Da es nun das 9-Euro-Ticket gibt, habe ich beschlossen im Juni möglichst viele Fahrten per ÖPNV zu machen. Hier lesen Sie, wie es mir ergehen wird.
In den Monaten Juni, Juli und August 2022 können Fahrgäste deutschlandweit für neun Euro im Monat den ÖPNV nutzen. Das Ticket gilt in allen Bussen und Bahnen des Nahverkehrs in der zweiten Klasse, jedoch nicht im IC oder ICE. Die Linie AIR ist im Aktionszeitraum nach wie vor zuschlagspflichtig. Das Ticket kann direkt im Bus gekauft werden, so spart man sich schon einmal den Ärger am Anfang: mit Fahrscheinautomaten habe ich keinen guten Vertrag. Entweder sie funktionieren nicht oder man versteht nicht was sie von einem wollen. Woher soll ich in einer fremden Stadt wissen, in welchem Bezirk mein Zielausstieg liegt, wieviele Waben ich nutzen will, welche Preisklasse ich wählen muß? Nimmt die blöde Kiste Münzen oder EC-Karte?
Ich muß nicht an den Fahrkartenautomat! Damit ist die schwierigste Hürde geschafft...
Gut klappt alles, wenn ich einen menschlichen Ansprechpartner habe: wenn ich schon in Lautern beim Einstieg in den Bus alles bekomme was ich brauche. Busfahrer und Busfahrerinnen sind immer freundlich und kompetent, so meine Erfahrung. Einen Fahrkartenschalter im Bahnhof sucht man dagegen meist leider vergebens.
Und so kommt es, daß ich immer IMMER immer mit dem Auto fahre. Für meinen "Testmonat ÖPNV" werde ich mir mal extra Zeit und Geduld nehmen und schauen wo es mich alles hinbringt.
3. Juni: Zahnarztbesuch in Rimbach
Neee, beim besten Willen nicht: eine Stunde 13 Minuten mit drei Umstiegen - mit dem Auto bin ich in 35 Minuten dort.
4. Juni: wie komme ich mit ÖPNV zu einem Sonderzug von Darmstadt nach München und zurück?
Das historische Bahnbetriebswerk Gießen e.V. veranstaltet endlich mal wieder eine Sonderfahrt, Start ist in Marburg, Ziel ist München. Wir werden in Darmstadt HBF zusteigen und freuen uns wie Bolle. Um wieviel Uhr? Das wissen wir sechs Tage vor der Fahrt leider noch nicht: "Leider fehlen uns zum jetzigen Zeitpunkt immer noch die genauen Fahrzeiten des Zuges. Dies liegt daran, dass das Fahrplanbüro der Deutschen Bahn chronisch unterbesetzt ist. Trotz mehrfachen Nachfragen fehlen uns immer noch die genauen Zeiten." schreibt der Veranstalter. Es bleibt spannend...
Inzwischen haben wir die Fahrt am 4. Juni sehr genossen und sind zurück zuhause. Nicht zuletzt haben wir das den ehrenamtlichen Organisatoren des Vereins historisches Bahnbetriebswerk Gießen e.V. zu verdanken, weniger dagegen dem ÖPNV. Der endgültige Fahrplan versprach uns die Abfahrt in Darmstadt Hbf um 7.30 Uhr. Somit schied die Möglichkeit mit Bus und Bahn von Lautern aus dorthin zu kommen aus. Denn die erste Fahrmöglichkeit wäre um 6.24 Uhr in Darmstadt, aber wer will schon eine geschlagene Stunde auf dem Bahnhof zubringen, wenn alle Geschäfte noch geschlossen haben. Die nächste Verbindung wäre um 7.26 Uhr in Darmstadt gewesen, aber 10 Gleise vom Sonderzug entfernt. Also unmöglich. Wenn es sinnvoll gewesen wäre, dann wären wir um 6.31 Uhr in Lautern in den Bus gestiegen und um 6.53 in Bensheim in den Zug nach Darmstadt. Also ließen wir uns fahren. Am Bahnsteig verkündete uns dann die freundliche Stimme des Lautsprechers, daß der Sonderzug aus Marburg voraussichtlich 60 Minuten Verspätung haben würde. Jetzt saßen wir also doch eine Stunde auf dem Bahnhof fest. Die Gründe für die Verspätung hat die Deutsche Bahn verschuldet, der Lokführer unserer 103 holte diese bis München so gut auf, daß wir dort sogar ein paar Minuten zu früh ankamen. Erst im Sonderzug konnte uns die Zeit für die Rückfahrt mitgeteilt werden. "Der Fehler lag bei der DB in einem Verwaltungsgebäude in Frankfurt. Wir Eisenbahner leiden in den letzten Jahren immer wieder unter Fehlern der Konzernführung bzw. des massiven Personalabbaus in vielen Bereichen." Wir sollten bitte nicht das Zugbegleitpersonal - das zum Teil aus DB-Mitarbeitern bestand - dafür verantwortlich machen.
