Fällt einem nichts mehr ein für ein nettes Gespräch über Belanglosigkeiten, kommt stets das Wetter an die Reihe. Dabei gibt es nichts Spannenderes als Wetter, Witterung, Klima und die Auswirkungen. Sturm Friederike legte im Januar 2018 in Windeseile große Teile Deutschlands lahm, tötete Menschen, brachte den Verkehr zum Erliegen.
Was für Donald Trump nur Wetterextreme oder Extremwetter sind, wird fast weltweit als Klimawandel angesehen. 97% der Klimaforscher sehen dies, aber 16 % der Deutschen glauben nicht an den Klimawandel. Dabei spüren wir ihn tagtäglich: knöcheltiefer Matsch bei Plusgraden im Januar, Frost und Erntevernichtung im April, Trockenheit im Sommer. Deshalb ist es interessant, langfristige Wetteraufzeichnungen zu betrachten.
Die Reichenbacher Chronik von Pfarrer Martin Walther (1599-1620) verzeichnet auffällige Wetterereignisse aus der Zeit vor 400 Jahren. Vieles kommt uns sehr vertraut vor, anderes verwunderlich: so lag „um Pfingstmontag, den 12. Mai 1600 zur Früh ein großer Schnee, so nachts gefallen, aber ehe man des Tages wieder aus der Kirche kam, war er fast wieder abgegangen und zerschmolzen.“ Spätfröste zerstörten immer wieder die Obsternte: „in der Nacht zwischen 30. April und 1. Mai anno 1596 erfror im starken Reif (= Frost) Wein und Korn in der Starkenburger Zent, Odenwald und Bergstraßen e.a.“
„Dienstags, den 20. April (1602) und Donnerstag den 22., zwei Tag vor Georgii, waren zwei sehr kalte Nächte, daß Wein und Nüsse erfroren... und alles Obst in der Blüt erfroren, ....“ Auch 2017 zerstörte ein Nachtfrost am 20. April bis zu 80% der Apfelblüten, so daß es letztes Jahr kaum Äpfel gab."
Vereister Wasserlauf 2017
1604: „Dieses Jahr ist ein warmer Winter gewest, daß viel alter Leut bekannt haben, bei und über Mannsgedenken sei dergleichen nicht gewesen.“ Am 16. und 17. März 1606 gab es einen Sturm, der Dächer abdeckte, Scheuern zerriß und Bäume umwarf „so schröcklich, daß viel Leut bekannt, sie haben dergleichen nit gehöret noch gesehen ihr Leben lang“. Der Juni war so feucht, daß das Heu auf den Wiesen verfaulte. Und es gab im Herbst 1606 so wenig Bucheckern, daß die 176 Schweine aus Reichenbach „kaum 8 Wochen genug zu fressen gehabt, fing das Eckern (= man trieb die Schweine in den Wald zum Eckern) wegen der Meng Schweinen an auszugehen auf Martini (11. November). Die Schweine sind diesen Winter gar wohlfeil worden, dann hier und anderswo (haben sich) die Leute mit selben fast überschlagen.“ Die Bienen der Region sind vor dem Winter erfroren, der Winter 06-07 selbst aber war wieder „ein gar warmer Winter gewest, ... hat über 2x Schnee nicht gelegt, so auch bald wieder abgegangen, die Bäche nie gar zugefroren...“. Glück hatte man dann im Herbst, „herrlich Wetter zur Saat gewesen, dergleichen in 20 Jahren nicht gewest sei, wie die Bauern sagen.“ Ab Dezember gab es großes Schneewetter und Frost (6.12.1607-22.2.1608). Der Marktbrunnen in Bens-heim ist durch Frost zersprungen, das Holz wurde sehr teuer und niemand konnte von Bensheim „das Reichenbacher Tal nausfahren“. Das Vieh mußte in die Stuben geholt werden, weil Kälber und Jungvieh in den Ställen erfroren.
