Im Märchen "Die Bremer Stadtmusikanten" geht es nicht nur um Hund, Katze, Hahn und Esel, es geht auch um Landflucht. "Etwas Besseres als den Tod findest du überall“ heißt es bei den Tieren, die im Alter aus dem Sozialgefüge gefallen sind und bittere Not leiden.

Landflucht setzte ein, als die Industrialisierung begann. In den Zentren zogen große Fabriken das bäuerliche Landvolk an, zugleich setzte in der Landwirtschaft eine Entwicklung ein, die menschliche Arbeitskräfte durch Maschinen ersetzte. Während die Vorstädte und die Hochhäuser boomten, verschwand auf dem Land wichtige Infrastruktur. Bis heute wird in einigen Bereichen noch immer mühselig entgegengewirkt, mit unterschiedlichem Erfolg.

Während der Öffentliche Personennahverkehr ÖPNV stetig verbessert wird, nimmt die medizinische Versorgung auf dem Land ab, unzählige Einzelhandelsgeschäfte fielen dem "viel praktischeren" Internethandel zum Opfer. Aus Sicht der Städter leben heute auf dem Land nur Menschen, die sich das leisten können, und so wird das Landleben gerne verklärt.
Gern macht man die Landwirtschaft zum Sündenbock für alle ökologischen Probleme, die wir heute haben. Tatsächlich aber zieht die Agrarindustrie die Fäden. Für Landwirte heißt das: ganz oder gar nicht - Chemie oder Bio, dazwischen geht kaum etwas.

Stadtmenschen kaufen Bio und fahren mit dem Lastenrad. Im Odenwald fährt man mindestens 20 Minuten bis zum nächsten Bioladen, mit dem Auto. Der ÖPNV ist halt doch nicht sooo vernetzt wie er sein müßte, und mit einem  frohen Liedlein auf den Lippen auf dem Lastenrad über die Odenwaldhügel strampeln ist auch nicht jedermanns Sache...
Auf dem Land setzt man Schadstoffe frei, um schadstoffarm einzukaufen.

Der Blick der Städter aufs Land, ihre Forderungen nach einem autofreien Leben, nach saisonalen und regionalen Lebensmitteln (wie kommen die eigentlich in die Städte?) - all das erscheint uns Landeiern absurd. Tatsächlich gibt es in Deutschland nur 80 Orte mit über 100.000 Einwohnern! Diese 80 Städte setzen die Maßstäbe im öffentlichen Bewußtsein, die dann für die restlichen 70% der Bevölkerung zu gelten haben - und die leben auf dem Land. (Quelle: GEO 09/2023)

Landgemeinden erstrecken sich oft über große Strecken, was die Wasserver- und Entsorgung sowie die Energieversorgung teuer macht; nicht alle Regionen sind so gut mit Haus- und Zahnärzten gesegnet wie Lautertal und Modautal, das nächste Krankenhaus liegt gut 30 Minuten entfernt.

Trotzdem lebt es sich gut auf dem Land, umgeben von grüner Landschaft, Wiesen und Wäldern.
Doch halt: die Wiesen und Wälder, die Landschaft ziehen Städter an! Strömten früher an Wochenenden die Städter  per PKW zur Kochkäsrallye in den Odenwald, sind es heute eher windschnittig gekleidete farbenfrohe Radfahrer*innen. Gern radeln sie im Pulk nebeneinander auf engen Straßen (das dürfen sie!) und unterhalten sich so laut, daß jeder motorgetriebene PKW übertönt wird. Der Geo-Naturpark Bergstraße-Odenwald hat ein toolkit (Werkzeug) zur Besucherlenkung speziell auch für Radfahrende entwickelt.
Dabei wäre das einzige Mittel gegen rücksichtslos Radfahrende ein Nummernschild. Wer leicht identifiziert werden kann, verhält sich automatisch rücksichtsvoller...

