Lebendiges Museum: Haushalts(t)räume und ein Gruß aus alten Eisenbahntagen in Reinheim

Überraschend platzten wir im November beim Besuch des Reinheimer Museums in eine kleine Feierstunde: eigentlich wollten wir die Sonderausstellung Haushalts(t)räume besuchen, da gab es im Hof einen Umtrunk mit zwei örtlichen Vereinen, die eine fruchtbare Zusammenarbeit mit dem Museum aufgenommen haben: der Geschichtsverein Georgenhausen-Zeil-hard und der Museumsstellwerkverein Reinheim e.V.; so war der Besuch gleich dreifach interessant! Viele Fotos und ausführliche Beschreibung aller Exponate finden Sie auf www.dblt.de. Die Spurensuche des technischen Fortschritts in Küche und Haushalt wird noch bis 26. Februar gezeigt, Öffnungszeiten des Museums: sonntags, 14.30-17 Uhr, Kirchstraße 41 in Reinheim. Weitere Abteilungen: eine Schmiede, die Reinheimer Knopfmanufakturen, Kinderspielzeug, komplett eingerichtete historische Zimmer, ein Luftschutzkeller, Entwicklung und Einsatz verschiedener Kunststoffe. Mehr dazu weiter unten!

Das historische Stellwerk am Bahnhof Reinheim läd am 18. Dezember 2022 im Rahmen des Lebendigen Adventskalenders Reinheim zur Besichtigung ein, es ist ab 13 Uhr geöffnet, und es gibt Glühwein und Kuchen.
Wer sich für die Technik interessiert, sollte sich unbedingt das Video im Internet zum Tag des offenen Denkmals 2020 anschauen. Klaus Hartmann war Fahrdienstleiter und erklärt alles supergenau. Reinheim wurde im Mai 1871 an die Odenwaldbahn angeschlossen, 1887 folgte die Nebenbahn bis Reichelsheim, das Lieschen. Im Museum Reinheim hat der Verein eine ganze Vitrine bestückt mit spannenden Details. Diese Ausstellung ist noch bis Anfang 2023 zu sehen. Infos: https://stellwerk-reinheim.de/

Oben: Das Stellwerk, um 1960 - unten: Gleisplan aus der gleichen Zeit, Modell von Alfred Brosch

Zugmeldebuch von 1983

In diesem Buch wurden alle wichtigen Angaben für das Reinheimer Stellwerk festgehalten, Besonderheiten und Zusammenarbeit mit anderen Stellen. Der Fahrdienstleiter vermerkt darin alle Fahrten zwischen den Nachbarbahnhöfen Ober Ramstadt und Lengfeld mit Durchfahrt Reinheim. Alle Zugmeldungen wurden telefonisch über eine eigene Zugmeldeleitung gemeldet: an Ober Ramstadt oder in der Gegenrichtung an Wiebelsbach-Heubach, da der Lengfelder Bahnhof 1983 nicht mehr besetzt war. Während der öffentliche Aushang des Fahrplanes sich auf das Wesentliche beschränkt, enthält die Bahnhofsfahrordnung wie im Beispiel oben alle planmäßigen Zugfahrten auf dem Bahnhof, inklusive Güterzüge, Leerzüge und einzelne Lokomotiven.In dieser Bfo läßt sich zudem ablesen, wie die Wagenreihung der Reisezüge angeordnet war.

Bei Störungen wurde ein schriftlicher Befehl an das Zugpersonal ausgestellt und im Störungsbuch festgehalten.

Sonderzüge mußten in einem extra Merkkalender aufgeführt werden, außerdem gab es den Streukalender für den Winterdienst und ein Vermerk über volle und leere Waggons von Güterzügen.

Die Grafik unten zeigt ein Fahrplanblatt, auf dem sämtliche relevanten Streckeninformationen ablesbar sind, Höhenprofil mit Steigungen sowie Streckenlängen, Kurvenradien und Skizzen der Gleisanlagen auf den Bahnhöfen.

 

In der Grafik rechts kann der Fachmann genau ablesen, zwischen welchen planmäßigen Zügen noch ein "slot" frei ist, ein Fenster für einen zusätzlichen Zug. Mit dieser Methode lassen sich Sonderfahrten, zum Beispiel von Museumseisenbahnfahrten, exakt einpassen. Leider haben diese die niedrigste Priorität und müssen allen planmäßigen Zügen mit Verspätung weichen. Oft schon haben wir bei solchen Fahrten buchstäblich auf einem Abstellgleis gestanden und stundenlang auf die Erlaubnis zur Weiterfahrt gewartet. Dank der Findigkeit der ehrenamtlichen Museumseisenbahner konnte aber meist schnell von einer nahegelegenen Tankstelle Trinkbares organisiert werden...

