Anläßlich der Mitgliederversammlung der AG der Geschichts- und Heimatvereine im Kreis Bergstraße im Juni 2023 gab es in Lauresham eine sehr interessante Führung durch Projektleiter Claus Kropp. Auf dem Gelände des Freilichtlabors gibt es verschiedene Experimente zur mittelalterlichen Landwirtschaft: es wird mit Rindern des rätischem Grauviehs gepflügt und auf Wölbäckern angebaut. Ist der Boden für die Bearbeitung zu hart wie nach den letzten Trockenjahren, leisten Schweine ganze Arbeit: wo der Pflug nicht mehr durchkommt, pflügen sie auf der Suche nach Bodenleckereien alles durch, so daß danach weiterbearbeitet werden kann.

Geschichtsforschung muß nicht langweilig und trocken sein: eine Führung in Lauresham - es gibt verschiedene Themenführungen, auch für Kinder - läßt alles anschaulich werden. So baute man im Mittelalter auf Wölbäckern an, um Hungersnöte durch Mißernten zu verringern. In trockenen Jahren wird die Ernte in den Senken des Ackers gut, in feuchten dagegen auf den Hügeln. Außerdem wurde immer eine Mischung aus verschiedenen Getreidesorten angebaut, von denen meist einige auch bei widrigen Wetterbedingungen genug Ertrag zum Überleben brachten. Die Experimente fügen sich in einen bundesweiten Forschungsrahmen unter dem Motto "a year on the field" ein, der Erfahrungen mit regionalen Anbautraditionen und Saatgutsorten zu einer Datenbank aufbaut. Mehrere Museumsstandorte, auch living history farms genannt, und kommerzielle Betriebe mit ökologischem oder konventionellen Anbau beteiligen sich daran. Es wird triticum aestivum, Weichweizen oder Brotweizen, angebaut und geschaut, unter welchen Bedingungen man Getreideanbau an den Klimawandel anpassen kann.

Landwirtschaftliche Experimente helfen beim Verständnis für Ackerbau und Viehzucht: Lauresham und Kloster Lorsch - und die AG der Geschichts- und Heimatvereine im Kreis Bergstraße

"Geschichte muß stetig neu erforscht werden, was vor 50 Jahren Wahrheit war, ist es eventuell heute nicht mehr", so Heidi Adam bei der Mitgliederversammlung der AG Geschichts- und Heimatvereine im Kreis.

Auch das Museumszentrum Lorsch zeigt lebendige Geschichte. Das Kloster und das etwas außerhalb liegende Freilichtlabor Lauresham sind seit 1991 Welterbestätte, zehn der hier ruhenden Handschriften aus der Schreibwerkstatt Karls des Großen gehören zum Weltdokumentenerbe, darunter das Lorscher Arzneibuch und der Bienensegen. Dies erläuterte Dr. Schefers, Leiter des Museumszentrums, in einem Kurzvortrag während der Mitgliederversammlung. Er führte er aus, daß dahinter viel ehrenamtliches Engagement durch zwei Vereine und eine Stiftung stehen.

Eine der größten Grundbesitzflächen östlich des Rheins gehörten einst zum Kloster Lorsch. Adlige vermachten damals zur Sicherung des Seelenheils riesige Ländereien dem Kloster. Von der Nordsee bis nach Graubünden sowie vom Elsaß bis nach Mittelfranken reichte das Einzugsgebiet.
Heute betreibt man hier experimentelle Archäologie: wie leben die Menschen vor 1200 Jahren? Mit Lauresham baut man Stück für Stück diese Lebenswelt nach anhand der wenigen historischen Quellen. Lauresham stellt ein 1:1 Modell eines frühmittelalterlichen Herrenhofes dar, ähnlich Campus Galli auf der Schwäbischen Alb (Nachbau des St. Gallener Klosterplanes) oder der Burgbaustelle Guedelon in Frankreich. Nur durch handwerkliches Nachempfinden lassen sich viele Techniken erfahren, Hypothesen müssen in praktischer Arbeit untermauert werden, um Forschungslücken zu schließen. Experimentelle Archäologie zählt nicht zu den anerkannten Wissenschaften, ist jedoch sehr nützlich, um Funktionsweisen oder Sachverhalte zu verstehen. Reale Spuren finden sich leider selten genug. Auch die Präsentation von Ergebnissen ist schwierig, denn es darf ja nicht gegraben werden.
Aus diesem Grunde entstand z.B. das digitale Cluny, ein Kloster in Frankreich. Virtuell kann man dieses Kloster durchschreiten.
Auch die reichhaltige Bibliothek des Klosters Lorsch steht virtuell zur Verfügung, da eine Ausstellung von Originalhandschriften nicht mehr denkbar ist. Über 80.000 Buchseiten können in der digitalen Bibliothek eingesehen werden, inklusive Suchfunktion, Katalog und Sachregister zu Orts- oder Personengeschichte.
Nicht virtuell, sondern real zu besichtigen und zu begehen sind die Anlagen des frühmittelalterlichen Herrenhofes. Die Gebäude mußten, wenn auch historisch möglichst nahe an zeitgenössischen Befunden, nach modernen Gesichtspunkten der DIN-Norm für Besuchertauglichkeit und Brandschutz ausgerüstet werden.
Wobei man bei der Wärmedämmung keine Probleme hatte: die Wände bestehen aus Flechtwerk, das im Kern eine Strohfüllung hat, und entsprechen so trotz historischer Genauigkeit der modernen Norm. Zwischen 2012 und 2013 wurden die Häuser erbaut und halten etwa 30 Jahre. War im Mittelalter ein Haus abbruchreif, so baute man es ab und verwendete die guten Bauteile für einen Neubau ein Stück weiter. Ganze Dörfer "wanderten" so immer ein Stück weiter, solange man aus Holz und Fachwerk baute. Die Gärten und Felder wanderten mit.

Ohne die Forschung im Freilichtlabor, im Museumszentrum und auf dem Klostergelände wüßten wir heute kaum mehr etwas vom 9. Jahrhundert...  

https://kloster-lorsch.de/ein-jahr-auf-dem-feld

https://www.ardmediathek.de/video/alles-wissen/alles-wissen-vom-16-09-2021/hr-fernsehen/Y3JpZDovL2hyLW9ubGluZS8xNDkwNTc