Trotz allem gibt es auf dem Land vieles, das gegen das Stadtleben spricht. Wer hier lebt, weiß es zu schätzen. 75% der von GEO befragten Landkommunen in Deutschland (darunter auch Bensheim) stufen das Thema Nachhaltigkeit hoch bis sehr hoch ein. Umbau der Energieversorgung überwiegt, landwirtschaftliche Veränderungen dagegen stehen meist hinten an. Die vierzig Gemeinden der GEO-Umfrage sind meist von ihrem Charakter her eher städtisch und hätten die Chance auf mehr Autofreiheit - im Gegensatz zu Menschen, die beispielsweise in Klein-Bieberau oder Beedenkirchen wohnen.

Die vier Stadtmusikanten kamen nie in Bremen, in der Stadt, an. Aber sie fanden ein "Woanders" wo  es besser ist: mitten im Wald, auf dem Land, vertrieben sie eine üble Räuberbande aus ihrem Haus. Und lebten glücklich und zufrieden vom bedingungslosen Grundeinkommen, und wenn sie...
...und wenn das nicht subversiv ist, dann weiß ich auch nicht!

Hat Deutschland genügend Lebensmittelreserven? Grünland statt Ackerbau / Energiepflanzen statt Essen ...

Die einheimische Landwirtschaft wird in den Medien gern als Klimaschädling Nr. 1 dargestellt. Tatsächlich jedoch produzieren Industrie und Kraftfahrzeuge 60% der Feinstaubbelastung, die Landwirtschaft dagegen nur 18%. Der Rest geht auf Private und Kleinbetriebe zurück.
Die einheimische Landwirtschaft sorgt dafür, daß wir buchstäblich "unser täglich Brot" haben. Deutschland exportiert 9,3% Weizen in die Welt, es ist also genug da. Für uns in Deutschland jedenfalls. Wie die Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen FAO mitteilt, wirkt sich der Krieg in der Ukraine vor allem auf Länder wie Eritrea, Kasachstan, Mongolei und Armenien, die fast vollständig auf Weizenimporte angewiesen sind. Rußland und Ukraine gehören zu den weltweit größten Exportländern für Weizen, wie auch für Sonnenblumenöl und Gerste. Weltweit sind dieses Jahr 345 Millionen Menschen akut von Hunger betroffen, denn der Weizenpreis ist um 28% gestiegen.
Die Bundesrepublik Deutschland dagegen hält eine Notfallreserve vor: Die BLE (Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung) lagert im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) zur staatlichen Ernährungsvorsorge in der zivilen Notfallreserve (ZNR) 800.000 Tonnen Reis, Hülsenfrüchte, Kondensmilch (Milchpulver), Weizen, Roggen und Hafer. Das sind pro Bundesbürger 9,7 kg. Damit soll in Krisenfällen eine tägliche Mahlzeit über mehrere Wochen gewährleistet werden. Diese Notversorgung im Wert von 200 Millionen Euro ist an 150 geheim gehaltenen Standorten gelagert und soll vor allem die Bevölkerung in Ballungsräumen versorgen, indem in Gemeinschaftsverpflegungseinrichtungen Mahlzeiten hergestellt werden. Die hohen Kosten erklären sich aus der Anschaffung und der aufwändigen Lagerhaltung.
Diese zivile Notfallreserve ist sinnvoll, da sich landwirtschaftliche Erzeugnisse nicht kurzfristig produzieren lassen und die Ernährungsindustrie aufgrund "Lager Autobahn" keine großen Vorräte vorhält.
Eine Tatsache, die unverständlich erscheint, ist das Verbot,  eine landwirtschaftliche Fläche wieder zu Ackerland zu machen, die seit fünf Jahren nicht mehr umgepflügt wurde.
Mit diesem Verbot des Grünlandumbruchs sollen ökologisch wertvolle Flächen in der Agrarlandschaft erhalten werden. Es dient jedoch vor allem dazu, den Anbau von Futterpflanzen (außer Wiesengras) und Energiepflanzen einzudämmen. Grünland hat laut Umweltbundesamt vor allem einen "hohen ästhetischen Naturwert" für Freizeit und Erholung, bietet aber auch wichtige Flächen für den Erhalt der Artenvielfalt und schützt vor Erosion und Austrocknen. Die schnelle Versickerung von Starkregen auf Grünland wird immer wichtiger. Der Umbruch zu Ackerflächen würde neben Humusabbau auch Nitrat, Lachgas und Kohlendioxid freisetzen. Solange Kühe auf der Weide grasen, helfen sie also mit, die Freisetzung von Treibhausgasen zu begrenzen - eine klassische Milchmädchenrechnung?

