Liebe Leserinnen und Leser!

Sprache - und natürlich auch Schriftsprache - ist einem ständigen Wandel unterworfen. Manches regelt die Duden-Redaktion, für anderes kann ich wenig Verständnis aufbringen. Völlig in Ordnung ist es z.B. wenn ein Leser mir schreibt: 

"Hallo Frau Hiller, beim Durchlesen der Artikel im Durchblick Nr. 304 ist mir aufgefallen, dass ! Sie, Frau Hiller, immer noch an der alten Rechtschreibung festhalten, wussten ! Sie das!? Bin zwar jetzt auch schon 62, aber wenn ich 'daß wußte muß' usw. lese, denke ich auch an die Kinder, die nach der 1996 reformierten Rechtschreibung gelernt haben, und dann dauernd ein 'ß' in den Texten finden, wo doch eigentlich ein 'ss' hingehört. Sollte nicht der komplette Durchblick in der 'richtigen' Rechtschreibung verfaßt / verfasst werden!? Mit freundlichen Grüßen E.S. Lautern".

Es ist eine Marotte von mir, an meinem heißgeliebten ß festzuhalten. Ich schreibe bewußt das ß anstelle des ss, wo es hinpaßt. Dazu habe ich mich entschlossen, als ich die zahlreichen Blödsinnigkeiten der Rechtschreibreform sah, und ich habe es über die Jahre so beibehalten, wie übrigens auch manche namhafte überregionale Schrifterzeugnisse. Ich konnte schon als Kind Sütterlin* lesen und las auch mit Begeisterung Bücher aus dem 19. Jahrhundert. Und ich hatte nie Schwierigkeiten, zwischen damals und heute zu unterscheiden.
Allerdings habe ich mir meine eigene Rechtschreibsicherheit als Kind aus zeitgenössischen Büchern angeeignet, und es war mir immer eine gute Stütze, wenn es unklare Formulierungen und grammatische Konstruktionen gab. Ich kann Wörter sozusagen aus dem Bauch heraus richtig schreiben, auch wenn mein Bauch ebenfalls schon 62 Jahre alt ist. Und ich traue diese Fähigkeit auch den heutigen Kindern zu, sofern diese noch ein bißchen mehr zu lesen bekommen als stupide SMS und sich etwas eloquenter äußern können als nur mit LOL oder ACAB. Wer Grips im Kopf hat, kann durchaus zwei parallele Schreibweisen konsumieren und richtig einordnen.
Testweise finden Sie auf diesen Seiten meist zwei Schreibweisen. Eingesandte Texte setze ich so, wie sie vom Schreibwesen* gewünscht sind, meine eigenen Texte enthalten weiterhin das ß. Ich freue mich auf Reaktionen und Anregungen aus der Leser*innenschaft. In diesem letzten Satz ist das enthalten, wofür ich wenig Verständnis habe: die Genderisierung sämtlicher Hauptwörter.

Genderisierung der Sprache: muß das wirklich sein?

Im April 2018 schrieb ich folgende Glosse: "Nur mal angenommen... Sie sind eine Frau, und Sie ärgern sich weil es in Formularen noch immer keine weibliche Endung in Berufsbezeichnungen etc. gibt. Sie schreiben Petitionen, Anträge, Beschwerdebriefe. Bestehen darauf, als Kundin, Kontoinhaberin, Antragstellerin, Kaminfegerin, Beanstanderin oder Nörglerin bezeichnet zu werden. Wird es deshalb jetzt alle Formblätter in zwei Farben geben: rosa und hellblau - und was wird aus den Farbenblindinnen? Am schlimmsten erscheint Ihnen (Ihninnen?) das Wörtchen „man“. Rein sprachlich hat es nicht das Geringste mit Mann zu tun: im englischen spricht man von man als Menschheit, das Lateinische kennt homo für Mensch, woraus sich human ableitet - schon wieder human statt hufrau! Und was sollen nur die armen Bewohnerinnen der Insel Man tun! Ich kann Sie trösten: die Mutterwurzelsilbe Man(N) steht ursprünglich nicht für das männliche Geschlecht sondern für die Mutter, englisch „woman“ bedeutet vermutlich Bauchmutter (aus womb und man), alles nachzulesen bei Naturwissenschaftlerin und Patriarchatskritikerin Kirsten Armbruster, (https://kirstenarmbruster.wordpress.com/2015/07/13/die-mutterwurzelsilbe-mann/) Haben Sie eigentlich nichts Besseres zu tun? Während Sie sich um Wortklaubereien streiten, sind weiterhin Frauen im Berufsleben benachteiligt, werden schlechter bezahlt, kommen seltener in Führungsetagen, müssen sich als Alleinerziehende bei den Tafeln versorgen. Hier geht es nicht um Quotenfrauen oder seltsame Doppelnamen-Doppelspitzen, sondern darum, daß Frauen unabhängig vom Geschlecht nach ihren Leistungen eingestellt und bezahlt werden. Glauben Sie, daß die soziale Gleichstellung der Frau durch „frau“ statt „man“ erreicht werden kann? Dann sollten Sie sich schleunigst an Ihren heimischen Herd zurückziehen und darüber nachdenken WER die Kinder üblicherweise erzieht und erzogen hat. Die könnten die Generation sein, die endlich tatsächliche Gleichberechtigung schafft, aber dazu müssen sie SIE erstmal ERNST NEHMEN.
Oder auch nicht..."

