Wem gehört der Felsberg: den Felsenmeertouristen, den Waldbesitzern oder der ökologischen Gemeinschaft?

Die Frage ist provokant, und alle drei „Anspruchsteller“ haben natürlich recht. Das Felsenmeer ist in erster Linie ein Natur- und Kulturdenkmal, ein Ort zum Entspannen, Spaß haben und Erkunden. Ein ganz besonderes Biotop: denn die unzählbar vielen Felsen des Hauptblockstroms „Felsenmeer“ wären ohne die etwa 200.000 Besucher pro Jahr schon längst verschwunden. Unter Moos, Brombeerranken, Brennesselfestungen, Haselnuß und Holunder. Doch 400.000 Füße halten die Steine frei vom Bewuchs, so daß das Felsenmeer sichtbar bleibt: zum Klettern, Staunen, Schauen. Darüber werden Sie in meinem Jahrbuch 2022 ausführlich lesen können, das im November 22 erscheint.

Aber wie geht es dem schattenspendenden Wald über dem Felsenmeer? Gerade in den letzten heißen Sommern bot der Wald einen kühlen Rückzugsort. Bäume filtern nicht nur große Mengen Feinstaub (je Hektar Buchenwald und Jahr etwa 50 Tonnen Feinstaub), sie geben auch Feuchtigkeit ab, die die Umgebung deutlich kühlt. Entgegen althergebrachter Forstpraxis hat man jedoch seit einigen Jahrzehnten erkannt, daß ein geschlossenes Kronendach ganz besonders wichtig ist, damit der Waldboden die Feuchtigkeit auch halten kann. Einzeln stehende Bäume wie die Buche auf dem Foto leiden unter Sonnenbrand und können kaum Feuchtigkeit halten.

Die Speicherung von Feuchtigkeit muß ein stärkeres Gewicht haben als die Nutzung des Waldes. Natürliche Verjüngung dauert so länger, dies legte Biologin Annette Modl-Chalwatzis bei einer Exkursion im Oktober dar. Sie sei jedoch oft nachhaltiger als Aufforstungen. Im natürlichen Genpool eines Buchenwaldes etwa kommen die Jungpflanzen hoch, die sich an den Klimawandel besser anpassen können. Bei Aufforstungen dagegen weiß man nicht, welche Setzlinge die resistenteren sind. Zudem sei es unsinnig, für teures Geld mit Bergahorn aufzuforsten. Frau Modl-Chalwatzis zeigte etliche von allein aufgegangene Bergahornbäumchen direkt neben einer finanzierten Auffostungsfläche.
Hinzu kommt, daß die Buche für die Feuchtigkeitsspeicherung im Boden viel nützlicher sei als Bergahorn, die feinen Haaarwurzeln der Buche leben in Symbiose mit dem Mykorrhiza (Pilzgeflechte), das große Mengen Regenwasser aufnehmen kann. Fehlt diese Speichergemeinschaft, schießt das Regenwasser zu Tal und kann dort große Schäden anrichten.

Die Buche ist der typische Baum für die waldigen Kuppen des vorderen Odenwaldes, nach ihr wurde sogar der regionaltypische Begriff "Fagetum sylvaticae melibocense" (siehe Infokasten unten) geprägt.

Neben dem geschlossenen Kronendach braucht Waldboden Ruhe: jede Bodenverdichtung schädigt ihn langfristig, oftmals ist diese Schädigung nicht wieder rückgängig zu machen. Dies ist gerade im Felsenmeer ein großes Problem: wer nicht auf dem vielfach verzweigten Wegenetz bleibt, sobald er zum Felsenklettern zu müde wird, verdichtet  rechts und links des 1200 Meter langen Blockstroms den Waldboden. Doch auch bei Forstarbeiten sollte verstärkt darauf geachtet werden, möglichst wenig Fläche mit schwerem Gerät zu verdichten.

Annette Modl-Chalwatzis wies außerdem darauf hin, wie wichtig eine sinnvolle Baumgesellschaft für die natürliche Funktion als Wasserspeicher ist. Nachdem die Fichte sich inzwischen weitgehend aus dem Bestand verabschiedet hat, setzt man noch stärker als bisher auf Mischaufforstung. Reiner Nadelwald sei für unsere Region ungeeignet, auch das Einmischen von Douglasien in Laubaufforstungen sieht Modl-Chalwatzis kritisch. „Die Douglasie ist in Nordamerika heimisch, wo es regelmäßig natürliche Waldbrände gibt.“ Dies ist für die Samenreifung vieler Nadelbaumarten wichtig, bei uns in Europa müssen Nadelbaumsamen gedarrt werden um sie zum Aufgehen aufzubereiten. Die Douglasie braucht Feuer, und sie ist entsprechend feuergefährlich. Waldbrände können zunehmen, was bei gleichzeitigem Verlust der Wasserspeicherfähigkeit dramatisch werden kann.