Handwerk versus Industrie: bäuerliche Landwirtschaft

Die landwirtschaftliche Szenerie hat sich in den letzten 150 Jahren von kleinen Familienbetrieben hin zur hochtechnologisierten Agrarindustrie entwickelt. Aber es gibt noch immer Landwirte, die lieber auf traditionelle umweltverträgliche Erzeugung setzen, einige davon arbeiten nach den Grundsätzen des ökologischen Landbaues und sind biozertifiziert. Zusammengeschlossen haben sie sich in der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft e.V.; ihre Themen sind z.B. das Recht auf eigenes Saatgut, Schutz landwirtschaftlicher Flächen vor Investoren, klimaschonende Landwirtschaftsformen, Regionalität und Schutz vor Gentechnik.

True Cost - Was Lebensmittel wirklich kosten (müßten)

Die FAO sowie  vier große Wirtschaftsprüfungsunternehmen (Deloitte, Ernst & Young, KPMG und PricewaterhouseCoopers) haben festgestellt, dass eine Unternehmensbilanz nicht vollständig ist, wenn sie gesellschaftliche und ökologische Schäden ausblendet.
Die aktuelle britische "True Cost"-Studie ergab, daß wir Lebensmittel zweimal bezahlen: einmal an der Ladentheke und ein zweites Mal durch versteckte Kosten durch Gesundheits- und Umweltschäden. Diese unsichtbaren Lebensmittelkosten zahlen wir über Steuern, Abgaben, Krankenkassenbeiträge. Oder wir zahlen sie gar nicht, sondern verlagern sie auf die Natur, die Menschen im globalen Süden und auf nachfolgende Generationen. Die Studie des Sustainable Food Trust und Berechnungen weiterer Institutionen zeigen, dass Bio-Lebensmittel günstiger sind als konventionell erzeugte, wenn man ihre wahren Kosten betrachtet.
Beispiel: Bei einigen Supermarktketten konnte man für eine Zeitlang den wahren Preis einiger Produkte auf der Packung sehen. Dieser lag bei konventionellen Produkten um ca. 60% höher, bei Bioprodukten ca. 30%. So wurde für Verbraucher erstmals deutlich, wo sie wirklich die Umwelt schonen können.
Verblüffend ist etwa, daß ein Bio-Apfel aus Argentinien in der Gesamtrechnung günstiger ist als ein einheimischer Apfel aus konventionellem Anbau. Der Transport per Flugzeug um die halbe Welt verursacht weniger Schäden als der einheimische Anbau mit Pestiziden und Bodenausbeutung.
Unschlagbar günstiger wird bei diesem Rechenansatz der Kauf von Bio-Äpfeln aus der Region.
Während die konventionelle Landwirtschaft im Würgegriff der Technologisierung um ihre Existenz kämpft, würde es sich für alle rechnen, diese aktiv bei ihrer Umstellung auf Bio zu unterstützen, beispielsweise in einer Solidarischen Landwirtschaft. Die Wende unseres Ernährungssystems kann nur mit allen gesellschaftlichen Kräften geschafft werden: Verbraucher*innen, Landwirtschaft, Handel und Bildung. Der Markt wird's wohl nicht richten, die Politik vielleicht auch nicht. Voranbringen können Verbraucher und Verbraucherinnen diese Entwicklung.

Weitere Infos zum Thema Landwirtschaft

https://www.landwirtschaft.de/landwirtschaft-verstehen/wie-funktioniert-landwirtschaft-heute/wie-wirkt-sich-der-ukraine-krieg-auf-die-nahrungsmittelsicherheit-aus

Wieviel Getreide und andere Lebensmittel sind in der zivilen Notfallreserve der BRD?

https://www.umweltbundesamt.de/daten/land-forstwirtschaft/gruenlandumbruch#gefahrdung-des-grunlands

https://www.bzfe.de/nachhaltiger-konsum/grundlagen/true-cost-wahre-kosten/

Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft e.V.: www.abl-ev.de

Weitere Infos finden Sie in unserer Rubrik Garten und Landwirtschaft