Manch einer schafft es, seine Spuren zu verwischen: so war von einem Lithographen des 19. Jahrhunderts bislang kaum mehr als der Name van Hove und der Arbeitsort Offenbach bekannt. Spannend ist im Beitrag von Johann Heinrich Kumpf (derselbe, der auch das Buch des Dr. Klein von 1754 neu herausgab) dargelegt, wie die Vornamen des geheimnisvollen van Hove ans Licht kamen. Noch spannender aber ist die Geschichte, wie früher mit dem geistigen Eigentum anderer umgegangen wurde: „Abkupfern“ nennt man das auch. Abkupfern kommt aus dem Druckwesen: ein Autor fertigte zunächst eine Zeichnung oder Skizze an, die anschließend vom Kupferstecher zu einer Druckplatte gemacht wurde: seitenverkehrt stach der Kupferstecher alle Linien nach, danach konnten von der Platte beliebig viele Abzüge gedruckt werden. „Mein lieber Freund und Kupferstecher“ war also jemand, der Plagiate anfertigen konnte, Abzüge ohne Copyright.
Franz Bernhard van Hove publizierte zwischen etwa 1820 und 1829, bevor sich seine Spur verliert. Jedoch nutzte er nicht Kupferstich, sondern Lithographie für seine Drucke. 1820 schuf der stets verschuldete Abenteurer und Obrist-Lieutenant eine Lithographie vom Melibokus, die in mehrfacher Hinsicht sehr aufschlußreich ist: zu eins kopierte er einen fünf Jahre alten Kupferstich von Christian Haldenwang, der seinerseits ein Aquarell von Carl Philipp Fohr aus dem Jahr 1813 zum Vorbild nahm. Haldenwang war so fein, den Urheber anzugeben - im Gegensatz zu van Hove, aber das deutsche Urheberrecht wird auch erstmals 1837 dokumentiert. Zum zweiten zeigen die Darstellungen völlig unbewaldete Hügel: einzelne Linien wie Obstbaumalleen ziehen sich bergan durch die Weinberge, aber auch der Melibokusberg selbst zeigt eine blasse Struktur von bewaldeten und gerodeten Flächen.
Ebenfalls aufschlußreich sind seine Lithographien vom Felsenmeer und der Riesensäule. Van Hove scheint selbst nie vor Ort gewesen zu sein, denn beides wird völlig fehlerhaft dargestellt. Bei der Riesensäule stimmen weder Örtlichkeit, noch Lage, Anordnung und Abmessungen. Der Altarstein im Hintergrund ist ein kastenförmiger Klotz an der falschen Stelle. Van Hoves Gestaltung des Felsenmeeres läßt an auftürmende Wellenberge denken, einzig korrekt ist der Winkel der Spaltrichtung bei einigen der Felsgruppen dargestellt. Offenbar dachte sich der Künstler, daß eine naturgetreue Wiedergabe vielleicht in einer wissenschaftlichen Abhandlung Platz finden soll, nicht aber in einer Reisebeschreibung. Um eine solche handelt es sich aber: die Lithographien erschienen zur Illustration im Buch „Reise durch einen Theil der Bergstraße und des Odenwaldes während des Sommers 1819“ von Gerhard Friederich. Erhob auch die Darstellung der Sehenswürdigkeiten keinen Anspruch auf Genauigkeit, so stützte sich Pfarrer Friederich bei seiner Wanderung doch auf eine - zum damaligen Zeitpunkt - sehr exakte Wanderkarte: die Haas´sche Situationskarte - eine militärische Situationskarte, in 24 Blättern „von den Ländern zwischen dem Rhein Main und Neckar nebst den angränzenden Gegenden“ zwischen 1788-1813 erschienen.
Schon in früheren Zeiten war das Abkupfern in Mode:
Bernhard Cantzler (ca. 1563-1626) war u.a. Keller in Michelstadt und konnte mittels Vermessung einen Grenzstreit zwischen Hessen und der Grafschaft Waldeck beilegen. Cantzler entwickelte die geometrische Vermessung seiner Vorgänger mit neuen Verfahren weiter. Seine „sehr leichte Methode zur Längen- und Breitenvermessung“ (Prof. Balthasar Mentzer um 1716) war gängige Praxis, als Johann Wilhelm Grimm sich an die Vermessung der Lautertaler Ortsteile machte. Von Cantzler stammt auch die älteste bekannte Karte der Grafschaft Erbach und der Herrschaft Breuberg von 1623. Diese Karte ist nach Südsüdwest orientiert und ihre grundlegende Struktur ist das Gewässernetz. Territoriale Grenzen enthält sie nicht.
Man findet auf der Karte die Ortschaften Culmbach, Gadern, Reilbach, Hohenstein, Knoden, Lautern, Reichenbach, Elmshofen, Wilmshofen, Neunkirchen, Brannen, Ernsthofen, Obermuda, Webern, Bedenkirch, Wurtzelbach, Staffeln, Quatelbach. Andere fehlen: Schannenbach, Klein-Bieberau, Neutsch...
Dort, wo die Kartusche „Graveschaft Erbach“ saß, wurde die darunter verborgene Landschaft in Folgekarte von 1628 nicht nachbearbeitet, so daß kartographische Lücken entstanden. Daraus schließt die Fachwelt, daß Cantzler zwischenzeitlich verstorben war. Der Kupferstecher war Eberhard Kieser mit Verlag in Frankfurt. Aufgrund der Zustände während und nach dem 30jährigen Krieg gab es eine rege Nachfrage nach Kartenmaterial. Schon ein Jahr nach der 2. Cantzler-Karte fertigte der Amsterdamer Jodocus Hondius eine Karte „Erpach Comitatus“ an. Auf der Frankfurter Buchmesse 1629 wurde sie im Rahmen des Atlas von Gerhard Mercator präsentiert.
Hondius‘ Witwe verkaufte die Druckplatten an den Niederländer Willem Blaeu, und dieser veröffentlichte seinen eigenen Atlas. Von 60 Karten waren 37 mit den Hondius-Kupferplatten gedruckt, allerdings war der Name Hondius wegradiert. Die Erben reagierten mit einer Blaeu-Kopie ihrerseits. Wie die komplizierte Geschichte mit den Druckplatten für die Erbacher Grafschaft weiterging, lesen Sie in der Zeitschrift „Der Odenwald“ (Heft 3+4 2014), aber sicher ist: den Vorgang bezeichnet man seither als „Abkupfern“. Noch in wesentlich späteren Drucken zeigt sich die kartografische Lücke, wo einst die Kartusche „Grafschaft Erbach“ saß.
M. Hiller