Umdenken in der Landwirtschaft: dringend geboten wenn wir morgen auch noch gut leben wollen
Großflächige Äcker voller Monokulturen, saubere Ränder ohne Blühstreifen, überdüngte Wiesen, Megaställe mit Gülle-Entsorgungsproblemen: das prägt die - auf den ersten Blick einzige - rentable Form der Landwirtschaft.
Doch es geht auch anders: Nischenprodukte lassen sich auf auf kleinräumigen Flächen anbauen, erzielen höhere Umsätze, können Artenvielfalt erhalten oder wiederherstellen. Das Auerochsenprojekt in Lorsch zeigt, daß sich Weideflächen innerhalb kurzer Zeit regenerieren und wieder eine große Artenvielfalt aufweisen können.
Der 2015 erschienene Film Tomorrow zeigt an Beispielen aus zehn Ländern, wie Landwirtschaft anders funktionieren kann. Unter dem Motto "Die Welt ist voller Lösungen" porträtiert der Dokumentarfilm von Mélanie Laurent und Cyril Dion die momentane Weltsituation: Energie- und Ressourcenverknappung und Klimawandel prägen die Problematik. Lösungen können die Projekte und Initiativen sein, die alternative ökologische und wirtschaftliche Ansätze zeigen.
70-75% aller Lebensmittel werden weltweit von kleinen Familienlandwirtschaften produziert. Das zeigt, daß der Weg zu Kleinräumigkeit und Artenvielfalt weltweit bereits begangen wird!
In Europa werden im Schnitt 13% des Einkommens für Lebensmittel ausgegeben, jedoch müßten es eigentlich 25-30% sein, wenn sämtliche Nebenkosten der Lebensmittelproduktion eingerechnet würden.
Die in Europa gängige Form der konventionellen Landwirtschaft kostet die Allgemeinheit also genausoviel zusätzlich, wie die Verbraucher für die Produkte zahlen.
Historisch betrachtet, war Landwirtschaft immer Sache der Grundbesitzer: sie bestimmten was angebaut wurde und wie. Die Arbeit wurde von Leibeigenen, später Pächtern, übernommen. Ihre Anordnungen und später eine überdimensionierte Technik prägte das Landschaftsbild der letzten Jahrzehnte. Die Fürsten der Kameralwirtschaft betrieben Landwirtschaft ganz offen, um ihre Einkünfte zu vermehren. Die Ernährung der landwirtschaftlichen Arbeitskräfte oder gar der Bevölkerung war nur zweit- oder drittrangig wichtig. Der Wohlstand der fürstlichen Kammer sollte erreicht werden durch Fachkompetenz (im Odenwald wurden zwei Professoren als Konsistorialräte in Schönberg und Michelstadt eingesetzt) und durch Technikfortentwicklung.
85 % der Bevölkerung sollte als landwirtschaftliche Arbeitskräfte der Fürstenkasse dienen. Ab einer Bodengüte von 35 empfahl der Morgenthauplan (USA, nach dem 2. Weltkrieg) eine landwirtschaftliche Ausrichtung. Bodengüte 0 entspricht Sand, 100 ist fruchtbarer Löß. Prägend für die westliche Wirtschaftsentwicklung wurde jedoch nicht der Morgenthauplan, sondern der Marschallplan, der Deutschland als produktionsstarkes Bollwerk zwischen den Blöcken vorsah.
Und so entwickelte sich die Landwirtschaft hin zu Großbetrieben. Analog verlief die Entwicklung in Ostdeutschland in den LPGs. Die Gegenmodelle, die der Film Tomorrow aufzeigt, sind stärker an der ursprünglichen Form der Landwirtschaft orientiert: Familienbetriebe mit vielfältiger Produktion. Gehen wir zurück bis zur Steinzeit, jener Zeit in der die Menschen seßhaft wurden und begannen Landwirtschaft zu betreiben, als das Getreide den menschlichen Ernährungsplan ergänzte: im Herrenhof Lauresham in Lorsch wird versucht darzustellen, wie es vor 1200 Jahren gewesen sein könnte. Hier werden Forschungsergebnisse aufgezeigt, die z.B. das Gebiß eines 40jährigen Bauern jener Zeit zeigen, seine Zähne sind durch Körnerernährung komplett abradiert, der Mann hatte Zahnentzündungen bis in den Kieferknochen, Blutvergiftung war wohl die Folge. Zahnprobleme sind eine der vier Haupt-Todesursachen, die allgemeine Lebenserwartung betrug 35-42 Jahre, vor allem auch bei Frauen und Kindern, die eine hohe Sterblichkeitsrate hatten.
