Frühling läßt sein blaues Band...
Ein wahres Märchen um die Farbe Blau und den Dichter Eduard Mörike

„Frühling läßt sein blaues Band
Wieder flattern durch die Lüfte;
Süße, wohlbekannte Düfte
Streifen ahnungsvoll das Land.
Veilchen träumen schon,
Wollen balde kommen.
Horch, von fern ein leiser Harfenton!
Frühling, ja Du bist 's!
Dich hab’ ich vernommen!“
Eduard Mörike 1829


Blau - die Farbe der Sehnsucht, der Ferne, das Blaue gibt Ruhe, Erholung und Selbstgenügsamkeit. Blau war etwas ganz besonderes: die Steinzeitmenschen hatten es nicht für ihre Höhlenmalerei zur Verfügung, sie konnten es nur in ungreifbaren Sphären sehen: im Himmel und im tiefen Wasser. Noch bis in die Zeit um 1830 war die Farbe Blau eine der kostbarsten, konnte nur aus Lapislazuli-Edelstein gemahlen. Im Mittelalter war das Blau in der Malerei daher ausschließlich Madonnenbildern vorbehalten. Aus Übersee mußte es bezogen werden, daher wurde es auch Ultramarin genannt.
Steht auch die Farbe Blau für Sehnsucht, hat der Ausdruck Blau machen nichts Träumerisches an sich: es war die Wartezeit, bis ein mit Färberwaid getränktes Stück Stoff am Luftsauerstoff sich von grün zu blau wandelte - blau ist eine Zauberfarbe. Erdgeister und Zauberer, Irrlichter und Wasserwesen waren blau, doch auch die christlichen Cherubim.
Flüchtig und kostbar war also die Farbe Blau, nur verfügbar im Himmelsblau und in tiefen Wassern. Welches Wasser aber könnte tiefer - und blauer - sein als der Blautopf in Blaubeuren?
Aus unergründlichen Tiefen sprudeln hier die Wasser, keine Quelle ist es eigentlich, vielmehr treten hier Wässer wieder ans Licht, die auf geheimnisvollen Pfaden tief im löcherigen Kalkgestein von weither kommen, aus einem Gebiet von über 160 Quadratkilometern. Vom Kalk her rührt auch die blaue Farbe. Ein jeder kennt die Alpenflüsse, die an ihrem Beginn milchig in Grün- und Blautönen von den Bergen kommen. Ihre Farbe kommt vom Kalk, der das Wasser undurchsichtig macht und so eine Himmelsreflexion hervorruft.
Der Karst der Schwäbischen Alb ist geheimnisvoll verwinkelt: unerwartete Verbindungen unterirdischer Höhlen und Gänge finden sich; er beherbergt uraltes Leben, unzählige Fossilien aus vergangenen Erdzeitaltern haben darin überdauert und berichten uns von einer Zeit, die für uns höhlenliebende Neuzeitmenschen schwer vorstellbar ist. Sie waren schon uralt, als vor 30.000 Jahren die Menschen der Steinzeit hier in den Karsthöhlen wohnten. Einst nämlich, vor 150 Millionen Jahren, lag  der heutige Höhenzug der Schwäbischen Alb auf dem Grund des Jurameeres,  und die Kalkablagerungen dieses Meeres werden von der Kohlensäure, die sich aus Regenwasser bildet, aufgelöst und lassen so weitläufige Höhlensysteme entstehen.
Wieviel Menschengeschichten werden wohl seit Tausenden von Jahren von den Höhlenwänden des Karst klingen wie ein vielfaches Echo? Wie Wasser in einem Schwamm sammelt sich hier die Essenz von Sagen und Märchen, von Leben. Durchs tiefe Blau scheint sie zu uns hinauf in die kühle Welt der Sachlichkeit: „eine Kuppelhöhle in der Unteren Felsenkalk-Formation des Oberjura“ - diese Beschreibung mag für Geologen zureichend sein, doch wer einmal die Brillenhöhle bei Blaubeuren aufsucht (von ihr war oben die Rede) und Licht und Stein auf sich wirken läßt, dem kann die Höhle schon als Zufluchtsort vor Kälte, Regen und Wölfen vorstellbar werden, als Höhle in ihrem urbildlichen Sinn von Geborgenheit.
Geborgenheit bedeutet Behütung ohne Einschränkung dder eigenen Beweglichkeit. Denn der Blick hinaus in die  lichte Weite, heraus aus einer Höhle, macht diese Wahrnehmung eigentlich aus. Wie Friedrich Hundertwasser feststellte: „die einen behaupten, Häuser bestehen aus Mauern, ich sage die Häuser bestehen aus Fenstern“, so ergeht es auch demjenigen, der sich mit einer Höhle vertraut macht: das Herausschauen ist das Wichtige.
Unser Urzeitjäger-Kleinhirn weiß: Schutz vor Eindringlingen und Gefahren, aber auch Sehen Hören Riechen des Draußen müssen gesichert sein.