Die Frage, ob dem heimischen Wald Bauholz entnommen werden soll (Bauholz ist meist Nadelholz) oder ob dieses über lange Transportwege importiert werden soll, wurde diskutiert. Sie konnte jedoch bei der Oktoberexkursion des NABU Beedenkirchen mit Annette Modl-Chalwatzis und einigen Mandatsträgern nicht geklärt werden, ebensowenig wie die Frage bodenschützender Nutzungsansprüche bislang zwischen Holzproduzenten, Naturschützern und Erholungssuchenden geklärt werden konnte. Sicher ist nur, daß das mühsame Umdenken, das bei unseren Forstbehörden vor ca. 30 Jahren einsetzte, auch Kommunal- und Privatwaldbesitzer sowie Erholungssuchende erreichen muß. Hierfür ist jede Gelegenheit wichtig, so auch diese Exkursion.

Ulrich Rieckher erläuterte, wie das Mykorrhiza mit den Haarwurzeln der Buche (das feinste 1-2cm lange Ende der Wurzeln) über Artenschranken hinwegkommuniziert, und Helmut Götz gab zu bedenken, daß es bereits in den 1930er Jahren ein : Fichtensterben gab, als starker Borkenkäferbefall auftrat.

Erläuterungen bei einem Spaziergang mit Hans Seeger (Beedenkirchen) im März 2003:

  • Am Schindwasen, das ist der Jungwald am Rundweg Nr. 4 zwischen Römersteine und Seegerhütte, war früher weniger Wald. Der Schindwasen war eine Wiese, die Bäume sind erst nach dem 2. Weltkrieg gewachsen. Bis 1920 wurden hier die Kadaver vergraben, bevor es die Abdeckerei gab. Im Krieg war das Stück ganz abgeholzt, und die Holzstapel zogen sich den Weg entlang bis zum Parkplatz Römersteine. Das Holz wurde zur Zelluloseherstellung und als Hausbrand gebraucht.
  • Auf der Höhe zwischen dem oberen 4er und dem 5er Rundweg zieht sich die Bockshöhe entlang, der Bockshöhweg war sogar mit Pferdefuhrwerken befahrbar. Heute ist er kaum noch zu sehen.
  • Laubwege waren verpachtet: das Laub wurde als Viehstreu versteigert bis in die Anfangskriegszeit. Im Krieg wurde hier auch wieder Flachs angebaut, die Schulklassen der 12/ 13-jährigen Kinder mußten ernten.
  • Die guterhaltenen Wege verdankt die Gemeinde der Steinindustrie.
  • Die Lärchen wurden nach Kriegsende aufgeforstet und haben den Windbruch gut überstanden.
  • Über diesen Spaziergang lesen Sie mehr in meinem Jahrbuch 2022

Infokasten

Zur Übersicht "Aus Wald und Flur" mit weiteren interessanten Infos zum Thema Wald und Waldökologie. So müssen Nadelbaumsamen in Europa mühsam durch Rösten der Zapfen gewonnen werden, während sie in ihrer Heimat Nordamerika durch natürliche Waldbrände keimfähig werden. Dieses Rösten geschah zum Beispiel in der Klenganstalt Darmstadt. Das Wort "Kleng" ist durchaus lautmalerisch gewählt - lesen Sie darüber in diesem Beitrag:  Wald: ein historischer Arbeitsplatz.

Frau Modl-Chalwatzis gab mir dankenswerterweise nähere Infos zur Bezeichnung Fagetum sylvaticae melibocense: diese Unterordnung des Hainsimsen-Buchenwaldes beschreibt den Bergbuchenwald in hohen Lagen des Odenwaldes. Buchenwälder werden wie folgt eingeteilt: Klasse Querco-Fagetea, mit allen Buchen- und sommergrüne Eichenwälder Europas; Ordnung Fagetalia sylvaticae (Mesophytische buchenwaldartige Laubwälder Europas); Verband Fagion sylvaticae (Rotbuchen, Tannen-Rotbuchen- und Tannen-Wälder Europas); Unterverband Luzulo-Fagenion (Hainsimsen Buchenwälder); Assoziation Luzulo-Fagetum (Hainsimsen Buchenwald); Subassoziation Fagetum sylvaticae melibocense  (Bergbuchenwald der hohen Lage des Odenwaldes) - man sieht: auch als Buche hat man es nicht leicht...

