„Wenn wir heute noch um die Existenz der politischen Gemeinde kämpfen müssen, ist das nicht reines Unvermögen, sondern auch Folge von Gesetzen, die nicht allen Kommunen gleich gut bekommen waren“ meint Hans Seeger aus Beedenkirchen in seiner Broschüre „Lautertal was nun? Zukunftsperspektiven“. Damit spielt er auf die Gebietsreform 1972 an, die aus zwölf Dörfern eine Gemeinde machte. „Herr Loandrat, isch koann me net helfe, äwwe woann me zäje Oarme zuammedut, gitt däss noch koan Reische“ (Zitat Karl Germann, damals Bürgermeister in Reichenbach).

Das Land Hessen habe die neu entstandene Kommune mit ihren Problemen alleine gelassen. Und tatsächlich, bei Licht betrachtet, ist heute - über 40 Jahre später - noch immer keine Gemeinde Lautertal entstanden, die „aus einem Guß“ erscheint. Dabei weist Seeger auf zwei starke Vorteile hin, die die Bewohner des Lautertals zu bieten haben: es gibt ein vielfältiges Angebot an leistungsfähigen Handwerkerbetrieben und Industriezulieferern auf der einen und eine gut ausgebildete Einwohnerschaft, die mit für die niedrigste Arbeitslosenquote in der Region sorgt.

Daraus müsse nach Seeger eine handfeste Zukunftsperspektive für die Gemeinde zu machen sein. 2017 brachte Hans Seeger seine HS.Briefe heraus, darunter auch eine Bewertung der Lautertaler Finanzkrise, der Grabsteinindustrie und zum Felsberg. Im August 2018 folgten „Zukunftsperspektiven Lautertal im Odenwald“ und „Lautertal - Was nun? Zukunftsperspektiven“.

Die Resonanz war durchweg positiv, jedoch schwächer als erhofft. Die Stärken Lautertals sieht Seeger vor allem im Tourismus: im Felsberg mit dem Felsenmeer. HIer fehle eine attraktive Gastronomie, die sowohl für Touristen als auch für Einheimische zu einem beliebten Ziel werden könne. Er hat recht wenn er schreibt, daß die Besucher sich nach dem Felsenmeererlebnis ins Auto setzen und wegfahren, weil sie vor Ort nichts vorfinden. Das Felsenmeer-Informationszentrum ist bereits während der Planung viel zu knapp angelegt worden, das sieht man heute daran, daß für teures Geld weitere Toiletten gebaut werden sollen. Der Platz für die Gastronomie ist winzig und bietet keine Möglichkeit zu einem Kommunikationszentrum, wie von Seeger angedacht.

Seegerhütte im Felsenmeer: ein für Touristen ansprechend hergerichteter früherer Arbeitsplatz der Steinarbeiter

 

Er schreibt auch, daß das Fiz dem Investor der Siegfriedsquelle „in die Quere gekommen“ sei (das Fiz war seinerzeit tatsächlich kurz und bündig in die Landschaft gestellt worden ohne Rücksicht auf bestehende Strukturen zu nehmen oder Anregungen einzubeziehen. Allerdings ist die ehemalige Gaststätte Siegfriedsquelle inzwischen ein Spekulationsobjekt und wird sich Besuchern wohl noch sehr lange als wenig einladende Bauruine präsentieren).

Seeger schlägt vor, einen besucherfreundlichen Einstieg ins Felsenmeer über den Parkplatz Römersteine voranzutreiben, an dieser Stelle auch eine Tourist-Erlebnis-Gastronomie mit Hotel in ruhiger Lage zu errichten. Auch beim Fiz sollte die Gastronomie verstärkt werden. Dem steht entgegen, daß das Gasthaussterben der letzten beiden Jahrzehnte sich fortsetzt. Kaum eine alteingesessene Wirtsfamilie findet noch Nachfolger. Die spätere Wiedereröffnung einmal geschlossene Häuser scheitert oft an den baulichen Bestimmungen, wenn der „Bestandsschutz“ einmal weggefallen ist.

Ein weiterer Schwerpunkt in Seegers Zukunftsperspektive bildet die Infrastrukturverbesserung für Ortsansässige: einen großen Synergieeffekt erwartet er, wenn  die Sportvereine von Elmshausen und Reichenbach zum Spiel- und Sportverein Lautertal West und Gadernheim, Lautern und Beedenkirchen zum zum Spiel- und Sportverein Lautertal Ost zusammengefaßt werden könnten. So würden mehrere Sportflächen frei für Wohn- bzw. Gewerbebaugebiete. Jedoch drängt sich die Frage auf, ob je drei Vereine sich Trainings- und Spielzeiten auf einem gemeinsamen Platz teilen können. Für den Verein West wäre das der TSV-Platz aufgrund seiner Nähe zur Lautertalhalle, für Ost der Platz in der Nähe der Mittelpunktschule.

Denn die räumliche Nähe zu Schulen macht durchaus Sinn, da Schulkinder in Reichenbach eine Schulstunde lang unterwegs sind zur nächsten Sportstätte. Wäre die Felsenmeerschule und die Grundschule Elmshausen gleich bei der Lautertalhalle untergebracht, könnte dies geändert werden. Zusätzlich könnten die derzeitigen Schulgebäude für Sitzungsräume, Verwaltung und Gewerbe verwendet werden. In der Konzentration von Schul- und Sportstätten sieht Seeger einen zukunftsweisenden Weg für Lautertals aktuelle und künftige Einwohner.

Denn immer im Blick hat er ein Bevölkerungswachstum in Lautertal um 1000 Neubürger. Allerdings gibt die Trinkwassersituation hier zu denken: die Dürre des Jahres 2018 brachte die Versorgung fast an ihre Grenzen. Weiter Baugebiete und Neubürgerzuwachs müssen in dieser Hinsicht wohl überlegt werden. Bei der Landwirtschaft unterstützt Seeger die Vorstellung (die auch die meine ist), daß Bio- und Nischenproduktion entsprechend der räumlichen Gegebenheiten sinnvoll ist, da die Lautertaler Landwirtschaft ohnedies nicht mit der maschinell optimierten Landwirtschaft etwa im Ried konkurrieren kann. Mehr Gewicht auf gesunde Ernährung und evtl. die Ansiedlung von ökologischen Forschungsunternehmen fordert Seeger.

Wie die Landwirtschaft beurteilt er auch die Industrie: die Zeiten der Fabriken sind vorbei. Jetzt ist das Zeitalter der Dienstleister und der digitalen Unternehmen, die wenig Platz benötigen, kaum Schadstoffe emittieren und sich über bezahlbare Gewerbeflächen freuen - wenn auch die Internetversorgung optimiert wird. Kraftvolle Impulse eines klugen alten Mannes, der zeitlebens selbständig war, mit Mut zur Konfrontation formuliert und auf den Weg gebracht: nun wird sich zeigen, ob Bürger (die Bürgerinnen sind IMMER von mir mitgemeint!), Politiker (dto.), Verwaltung und Vereine bereit sind, über Veränderungen nachzudenken.

Gewachsene Strukturen müssen behutsam analysiert werden, bevor Bereitschaft zur Veränderung entsteht. Hans Seeger gibt diesem Nach- und Umdenken zehn bis zwanzig Jahre Zeit. Das Ergebnis wird er selbst vermutlich nicht erleben, wer weiß ob ich es erleben werde. Aber wer ein undichtes Dach repariert indem er Eimer kauft und unterstellt, wird nie ein behagliches Heim haben. Hier sind Visionen gefragt, aber noch viel mehr ist Gemeinschaftsgeist gefragt.

M. Hiller, November 2018