Zu Gast bei Käptn Blaubär: das war die Geburtsstunde des Durchblick. Acht Freunde auf Silvesterurlaub 1994/95 in Wilster (da wo Deutschland am tiefsten ist) -  ein Karpfen "dreimal serviert", viele Pharisäer und verfrorene Spaziergänge am Ende der Welt führten dazu, daß die Idee Gestalt annahm.*
Als Anfang Mai 1995 tatsächlich das erste Heft erschien, inserierten darin einige gute Bekannte, die es heute noch gibt: Handwerkerbedarf Flügel Reichenbach, Küchenstudio Rettig Elmshausen, Autowerkstatt Brunner Wurzelbach, die Sparkasse Bensheim, Haushaltswaren Bauer Gadernheim, Gasthaus Zur Traube Reichenbach, Getränkehandel Hans Bauer Reichenbach und Fotograf Günter Hogen Reichenbach. Sie gibt es noch heute, sind zum Teil unsere langjährigen Dauerkunden geworden, andere haben geschlossen.
Da der Durchblick von Anfang an als "Nebenjob" gedacht war, legten wir nie großen Wert auf repräsentative Büroräume, sondern arbeiteten meist von zuhause (wie jetzt auch wieder) oder in düsteren Kellerverliesen.


Einmal wohnte zeitweise im gleichen Haus der Comedian Kaya Yanar, der uns gleich zwei Comics für den Durchblick zeichnete. Unser Schwerpunkt lag jedoch auf Kommunalpolitik. Es ging ums Wasser (daran hat sich in 25 Jahren nichts geändert), um Windräder, um den Golfplatz der nie gebaut wurde, um die Lautertaler Gewerbeschau und um die Bürgermeisterwahlen im Dezember 1995, zu der sage und schreibe fünf Kandidaten angetreten waren. Später rückten andere Themen in den Blick - pardon: in den Durch-Blick. Aber eine Anekdote ist uns allen bestens in Erinnerung geblieben - und wir wissen nicht wem noch alles: wir saßen im Kellerverlies und diskutierten die aktuellen Textbeiträge zur Lautertaler Kommunalpolitik. Zu jener Zeit gab es noch eine sehr aktive Wirtschaftsvereinigung, deren Gründungsvorsitzender Werner Reuters ein Gespräch mit dem gerade vor 100 Tagen frisch ins Amt gewählten Bürgermeister Jürgen Kaltwasser ein Gespräch führte, das im Durchblick redaktionell verarbeitet werden sollte. Dazu telefonierten wir mit Reuters, der hoch droben auf dem Felsberg wohnte. Als wir fertig waren und noch eine Rückfrage hatten, ging bei Herrn Reuters leider nur der Anrufbeantworter dran. Und so gingen wir das Ganze nochmal intern durch, ohne Rücksicht auf political correctness. Sprich: wir verrissen uns die Mäuler über jeden Einzelnen, der / die in der Lautertaler Kommunalpolitik eine Rolle spielte. Erst nach 20 Minuten intensivster Reflektion merkten wir, daß das Telefon nicht richtig aufgelegt war und unsere gesamten Weisheiten den Weg auf den Anrufbeantworter auf dem Felsberg gefunden hatten. Das war peinlich! Aber Herr Reuters hatte Humor...
Seitdem aber prüfen wir immer, ob das Telefon auch ausgeschaltet ist, bevor wir über jemanden herziehen. Mein PC-Arbeitsplatz verfügt weder über Mikrofon noch Kamera, und das Handy liegt im Nachbarzimmer.
Oh heilige Paranoia und Verschwörungstheorie!

*Dieser Silvesterkarpfen war köstlich, aber es trat schon nach dem ersten Teller ziemlich Sättigung ein. Dann kam der zweite Teller: übervoll mit köstlichem Karpfen samt Beilagen und nicht ganz kalorienarmer Soße. Auch der wurde leergegessen, ordentlich gestöhnt - und eigentlich hätte jetzt grade noch ein Küstennebel drauf gepaßt. Aber: es kam der dritte Teller - wie angekündigt in der Speisekarte. Dumm nur, daß wir Odenwälder mit nordischen Gepflogenheiten nicht bescheid wußten: wenn in der Speisekarte steht "dreimal serviert" dann heißt das dreimal serviert. Uff!
Pharisäer: gemeingefährliches Getränk, das man völlig unauffällig am hellichten Nachmittag zu sich nehmen kann. Sieht aus wie Kaffee mit Sahne - ABER!!!
Übernachten "im Himmel": unser Hotel in Wilster war in jeder Hinsicht bemerkenswert. Wir fanden es, indem ich die Touristbüros verschiedener Küstenorte anrief (Internet war da noch zu neu...) und ich entschied mich für Wilster, weil der nette Herr am Telefon sich so ins Zeug legte, da konnte man gar nicht anders. Eine nette Telefonstimme, die zu einem engagierten Touristikmitarbeiter gehört, ist viel mehr wert als jeder supertolle Internetauftritt. Also Wilster. Nettes familiengeführtes kleines Hotel. Das rollstuhlgerechte Zimmer für einen unserer Mitreisenden erwies sich als Tetris für Fortgeschrittene: man mußte die gegenüberliegende Zimmertür (die glücklicherweise zu einem zu uns gehörigen Zimmer führte) öffnen, rückwärts mit dem Rollstuhl hineinfahren ohne irgendwo anzustoßen, um dann vorwärts ins richtige Zimmer einfahren zu können. Drei unserer Mitfahrer wohnten "im Himmel". Das sah so aus: eine Dachbodenstiege führte geradewegs hinauf auf denselben und man konnte durch die Ziegel wirklich den Himmel sehen. Es ging aber weiter über den Dachboden, um drei Ecken und zwei Stufen hinab in einen "Neubau", der noch nicht so ganz mit dem alten Haus zusammengewachsen war. Dort aber lag ein wirklich hübsches warmes gemütliches Gästezimmer.

Marieta Hiller und sieben weitere "Odenwälder" auf großer Tour...