Diese Glosse ist noch immer aktuell, daran ändert auch das verkrampfte Schreibweis*innen-Geschwafel nichts. Wären alle Menschen wirklich gleichberechtigt und erführen gleiche Behandlung - Würde und Respekt - dann erübrigte sich die ganze Genderdiskussion. Denn im Grunde ist das Geschlecht eines Menschen oder seine / ihre persönliche Neigung nur für die Sexualität von Belang. Und wenn ich ein Brötchen kaufen will, geht es mich nichts an, ob mir das von einer Verkäuferin oder vom Verkäufer gegeben wird.

Neulich las ich in einem Text "SuS" und grübelte, bis ich drauf kam: das ist die Abkürzung für "Schülerinnen und Schüler". Denn wer einen längeren redaktionellen Text schreibt, möchte nicht in jedem zweiten Satz "Schülerinnen und Schüler" oder "Lehrerinnen und Lehrer" (LuL) schreiben. Wie wohltuend wäre es für den ungetrübten Lesegenuß, wenn dort schlicht und einfach das in einem früheren Leben für männliche UND weibliche Schüler gültige Wort "Schüler" stünde. Und: auch bei SuS und LuL werden immer noch die Diversen vergessen. Ich weiß nicht, wie lange das noch gut geht...

Immer wieder ärgere ich mich, wenn ich solches Geschwurbel lesen oder hören muß. Deshalb habe ich mir einen Vorschlag ausgedacht, den ich hier vorstellen möchte:

da es nicht mehr der political correctness (mit ss, nicht mit ß!) entspricht, von DER oder DIE zu sprechen, probiere ich künftig mal aus, immer von DAS zu sprechen oder zu schreiben. DAS Verkaufswesen statt Verkäufer*in. Ohrenpickel und Ohrenpickelinnen bekommt man auch gern vom neuen Gerundium (Verbalsubstantiv). Da wird aus Studentenwerk das Studierendenwerk. Also "Verkaufende" statt Verkäufer*in? Na ja - warum eigentlich nicht? "Verkaufswesen" könnte ja mißverstanden werden als die platonische Idee dessen, bei dem es ums Verkaufen geht.

Also liebe Lesende! Beim Wort "Leser*innen" haben wir übrigens einen arabischen Laut ins Deutsche eingeführt und tragen so der multikulturellen Vielfalt Rechnung: im Arabischen gibt es den Laut "Hamza" - ein stimmloser Kehlverschlußlaut (eigentlich ein stimmloser Kehlverschlußleise?!), ein Laut ohne Geräusch, ein Nicht-Laut, ein stimmloses glottales Plosiv - eine arabische Spezialität, denn dort wurde auch die Null erfunden. Im übrigen scheint mir auch die Formulierungswut der "Wesen, welche (Plural, politisch korrekt) ihrem jeweils individuellen Geschlecht m/w/d angehören und als solche auch angesprochen werden möchten, und die es sich nicht nehmen lassen, uns (Plural, plitisch korrekt) ein Brötchen (Neutrum, ebenfalls politisch korrekt) über den Verkaufstresen zu reichen, auf daß wir es mit dem gültigen Währungswesen angemessenen Zahlgut begleichen werden, bevor wir es an uns nehmen und zum Verzehr (männlich, nicht korrekt - also das Verzehr oder die Verzehr*in?) bringen werden - oh seien sie gepriesen und möge ihr Arbeitsplatz*in auf alle Zeiten erhalten bleiben" eine Adaption aus dem Arabischen (meine arabischen Freunde mögen mir das bitte verzeihen). In einer blumigen Sprache lassen sich Sachverhalte diplomatisch zum Ausdruck bringen - und manchmal denke ich, auch die Diplomatie wurde im arabischen Kulturraum erfunden.

