Wie eine Kindheit und Jugend in einem Odenwalddorf früher aussah, liest sich amüsant in Ellen Schmids Büchlein „mit Blumenkranz und Petticoat“, erschienen im Wellhöfer Verlag Mannheim 2011, ISBN 978-3-939540-84-7. Geboren wurde Ellen Schmid 1943 in Brensbach, während auf Darmstadt ein Tieffliegerangriff stattfand. Spannend wie es begann ging ihr Leben weiter: „zu keiner Zeit“, so schreibt sie in ihrer Einleitung, „haben sich das Leben auf dem Lande und das äußere Erscheinungsbild der Dörfer so stark verändert wie in den Jahren nach 1945 bis Anfang der Siebziger.“
So läßt sich ihre Autobiografie als detailliertes Zeitdokument und tiefgründige historische Quelle lesen. Dabei pflegte Ellen Schmid von Anfang an den Kontakt zur großen weiten Welt: das begann im elterlichen Gasthaus in Brensbach, wo die Kinder mit Gästen Skat spielten, und ein Gast lieh dem Mädchen Ellen Bücher vom Krieg aus, die sie heimlich mit der Taschenlampe unter der Bettdecke las. Sie verschlang alles, was sie an Büchern in die Hände bekam. Kaufen konnte man Bücher damals im Lebensmittelgeschäft, und ihr Vater - von Beruf Lehrer - kaufte ihr oft Bücher. Von einer Nachbarin bekam sie einen ganzen Koffer voller Bücher geschenkt, mit nicht mehr ganz aktuellem Mädchenbild, wie sie schmunzelnd anmerkte. Aus der Klassenbücherei ihres Gymnasiums lieh sie Abenteuergeschichten und historische Romane.
Vom Bücherwurm zur Bibliothekarin
So ergab es sich in der Folge, daß Ellen Schmid Bibliothekarin wurde. Bei einem Praktikum in der Stadtbücherei Offenbach im Büsingpalais neben dem Klingspormuseum erhielt sie - als Aha-Erlebnis - Kontakt zu vielen Bilderbuchgestaltungen. Als Diplom-Bibliothekarin war sie in Darmstadt und an der Stadtbibliothek Offenbach tätig, wurde dann Bibliotheksleiterin bei der Bundeswehr in Darmstadt, wo sie in über sieben Jahren Helmut Schmidt und Kai Uwe von Hassel kennenlernte. Sie schätzte die sehr tolerante fortschrittliche Umgebung und den umfangreichen Etat, war auch im Personalrat aktiv. Als ihr Sohn zur Welt kam, betreute sie als freie Mitarbeiterin beim Bibliotheksdienst in Süddeutschland kleine Dorfbibliotheken. Buchbesprechungen und Nachhilfeunterricht in Deutsch Englisch und Französisch ergänzten ihr Betätigungsfeld während dieser Zeit. Als im Nachbarort ein Musikalienhandlung eröffnete, meinte ihr Mann: „wenn das mit Musikalien geht, kannst du auch eine Buchhandlung eröffnen!“
Die Buchhandlung von Ellen Schmid: ein engagiertes Projekt
Und so entstand ihr erstes Büchergeschäft mitten in einem Wohngebiet im Keller. Am 31. Januar 1981 eröffnete sie ihre Buchhandlung mit einem allgemeinen Sortiment aus grundlegender und aktueller Literatur aus allen Wissensgebieten und aus dem Unterhaltungsbereich. Der Bestand war überschaubar, doch ihre Liebe galt der Kinder- und Jugendliteratur. Es gab Kinderbuchlesungen, Theateraufführungen, Ausstellungen und Buchbesprechungen. Die erste Lesung und Buchvorstellung im Keller bestritt Abraham Teuter, der als Lehrer oft von sich reden machte. Vier Jahre später gründete Ellen Schmid einen eigenen Verlag mit hohen Ansprüchen an Ausstattung und Verarbeitung, druckte die wunderschönen Bücher des Brensbacher Heimatdichters Karl Schäfer nach, auch die Werke von Karl Schwinn natürlich, Reichelsheimer Volkskundler und Heimatforscher. „Burgen im Odenwald“, ein grundlegendes Buch zur Erforschung des Burgenwesens von Thomas Steinmetz (siehe Burg Lindenfels) gehörte ebenso zum Portfolio wie Bernhard Bergmanns Erzählungen über den Ritter von Rodenstein. Nach Umzügen, Eröffnung und Schließung einer Filiale in Reichelsheim, mußte Ellen Schmid im Jahr 2015 ihre Buchhandlung doch schließen. Mit inzwischen 72 Jahren wollte ihr wunderbares Handwerk, das zwar nicht sattmachte aber sehr befriedigend war, an den berühmten Nagel hängen. Gerne hätte sie ihr Geschäft und ihr Wissen an einen Nachfolger weitergegeben, doch letztlich scheiterte die Übergabe daran, daß von einer Bank ein kleiner Kredit nicht gewährt wurde. Das Abschiedsfest schenkten die Frankfurter Märchenerzählerin Hannelore Marzi (Foto unten) und die Bookshop-Session der Band Granny’s Pie der engagierten Bücherfreundin. Eingehende Spenden wurden an Flüchtlingskinder weitergegeben.