Nasse warme Winter, Hochwasser im Ried und am Rhein, reiche Heuernte, Mäuseplage, Raupenplage, ein trockener heller April (1611), wenig Heu, die Korn- und Haferfelder wurden von Bauern und Pferden abgeweidet, nasser und windiger Herbst wechselten sich ab. 1611 kam vor Ohmet (= zweite Heumahd) und Kornsaat ein großer Schnee mitten in die Herbstlese. Der Dezemberschnee 1611 sei täglich mehr gefallen: „es seien diesmal 30mal Schnee aufeinander gelegt“, er blieb bis Februar liegen und man konnte über den zugefrorenen Rhein gehen. Wildtiere kamen in die Dörfer, am 14. Februar erlegte ein Reichenbacher Hund „bei Schmiedts Backofen“ eine Hirschkuh. Die Hasen haben viele junge Bäume abgefressen.
Am 1. April 1612 „hats im Reichenbacher Tal sehr gekisselt und die Kirschblüt abgeschlagen“, auch am 20. Mai gab es Hagel. „Vor der Ernte war das Korn gar teuer, 1 Malter uf die 6 Gulden golten.“ (Ein Malter sind ca. 100-120 Liter, und für einen Gulden konnte man im 17. Jahrhundert 12-18 kg Rindfleisch kaufen.) Auch das Heidekorn (Buchweizen) und Obst, Nüsse, Rüben waren schlecht in diesem Jahr. „Grausamer Sturmwind“ überfiel die Reichenbacher Pfarre im Oktober 1612. Dann wieder ein warmer Winter ohne Schnee, ein Donnerwetter an Himmelfahrt, „viel hartschlägige Wetter“, wieder ein herrlich trockener Herbst für die Saat, ein harter Winter 1614 bis 25. März, z.T. bis April. Man konnte erst am 21. März 1614 Hafer aussäen, und weil die Herbstsaat „mehrenteils abgetrieben und verzehret“ war, zackerte man im Frühling die Äcker zur Neueinsaat nochmals um. Das Korn brachte in diesem Jahr jedem Pächter nur ein Malter Korn, Pfarrer Walther mußte durch die Domherren zu Mainz mit Korn unterstützt werden. Und wieder ein Aprilfrost: die Nacht vom 13. auf 14. und 26. auf 27. April 1615 schadete dem Obst. „Schröcklich Wetter und grausamer Sturmwind“ schüttelte am 3. August um 2 Uhr nachmittags das Obst von den Bäumen und warf Bäume um. Dafür war das Jahr 1615 „ein Buchel-Eckern zu Reichenbach gewest, daß die Säu ziemlich worden.“ Der November war lange trocken, so daß die Wiesenwässerung und die Mühlen unversorgt blieben. Der erste Schnee fiel am 9. Januar 1616 und der Rhein fror wieder zu. Am 17. Juni begann man wegen der großen Hitze das Getreide zu schneiden, obwohl dies erst nach dem Johannistag 24. Juni üblich war.
Es folgte „bei Mannsgedenken kein solcher warmer truckener Winter“ ohne Schnee und Frost. 1617 brachte eine reiche Ernte „daß man die Frucht nicht alle in die Scheuren bringen können“, aber eine nasse Saat und der Bensheimer Wein hatte „zur Zeitigung gar Unwetter“. Im folgenden Winter fiel der erste große Schnee wieder erst am 24. Februar 1619 und blieb bis 17. März liegen.
Danach verzeichnet Pfarrer Walther keine Wetternotizen mehr, der große Krieg überzog den Odenwald und ließ 1648 beim Westfälischen Frieden eine fast menschenleere Gegend hinter sich. Angekündigt wurde der Krieg übrigens durch einen Kometen, der sich von Oktober 1618 bis Neujahr im Osten zeigte und die Menschen in Atem hielt.
Die Aufzeichnungen zeigen, daß das Wetter schon immer seine Kapriolen schlug. Exakte Temperaturangaben und Niederschlagsmengen werden erst seit 1781 am Observatorium Hohenpeißenberg in Bayern aufgezeichnet. Pfarrer Walther hätte gar keine Möglichkeit für eine exakte Temperaturangabe gehabt, denn der schwedische Astronom Anders Celsius normierte die Messung erst 1742.
Man mag an den Klimawandel glauben oder auch nicht: das Wetter bestimmt noch immer unser Leben sehr tiefgreifend. Wir sollten es also nicht noch schlimmer machen.
Marieta Hiller, Januar 2018
Gab es immer wieder im Wechsel der Jahrhunderte: gewaltige Schneefälle, hier vom Januar 2010 in Lautern