Doch zurück nach Reinheim: das Reinheimer Lieschen stand bis 1970 unter Dampf. Im Odenwald wurden durch das Betriebswerk Darmstadt ab 1950 etliche Dampfloks der Baureihe 65 (insgesamt wurden 18 Stück gebaut) eingesetzt. Die Ausstellung zeigt einen Personenzug der Odenwaldbahn Ende der 1950er Jahre, aus neuen und älteren, zum Teil umgebauten Fahrzeugen. Nach 1970 bis Mitte der 1990er Jahre zogen Dieselloks der Baureihe 212 die Züge. 2022 sind noch immer einzelne Exemplare dieser Baureihe, gebaut zwischen 1962 und 1966!) im Einsatz, wenn auch nicht auf der Odenwaldstrecke.

Natürlich durfte in Reinheim auch der Schienenbus nicht fehlen, auch Uerdinger genannt. Bis 1981 wurde er hier eingesetzt, die letzten Uerdinger fuhren bis 2000 im Raum Tübingen. Bei der Waggonfabrik Uerdingen hatte der Schienenbus den Spitznamen "Roter Brummer".

Ein Foto der Ausstellung zeigt einen Rangierunfall, der sich 1993 in Reinheim ereignete: durch einen Bedienungsfehler des Fahrdienstleiters kippte ein Schotterwaggon um und ergoß seinen Inhalt auf neben dem Gleis geparkte Autos. Und schon war das "Reinheim design" geboren...

Am Bahnhof Reinheim hielten 1975 fast dreißig Personenzüge.

 

 

 

 

Haushalts(t)räume im Museum Reinheim

Der Braun Multimix Standmixer aus den 1950er Jahren, mit Bakelitgehäuse und absolut unkaputtbar, ist bei uns zuhause noch immer in Betrieb. Er zerkleinert Kräuter für Grüne Soße und tut treue Dienste überall da, wo ein Pürierstab überfordert wäre (und das ist er oft). Außerdem gehört ein Kaffemahlaufsatz zum Zubehör, und natürlich das - damals noch übliche - Handbuch mit unvergleichlichen Fotos glücklicher Hausfrauen in Rüschenschürzen.

Wie in einigen Museen im Land der Kunststoffstraße im Landkreis Darmstadt-Dieburg zeigt das Museum Reinheim in dieser Ausstellung verschiedene Kunststoffe und ihre praktische Anwendung.

Die Kunststoffstraße: zehn Museen zeigen Geschichte

Museen in Babenhausen, Fischbachtal, Groß-Bieberau, Groß-Umstadt, Münster, Ober-Ramstadt, Pfungstadt, Reinheim, Seeheim-Jugenheim und in Weiterstadt zeigen Ausstellungen rund um Kunststoffe und ihre Geschichte, und Kunststoff verarbeitende oder herstellende Unternehmen öffnen ihre Türen im Rahmen von Betriebsbesichtigungen. Namen wie Caparol, Resopal, Senator-Schreibgeräte, Continental (VDO) und Evonic sind klangvolle Namen. In Pfungstadt gab es - wie in Lautern - eine Ultramarinfarbenfabrik. Die Geschichte der Lauterner Ultramarin habe ich in meinem Jahrbuch 2021 ausführlich vorgestellt. Das Konzept für die Kunststoffstraße hat Landrat Klaus Peter Schellhaas 2012 unter Beteiligung von Wissenschaft, Wirtschaft und Akteuren der Regional- und Heimatgeschichte der Öffentlichkeit vorgestellt.

Unter dem Motto "Was gestern Zukunft war, ist heute Vergangenheit" führt die Kunststoffstraße durch eine weltweit einzigartige Dichte von Protagonisten der modernen Kunststoffe. Sie hat Stationen in zehn Kommunen, in denen maßgeblich das frühe Kammmacherhandwerk mit der Verarbeitung von Ochsenhorn und Schildpatt den Weg in die Kunststofftechnologie bahnte. Museen zeigen Ausstellungen rund um Kunststoffe und ihre Geschichte, und Kunststoff herstellende oder verarbeitende Unternehmen öffnen ihre Tore für Betriebsbesichtigungen. www.kunststoffstrasse.info

Zurück nach Reinheim: aus der traditionellen Knopfmanufaktur entwickelte sich Industrie

Knöpfe wurden in vielen Häusern in Reinheim hergestellt, aus Bein, Horn oder Leder. Lesen Sie dazu auch meinen Beitrag Reinheimer Knöpfe !

Als Antrieb fungierte zunächst Wasserkraft und Dampf. Anders als andere Ortschaften bekam Reinheim schon im Jahr 1900 elektrischen Strom, aber die Knopfmanufakturen hielten nicht Schritt mit der Entwicklung. Stattdessen wird die althergebrachte Technik auf moderne Produktion übertragen: es entstanden - wie überall in Deutschland während der Gründerzeit - Fabrikationen. Mit dem Schnitzen von Knöpfen, Kämmen oder Odenwälder Gäulchen fing alles an. Welche Produkte und welche Materialien die Zukunft einläuteten, zeigen die zehn Museen der Kunststoffstraße und auch einige Beiträge auf diesen Onlineseiten.

