im Jahr 2014 hat "Dorf im Wandel" ein regionales Repair-Café ins Leben gerufen. Das sind Treffen, die etwa einmal monatlich an wechselnden Orten stattfinden. Im November 2014 und Januar 2015 fanden die ersten Bergsträßer Repair Cafés statt, jeweils im Haus am Markt in Bensheim.
Mit Lötkolben, Charme und Kuchen - erstes Repair Café ein voller Erfolg
Der helle Raum im Bensheimer Haus am Markt summte wie ein Bienenkorb: am 8. November 2014 hatte die Lautertaler Gruppe Dorf im Wandel gemeinsam mit der Grünen Liste Bensheim zum ersten Repair Café in der näheren Umgebung eingeladen. Gut zwanzig Helfer bereiteten die dreistündige Veranstaltung vor, hatten Kuchen gebacken und Arbeitstische hergerichtet. Kaum waren Akkuschrauber und Latthammer bereitgelegt, kamen auch schon die ersten Interessenten.
Der eine brachte einen uralten Markenstaubsauger mit, eine andere schleppte ihren Drucker herein. Über 40 defekte Geräte, darunter ein Metronom, zahlreiche Pürierstäbe und Handmixer, vor allem aber Computer, Laptops und Unterhaltungselektronik wanderte der Reihe nach über die Tische, an denen ehrenamtliche Spezialisten saßen, um sie gleich aufzuschrauben.
Über die Hälfte der Teile war tatsächlich noch zu reparieren, ihr Besitzer und die netten Helfer an den Reparaturtischen vereinbarten auch gleich einen Termin, an dem zu bestellende Ersatzteile eingebaut werden sollen.
„Seid ihr jetzt jeden Samstag hier?“ wurden die Helfer gefragt. Doch dies ist selbst den bereitwilligsten Reparaturhelfern zu oft. Aber alle zwei, drei Monate läßt sich ein solches Treffen gut organisieren. Es wird immer an einem anderen Ort stattfinden und der Termin über die Medien bekanntgegeben.
Bis während des ersten Repair Cafés die defekten Geräte begutachtet oder gar repariert waren, ließen es sich die Besucher bei Kaffee und Kuchen gut schmecken. Die Kuchen waren von den Helfern selbst gebacken, der Kaffee stammte selbstverständlich aus Fairem Handel und auch der Tee der Teekampagne wurde vorgestellt.
Als Alternative zur Schnäppchengesellschaft, in der oftmals billig mit preiswert verwechselt wird, setzte die Gruppe so Akzente auch auf Lebensmittel, die ihren Preis wert sind - auch für die Erzeuger. Birgit Rinke von B 90/Die Grünen Bergstraße freute sich nach dem ersten Repair Café nicht nur über eine gut gefüllte Spendenbox, sondern auch über viele Anregungen und Ideen.
So könnten wirklich irreparable Elektronikteile wertvolle Bauteile enthalten, die gesammelt und an eine Organisation übergeben werden können, die darin noch einen Wert sieht. Jedes auf den Müll geworfene Teil holt uns wie ein Bumerang wieder ein. Was auf dem Müllberg bleibt, sind unsere Wertbegriffe. Auch alte Dinge haben noch ihren Wert, doch in der modernen Marktwirtschaft findet oft ein Mechanismus statt, der als geplante Obsolenz bezeichnet wird. Darunter versteht man eine industrielle Fabrikation, die das künftige Kaputtgehen des Produktes (vorzugsweise einen Tag nach Ablauf der Garantie) gleich mit integriert. Insbesondere Bil-ligprodukten und Sonderangebotsartikeln kann diese Eigenschaft innewohnen.
Viele Verbraucher lassen sich blenden und machen folgende Rechnung nicht auf: kaufe ich ein hochwertiges Markenprodukt - wobei es empfehlenswert ist, sich z.B. bei Stiftung Warentest über tatsächliche Qualitätsmerkmale zu informieren - so zahle ich möglicherweise beim Kauf über das Doppelte eines Sonderangebotes.