Jetzt aber mal ganz undiplomatisch: mir paßt es nicht, wenn ich guten Stammkunden erklären muß, daß sie in ihrem Inserat nicht schreiben dürfen: "Verkäuferin gesucht" - sondern "Person für den Verkauf m/w/d gesucht". Das ist schwer zu verstehen. Nehmen wir als Beispiel mal ein Dessousgeschäft. Verständlicherweise würde hier eine Frau für den Job gesucht, denn ich möchte meine Reizwäsche nicht vor einem Verkäufer anprobieren (rein hypothetisch). Das Arbeitgeberwesen wird also vermutlich eine Frau suchen, darf das aber in der Anzeige so nicht schreiben. Wer dagegen einen Job für schwere Bautätigkeiten anbietet, ist mit w/d möglicherweise schlecht bedient, und das Arbeitnehmerwesen hätte auch keinen Spaß an diesem Job, bei dem Zentnersäcke gewuchtet werden müssen.

Noch immer halten wir uns mit sprachlichen Mätzchen auf, anstatt die reale Situation von Frauen und Diversen zu verbessern und mit der von Männern gleichzusetzen.

*Sütterlin: laut Wikipedia eine im Jahr 1911 im Auftrag des preußischen Kultur- und Schulministeriums von Ludwig Sütterlin entwickelte Ausgangsschrift für das Erlernen von Schreibschrift in der Schule.

Marieta Hiller, im Januar 2021

Leserbrief von Rudi Roth, Reichenbach, am 1. Februar 2021

Liebe Marieta,

Deinen Beitrag „Genderisierung der Sprache: muß das wirklich sein?“ (auf dblt.de/In eigener Sache) habe ich mit großem Vergnügen gelesen.

Und jetzt kann ich es mir kaum verkneifen, meinen Senf (mein*e Senf*in?) dazu zu geben , Wobei ich mir noch etwas unsicher bin, ob ich als Mann Dir als Frau meine Männersicht dazu mitteilen soll. Aber da wir beide aus dem letzten Jahrhundert kommen, einer Zeit in der man die Sprache einfach so nahm, wie sie nun gerade mal war und sich bestenfalls darüber amüsiert hat, daß in Frankreich die Sonne ein Mann und der Mond eine Frau ist, hoffe ich auf Dein Verständnis.

Ich habe als Mann einen typischen Frauenberuf erlernt. Zum einen komme ich so auch in den Genuss der bekannten Benachteiligungen der holden Weiblichkeit wie niedriges Ansehen und entsprechende Bezahlung, zum anderen arbeite ich in Ausbildung und Beruf überwiegend mit Kolleginnen zusammen.

So durfte ich früh (spätestens im Studium) lernen, immer die Ansprüche und Erwartungen der weiblichen Mitstudierenden und Mitarbeitenden berücksichtigen zu sollen. Und viel zu lange habe ich versucht, den Wünschen der armen benachteiligten Mitstudentinnen und Kolleginnen gerecht zu werden. Inzwischen zucke ich schon innerlich zusammen, wenn eine Frau die Worte „man“, „jeder“ oder gar „jedermann“ ausspricht. (Die hätte doch „frau“, „jede“ oder „jedefrau“ sagen müssen!)

Ich habe mich von diesen selbsternannten Rechtschreib- und Rechtsprech-Emanz*innen schon viel zu lange vor deren Pseudosprachreformkarren spannen lassen. Brav „Studenten und Studentinnen“, „Student/inn/en“, „Student(inn)en“ und „StudentInnen“ geschrieben und gesagt, je nach dem was gerade in Mode war. Als dann aber die ersten Vereine ihre lieben „Mitglieder und Mitgliederinnen“ zu Jahreshauptversammlungen einluden und auch genauso begrüßten, wurde ich langsam stutzig. (Das Mitglied an sich ist doch geschlechtslos.) Wenn ich heute höre wie in Funk und Fernsehen die Nachrichtensprecher*innen von Politiker*innen berichten (ich warte schon immer auf das „Störung“ Schild in den langen Kunstpausen), denke ich: Jetzt ist aber Schluß!

