Die digitale Revolution ist in aller Munde: anstatt ins Gasthaus zu gehen, lassen wir Mahlzeiten vom Lieferheld bringen, statt zum Schreiner um die Ecke zu gehen engagieren wir einen von MyHammer.
Mittelständische Betriebe setzen auf vernetzte Produktion, Maschinen und Produkt regeln untereinander die Abläufe. Die Produktionsmittel wandern aus den Händen der Unternehmer in die Fänge der wahren „Kapitalisten“, einer Sorte Unternehmen, von denen Karl Marx vermutlich nicht mal Alpträume hatte.
Maschinen werden nicht mehr angeschafft, sondern der Unternehmer „mietet“ Maschinenstunden. All dies nennt sich Industrie 4.0.
Hinzu kommt Big Data: große Datenmengen werden verarbeitet, ausgewertet und zur Verfügung gestellt, sensible Kundendaten werden in Clouds aufbewahrt.
Neue Währung ist der Klick, der entscheidet, ob wir auf dem digitalen Markt bestehen oder nicht.
Datenhändler erlangen eine unermeßliche Macht, können Filterblasen und Echoräume erzeugen, in denen sich die uns wahrnehmbare Realität ständig neu auf unsere geheimsten Wünsche einstellen läßt. Nachzulesen übrigens in einem utopischen Roman von Ray Bradbury aus dem Jahr 1953: „Fahrenheit 451“.
Was wir heute aber gar nicht merken: die wirkliche Realität entgleitet uns. Die Gesellschaft hat sich fragmentiert, wie Prof. Dr. Henning Vöpel (Hamburgisches Welt-WirtschaftsInstitut) feststellt. „Die Digitalisierung wird räumliche und zeitliche Grenzen aufheben. Das zieht einen gesellschaftlichen Veränderungsprozeß nach sich, der vielen unverständlich und unbehaglich vorkommen wird. Die Gesellschaft ist seitdem fragmentiert.“
Den Grund sieht Vöpel darin, daß unsere Gesellschaft kein sinnvoll definiertes Gemeinwohl anstrebt. „Ökonomie bedeutet nicht nur Effizienz und Handel, sondern immer auch Legitimität und Kultur im Umgang mit Knappheit, Chancen und Gerechtigkeit.“ Kein IT-Beraterteam kommt zu uns nach Hause und schmiert uns Butter aufs Brot, während wir im Internet nach dem günstigsten Schnäppchen suchen...
Die Globalisierung mit ihrer internationalen Arbeitsteilung spaltet die Gesellschaft der Industrieländer in zwei Hälften »arm« und »reich«, die Mitte geht verloren. Kapital läßt sich auf globalen Wegen bestens verschieben, Arbeitsplätze leider nicht. Das ist keine Schwarz-Weiß-Malerei, sondern unsere digitale Zukunft.
Wir sollten mehr unter Menschen gehen, mit Menschen sprechen, bei Menschen einkaufen. Filterblasen (selbstreferenzielle Informationsräume) können nicht die reale Gesellschaft ersetzen, soziale Medien schaffen keine Behaglichkeit mit Freunden. Populistische Strömungen in der Politik agieren mit Worthülsen ohne erkennbare politische Ziele, von der eigenen Profilierung abgesehen. Die Verantwortung für gesellschaftliches Miteinander ist zweitrangig.
Und genau wie vor 84 Jahren gibt es parallel zur gesellschaftlichen Wahrnehmung eine Veränderung der Sprache. Muß eine dreiste Lüge „postfaktischer Diskurs“ genannt werden?
Kann ein Problem nur mit Ja oder Nein, schwarz oder weiß gelöst werden? Farbe entseht erst bei der angeregten Diskussion, bitte mit Komparativ! Marieta Hiller, Februar 2017