Alles begann mit Zelluloid. Hochentflammbar, aber unglaublich praktisch und viel günstiger als Naturmaterialien war dieses Material, das Alexander Parkes 1856 per Zufall entdeckte. Und 1887, als in Deutschland die erste Celluloid-Fabrik entstand, wurden außer Knöpfen und Kämmen auch Brillengestelle, Zahnbürsten und Autozubehör aus Zelluloid gefertigt. Das berühmteste Produkt aus Zelluloid sind Filmstreifen. Durch die sehr hitzestarken Lichtquellen in Abspielgeräten ging so mancher Film in Rauch auf.

Es folgte Bakelit, später Polyvinylchlorid - beispielsweise für Kronenkorken oder Lüsterklemmen. Acrylglas kam zum Einsatz, wo Glasbruch vermieden werden mußte, Polyäthylen für bruchfeste aber leicht formbare Behälter, Polystyrol - auch Styropor genannt - als Dämmstoff, Phenoplaste und Aminoplaste etwa für die formschönen unvergessenen Eierlöffel, Polyamide und viele Stoffe mehr eroberten den Markt. Die meisten dieser Kunststoffe brauchten Stabilisatoren und Additive, und einige davon wurden in der Blaufarbenfabrik Lautern hergestellt.

Zur Verdeutlichung, wie Kunststoff unsere Haushaltsräume vereinnahmte, wurden in der Ausstellung Objekte einander gegenübergestellt:
Wäscheklammern aus Holz und aus Kunststoff, Barbie vs. "Schlumbel" (selbstgenähte und bestrickte Schmusepuppe), Zahnbürste, Eierbecher, Geschirr... Auf Materialtafeln werden Muster aus dem Haushalt gezeigt, die aus den verschiedenen Kunststoffen hergestellt wurden. 

Die Ausstellung in Reinheim ist noch bis zum 26. Februar 2023 zu sehen und kann danach für Gruppen auf Anfrage jederzeit aus dem Fundus geholt werden.

Dabei fällt auf, wie unvergänglich Kunststoffprodukte sind - auch wenn man sie abfällig als Plastik bezeichnet. Ob man sie später auch in archäologischen Ausstellungen finden wird? Lesen Sie dazu:

was wäre Archäologie ohne Müll!!! und Was uns der Müll der Jahrhunderte erzählt

Sie sehen, es ist eines meiner Lieblingsthemen und wird Ihnen auf diesen Seiten noch oft begegnen... Wer weiß, vielleicht gehe ich mal in unserem Haus auf Fotosafari: der Braun Multimix, das W48 aus Bakelit, diverse Bakelit-Lichtschalter und Steckdosen, das allererste Fernsehgerät meiner Großeltern aus dem Jahr 1961 (damals mit EINEM Programm und Fernsehansagerin - DAS wollte ich auch werden!!!) warten darauf...

Hier zunächst noch einige Fotos aus dem Museum Reinheim

Die müßte - in minimal modernerer Form - noch in unserem Schrank stehen: die Bosch Küchenmaschine. Was die alles kann! Da kann sich jeder Thermomix dahinter verstecken... Teig kneten (wobei aus der Nabe in der Knetschüssel wundersamerweise schwarze Schmiere austrat, die sich in anmutigen Spiralen mit dem Teig mischte), Gemüse raspeln, Kartoffeln schälen, Fleisch hacken, Würste stopfen, Pommes, Makkaroni oder Spritzgebäck machen, Mahlen und vieles mehr. Nur Staub gesaugt hat sie nie.

Übrigens: die Kitchen Aid, heute Kultgerät in allen Schickimickiküchen, war das allererste Gerät auf dem Markt, um 1920. Unsere Kitchen Aid steht jedoch meist nur herum, da ich lieber von Hand Gemüse rasple oder die Minna dafür benutze - ganz ohne Strom! Brotteig aus Vollkorn läßt sich sowieso nur von Hand kneten, da gibt jede Maschine auf - es sei denn man hätte eine Profi-Backstube. Meist hat man mit Aufbau und anschließender Reinigung der Kitchen Aid soviel Arbeit, daß es von Hand einfach schneller geht. Und so steht sie dekorativ in der Küche, in weiß. Türkis, schwarz oder rosa mußte echt nicht sein.

Apropos von Hand: man kann Saft aus Obst pressen, indem man einen Sack zwischen vier Stuhlbeine hängt und eine Schüssel drunter stellt. Braun baute eine elektrische Saftpresse, mit der alles auf Knopfdruck geht.

 

Ja, und was wäre eine Onlineseite von mir ohne Kobold!

Dieser hier macht sich heute noch nützlich bei uns: da man mit ihm nicht nur saugen sondern auch blasen kann (Zitat aus dem Loriot-Film: Es saugt und bläst der Heinzelmann, wo Mutti sonst nur blasen kann!), heizt der Vorwerk Kobold das Grillfeuer an, damit die Bratwürste richtig bruzzeln.

Dieser Kobold steht im Reinheimer Museum.

Fortsetzung folgt...

 

 

Marieta Hiller, November 2022