Und so brauchen wir ein Bild der Welt, das über eine trockene geologische „UnterFelsenkalkOberJura“-Erklärung hinausgeht: wir brauchen die Wassernixe, Verkörperung der Urmutter wie auch der Verführerin - die schöne Lau.
Bevor man endlich nach jahrhundertelangen Versuchen in der Lage war, die Tiefen des Blautopfes auszuloten, galt er als bodenlos und die Schöne Lau, die darin lebte, soll jedesmal das Bleilot an sich genommen haben...
Schon die Namen geben einen Hinweis auf die uralte Verwandschaft zwischen Wasser, der schönen Lau und dem Bleilot:
denn der Name „Blau“ stammt nicht von der Farbe des Wassers, er kommt aus vorgermanischer Zeit zu uns, damals hieß er Blava, mit einer indogermanisch-keltischen Wurzel. Auch andere Flüsse klingen ähnlich: Donau Nau, Drau und Sau (Save). Allen zugrunde liegt Awa, was nichts anderes als  Wasser bedeutet. Alle Wasserwörter haben zugleich auch die Bedeutung von „rein, klar“, so etwa das Flüßchen Lauer, das von hlur kommt und unser heutiges Wörtchen lauter anklingen läßt. Apropos rein und klar: Whisky und Wodka haben die selbe Wortwurzel! Beide - uisge und woda - sind Formen von awa. Und der Fluß Blau, der aus dem Blautopf sprudelt, hieß früher auch Ilm, Elm, Ulm - wohin er auch fließt, und das bedeutet nichts anderes als Fluß oder Strom.
Die Blau andere Flüßchen von der Schwäbischen Alb tummeln sich spielerisch in einem uralten Donaubett in Richtung Ulm. Hier aber werden die mäandernden Wasser gebändigt: kein Umlaufberg, keine Eskapaden, nur noch geradlinig funktionierende Wasserstraße dürfen sie hier sein.
Um so schnörkelvoller ranken sich die Geschichten um den Blautopf und seine berühmte Bewohnerin, die schöne - oder arge - Lau. Im Blautopf lebte sie, traurig war sie, denn ihr Gatte hatte sie verstoßen, weil sie keine Kinder bekam. Einer Weissagung zufolge mußte sie fünfmal von Herzen lachen und der Grund durfte ihr vorher nicht bekannt sein.
Die schöne Lau lebte in herrlichen Räumen tief unter der Erde, die so genau von Eduard Mörike beschrieben werden, daß man nicht glauben möchte, sie seien erst im Jahr 1957 entdeckt worden. Von Schätzen, die die Lau in ihren Kammern vorfand, wird da erzählt - Dinge, die den Menschen in den Blautopf gefallen waren wie einst die blutige Spindel der Goldmarie?
Mörike schrieb seine Geschichte 1855, und er übernahm darin alte Erzählungen der schwäbischen Landsleute. Wußte man unbewußt schon immer um die Höhlen tief unten im Karst?
Die schöne Lau saß unten in ihrem Blautopf, und jedesmal wenn ein neugieriger Mensch sein Bleilot hinabließ, um die Tiefen auszuloten, nahm sie das Lot an sich und brachte es in ihre Schatzkammer. So sollen sich auch kostbare Gegenstände, die von dort geborgen wurden, sich - kaum daß sie aus dem Wasser kamen - in schnödes Blei verwandelt haben. Blei und Lot: auch zwei Wörter, deren Ursprung eng mit Wasser verbunden ist. Heute noch klingt Lot im englischen Lead für Blei an, seine Abstammung allerdings ist indogermanisch-keltisch. Pleud, leud, für fließen und laudia für fließendes Metall, also Blei. Auch löten läßt noch die Verwandschaft anklingen.
Die Tiefe des Blautopfs ausloten - das ließ den Menschen durch die Jahrhunderte nicht ruhen. Und im Jahr 1718 gelang es dem Prälaten Weißensee, die Tiefe mit 62 1/2 Fuß zu messen, ohne daß ihm die Lau das Lot gestohlen hat.  62 1/2 Fuß - das sind ungefähr 19 Meter, so genau läßt sich das nicht sagen, denn ein Fuß war eine halbe Elle, und die Elle konnte von Mensch zu Mensch kürzer oder länger sein....
Ausgerechnet ein Mann des Glaubens wollte den Volksglauben von der Unergründlichkeit des Blautopfs widerlegen, doch wirklich erreicht wurde der Grund des Blautopfes erst im Jahre 1957, er liegt auf 20,6 Metern Tiefe (manche sagen auch: 22 Meter). Dabei fand man auch den Eingang zu einer Höhle ganz am Grund des Blautopfes. Heute weiß man, daß sie zum größten und interessantesten Höhlensystem Deutschlands führt. Hier gibt es eine Halle namens Apokalyse, einen Mörikedom und ein Wolkenschloß.
Über die vielen Bleilote, die die schöne Lau an sich genommen haben soll, macht sich der schwäbische Volksmund lustig mit dem Zungenbrecher:

