"Das Mäandern muß wieder möglich werden", sagt Torsten Schäfer. Bei einem Online-Diskussionsabend zum Thema "Zurück zur Natur? Wie die Renaturierung unserer Gewässer sozial-ökologisch gestaltet werden kann" im Juni umrahmte Schäfer mit ausgewählten Texten aus seinem Buch Wasserwege die Beiträge der Diskussionsteilnehmer. Gegenstand der Veranstaltung war das Projekt Weschnitz Dialog. "Das Wort Quelle ist in unserer Sprache vielfältig präsent," so Schäfer. Als Wegmarken sind sie ein wichtiges Element das in die Landschaft führt. Quellen und Brunnen spielen in den meisten Märchen und Sagen eine wichtige Rolle.

Carla Schönfelder vom Team Ewen Darmstadt moderierte den Abend: "Die Wahrnehmung von Wasser in der Gesellschaft ist bislang gering. Das soll sich ändern."

Zu Gast war auch Ulrich Androsch vom Gewässerverband Bergstraße. Er führte aus, daß Gewässer Platz brauchen, Auenlandschaften und Überschwemmungsbereiche sind notwendig, denn die Hochwasserrückhaltung ist vielfach nicht ausreichend. Entlang der Weschnitz werden nach einem Masterplan von vor zehn Jahren (Rainer Hennings, einer der Praktiker mit denen Schäfer während seines Buchprojektes ins Gespräch kam) sukzessive umfassende Renaturierungsmaßnahmen zur Verbesserung des ökologischen Zustands umgesetzt. "Wenn wir renaturieren, müssen wir dem Bach mehr Arbeit lassen," so Hennings. Man könne den Weg vorgeben, die Umsetzung muß das Gewässer jedoch selber machen, nur dann entstehen durch Gewässerdynamik die erwünschten Mikrohabitate. Es sollten nach Hennings nicht so viel "Regelprofile gezeichnet werden", sondern vielmehr die Grundlagen für eine Eigendynamik des Gewässers geschaffen werden.

Ohne Flurbereinigung wäre ein Projekt wie an der Weschnitz nicht denkbar, aber die Last der Bereinigung und Flächenneuzuteilung muß auf viele Schultern verteilt werden. Während in der Wahrnehmung von Anwohnern und Besuchern renaturierte Gewässer gut ankommen und als Aufwertung des Innenstadtbildes angesehen werden, fehlt noch an der öffentlichen Unterstützung, um Einschränkungen für Menschen durch die Rettung von Ökosystemen verständlich zu machen. Kaum jemand ist bereit, seinen eigenen Grund und Boden für Renaturierungsmaßnahmen herzugeben. Androsch fordert daher mehr Wertschätzung für Ökosysteme. Und Torsten Schäfer mußte auf seiner Recherchereise entlang der Modau feststellen: Plätschergeräusche durch Steine oder Bäume im Bachbett sind für manche Anwohner unzumutbar!

Die Diskussion wurde durch Teilnehmer aus sehr unterschiedlichen Bereichen lebendig. Dr. Stefan Liehr (ISOE – Institut für sozial-ökologische Forschung Frankfurt) stellte klar, daß die Zukunft der Flüsse darin liegt, sie ganzheitlich aus integrierter Sicht zu betrachten in ihrer Landschaft, die nutzungsmäßig stark zergliedert ist. Daher müsse das Erleben gestärkt werden, um eine veränderte Haltung der Natur gegenüber zu erreichen: "Die eigene Natur ist essentiell, sobald sie erfahrbar wird." Freizeitnutzungen und landwirtschaftliche Belange können durch Renaturierung stark eingeschränkt werden. Renaturierung müsse daher breit aufgestellt sein, Maßnahmen optimal an die Situation vor Ort angepaßt werden, Betroffene müssen gehört werden. Sonst seien Blockaden auch über rechtliche Prozesse die Folge. Veränderungsprozesse können nur als gemeinsam gestaltete Aufgabe sinnvoll vorankommen, vor allem sei ein regelmäßiges Feedback wichtig. Letztlich werden durch die Renaturierung ja sogar neue Erlebnisräume geschaffen.

Begleitet wird das Projekt ebenfalls von Prof. Dr. Jörg Oehlmann (Goethe Universität Frankfurt): "renaturierte Gewässer bilden Kernhabitate, sind Ausgangsbasis für Vielfalt," und von Matthias Beuth (Martin-Luther-Schule Rimbach): "Jugendliche müssen ihre Umgebung mit Kopf Herz und Hand erfahren und das individuelle Spannungsfeld der Bedürfnisse derer die hier zuhause sind muß berücksichtigt werden. Wo wollen wir anfangen wenn nicht bei den Jugendlichen?" Der naturwissenschaftliche Lehrer will daher nicht nur Emotionen wecken, sondern auch den Verstand ansprechen: es gebe Neuntklässler die ganz erstaunt seien: "wie, die Lebewesen sind da die ganze Zeit drin?" Projekte am Wasser werden als sehr spannend erlebt, auf diese Weise werden Gewässer und Lebenswelt verknüpft, die Menschen in die Region geführt in der sie leben. Auf einer solch breiten Wissensbasis könne man auch global bestehen.