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Noch ein paar Details am Rande:

Warum die Nachhaltigkeit wirklich erfunden wurde

Präsident Eisenhower (USA 1953-1961) stammt aus einer Auswandererfamilie aus dem Saarland. Doris Döpke (Saarbrücker Zeitung) erläuterte die Gründe in ihrem Beitrag https://www.saarbruecker-zeitung.de/saarland/saarbruecken/saarbruecken/saarbruecken/die-erzwungene-energiewende_aid-1244687 (2014). Darin gibt Döpke den Bericht von Forsthistoriker Uwe Eduard Schmidt wieder. Demnach traten im 19. Jahrhundert neue sehr strenge Forstgesetze in Kraft, die den Armen die kostenlose Nutzung des Waldes (Brennholz, Laubstreu etc) verbot. Man propagierte Kohle als Brennstoff. Die Auswanderungswelle hatte nichts mit Abenteuerlust zu tun - wie auch Marie Luise Seidenfaden in ihrem Buch „Wir ziehen nach Amerika“ anhand vielfältiger Quellen darlegt - vielmehr entsprang sie der Not, kein bezahlbares Heizmaterial mehr zu bekommen. Im Herbst 2022 ist dieser Aspekt so brandaktuell wie schon lange nicht mehr.

Warum wurde das Forstgesetz erlassen? "Die Fürsten haben über Jahre viel mehr Holz einschlagen lassen, als der Wald verträgt" schreibt Schmidt. Der Wald kann bei Überschuldung des Adels nicht mehr zur Bonität beitragen. So veranlaßten die "oberen Zehntausend" die Erfindung der Nachhaltigkeit - auf Kosten der Ärmsten, denen nichts als Auswanderung blieb.

Holz wurde richtig knapp, doch die Glas- und Eisenhütten sowie der Bergbau waren darauf angewiesen. Laut Schmidt kostete in den 1830er Jahren ein Festmeter Holz soviel wie 60 Arbeitsstunden (kleine Rechnung: ein Festmeter Fichtenholz kostet im Oktober 2022 bis zu 100 Euro, 60 Arbeitsstunden laut Mindestlohn brächten 720 Euro - man erkennt leicht das Mißverhältnis von damals).

Brave Bürger wurden plötzlich Forstfrevler, sogar Kinder mußten ins Gefängnis. Eisenhowers Familie - damals noch Eisenhauer - verließen ihr Dorf Karlsbrunn, zusammen mit fast der Hälfte ihrer Mitbewohner.

Die Forstleute aber probierten andere Bäume, die schnell wachsen wie Fichte und Pappel, sie führten im 19. Jahrhundert auch ´Sitkafichten (das sind die mit der Laus), Hickory und Douglasie ein, die heute für große Probleme sorgen, weil sie nicht ortstypisch sind. Die rasante Aufforstung bekam zusätzlich Schub durch ein neues Transportmittel für die Stämme: die Eisenbahn. "Industrielle revolution, Verkehrsrevolution, Forstrevolution bedingen einander, sie laufen gleichzeitig ab", so Schmidt.

Wie lange wir schon von Starkregenfluten mangels Bodenspeicherung heimgesucht werden

"Einst trugen die Berge Bäume. Jetzt fließt der regen vom kahlen Land direkt ins Meer ab." - das hat nicht etwa ein Klimaforscher unserer Zeit gesagt. Nein, es war Platon, griechischer Philosop (428-348 v. Chr.). Das Zitat fand ich in einem Beitrag der Zeitschrift natur aus dem Jahr 2016, lange vor der Ahrtal-Katastrophe und den Hitzesommern. Plinius, ein alter Römer und Naturhistoriker (es gibt einen Älteren, ca. 23-79 n. Chr., und einen Jüngeren, ca. 61-113 n. Chr. - hier wird der Ältere zitiert), schrieb: "ständig wird die Erde gequält, ihrer Erze, ihres Holzes, der Gesteine, des Feuers und des Getreides wegen" und "Wir vergiften die Flüsse und die Elemente der Natur, und selbst die Luft verderben wir" (Naturgeschichte 18,3). Autorin Karin Schlott ("Der lange Sturz der Natur", in Natur Heft 02/2016) schreibt, daß es in Europa laut geologischen Untersuchungen und Pollenanalysen kaum noch Wälder gab. Archäologe Rainer Schreg (Mainz) erläuterte anhand dieser Untersuchungen, wie sich 1342 ein Jahrtausendhochwasser an Elbe, Weser, Main, Rhein und Donau ereignen konnte: das Magdalenenhochwasser am 22. Juni 1342. Die Höhen hatten keine Wälder mehr, die das Wasser im Boden binden konnten. Es rauschte zu Tal und ersäufte Mensch und Tier. Die Flut kam im Juli, als die Ernte noch nicht eingebracht war. Das Getreide verbreitete sich mit der Flut im Land und ernährte in der Folge Ratten und Mäuse. Diese wiederum führten über ihre Flöhe zur Pestepidemie 1347-1353, bei der 50 Millionen Menschen starben.

