Wer weiß etwas über die Grabstätte von Johann Wilhelm Grimm?

Einer der ersten Geometer in unserer Region war Johann Wilhelm Grimm. Er wurde 1703 geboren und zog im Laufe seines Lebens nach Reichenbach, wo er 1778 verstarb.
In den Jahren zwischen 1729 und 1750  erfaßte er die Fluren unserer Region erstmals mit der exakten meßtechnischen Methode der Dreiecksvermessung.
Bevor Grimm sich um 1730 herum aufmachte, die Landschaft unserer Dörfer exakt zu vermessen und zu kartieren, arbeitete man nicht mit Karten. Es genügten Einträge ins Gemeindebuch, um die Besitzverhältnisse zu klären. In Grimms Zeit fiel auch der Reichenbacher Kirchenneubau im Jahre 1747. Somit wurde Grimm auf dem neugestalteten Reichenbacher Friedhof beerdigt. Von seinem Grab ist heute jedoch nichts mehr bekannt.

Das Original-Rißbuch der 1747 neugebauten Kirche mit Friedhofsanlage und sämtlichen Gütern der Pfarrstelle von Johann Wilhelm Grimm

Im September 2020 begann ich mit Nachforschungen, ob es Belege gibt, wann die Grabstätte abgeräumt wurde und was mit dem Grabstein geschehen ist.
Wenn man wüßte, wer in der Zeit zwischen 1780 und 1820 für die Pflege der Friedhofsanlage zuständig war, gäbe es einen Anhaltspunkt, wo der Grabstein abgeblieben ist. Oftmals findet man heutzutage noch alte Grabsteine in Wald und Flur, zerbrochen und über hundert Jahre alt. Ob allerdings auch zu Beginn des 19. Jahrhunderts, also bevor die landschaftsprägende Grabmalindustrie im Lautertal entstand, bereits eine Wiederverwertung alter Grabsteine stattfand ist nicht zu klären. Möglicherweise wurde er in die Fundamente oder Mauern eines Wohnhauses integriert, und in einem der Reichenbacher Keller steht noch heute zu lesen, wann Grimm geboren wurde und wann er verstorben ist.
Die Nachforschungen ergaben im Einzelnen:
Evangelische Kirchengemeinde Reichenbach, November 2020: „ich kann Ihnen erst heute auf Ihre Anfrage antworten, denn wir sind intensiv auf die Suche gegangen. Leider sind wir nicht fündig geworden. Ein Kirchenbuch von 1741 haben wir gefunden. Das hilft Ihnen aber nicht weiter, da nur Amtshandlungen vermerkt sind.“
Im Dezember 2020 meldete die Evangelische Kirchengemeinde Reichenbach, daß das geometrtische Rißbuch von Johann Wilhelm Grimm zu den Grundstücken der Kirche sich im Tresor des Pfarramtes befindet.
Im März 2021 konnte ich Einblick in das Original Rißbuch nehmen und es abfotografieren. Eine Aufzeichnung über die Friedhofsanlagenpflege aus der fraglichen Zeit existiert jedoch im Pfarramt nicht.
Im April 2021 ergab die Suche im Archiv der Gemeindeverwaltung Lautertal durch Frau Anita Rausch und Frau Heike Mayer: „Leider habe ich die Vermutung, dass es solche alten Dokumente über den Reichenbacher Friedhof nicht bei der Gemeinde gibt. In dieser Zeit waren die Friedhöfe doch sicher im Eigentum der Kirchen. Standesamtliche Register gibt es leider auch erst seit 1876. Davor auch nur kirchliche Aufzeichnungen, heute im Hess. Staatsarchiv in Darmstadt.“

Kirchen-Rißbuch Details

Die Suche im digitalen Verzeichnis des Staatsarchives Darmstadt erbrachte leider keine Treffer, auf direkte Anfrage bei Archivarin Barbara Tuczek ergab sich zumindest diese Information: „in einer Verordnung zur Neuanlage von Friedhöfen von 1786 (E 3 A Nr. 22/10) wurde verordnet, dass die Gräber erst 30 Jahre nach der Grablegung wieder verwendet werden dürfen. Demnach müsste die Einebnung des Grabes etwa 1808 erfolgt sein. Leider liegen uns aus dieser Zeit keine Unterlagen für Reichenbach vor. Dies kann auch damit zusammenhängen, dass gerade von der alten Abteilung Pfarreien (E 5 C) aufgrund von Kriegsverlusten fast nichts mehr übrig ist. Die älteste Überlieferung vom Landkreis Bensheim (G 15 Bensheim P 333) beginnt erst 1829.“
Frau Tuczek verwies mich an das  Zentralarchiv der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau.