Dr. Jutta Weber (Geo-Naturpark Bergstraße-Odenwald) freut sich über die Aufwertung der Region und das Lernpotential, das Lehrkräfte schaffen und mit Kindern und Praktikern parallel umsetzen. Gewässer anschaulich und begreifbar machen und warum es wichtig ist der Natur zu helfen, ganzheitlich mit den Belangen der Natur umgehen sind die Inhalte. "Wenn Menschen etwas erleben können, lassen sie sich einbeziehen." Neue soziale Begegnungsflächen entstehen, mit den Schulen an den Fluß gehen, den anderen Takt der Natur kennenlernen, Zeit mitbringen, das tue allen gut. Der Geo-Naturpark Bergstraße-Odenwald ist Modellregion für die Vermittlung der Nachhaltigkeitsziele aus der Agenda 2030.

Ein Mitstreiter im Geo-Naturpark Bergstraße-Odenwald ist Jochen Babist: er setzt alles daran, den Lernort Natur im Naturpark voranzubringen. Bildung solle für nachhaltige Entwicklung vermittelt werden, Lernen in Zusammenhängen zu denken und eigene Handlungskompetenz zu erreichen, Methoden zu stärken, sind seine Ziele dabei. Schulen sind Multiplikatoren, und wenn ein Schüler erkennt: "ich kann selbst etwas tun und handeln" können entstehende Zielkonflikte diskutiert werden. Die Naturparkschulen sind über das ganze Geoparkgebiet verteilt und sollen vernetzt werden um voneinander zu profitieren.

Ein kleiner Film mit "Blick aus dem Klassenzimmer auf die Weschnitz" wurde von Lehrer Markus Schenk (MLS) und Katja Brinkmann (ISOE) gedreht: die Martin-Luther-Schule liegt zwischen zwei Gewässern, der Weschnitz auf der einen und dem Waldbach auf der anderen Seite. Sie ist Naturparkschule und möchte mit dem Gewässerprojekt die Belange der Landschaft thematisieren. Im Film kommen Schülerinnen und Schüler zu Wort, die unter anderem Meßgeräte und ihre Funktion vorstellen, etwa zum Ammoniumgehalt oder zum Nitratgehalt im Wasser. Das Gewässerprojekt der MLS gehört zum Science Lab. Da es enorm wichtig ist, Bestandteil der Region zu sein, hält die Schule und das Projekt engen Kontakt mit den Gemeinden der Umgebung. Noch vor Weihnachten 2021 soll die eigene Internetseite fertiggestellt sein, es ist auch ein Buchprojekt in Planung.

Volker Wachendörfer (Deutsche Bundesstiftung Umwelt) ist erfreut über die Beiträge der Diskussion: "die Aspekte aus der Teilnehmerrunde waren sehr aufschlußreich, so erkennen wir, wie wir im Gewässerbereich unsere Förderung fortsetzen können." Er brachte den Begriff des Stewardship in die Runde.

Torsten Schäfer beschloß die Veranstaltung mit dem Epilog aus "Wasserwege": "Das Virus (Covid 19) trifft ein Wirtschaftssystem, das die Erde bereits an ihre Belastungsgrenzen und darüber hinausgebracht hat, beim Artenschwund etwa, der zu großen Teilen auf Abholzungen und Landnahmen zurückgeht. Es sind die Tiere und ihre Rückzugsgebiete, es sind die letzten natürlichen Refugien mit ihren Wäldern, Flüssen und Seen, die uns zuvorderst beschäftigen müssen bei den beiden aktuellen Existenzfragen: Woher kommen neue Viren, und wie können wir die Ursachen dafür bekämpfen?"

Eine Seuche zieht oft die nächste nach sich, wie Fred Langer in seinem Beitrag "Wie ein Virus Afrika formte" (GEO Juli 2021) darlegt: zuerst kam die Rinderpest, die Herden wurden gekeult. Wo Weideland war, wuchs Savanne hoch, und die TseTsefliege konnte sich ausbreiten. Ein Gutes hatte sie: zuerst machten sich deutsche Kolonialisten das Land der Ureinwohner zu eigen, töteten deren Herden und trieben selbst Viehzucht. Als die TseTsefliege kam, wurden weite Landstriche für alle unbewohnbar, auch für die neuen Herren.

Infos:
Lesetipp: Torsten Schäfer, Wasserwege: https://www.oekom.de/buch/wasserpfade-9783962382261