Wie lange braucht verdichteter Waldboden, um sich zu regenerieren?

Vor 7000 Jahren gruben Siedler auf der schwäbischen Alb auf der Suche nach Feuerstein alles um. Eine Geröllfläche blieb zurück, auf der noch heute nichts richtig wachsen will (Rainer Schreg in natur 02/2016 "Der lange Sturz der Natur").

 

Marieta Hiller

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Einladung an alle Bürger*innen sowie Mandatsträger*innen in Lautertal: Botanische Bergbuchenwald-Exkursion im Felsberg am Samstag, 8.10.2022 um 16:00 Uhr

Treffpunkt: Parkplatz Römersteine in Beedenkirchen

Der Naturschutzbund-Ortsgruppe Beedenkirchen sorgt sich immer mehr um die Zukunft des Lautertaler Waldes. „Die zunehmend heißen Sommer,die geringen Niederschläge,  sowie weitere Klimawandeleffekte der letzten Jahre stellen unsere heimische Natur vor neue und ungeahnte Herausforderungen. Auch Lautertal ist hiervon direkt betroffen. So müssen wir seit einigen Jahren das teilweise großflächige Absterben verschiedener Waldgebiete feststellen“, fasst Vorsitzender Ulrich Rieckher die Dramatik der klimatischen Wandlungseffekte zusammen. „Was wir noch vor ein paar Jahren als Berichte aus anderen Teilen der Welt beobachtet hatten, ist traurigerweise auch Realität bei uns geworden. Es steht zu befürchten, dass unsere Wälder in ein paar Jahren nicht mehr wiederzuerkennen sind. Hierbei wollen wir nicht hilflos zusehen, sondern Perspektiven entwickeln, wie wir den Wald schützen können.“

Für den NaBu-Beedenkirchen ist es demnach wichtig, dass Lautertal und seine Mandatsträger nicht in eine schockartige Haltung des Bedauerns und Zuschauens rutschen. Vielmehr sei es den Naturschützern aus Beedenkirchen und seinen umliegenden Dörfern daran gelegen, die Chancen zum Walderhalt zu ergreifen, die sich aus wissenschaftlich-biologischer Perspektive bieten. Darum habe man die Botanikerin Dr. Annette Modl-Chalwatzis (im Foto links) eingeladen, um einerseits die Klimawandelschäden zu identifizieren und andererseits Handlungsoptionen einer konsequent auf Walderhalt ausgerichteten Waldwirtschaft bekannt zu machen. Dr. Modl-Chalwatzis ist vielfach im Naturschutz engagiert und unter anderem Vorsitzende des Naturschutzbeirates im Kreis Bergstraße. Naturschutztechnische Beratung der Behörden und lokaler Akteure ist demnach eine ihrer Professionen.

Vorstandsmitglied Andrea Gulden ergänzt: „Auch das Naturschutzgebiet sowie europäische NATURA-2000-Schutzgebiet Felsberg macht uns Sorgen. Zusätzlich zum ohnehin großen Hitze- und Dürrestress der letzten Sommer wird es von Touristen geradezu überrollt, sodass sich der Wald dort kaum von seinen Schäden erholen kann. Der Felsbergwald stellt jedoch einen großen und unersetzlichen Schatz dar, dessen Erhalt uns allen ein besonderes Anliegen sein sollte.“

Dass Dringlichkeit besteht, entnehmen die NABU-Mitglieder auch den Ausführungen der hiesigen Revierförster. In den letzten Jahren seien deren Warnungen, dass der Lautertaler Wald durch die permanenten Hitze- und Dürrewellen der letzten Sommer immer kranker und schwächer werde, deutlicher geäußert worden. „Da uns auch Hessen-Forst warnt und wachrüttelt, ist der Handlungsbedarf für einen erweiterten Waldschutz nicht mehr zu leugnen. Die Forschungsabteilungen der Forstbehörden suchen ebenfalls nach neuen Mitteln und Strategien, um Wälder klimastabil zu machen. Diesen Fragen möchten wir daher mit der Botanikerin Modl-Chalwatzis nachgehen. Es wäre toll, wenn die Mandatsträger unser Serviceangebot wahrnehmen und an der Exkursion teilnehmen würden. Kooperation zwischen engagierten Bürgern und Mandatsträgern ist sicher kein Fehler“, so Eckbert und Sigrid Kumst aus dem Vorstandsteam des NABU.