    Glei bei Blaubeira leit a Kletzle Blei -
    ´s leit a Kletzle Blei glei bei Blaubeira

    (Gleich bei Blaubeuren liegt ein Klötzchen Blei -
    Es liegt ein Klötzchen Blei gleich bei Blaubeuren)

Aus dem Blautopf fließen zwischen 2000 und 32000 Liter pro Sekunde, und die Mär von der schönen Lau berichtet von Überflutungen der Keller und Gärten von Blaubeuren, immer dann, wenn die schöne Lau besonders traurig oder zornig war, oder wenn ihr  unfreundlicher Gatte vom Mündungsgebiet der Donau im Anmarsch war.
Die Höhle, zu der man vom Grund des Blautopfes vorstoßen kann, hat eine vermessene Länge von 3000 Metern, man schätzt aber daß sie noch weitere Kilometer in den Karst reicht.
Doch ist sie nicht die einzige - wenn auch vielleicht die märchenhafteste - Höhle im Karst der schwäbischen Alb: rund um Blaubeuren im Aach- und Blautal gibt es Höhlen mit bedeutenden archäologischen Funden aus der Epoche des Aurignacien vor 30 000 bis 40 000 Jahren.
Die Blautopfhöhle, die Vetterhöhle, die Seligengrundhöhle, das Geißenklösterle, die Brillenhöhle, die Große Grotte, die Sirgensteinhöhle und der Hohle Fels gehören dazu.
Wunderschöne Elfenbeinfiguren mit einem Alter von 32 000 bis 35 000 Jahren wurden hier gefunden. Im Hohlen Fels gibt es Führungen und Sonntags von 14-17 Uhr ist sie im Sommer geöffnet (1. Mai bis 31. Oktober). Im Winter möchten dort die Fledermäuse ihren ungestörten Schlaf genießen. Führungen: Erwin Haggenmüller, Tel. (0 73 94) 5 95, e-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Im Museum in Schelklingen sind zahlreiche der Steinzeitfunde zu sehen, auch die Website www.museum-schelklingen.de läd ein zum Schmökern und Stöbern.
Ein Fund, der dort zu besichtigen ist, weist auf die Jagd nach Höhlenbären hin, denn in einem 30.000 Jahre alten Knochenstück von einem Bären wurde ein Höhlenbärenwirbel mit Silexeinschluss aus dem Hohle Fels bei Schelklingen geborgen. Schnittspuren von Feuerstein auf dem Wirbel zeigen, daß der Bär zerlegt wurde.
Wen all die Höhlen mit ihren Geheimnissen und der märchenhafte Blautopf neugierig auf mehr gemacht hat, der sollte einmal nach Blaubeuren fahren. Informationen über diese schöne schwäbische Stadt in der Nähe von Ulm gibt es reichlich unter www.blaubeuren.de. Einen nostalgischen Ableger der guten alten Schwäb’schen Eisenbahn gibt es hier auch, allerdings ohne Schienen: das „Blautopfbähnle“ fährt zwischen „Schtuegert ond Ulm“ Aussichtspunkte und Sehenswürdigkeiten an. Infos: www.auto-mann.com.
Die schöne Lau sitzt - in Stein gehauen am Rande des Blautopfes und wartet auf jemanden, der sie so richtig herzlich zum Lachen bringt. Marieta Hiller