Kirchen-Rißbuch Detail: Verzeichnis der Grundstücke von Johann Georg Schaarschmidt


Mitte April 2021 erhielt ich von dort diese Mitteilung von Frau Mirna Tardy: „der Bestand 9176, Pfarrarchiv Reichenbach befindet sich im Zentralarchiv. Dieser Bestand wurde noch nicht verzeichnet sondern, nur sortiert und grob erschlossen. In dem Bestand befinden sich weder Akten über die kirchliche Friedhofsverwaltung noch Bauakten. Alle Akten zu Bestattungen stammen erst aus dem 20. Jahrhundert. Auch in den Beständen der kirchlichen Oberbehörden im Zentralarchiv konnten wir keine Informationen über dem Geometer Grimm oder sein Grab in Reichenbach ermitteln.“
Erst hundert Jahre nach Grimms Tod, im Jahr 1879, zogen zwei Steinmetzen aus dem Fichtelgebirge ins Lautertal, um Quarz und Felsberg-Granit (Melaquarzdiorit) abzubauen. Eine blühende Grabmalindustrie entstand im Lautertal, zahlreiche größere und kleinere Steinbrüche brachten erstaunliche Qualitäten hervor. Berühmtestes Vorkommen neben dem Felsberg-Granit ist das „Reichenbacher Gold“ eine mächtige Quarzader, die sich vom Teufelsstein im Westen unterhalb Reichenbach bis zum Katzenstein bei Raidelbach zieht.

  

Kirchen-Rißbuch: Andreas Bessingers dermahlen...             Besonders liebevoll verziert: die Seite des Andreas Jährling    


Diese Zeit der intensiven Steinbearbeitung im Lautertal währte wiederum etwa hundert Jahre, von 1879 bis Ende der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts, als die meisten steinverarbeitenden Betriebe der Billigkonkurrenz aus Übersee wichen. Einige haben sich auf reinen Handel mit Grabsteinen verlegt, andere haben geschlossen. Doch noch immer zeigt das Lautertal sein grabsteingeschmücktes Gesicht: entlang der B 47 und in den Seitendörfern sieht man zahlreiche Flächen, auf denen wahre Kunstwerke ausgestellt sind.
Diese Zeit der Steinindustrie ist gut dokumentiert, und wäre Johann Wilhelm Grimm nur hundert Jahre später gestorben, so wüßte man heute genau, was aus seinem Grabmal geworden ist, nachdem die Friedhofsfläche geräumt wurde. Eine Familie Grimm läßt sich wohl noch später nachweisen, es ist jedoch unbekannt, ob Hermann und Marie Grimm (U 1998 bzw. 2005) mit der damaligen Familie Grimm verwandt sind.
M. Hiller, April 2021

Folgende Beiträge finden Sie in meinen Jahrbüchern: Das Durchblick-Jahrbuch: Spinnstubb 2.0, sie sind deshalb online nicht zu finden:

  • Das Reichenbacher Gold
  • Ein Steinarbeiter zieht Bilanz
  • Steinbearbeitung im Felsenmeer und anderswo, eine Zeitreise durch die Jahrhunderte
  • Neuzeit: es klappert und hämmert im Felsenmeer von 1000 emsigen Händen
  • Wie noch vor wenigen Jahrzehnten Steinbrucharbeiter im Wald lebten
  • Die Grimmkarte von 1763 mit Legende
  • Landwirtschaft vor 250 Jahren
  • Beginn der geometrischen Kartografie im Odenwald
  • Wurde die Riesensäule im Lauf der Jahrhunderte kürzer und länger, dicker und schlanker?

3. Weitere Literaturtipps:

  • Georg Grohrock,  Der Geometer Johann Wilhelm Grimm (1703-1778) und seine Arbeiten in Reichenbach und Umgebung, Geschichtsblätter des Kreises Bergstraße Band 34, 2001
  • Karlheinz Rößling, Frühe Parzellenvermessungen im Odenwald - am Beispiel des Geometers Johann Wilhelm Grimm (1703-1778) in der Grafschaft Erbach, in: Beiträge zur Erforschung des Odenwaldes und seiner Randlandschaften Band V, Breubergbund 1992
  • Reichenbacher Heimatbuch, Hrsg. Sparkasse Bensheim 1987