Doch mal ehrlich: wieviele kaputte Wasserkocher, Handmixer, Föne und Toaster stehen in Ihrem Keller - und was haben sie alle zusammen gekostet? Markenprodukte zu kaufen, bedeutet leider nicht, daß man sie immer auch reparieren lassen kann. Aber oft kann der Händler Ihres Vertrauens - wenn Sie ihm treu sind - bei seinem Lieferanten auf Kulanz einiges erreichen. Viele Billigprodukte kann man gar nicht zur Reparatur bringen - selbst wenn man wüßte wohin.
Das Repair Café machte eines deutlich: hierher kamen Menschen, die Werte achten. Sie brachten meist Geräte, die jahrzehntelange Benutzungsspuren zeigten, selten wirklich unreparierbare Schrottstücke. Und Geräte, bei deren Herstellung auf Qualität statt auf Obsolenz (Obsolenz bedeutet Veralten) geachtet wird, lassen sich tatsächlich oft noch reparieren. Nicht im Geschäft - oft übersteigt der Stundensatz den Kaufpreis des Gerätes - aber in einem ehrenamtlichen Repair Café.
Die Idee der Lautertaler Dorf-im-Wandel-Gruppe und der Bensheimer Grünen fand in Bensheim großen Anklang, es waren sogar Gäste aus dem Weschnitztal da, die sich Infos für ein geplantes eigenes Repair Café holten. Weitere Infos: repaircafe-bergstrasse.de
Wer etwas zu reparieren hat oder seine Fähigkeiten ehrenamtlich zur Verfügung stellen möchte, kann sich im Repair Café bei Kaffee und Kuchen mit Gleichgesinnten treffen. Die Termine der Repair Cafés sind unter repaircafe-bergstrasse.de zu finden. Mal ist ein Kleidertauschmarkt dabei, mal ein Pflanzentauschmarkt oder der Schwerpunkt Fahrrad oder Computer.
Kleider tauschen: Kleider, die bereits in der Gesellschaft zirkulieren, vermindern die Abfallberge. Es hilft auch den Chemikalieneinsatz in der Kleiderindustrie zu verringern.
Wer Interesse hat und Dinge reparieren kann, kann sich auch bei Margit und Willy Welker von Dorf im Wandel Lautertal in den Verteiler aufnehmen lassen: Telefon 06254-942206.
Voices of Transition
Dokumentarfilm über den sozialökologischen Wandel von Regisseur Nils Aguilar: Der deutsch-französische Filmemacher und Soziologe Nils Aguilar erzählt in seinem Dokumentarfilm “Voices of Transition” (F/D 2012) von eingängigen und mitreißenden Beispielen des sozialökologischen Wandels in England, Frankreich und Kuba. Wie können wir in Zukunft die Welt ernähren? Wie gestalten wir den Übergang in eine postfossile, relokalisierte Wirtschaft?
Ausgehend von Großbritannien gewinnt die Transition Town Bewegung auch in Deutschland an Bedeutung. In Frankfurt jährt sich die Gründung der Transition Town Initiative. Neben aktuellen Projekten der Frankfurter Gruppe „Essbare Stadt Frankfurt am Main“ werden weiterführende Ideen wie regionale Währung, Nutzung und Förderung von alternativen Energien, Urban Gardening und interkulturelle Projekte vorgestellt und auf dem Podium diskutiert.
Transition Town Initiativen auf dem Land: „Dorf im Wandel“
November 2012: Unsere Energieversorgung und große Teile unserer Industrie sind abhängig vom Erdöl. Nicht nur die meisten Fahrzeuge verbrauchen fossile Treibstoffe wie Benzin oder Diesel; auch die Landwirtschaft in Industrie- und Schwellenländern kann ohne Treibstoffe und ohne aus Erdöl gewonnenen Dünger und Pestizide nicht funktionieren. Die weltweite Nachfrage nach Erdöl steigt ständig weiter, speziell durch den vermehrten Energiebedarf der Schwellenländer wie z. B. Indien und Malaysia. Vor allem jedoch China mit seiner schnell wachsenden Wirtschaft und der damit einhergehenden Mobilisierung der riesigen Bevölkerung weist einen enormen Anstieg seines Erdölverbrauchs auf.