Bahnfahren in Deutschland: immer für eine Überraschung gut. Bewundernswert, wie die Mitarbeiter direkt am Kunden damit umgehen. Sie müssen sich anhören, was die Politik verbockt hat. Die heutige Personalstruktur der Deutschen Bahn war ja politisch gewollt, und wer hat diese Politiker bloß gewählt?
Rückfahrt: wir wußten also nur, daß es um 18.13 Uhr zurückgeht, aber nicht von welchem Gleis. Wir saßen im Hbf München und hielten die Abfahrtstafel streng im Blick. Die Anzeigen reichten nur eine halbe Stunde in die Zukunft, die Spannung blieb also bis zuletzt. Und dann wieder so ein Knaller: während wir auf die Haupt-Abfahrtstafel starren, fällt einer Mitfahrerin auf, daß eine kleine Abfahrtstafel seitlich, im Schatten gelegen und schlecht einsehbar, genau UNSEREN Zug anzeigt! Das war 15 Minuten vor Abfahrt...
7. Juni: meinen Solawi-Anteil in Hoxhohl abholen
Neee, in der Zeit wäre das Gemüse ja welk! 53 Fahrminuten mit zwei Umstiegen (einfach wohlgemerkt)! Mit dem Auto: 15 Minuten hin und rück...
10.6. Die Jubiläumsfeier 50 Jahre Lautertal
Am 10. Juni von 18 bis ca. 21.30 Uhr findet die Feier in der Lautertalhalle statt. Am 20. Mai habe ich bei bahn.de nachgeschaut wie ein Bus fährt. Denn die Gemeinde hatte zwar den Fahrplan der neuen Buslinie MO2 angehängt und ausdrücklich gebeten, mit ÖPNV anzureisen. Dieser Fahrplan nutzt mir aber nichts, wenn ich in Lautern einsteigen und abends auch wieder ankommen möchte. Bahn.de bot mir eine Verbindung an, die mich zwar pünktlich um 18 Uhr zur der Lautertalhalle nahegelegenen Haltestelle bringt, und zwar in wenigen Minuten. Für die Heimfahrt nach 21 Uhr allerdings bot die Seite mir für 21.20 oder 22.20 Uhr eine Fahrt an, die eine Stunde dauert. So lange bin ich zu Fuß nicht unterwegs für diese Strecke! Das war am 20. Mai, und ich dachte mir: wer weiß wer bahn.de gehackt hat, guckst du mal ein paar Tage später nochmal nach. Und tatsächlich: am 30. Mai verrät mir die Anzeige auf bahn.de, daß der Bus sowohl auf der Hinfahrt nur 6 Minuten als auch auf der Rückfahrt acht Minuten braucht. Die zwei Minuten mehr rechne ich mal der enormen Steigung zwischen Elmshausen und Lautern zugute. Alles gut soweit, der 10. Juni wird zeigen wie der Spaß ausgeht.
Nun: der Spaß ist ausgegangen, und zwar gut. Hervorragend sogar. Der Bus fuhr pünktlich, nahm uns und unser 9-Euro-Ticket mit und hielt auch an der Haltestelle Sportplatz, von wo es 20 Fußminuten bis zur Lautertalhalle sind. Wir kamen also pünktlich dort an. Die Veranstaltung selbst zog sich allerdings länger als geplant, so daß wir uns beim drittletzten Programmpunkt auf den Rückweg machen mußten. Und siehe da: der Bus kam wieder pünktlich, nahm uns mit und ließ uns in Lautern aussteigen. Perfekt!
