Der Herr des Gatters im Sägewerk: Gehrisch feiert sein Jubiläum

Zugegeben, es ist nicht die Regel. Aber es kommt immer wieder mal vor. Manche Lebensentscheidungen fallen an den ungewöhnlichsten Orten. So wie bei Manfred Rettig. Bei ihm ist es der Fußballplatz des SV Winterkasten. Aber der Reihe nach: In Europa und der Welt tobt der Kalte Krieg, Helmut Kohl hat gerade von Helmut Schmidt das Amt des Bundeskanzlers übernommen und Nicole mit „Ein bisschen Frieden“ den Eurovision Song Contest gewonnen. Wir schreiben das Jahr 1982, da unterhalten sich zwei junge Fußballer beim Training über die Zukunft. Der eine, eher Typ Stürmer, baut gerade gemeinsam mit seinem Bruder das elterliche Sägewerk modern aus. Der andere, Spielmacher im Mittelfeld, sorgt sich nach seiner Werkzeugmacher-Lehre um seine Zukunft. Denn sein Ausbildungsbetrieb hat gerade 80 Prozent des Personals entlassen und wird wenig später auch tatsächlich pleite sein. Das Gespräch könnte in etwa so abgelaufen sein: Thomas Gehrisch zu Manfred Rettig: „Dann komm‘ doch einfach zu uns. Wir brauchen gute Leute und bauen gerade die neuen Maschinen auf.“ Rettigs Antwort: „Okay, können wir mal versuchen. Ich komme für ein Jahr, dann werden die Maschinen ja montiert sein.“

Aus einem wurden sage und schreibe vierzig Jahre. Auf den Tag genau an diesem Dienstjubiläum treffen wir den inzwischen 60jährigen Manfred Rettig. Was sagt er zu 14.600 Tagen im Dienste des Sägewerks Gehrisch? “Um es klar zu sagen, es hat mir wirklich immer Spaß gemacht. Sonst wäre ich auch nie so lange geblieben. Die Arbeit im Sägewerk ist einzigartig. Wie beim Fußball zählt hier der Teamgedanke und der Werkstoff Holz ist wunderbar zu verarbeiten. Jeder Stamm ist anders.‘“

Seit rund 25 Jahren ist Manfred Rettig im Sägewerk Gehrisch der Herr des Gatters. Für nicht Sägewerker sei gesagt: Das Gatter ist so etwas wie das Herzstück eines jeden Sägewerks, denn hier erfolgt der erste Bearbeitungsschritt für die entasteten und grob vorbearbeiteten Holzstämme aus dem Wald. Was aus dem Stamm auch werden wird, ob Dachlatte, Bodenplanke, Baudiele oder Esstisch – all das entscheidet sich an Manfred Rettigs Arbeitsplatz, dem Gatter im Sägewerk Gehrisch. Dort kommen nur heimische Hölzer in die Sägen – hauptsächlich Eiche, Douglasie, Fichte oder Lärche.

Fußballer ist Manfred Rettig mit Leib und Seele geblieben. Seit Kindesbeinen schlägt sein Herz für Eintracht Frankfurt. Neben der SGE ist der Geflügelzuchtverein Winterkasten seine große Leidenschaft. Mit seinen 40 Barnevelder braun schwarz doppeltgesäumt, so der Name seiner Hühnerrasse, hat er gut zu tun und versorgt Freunde, Nachbarn und seine Lebensgefährtin und sich selbst regelmäßig mit frischen Prachteiern.

Gefragt, was sich geändert hat, im Sägewerk seit Deutschland im WM-Finale in Spanien 1982 gegen Italien mit 3-1 chancenlos blieb, wiegt der Jubilar nachdenklich den Kopf: „Früher war es mehr Bauholz“, sagt er dann. „Heute muss ich die Maschine viel öfter neu einrichten, weil die Aufträge kleinteiliger geworden sind.“ Auch wenn das jetzt mehr Mühe macht, bereut hat Manfred Rettig seine ungewöhnliche Entscheidung auf dem Fußballplatz in Winterkasten vor vierzig Jahren bis heute keine Sekunde lang.

Foto: Manfred Rettig (Mitte), die beiden Geschäftsführer Philipp Gehrisch (links) und Sascha Marasek. Foto: Sägewerk Gehrisch