Bei mindestens der Hälfte der ölfördernden Staaten weltweit ist jedoch der Höhepunkt der Ölförderung bereits erreicht oder sogar überschritten, es kann also künftig immer weniger Öl gefördert werden. Auch neu entdeckte Vorkommen können die sich ab-zeichnende Verknappung nicht auffangen, zumal solche Rohstof-fe wie Ölschiefer oder Öl aus Tiefseelagerstätten immer schwieriger und risikoreicher auszubeuten sind. Es ist also abzusehen, daß der Preis für Benzin, Öl, Erdgas und Erdölprodukte immer weiter steigen und die Versorgung immer schwieriger werden wird. Schon jetzt sind die Steigerung der Strompreise und das teure Benzin ein Problem, für Menschen mit niedrigem Einkommen und für viele Rentner, Geringverdiener oder Hartz 4-Empfänger kaum noch zu verkraften. Schweden hat aufgrund dieser Entwicklung bereits 2005 den Plan veröffentlicht, sich bis zum Jahr 2020 komplett von fossilen Rohstoffen und Energien unabhängig machen zu wollen.
Ein weiteres, sich abzeichnendes Problem sind lange, komplizierte Lieferketten, mit denen wir unsere Versorgung mit Lebens-mitteln und anderen Produkten des täglichen Bedarfs sicherstellen. Zum einen ist der Energiebedarf für diese teilweise absurden Transporte enorm, und sollte durch irgendeine Naturkatastrophe oder ein sonstiges Problem diese Lieferkette für Tage oder gar Wochen unterbrochen werden, werden uns sehr schnell Nahrung, Medikamente und die übrigen Dinge ausgehen, die wir in unseren Supermärkten kaufen können.
Aber was kann der oder die Einzelne tun?
Wir als Individuen können zwar die globalen Probleme nicht lösen, aber wir können einen großen Beitrag dazu leisten, sie hier bei uns zuhause, in unserer unmittelbaren Umgebung anzupacken. Wir können damit anfangen, unser Dorf resilient, das heißt widerstandsfähig gegen diese sich abzeichnenden Probleme machen. Es gibt bereits viele Ideen und Konzepte, die dazu ermutigen; in vielen Dörfern und Städten weltweit haben sich bereits entsprechende Initiativen gebildet. Um ein Stück weit unabhängiger von den fossilen Energieträgern zu werden, ist natürlich der Ausbau der erneuerbaren Energien sehr wichtig, hierüber wird auch bei uns im Lautertal bereits viel diskutiert und geplant. Der sparsame Umgang mit den immer teurer und knapper werdenden Ressourcen ist eine weitere Notwendigkeit. Auch hier gibt es bereits viele Ideen und Initiativen, die im kleineren Rahmen und im örtlichen Umfeld umsetzbar sind wie z.B. Carsharing oder ein Bürgertaxi. Produkte direkt aus unserer Region beziehen bzw. diese vor Ort selbst anbauen, ist ein möglicher Weg. Wir haben das Glück, daß viele Menschen hier einen eigenen Garten haben, in dem sich Gemüse und Obst anbauen läßt. Inzwischen gibt es auch Initiativen, die einen Bauern mit dem Gemüseanbau für ihren direkten Verbrauch beauftragen und teilweise bei der unterjährigen Arbeit und der Ernte mithelfen.
Da jeder Ort ein anderes Gefüge und andere Voraussetzungen hat, werden die Ideen und Maßnahmen überall etwas anders aussehen. Nur: anfangen muß man unbedingt, denn wenn nicht jetzt – wann dann? Und wenn nicht wir – wer dann?
M. Hiller