13.6. Erzählzeit in der Mittelpunktschule Gadernheim
Einmal die Woche bin ich vormittags in den beiden ersten Klassen der MPS und erzähle Märchen. Um 10.00 Uhr geht es los, und ich kann um 9.30 Uhr ab Lautern fahren, bis zur Haltestelle Schulzentrum. Perfekt! Zurück wäre es allerdings nur um 11.38 (zu knapp) oder um 12.48 (viel zu spät) gegangen. Zu Fuß bis zum Jarnacplatz und von dort um 11.40 oder 11.55 Uhr wäre aber perfekt gewesen. Ich mußte aber noch am Spargelständchen Obst und Spargel kaufen, und damit wäre das Busfahren schon wieder zu umständlich geworden...
15.6. Schluß mit lustig...
Leider habe ich mir - trotz Dreifachimpfung - irgendwo Covid eingefangen, weil nirgends mehr Masken getragen werden. Zwei Wochen Quarantäne, bis die Symptome zurückgingen, der erste Negativtest am 28. Juni. Erst dann bin ich wieder nch draußen gegangen, aber mein 9-Euro-Ticket konnte ich nicht mehr nutzen.
Fazit: ÖPNV auf dem Land ist nur eingeschränkt sinnvoll nutzbar
Die Strecke Bensheim - Lindenfels ist super, um alles mit dem Bus zu erreichen. Meine anderen Ziele - Hoxhohl, Rimbach, Bioladen Linnenbach - sind nicht in einem sinnvollen Zeitrahmen erreichbar. Ohne Auto geht es nicht, aber meine jährliche Kilometerzahl von unter 10.000 km spricht für sich. Mein Arbeitsplatz liegt zweikommavier Meter unterhalb meines Wohnzimmers, Kundenbesuche finden seit Corona meist telefonisch oder per Mail statt, und meine Einkaufstouren koordiniere ich schon immer so geschickt, daß es mich wenig Zeit kostet - und damit auch wenig Sprit. Jedenfalls braucht mein Auto eine monatliche Stromspritze für die Batterie, damit es anspringt.
Drei Worte zum Sinn der Aktion
Es war höchste Zeit, den ÖPNV attraktiver zu machen. Allerdings verraten einschlägige Statistiken, daß den meisten "ich-fahre-immer-mit-dem-Auto"-Nutzern gar nicht die Kosten zu hoch sind. Wer sein KFZ wirklich realistisch kalkuliert, für den wäre eine Fahrt zu 4.40 Euro von Lautern nach Bensheim definitiv nicht zu teuer, rechnet man noch die Parkhausgebühren (oder Knöllchen fürs Falschparken) mit ein.
Vielmehr sind es die Pünktlichkeit der Bahn und die Problematik, an eine Fahrkarte zu kommen, die das Bahnfahren unattraktiv macht. Arbeitgeber interessiert es nicht, wenn der Zug mal wieder Verspätung hat oder gar ausgefallen ist. Beim dritten Mal ist die fristlose Kündigung drin. Entspannen kann man im überbesetzten Zug auch nicht, wenn man einen Stehplatz hat oder sich mit Laut-Telefonierern oder anderen Schwadronierern auf den Sitzen quetscht. In meinem Auto riecht es so wie es mir gefällt, und ich höre auch nur das, was ich möchte. Ob ich nun mit dem Auto im Stau stecke oder mein Zug ausfällt oder auf offener Strecke einen Technikstop machen muß, ist da fast egal.
Zu der "Leichtigkeit, eine Fahrkarte zu ziehen" habe ich mich ja oben schon ausgelassen.
Und zu guter Letzt frage ich mich, wer die Konsequenzen des 9-Euro-Tickets trägt. Wer zahlt das alles? Wer organisiert die Anpassung an Spitzen in den Fahrgastzahlen? Wer schützt diejenigen, die die ganze Zeit schon brav ÖPNV nutzen, vor dem zu erwartenden Andrang? Wird die Aktion den ÖPNV letztlich attraktiver machen oder ihm den Todesstoß verpassen?
Ich bin gespannt! Marieta Hiller
Marieta Hiller