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Infos
www.kloster-lorsch.de hier: Lauresham, Mittelalter zum Mitmachen, Führungen, Öffnungszeiten und Lauresham: das Wölbäcker-Projekt
Buchtipps:
Der Auerochse - eine Spurensuche, Begleitband zur Ausstellung
M. Hiller, Mai 2018
Pestizide: das eine wird verboten, das nächste kommt auf den Markt - Artensterben ist vorprogrammiert...
Die Zulassung von Bienengift ist kein Geschäftsgeheimnis: dies wurde am 13. April 2018 vor dem Verwaltungsgericht Braunschweig geklärt, der Klage des Umweltinstitutes München e.V. wurde zugestimmt. Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit muß Informationen über Zulas-sungsanträge für neue Insektengifte offenlegen. Denn kaum ist das eine Gift im Freiland verboten, drängen neue Mittel auf den Markt: Infos www.umweltinstitut.org. Allgemein bekannt ist inzwischen, daß diese Mittel massiv in unsere Ökosysteme eingreifen und zum Aussterben von Insektenarten führen können. Deshalb ist eine transparente Zulassungspraxis sehr wichtig. Das Aussterben von Arten betrifft uns alle. Am 27. April 2018 verbot die EU drei Neonicotinoide im Frei-land, auch Deutschland (!) stimmte zu. In Gewächshäusern dürfen die Insektengifte weiterhin eingesetzt werden, und andere Neonicotinoide bleiben weiter erlaubt. Doch eine Agrarwende hin zu aktivem Erhalt der Artenvielfalt ist schwierig. Während Imker und Umweltverbände sich freuen, ist die konventionelle Landwirtschaft nicht begeistert und fühlt sich „im Regen stehen gelassen“, wie man auf www.agrarheute.com liest. Ökologische Landwirtschaft praktiziert die längst überfällige Agrarwende schon seit Jahrzehnten, mit Artenschutz und ohne chemisch-synthetische Pestizide. Im konventionellen Landbau befürchtet man, daß Flächenspritzungen mit Pyrethroiden gegen Schädlinge bei weitem nicht so wirksam sind wie Saatgutbeizung mit Insektiziden, und man beklagt, daß keine neuen Präparate in Sicht sind. Längst vergessene Schäd-linge und Krankheiten könnten zurück auf den Acker finden. Auch die Pflanzenschutz- und Saatgutindustrie hält das Verbot für „überzogen“, wen wundert’s? Was unzählige ökologisch arbeitende Landwirte vormachen, wird von der konventionellen Landwirtschaft bestenfalls ignoriert. Hier spielt natürlich das Verbraucherverhalten eine große Rolle: solange wir Billig-Nahrungsmittel aus gewinnoptimierter Massenproduktion kaufen, werden diese auch erzeugt. Unsere eigene Gesundheit sollte uns wichtig sein, wenn es schon nicht das Überleben unzähliger Insektenarten ist. Wir schlucken brav den Pestizid-Cocktail, obwohl deren Wirkung als Nervengift niemand mehr bestreitet - auch nicht die konventionelle Landwirtschaft. Was Bienen und Hummeln tötet, kann auch uns töten. Wer auf ökologisch erzeugte Lebensmittel setzt, durchbricht diesen Kreislauf.
Übrigens: die Gemeinden Modautal und Lautertal (hier Bauhofauslagerung an das KMB) setzen keinerlei Pestizide auf ihren Grünflächen ein.
Wir Verbraucher können dafür sorgen, daß auch die Landwirtschaft den wichtigen Schritt zu weniger Pestizideinsatz und endlich zum vollständigen Verzicht darauf schafft. Nur so kann das Artensterben der letzten Jahre gestoppt werden. Honigbiene und Hummel sind nur zwei von vielen: unzählige Arten werden ausgestorben sein, bevor sie wissenschaftlich beschrieben werden können: nach Schätzungen bevölkern etwa 6-100 Millionen Arten die Erde, von denen etwa 2 Mio erfaßt sind. Neben der Zerschneidung von Lebensräumen, der Vermüllung der Umwelt, dem Klimawandel und der Übernutzung von Ökosystemen ist industrielle Landwirtschaft der wichtigste Faktor für das Artensterben. M. Hiller, Mai 2018