Ein Fachwerkstädtchen am Main, mitten im Buntsandstein-Odenwald: hier in Miltenberg entdeckte man unter dem Keller des heutigen Stadtmuseums eine Latrine mit Zu- und Abfluß, ein mittelalterliches Wasserklosett. Direkt am Schnatterloch mit dem Stadtbrunnen, aus dem sich alle Bürger ihr Trinkwasser holten, gab es eine Kellergrube, die im Winter voll Wasser lief und sich dann über den Sommer wieder leerte. So entstand rund um den Brunnen ein großer unterirdischer Verjauchungskreis. Über die Probleme der modernen Domestoskultur hätten die Menschen des 14. Jahrhunderts wohl herzhaft gelacht...
Doch nicht die Lage der Latrine ist das Interessante, sondern ihr - über die Jahrhunderte konservierter - Inhalt. Denn es gab keine Müllabfuhr, und auf die Straße durfte man Abfälle auch nicht werfen. Siehe auch den Fund in der Bensheimer Kloakengrube!
So bietet die Latrine anschauliche Fundstücke aus dem 14., vor allem aber dem 15.-17. Jahrhundert. Aus dem 18. und 19. Jahrhundert dagegen gibt es keine Funde, was vermuten läßt, daß die Grube da verschlossen war. Wiederentdeckt wurde sie erst 2008, als die Museumsleitung eine Erweiterung des Untergeschosses plante. Alles was zuvor in die Latrinengrube geworfen worden war, kam zum Vorschein und wurde in mehrjähriger archäologischer Arbeit ausgewertet.
Wie gingen Menschen früher mit Müll um? Dinge wurden sehr viel länger benutzt und über Generationen weitervererbt, zu guter Letzt verbrannte man das Holz, schmiedete Metalle um, warf Leder, Stoff und andere organische Materialien in die Grube, wo alles verrottete. Was übrig blieb, waren Glasobjekte.
Glas verrottet nicht und bleibt über Jahrtausende bestehen. Glasierte Irdenware ist ebenfalls recht lange haltbar, entwickelt aber im Laufe der Zeit - wenn sie nicht zerbrach - Säuren, die sich aus der Glasur lösten und in die Lebensmittel gelangen konnten. Der Beruf des Töpfers oder Hafners war geprägt von Bleivergiftungen aus den Glasuren.
Fäkalien kamen natürlich auch hin und wieder in die Latrine, diese konnten mit Ätzkalk überstreut werden zur Desinfektion und Geruchsbindung. Ihre Überreste geben heute interessante Aufschlüsse über den früheren Speiseplan: 4400 Pflanzenreste blieben unter Luftabschluß unterhalb des Grundwasserspiegels erhalten! Schlafmohn, Kräutersamen... Weizen, Roggen, Buchweizen, Hirse, Gerste für Grütze und Bier, Mangold, Dill, Schwarzsenf, Kümmel, Wacholder, Runkelrübe, Mangold, Pastinak, Kühl, Rote Bete, Trauben, Pflaumen, Kirschen, Pfirsich, Äpfel, Beeren, Nüsse, Feigen aus dem Mittelmeerraum oder aus der Region (getrocknet ein wichtiges Süßungsmittel), Koriander und vieles mehr fand sich hier.
Miltenberg war ein wichtiger Warenumschlagplatz am Handelsweg Main. Daher finden sich all diese Speisereste.
Und was verwendete man im Mittelalter als Klopapier? Auch auf diese wichtige Frage erhält man in Miltenberg eine Antwort: Stoffreste, Heu, Stroh, Wolle, Moos. Oder die Finger - allerdings nur die der linken Hand, weshalb höfliche Menschen zum Gruß die Rechte geben.
Noch eine frühzeitliche Erfindung: Plateausohlen sind nicht etwa erst in den 1960er Jahren aufgekommen, sondern waren in früheren Zeiten notwendig, um trockenen Fußes über die Straße zu kommen. Denn den Luxus einer eigenen Latrine hatte kaum jemand, meist kippte man den Nachttopf einfach auf die Straße - auch wenn es verboten war.
Doch jetzt wechseln wir den Blickwinkel von Müll und Fäkalien auf die historische Fachwerkstadt. Schon beim Blick von oben vom Burgweg und Friedhof aus fallen die dicken Schlote in den Hinterhöfen im Kaltloch auf, der engen Bebauung zwischen Main und Felsenhang. Das Kaltloch oder auch Schwarzviertel ist aufgrund seiner Lage ideal für das Brauwesen geeignet, und so gab es hier einige kleine Hausbrauereien, deren einzige die Faust Brauerei noch existiert. Ein Besuch in Miltenberg sollte unbedingt auch in die gemütlichen Gasthäuser mit Brauereiausschank führen!
Doch nicht nur das Brauwesen, auch der Weinbau bestimmten das Gesicht der Stadt: im 14. Jahrhundert war die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln in Miltenberg nicht mehr gewährleistet, weil sich alle auf den Weinbau verlegt hatten. So führten die Stadtväter den Marktzwang ein: alle Waren, die durch Miltenberg transportiert wurden, mußten hier drei Tage lang zu einem vom Rat festgesetzten Preis angeboten werden. Soviel zum Thema freie Marktwirtschaft! Bis 1818 galt dieser Zwang. Ein weiterer Schritt war der Umladezwang: es mußte auf der Route zwischen Nürnberg und Frankfurt von der Straße auf den Main umgeladen werden, zugunsten der örtlichen Schiffs- bzw. Fuhrleute. Dies führte zum einen zu Personal-Engpässen, zum anderen mieden immer mehr Kaufleute die schikanöse Stadt Miltenberg, so daß dieses Handelshindernis 1562 vom Main-zer Erzbischof an die Reichsstadt Nürnberg verkauft wurde.
Der Main als Handelsweg zeigt sich heute von seiner idyllischen Seite: rot leuchten die Buntsandsteinbrüche. Zurück in Miltenbergs Altstadt stellt sich noch die Frage, warum das Schnatterloch wohl Schnatterloch heißt. Natürlich liegt die Vermutung nahe, daß sich hier am Stadt-brunnen die Ratschweiber trafen, um sich über hochwichtige politische und gesellschaftliche Themen auszutauschen.
Nein, als Snade bezeichnete man im Mittelalter einen schluchtartigen Entwässerungsgraben, wie er just an dieser Stelle vom Burgberg herab zum Main zieht und noch heute gelegentlich zum reißenden Gewässer wird.
Marieta Hiller, 2018