Mitbegründerin der Reichelsheimer Sagen & Märchentage
Zum Lebenswerk von Ellen Schmid - das gewiß mit der Geschäftsschließung 2015 nicht abgeschlossen ist - gehört die Mitbegründung der Reichelsheimer Sagen & Märchentage. Aus einer Idee von Altbürgermeister Gerd Lode und W. Christian Schmidt (Hrsg. Regionalmagazin) entstand die erste Veranstaltung, im Hochsommer bei Schwimmbadwetter auf Strohballen. In der Gründungsversammlung 1995 saß Ellen Schmid. Am Anfang gab es nur Lesungen und Vorträge, und dies bereits ab Donnerstag. Zwar hatten die Vorträge anfangs wenig Resonanz, doch wurden die Referenten sehr persönlich betreut. Ihre Honorare wurden anfangs von der Gemeinde gezahlt, später kamen Sponsoren dazu. Zu dem anspruchsvollen Programm gehörten sogar Vorträge in lateinischer Sprache. Der erste Wildweibchenpreisträger war Willi Fährmann (Kinder- und Jugendbuchautor aus Xanten) 1996. Was zunächst aus einem kommunalen Ausschuß mit fachkundigen Bürgern entstanden war, mit einer Jury mit literarisch gebildeten Mitgliedern, zu der selbstverständlich von Anfang an Ellen Schmid gehörte, entwickelte sich bald zu einer europaweit beachteten Veranstaltung, einer Art Kongreß der Märchenfreunde. Noch immer prägt Gerd Lode, der „Papa des Ganzen“, die Atmosphäre. Gestaltet wird sie seit etlichen Jahren unter Leitung von Jochen Rietdorf, dem Ritter Jochen vom Birkenhag. Aus dem ambitionierten Vortragsprogramm entwickelte sich die nicht minder ambitionierte „Lange Nacht der Märchen“, die jeweils Freitag abends für ein volles Haus sorgt. Samstags und Sonntags wechseln sich Lesungen, Vorträge, Theateraufführungen und Musikveranstaltungen ab, Straßenmusik und ein prallgefüllter Mittelaltermarkt runden das Ganze ab. Noch immer aber umsorgt vor allem Ellen Schmid die Gäste, Märchenfachleute aus Deutschland und dem europäischen Ausland, hält die Laudatio für die Preisträger des Wildweibchenpreises. Ist Gerd Lode der Papa der Märchentage, Jochen Rietdorf der Macher, so ist Ellen Schmid die Seele. Ihren Büchertisch, bei den Märchentagen einer der wichtigsten Anlaufpunkte für Märchenkenner, hat sie 2015 an die Buchhandlung Valentin in Fürth abgegeben. Wer sie kennt, begegnet ihr mit Hochachtung, liebevoll und freundschaftlich.
Der Landesehrenbrief für Ellen Schmids ehrenamtliche Arbeit und ihr Literaturprogramm
Eine große Ehre für Ellen Schmid war die Verleihung des Ehrenbriefes des Landes Hessen mit Ehrennadel im Jahr 2014. Völlig überrascht wurde sie von dieser Auszeichung für ihre ehrenamtliche Arbeit und das Literaturprogramm der Märchentage, die Landrat Dietrich Kübler in Anwesenheit des hess. Ministers für Wissenschaft und Kunst Boris Rhein ihr verlieh. Bereits 2013 konnte die bescheidene Bücherfreundin von Kultusministerin Nicola Beer im Namen des Hess. Kultusministeriums und des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels das Gütesiegel „Lesefreude Hessen - Anerkannter Lesepartner 2012/32013“ entgegennehmen.
Literaturhinweise und Anmerkungen für Quellenforscher
Im Archiv für hessische Geschichte und Altertumsforschung findet sich - für alle, die es ganz genau wissen wollen - eine Rezension von Ellen Schmids Büchlein „mit Blumenkranz und Petticoat“ mit vielen interessanten Literaturhinweisen in Fußnoten von Fabian Brändle unter dem Titel „Kerbgeld und Bill Haley“. Ich empfehle Ellen Schmids Buch allen, die ihre Welt gerne durch die persönliche und daher authentische Brille einer unserer wichtigsten Odenwälder Zeitzeuginnen betrachten möchten. Marieta Hiller, im September 2016