Es gibt - ihr wißt es bereits - ungezählte Elfen auf der Welt.

Eine jede Pflanze ist Wohnung für zahlreiche Elfen, in Felsgrotten und Moospolstern huschen sie umher, und im Mondlicht tanzen sie. Ihr wißt sicher auch, daß Elfen bei Vollmond auf einem Mondstrahl von der Erde zum Mond klettern, um dort ihren ganz geheimen Elfengarten zu bewässern.

Denn Wasser gibt es keins auf dem Mond, das muß von der Erde hinaufgebracht werden, und das geht nur bei Vollmond, wenn die Mondstrahlen stabil genug sind, eine Elfe mit Wasserkelch zu tragen. Was ihr nicht wißt: auf dem Mond wachsen die Zauberkräutlein, die auf der Erde verschwunden sind. Als die Menschen nämlich begannen, sie Unkraut zu nennen und auszurotten, da flohen die Kräutlein - und vor allem die zauberkräftigen! - hinauf auf den Mond.

Dort harren sie sieben mal vier Tage aus, bis wieder eine Elfe hinaufkommt und ein Kelchlein Wasser bringt. Schon lange lebten hier oben das Tausendgüldenkraut (das echte, versteht sich, das güldene Gülden hervorzubringen versteht), das Blümlein "rühr mich nicht an", das dem Menschen seine kindliche Unschuld bewahrt, Frau Amanita die Pilzdame, die schaudernd flüchtete als sie sah, mit welch chemischen Mittelchen die Menschen neuerdings ihre Gesundheit ruinieren, und viele Kräutlein mehr.

Und gerade beim letzten Vollmond kam ein neues Kräutlein hinzu: Anethia mit ihrem fedrigen gelbduftenden Hut verkroch sich hier. Denn die Menschen hatten sie graveolens, übelriechend genannt! Sie, die Duftende! Kaum schien die Sonne warm genug, hatte sie ihre zarten Dolden ausgebreitet, und ihre Fiederblättchen verbreiteten betörenden Duft! Ach, immer dünner war das Elixier geworden, das Anethia brauchte: lockeren sandigen ungedüngten Boden an einem sonnigen Plätzchen.

Scharf war die Erde, kaum daß die Menschen ihre Zeugs darauf gestreut hatten, scharf und ungenießbar, und es kribbelte Anethia überall, sie mußte niesen und bekam welke Blattspitzen. Schließlich wisperte sie ihrem persönlichen Elf zu, daß sie es nicht mehr aushielte, und daß sie zum Mond auswandern wolle. „Gut,“ sprach der Elf, Dilldapp mit Namen, „so geh. Ich will dich stets zu Vollmond mit frischem Wasser versorgen“.

Doch ach, der Dilldapp war ein ungeschickter Elf, und so mußte er entdecken, daß es gar nicht so leicht war, mit einem Kelch voller Vollmondwasser beladen auf einem Mondstrahl weit weit hinauf ins Sternenzelt zu klettern. Auch wurde es kalt unterwegs, denn die Sonne schlief ja. Dem Dilldapp klappterten die Zähne, und schließlich zitterte er so vor Anstrengung und Kälte, daß er die Hälfte des Wassers verschüttete. Die Wassertropfen aber gefroren sogleich zu spitzen Eisnadeln und schossen über den samtschwarzen Himmel dahin, daß die Menschen auf der Erde glaubten, es seien Sternschnuppen.

Der Dilldapp mußte niesen, und bei jedem Nieser versprühte er wieder ein paar Tropfen Wasser, die als Sternschnuppen über den Himmel schossen. Früher einmal, als die Menschen den Dill - denn genau das ist unsere Anethia! - noch zu schätzen wußten und stets ein Plätzchen für ihn in ihrem Hausgarten bereithielten, da wußten die Menschen auch noch, daß es eigentlich Sternschnupfen heißen muß. Aber das ist lange her.

Bis der Dilldapp endlich frierend und mit roter Nase bei Anethia auf dem Mond ankam, hatte er nur noch einen einzigen Tropfen klares Wasser in seinem Kelch, und den trank Anethia auf einen Zug aus. „Aaaach, das war gut! Beim nächsten Mal darf es aber gern ein bißchen mehr sein!“ meinte sie. Der Dilldapp nickte ergeben, und weil er ein gutmütiger und hilfsbereiter Elf ist - wie alle Elfen eigentlich - so hat er sich seither bemüht, das Wasser im Kelch zu bewahren, bis er es glücklich hinauf zu Anethia geschafft hatte. Und bei jedem Vollmond gelang es ihm ein bißchen besser, und wenn ihr noch ein paar hundert Jahre Zeit habt, so werdet auch ihr vergessen, daß es einst so etwas wie Sternschnupfen gegeben hat...  

Marieta Hiller, Ostervollmond 2013