Wir feiern 2017 das Lutherjahr. Martin Luther reformierte nicht nur den christlichen Glauben, ohne ihn könnten Sie heute auch nicht den Durchblick lesen. Nicht daß Luther höchstpersönlich dem Durchblick den Weg geebnet hätte - aber er hat etwas sehr Weitreichendes geschaffen: gemeinsam mit Johannes Gensfleisch Gutenberg löste er eine Revolution aus.
Denn erst Martin Luther gab der jungen Druckerkunst Gutenbergs ein Thema, dessen Verbreitung sich lohnte, den ersten Bestseller der Geschichte.
Gedrucktes wurde durch ihn verständlich und durch Gutenberg erschwinglich. Vorher wurden die Kirchenväter und antike Philosophen in Auflagen von höchstens 200 Exemplaren gedruckt - in lateinischer Sprache, die Kirche wollte dem gewöhnlichen Volk nichts von ihren Geheimnissen preisgeben.
So war das Lesenlernen für jenes Volk auch von allergeringstem Interesse. Nun aber wurden Luthers Traktate* mit 300.000 Exemplaren gedruckt und fanden reißenden Absatz. Alle Welt wollte lesen lernen, es entstand Öffentlichkeit.
Luther erfand die Fortsetzungsgeschichte im Abonnement: so wurde der Kaufpreis für ein Buch auf viele kleine Portionen verteilt. Er forderte Bildung für alle, auch für Mädchen. Das ist es, was ich persönlich besonders an Martin Luther schätze, auch wenn er zeitlebens antisemitische und frauenfeindliche Äußerungen von sich gab.
Ohne die Druckerkunst wäre Bildung für alle nicht möglich geworden, diese und Luther haben sich gegenseitig gefördert in einer Zeit, in der wissenschaftliche Diskurse auf Latein in schwergewichtigen Wälzern geführt wurden. Luther dagegen schrieb seine Botschaften kurz und prägnant auf deutsch, man konnte sie in 10 Minuten vorlesen.
Die ersten Zeitungen entwickelten sich aus dem Prinzip von Luthers Flugschriften: maximal 4-8 Bögen, 2x gefaltet.
Zum Ausbruch des 30jährigen Krieges verbreitete sich so bereits auf basisdemokratischem Wege Ideologie. *Traktat = Gezogenes (vgl. Traktor = Ziehendes) oder Abzug. Ü50er erinnern sich gern an ihre ersten Kontakte mit Alkohol: als 10jährige hingen wir nicht an der Schnapsflasche, sondern meldeten uns begeistert für alles, was auf dem Matrizendrucker abgezogen werden mußte. Das nannte man Hektografie, eine Technik aus der Zeit vor dem Fotokopierer. Zuvor mußte man seinen Text ohne Farbband, also blind, auf Matritzenpapier tippen oder schreiben. Davon ließen sich dann maximal 250 Abzüge drucken. Der Druck erfolgte von einer wachsbeschichteten Folie, die über eine spiritusgetränkte Rolle gezogen wird, wobei sich Wachspartikel lösen. Je mehr Abzüge, desto weniger Wachs auf der Matritze. Deshalb konnte man ab dem 100. Abzug auch nicht mehr viel entziffern. Aber selbst die verschwommensten Abzüge wurden von uns gerne beschnuppert...