Aus lauter Rücksicht auf die scheinbar spraachlich benachteiligten Mitmensch*innen haaben wir Männer noch gaar nicht realisiert, wie männerfeindlich unsere Spraache ist. Nicht nur die Spraache ist weiblich, auch die Erde, die Welt, die Sonne, die Gesellschaft, die Kunst, die Kultur, die Vergangenheit, die Gegenwart, die Zukunft und die Mehrzaahl – jede Mehrzaahl!

Sogar die Mannschaft und die Männlichkeit sind weiblich. Außer dem Stammtisch, dem Mond und dem Wald bleibt uns Männern nicht mehr viel. Und der Wald stirbt. Ich denke es ist allerhöchste Zeit, dass wir Männer uns zusammenschließen um für eine männergerechte Spraache, ein männergerechtes Sprechen und Schreiben zu kämpfen!

Vermutlich wird aber spätestens die übernächste Generation dieses Problem des nicht immer passenden und schwer erkläärbaaren spraachlichen Geschlechterunwesens gelöst oder vielmehr entsorgt haaben. Einwandererkinder (junge Mitbürger mit Migrationshintergrund) lösen schön heute das Problem mit diesen komischen Begleitern auf ihre eigene Art. Warum heißt es einmal die Lehrerin und dann wieder der Lehrerin? Daas versteht doch kein Mensch! Also lassen wir die nervigen Begleiter einfach weg! „Gib mir Ball!“ und „Ich geh Aldi.“ steht spätestens 2035 im Duden und „der, die, daas & Co“ landen in der Spraachmülltonne.

(Sorry! Jetzt haab‘ ich doch wirklich kurz vergessen, daß daas Doppel-„aa“ schon bei der vorletzten Rechtschreibreform von 1903 in der Spraachmülltonne gelandet waar.)

Reichenbach, 1.2.21 - Rudi Roth

Fundstück: Es stand im Durchblick: Heft Mai 1997
Neues zur Rechtschreibreform - oder: Genie kommt aus dem Bauch

Sollte Ihnen der Kopf rauchen ob der neuen Rechtschreibregeln, lassen Sie sich mit folgendem Briefauszug unseres Nationaldichters Johann Wolfgang von Goethe trösten; Goethe schrieb diese eigenartigen Zeilen sechzehnjährig an seinen Freund Riese am 25. Oktober 1765: "Ich habe kostbaaren Tißch. Merkt einmahl unser Küchenzettel. Hüner, Gänße, Truthahnen, Endten, Rebhühner, Schnepfen, Feldhüner, Forellen, Haßen, Wildpret, Hechte, Fasanen, Austern pp. Das erscheinet Täglich. nichts von anderm groben Fleisch ut sunt Rind, Kälber, Hamel pp. das weiß ich gar nicht mehr wie es schmeckt. Und die Herrlichkeit nicht teuer, gar nicht teuer."
Ist doch sehr tröstlich, daß Jung-Goethe auch ganz klein angefangen hat. Nicht so tröstlich dagegen ist: nicht korrekte Grammatik und Rechtschreibung von Jugend an bildet das Rüstzeug zum großen Dichter, sondern erlesene Fleischspeisen...
Ersteres kann man nämlich lernen, es kostet nichts außer Nerven und Sitzfleisch, und wenn man's hat, belastet es nicht die Gesundheit. Letzteres dagegen - wer kann sich schon so einen Küchenzettel leisten, und wie lange machen Leber und Galle mit?
So ist wohl heute wie früher gewährleistet, daß geistige Bildung mit Bauchbildung einhergeht. So lasset uns denn an Wildpret, Schnepfen und Haßen gütlich tun, auf daß unsere Nation endlich wieder den Namen Volk der Dichter und Denker verdienet...
Bleibt nur die Frage: wo ist eigentlich der gigantische Bildungsschub nach der Freßwelle in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts geblieben?

Am 8. März ist internationaler Frauentag. Lesen Sie dann hier, Wie man Männer zur Hausarbeit bewegt!

Marieta Hiller