Wer jetzt jubelt, weil die Inzidenz auf 10 gesunken ist, seine Masken verbrennt wie wir Frauen einst unsere BHs und sich ins wilde Getümmel stürzt - begeht einen gewaltigen Fehler. Denn die Pandemie ist tückisch: ständig reagiert sie mit neuen Mutanten auf unsere Impfstoffe. Und man weiß noch nicht, ob die Impfung vor einer Ansteckung oder Weitergabe des Virus schützt.
Wer sich freut, daß der aktuelle R-Wert um R1 liegt, täuscht sich möglicherweise: dieser R-Wert bezeichnet die Stärke der Ansteckungsgefahr. Wenn jede infizierte Person nur noch eine weitere ansteckt, steigt die Zahl der Infizierten nicht mehr, der R-Wert ist R1. R0 ist erreicht, wenn niemand immun ist und auch keine Schutz- und Hyienemaßnahmen ergriffen werden, also wenn es keine Ansteckungsgefahr gibt, weil eine sterilisierende Impfung vorliegt, d.h. ein Geimpfter kann das Virus nicht mehr weitergeben.
Ob wir bei Covid 19 zu diesem Punkt kommen können, ist nicht geklärt. Die momentan überall gefeierte Wissenschaftserklärerin Mai Thi Nguyen-Kim (Quarks) sagt: "wir müssen uns auf ein Leben mit Corona einstellen. Mit Corona leben bedeutet, das Virus möglichst gut unter Kontrolle zu haben: Schutzmaßnahmen und Herdenimmunität." In ihrem Youtubekanal Mai Lab erklärt sie dies anschaulich: es müssen soviele Menschen in der Bevölkerung immun sein, daß eine Person weniger als eine weitere anstecken kann. Mit der Formel 1-1/R0 läßt sich der Immunitätsanteil ausrechnen, er ergibt 2/3 der Bevölkerung, also 60-70%. Aber dies gilt für die Corona-Varianten, für die wir bereits wirksame Impfstoffe haben.
Neue Mutationen sind wesentlich ansteckender, daher wird die Herdenimmunität erst bei ca. 78-80% erreicht.
Und ein großes Problem bei Corona sind die Superspreader. Viele Infizierte stecken niemanden an, wenige Infizierte stecken viele an (siehe Karnevalssitzung Heinsberg).
Durch Schutzmaßnahmen und die steigende Impfquote kann es so aussehen, als sei die Pandemie zu Ende. Der gute R-Wert ist also nur beiden Maßnahmen zu verdanken.
Daraus darf nun keine Impf-Faulheit als Folge der vermeintlichen Normalisierung entstehen. Frau Nguyen-Kim erklärt die Wahrnehmungsfalle: die voranschreitenden Impfungen können zunächst scheinbar wenig Änderungen bringen, der Grund ist daß zunächst nur Menschen der ersten beiden Prioritätsgruppen geimpft wurden, die so "Inseln" in der Bevölkerung bildeten, Spots, die sich nicht quer durch die gesamte Bevölkerung zeigen.
Eine vollständige Ausrottung des Virus wie bei Sars 1 (2003) ist unwahrscheinlich. Man kann sich mehrmals mit Sars Cov2 infizieren. Daher muß eine Langzeitstrategie »No-Covid« greifen: für einen bestimmten Zeitraum wird das gesamte öffentliche Leben heruntergefahren, danach muß mit Schutzmaßnahmen und Impfungen der R-Wert gedrückt werden. Die Schutzmaßnahmen in der Nicht-Risiko-Bevölkerung sind Impfung und Hygiene, also weiterhin Maske tragen, lüften und desinfizieren.
An diesem Punkt stehen wir jetzt. Tatsache ist: entweder man wird geimpft oder man wird sich früher oder später anstecken.
Heimisch gewordene Viren können später oft nur noch leichte Erkrankungen auslösen. Nach der Pandemie werden sich dann nur Personen anstecken, die neu in diese endemische Welt kommen. Immunsupprimierte - Personen, die aus medizinischen Gründen ihr Immunsystem ausschalten müssen - können trotzdem weiter schwere Verläufe haben. Vor allem ist es wichtig, daß die Impfquote in der Gesellschaft so hoch wie möglich ist, damit diese Personen auch mitgeschützt sind.
Deshalb sollten wir auch weiterhin alle Schutzmaßnahmen beibehalten: Hände waschen und desinfizieren, Maske tragen, Abstand halten, impfen lassen.
Warum Onlinekonferenzen wesentlich effektiver sein können als Vor-Ort-Treffen
Eine Onlinekonferenz ist komfortabel, man kann bequem von zuhause aus viele Menschen treffen, ohne daß eine Ansteckungsgefahr besteht. Sie sind auch eine Chance für Vereine, um ihre Aktivitäten wenigstens teilweise aufrechterhalten zu können.
Wenn der Explorers Club New York vor Corona einen wissenschaftlichen Vortrag organisierte, so kamen etwa 100 Zuhörer. Heute finden die Vorträge online statt, mit 100.000 Zuhörern! Siehe auch GEO Juliheft 2021
M. Hiller, Juni 2021